Hochsensibilität
Unter dem Begriff Hochsensibilität wird versucht einen Zustand zu beschreiben in dem die Wahrnehmungsfähigkeit eines Menschen deutlich über dem Durchschnitt liegt. Die Betroffenen nehmen Umwelt und Ereignisse differenzierter und intensiver wahr. Es fehlen scheinbar einige Filter oder die vorhandenen Filter sortieren gröber. Das breitere Wahrnehmungsspektrum kann sich als erhöhte Intuition, Differenziertheit, Kreativität und erhöhtes Einfühlungsvermögen ausdrücken.
Auf der anderen Seite ist eine sehr große Anfälligkeit für Reizüberflutungen vorhanden, wenn das Gehirn nicht in der Lage ist, die Vielzahl an eingehenden Informationen zu verarbeiten. Dann erfahren die Menschen ihre Veranlagung als emotionale und nervliche Instabilität, mangelnder Stressresistenz und Unsicherheit, mit dem Bedürfnis nach Rückzug und Abgrenzung. Eine erste wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas Hochsensibilität hat 1997 mit der Psychologin Elaine N. Aron begonnen.
Hochsensible Personen
Eine hochsensible Person (HSP) ist ein Mensch, der die angeborene Eigenschaft einer hohen sensorischen Empfindlichkeit besitzt oder eine angeborene Empfindlichkeit hat, wie es Carl Jung ursprünglich benannte. Einige gemeinsame Zeichen sind Empfindlichkeit gegenüber lauten Geräuschen, helles oder fluoreszierendes Licht und starken Gerüchen. Hochsensible Personen sagen über sich selbst, dass sie über ein reichhaltiges und komplexes inneres Leben verfügen. Sie können leicht erschrecken und werden flatterig, wenn sie gefordert werden viele Dinge in einer kurzen Zeit zu erledigen. Nach Aussagen von Elaine N. Aron und anderen Forschern verarbeiten hochsensible Personen Sinneseindrücke sehr viel tiefgehender und gründlicher weil es biologische Unterschiede in ihren Nervensystemen gibt. Dies ist eine spezifische Eigenschaft mit wichtigen Folgen, wie wir nun Menschen wahrnehmen, bei denen in der Vergangenheit häufig Schüchternheit, soziale Angststörungen, soziale Phobie und angeborene Furcht diagnostiziert wurde. Das Merkmal wird mit der HSP-Skala gemessen, die in Versuchsreihen bewiesen hat, dass sie sowohl interne als auch externe Validität besitzt. Obwohl der Begriff in erster Linie verwendet wird, um Menschen zu beschreiben, existieren in über 100 anderen Arten ähnliche Merkmale.
Verwendung des Begriffs
Der Begriff “hochsensible Person“ (HSP) wurde 1996 geprägt durch Dr. Elaine N. Aron. Die Bezeichnung gewinnt an Popularität, weil es die Eigenschaft in ein positives Licht rückt. Es postuliert, dass Begriffe wie Schüchternheit, Hemmungen und Ängstlichkeit, mit denen hochsensible Personen oft versucht werden zu beschreiben in Abhängigkeit von Stressfaktoren in der Umwelt auftauchen. Zahlreiche Bücher über dieses Thema benutzen bereits den Begriff “hochsensible Person“ (HSP).
Erkenntnistheoretische Überlegungen
Der angenommene Ansatz von Aron und Kollegen hinterfragt die Vorstellungen von Begriffen wie „Schüchternheit“, in dem sie die grundlegenden Unterschiede im Verhalten von vielen Arten einschließlich des Menschen erklären. Im Gegensatz zu der „Schüchternheit“, die man am ehesten als eine erlernte Angst vor Verurteilungen im sozialen Umfeld erklären kann, aber häufig als eine angeborene Eigenschaft, die keine evolutionären Vorteile mit sich bringt angesehen wird, wenn es nur Ängstlichkeit ist, wird die Eigenschaft der Hochsensibilität als eine grundlegende Eigenschaft anerkannt, um die Evolution zu bewahren. Sie besitzt in sich selbst einen Überlebensvorteil.
Aron wurde durch ihre frühe Arbeit über gewöhnliche Charakter Unterschiede bei Kindern, inklusive niedriger Wahrnehmungsschwelle und einer Scheu-Mutig Skala zur Beschreibung von Tierarten, teilweise zu dieser Schlussfolgerung hingezogen. In beiden Fällen ist das Merkmal üblich und zufällig in ausreichenden Umständen vorhanden, um bestehen zu können.
Zusätzlich wachsen zweifellos Kinder mit dieser oder anderen angeborenen Eigenschaften auf und werden fortgesetzt von ihrem angeborenen Temperament beeinflusst.
Die Forschung an Erwachsenen tendiert jedoch dazu, sich mehr auf sichtbare Verhaltensunterschiede, wie Introvertiertheit (in erster Linie beschäftigt mit seinem innerem Leben) und Neurosen (ängstlich oder depressiv) im Erwachsenenalter zu konzentrieren, ohne Berücksichtigung einer möglichen Verursachung durch Wechselwirkung von Umwelt und Temperament. Einige Menschen mit einer angeborenen Sensibilität erscheinen introvertiert oder neurotisch, andere wiederum nicht, abhängig von Umweltfaktoren. Und ebenso sind natürlich auch einige Introvertierte und Neurotiker nicht immer hochsensibel. Dies legt nahe, dass die Sensibilität die grundlegende, angeborene Eigenschaft ist, die häufig der Ursprung der anderen Merkmale ist. Mit dieser scheinbar unzutreffenden Benennung einer grundlegenden Überlebensstrategie konfrontiert, entwickelten Aron und Kollegen den Begriff der Hochsensibilität oder sensorischen Verarbeitungsempfindlichkeit (sensory processing sensitivity, SPS). Sie gehen nicht davon aus, dass es genetische Ursachen dafür gibt, so dass Hochsensibilität die beste Bezeichnung dafür ist. Aus Befragungen von Menschen, die sich selbst als “hochsensibel” bezeichnen ist eine HSP Skala entstanden. Studien auf Basis dieser Skala sind in eine wachsende Anzahl von interessanten Forschungen gemündet, die verschiedene Methoden, wie Genetik, funktionale Magnetresonanztomographie, sowie Experimente und Umfragen verwenden. Dabei wurden gleichwertige oder stärkere Ergebnisse erzielt, als mit den üblichen Eigenschaften zum Studium von erwachsenen Persönlichkeiten.
Forschung
Die Erforschung der sensorischen Verarbeitungsempfindlichkeit wird am besten „Sensory Processing Sensitivity: A Review in the Light of the Evolution of Biological Responsivity” von Elaine Aron, Arthur Aron und Jagiellowicz zusammengefasst. Die Autoren erklären, wie ihre Theorie der sensorischen Verarbeitungsempfindlichkeit (der wissenschaftliche Begriff für das Merkmal) auf Eysencks Ansichten zu Introvertiertheit und Erregung und Grays Arbeiten an einem System der Verhaltenshemmung aufbaut. Grays Ideen wurden von Jerome Kagan in seiner Beschreibung über Hemmungen bei Kindern aufgenommen. Schließlich gibt es die Tradition von Thomas und Chess, die zu der Arbeit von Evans und Rothbart in „Orienting Sensitivity“ führt. Ein großer Teil der Forschung geht nun davon aus, dass sensorische Verarbeitungsempfindlichkeit angeboren und bei ca. 15-20% der Menschen feststellbar ist. Sie ist erkennbar durch eine größere Tiefe in der Verarbeitung von eingehenden Sinneseindrücken. Das führt zu einem größeren Bewusstsein für Feinheiten in Verbindung mit einer erhöhten Übererregbarkeit bei einem Level von sensorischer Stimulation, die andere Menschen nicht als störend wahrnehmen würden. Der Grund für den konstant niedrigen Prozentsatz (15-20%) von empfindlichen Individuen in einer Population lässt sich möglicherweise damit erklären, dass nur so ein erbtes Merkmal seinen Wert behält. Wenn zu viele Menschen eine Umleitung bei einem Verkehrsstau nehmen, hätte diese Umleitung keinen Vorteil mehr. Jüngste Forschungen in der Entwicklungspsychologie bieten einen weiteren Beweis dafür, dass sich Menschen in ihrer Empfindungsfähigkeit unterscheiden. Nach der differenzierten Anfälligkeits-Hypothese von Belsky unterscheiden sich Individuen in dem Maße in ihrer Empfindungsfähigkeit, wie sie von Erfahrungen oder Qualitäten aus der Umgebung der sie ausgesetzt sind, betroffen sind. Einige Menschen reagieren empfänglicher oder sensibler auf solche Einflüsse als andere. Jedoch nicht nur in negativer Hinsicht sondern auch in positiv. Zum Beispiel hat die Forschung von Pluess und Belsky gezeigt, dass Kinder mit schwierigem Temperament im Säuglingsalter empfänglicher sind für die Auswirkungen der Eltern und Kinderbetreuungsqualität in den ersten 5 Jahren des Lebens. Interessanterweise reagierten hochsensible Kinder nicht nur auf eine niedrige Qualität in der Erziehung durch mehr Verhaltensprobleme, sondern hatten auch am wenigsten Probleme, wenn sie eine sehr gute Erziehung in ihrem Leben erfahren konnten.
Interview zum Thema Hochsensibilität
Interview mit Autorin und Hochsensibiltäts-Coach Sabina Pilguj von April 2015
Sabina Pilguj hat auf dem Kinderyoga Kongress 2015 bei Yoga Vidya einen Vortrag über das Thema Hochsensibilität gehalten. Die Teilnehmer waren sehr berührt davon, wie Sabina über ihre Erfahrungen mit sich selbst und Menschen die sie begleitet gesprochen hat. Aus diesem Anlass hat das Wiki Team von Yoga Vidya Sabina Pilguj interviewt, um das Thema Hochsensibilität weiter zu vertiefen.
Sudarshana: Sabina du bezeichnest dich als Stress in Balance Coach und bietest auch Coaching und Beratung bei Hochsensibilität an. Wie bist du zu diesem Thema gekommen? Hast du eigene, persönliche Erfahrungen mit Aspekten aus dem Bereich Hochsensibilität?
Sabina: Beruflich bin ich Yogalehrerin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und habe "IBIZA-Coaching" (Ich bin ich - zentriert & achtsam) neu in mein Angebot aufgenommen, um ein spezielles Coaching für Hochsensible Kinder und Erwachsene anzubieten. Das Thema "Hochsensibilität/Hochsensitivität" beschäftigt mich schon seit Kindertagen, denn ich bin auch so eine sensible Seele von Geburt an - und nicht, weil es mal gerade so modern ist! In meinen mehr als 20 Jahren Kinderyogaerfahrung sind mir sehr viele sensible und "dünnhäutige" Kinder begegnet, aber ich konnte es nie so definieren, wie ich es gerne getan hätte. Heute ist es anders, denn seit ein paar Jahren werden immer mehr Beiträge zu diesem Thema in Zeitungen und Magazinen veröffentlicht, so dass ich dieses besondere Thema in diesem Jahr in meinem Vortrag beim 8. Kinderyogakongress vorgestellt habe. Ibiza Coaching ist einfach eine Definition für „Ich bin Ich“, also achtsam und zentriert. Das ist für mich eine wichtige Essenz, für alle Menschen, aber insbesondere für hochsensible Menschen, weil die sich oft in dem ganzen Gefühlswirrwarr und durch die Reizüberflutung, die sie als solche wahrnehmen, im Alltag verlieren.
Sudarshana: Du nimmst Dich selbst als hochsensibel wahr! Wie bist Du mit Deiner eigenen Hochsensibilität umgegangen? Vor einigen Jahren gab es ja keine Bücher darüber.
Sabina: Als Kind war es für mich nicht immer einfach. Das habe ich auch versucht, in meinem Vortrag auf dem Kinderyoga-Kongress zu erklären. Meine Eltern haben es damals sicherlich nicht verstanden, dass ich reizüberflutet war, wenn ich mich zurückgezogen habe. Wenn wir gemeinsam ferngesehen haben und ich auf einmal weinen musste, wurde ich oft als bockig abgestempelt. Ich wurde nicht in meinen Gefühlen wahrgenommen. Das hat sich dann auch bei mir auf verschiedene Weise äußerlich gezeigt: Ich hatte als Kind auffällig viele Infekte, daraus hat sich dann auch eine Allergie entwickelt. Um es abzukürzen: Irgendwann in der Pubertät habe ich mir die Frage gestellt: „bin ich eigentlich normal?“ und „was ist eigentlich normal?“. „Warum bin ich so oft krank, warum bin ich so empfindsam, warum grüble ich so oft über Dinge nach? Das machen doch meine Freunde oder Freundinnen nicht.“
Und so habe ich mich auf den Weg gemacht und bin irgendwann beim Yoga angekommen. Ich habe gemerkt, dass sich durch Yoga bei mir ganz viel verändert hat. Ich habe lernen können zu entspannen, zu meditieren, die Achtsamkeit wurde geschult. Nach einem dreiviertel Jahr haben sich meine Infekte minimiert.
Dann kam ein Phänomen auf: Ungefähr vor 25 Jahren sprach man von den „Indigo-Kindern“. Das fand ich ganz spannend. Etwas später bin ich dann selbst Mutter geworden, und da konnte ich einige Sichtweisen nicht mehr so ganz nachvollziehen. Es wurden damals vermehrt Kinder geboren, die sehr sensibel sind, die eine andere Wahrnehmung haben. Was ich als Mutter damals anders gesehen habe und immer noch so sehe ist, dass Kinder Grenzen brauchen. Es hieß damals, dass die Indigo-Kinder sich frei entfalten sollen, ohne Grenzen, ohne Rahmen. Ich habe aber gemerkt, und ich bin sehr anthroposophisch orientiert, dass Kinder, insbesondere mein Sohn, einen Rahmen und eine liebevolle Führung brauchen. Insofern habe ich damals die Thematik der „Indigo-Kinder“ beiseite geschoben, und habe meinem Gefühl vertraut. Ich habe aber dann in meinen vielen Jahren Kinderyoga gemerkt, dass es diese ganz besonders sensiblen Kinder gibt.
Und oft sind sie einfach hereingekommen, ich habe sie gesehen und als „besondere Kinder“ wahrgenommen! Ich kann es nicht erklären, aber irgendwie sind wir in Resonanz gegangen. Und ich habe gedacht, ja hier ist wieder so ein ganz sensibles Wesen, das zu mir in den Yoga-Unterricht kommt. Manchmal kommen sie mir vor, wie Michel von Lönneberga. Der Schalk springt aus ihrem Lächeln heraus, aber dann auch mit diesen imaginären Engelsflügeln. Das heißt, einerseits das laute wilde und dann diese Hochsensibilität und Verletzlichkeit. Auf der einen Seite sehr laut, sehr aktiv, aber dann, wenn irgendetwas passiert, ist es, als ob sie mit ihrem seelischen Fundament für einen Moment keine Stabilität haben. Ich habe schon damals versucht, etwas versteckt, diese Botschaft an die Eltern weiterzugeben, mußte aber feststellen, dass die Eltern es oft nicht hören wollten. Deshalb bin ich so glücklich, dass dieses Thema Hochsensibilität seit gut vier Jahren immer mehr in den Medien publiziert wird, und dass die breite Masse einen Zugang dazu findet.
Ich hoffe und wünsche mir, dass es in ein, zwei Jahren etwas ganz Normales ist, weil man einfach mehr darüber weiß. Das ist mein Herzenswunsch. Deshalb habe ich es auch in diesem Jahr auf dem Kinderyoga Kongress zum Thema gemacht.
Eine ergänzende Frage: Wann bist Du eigentlich geboren. Du hast über Deine Kindheit gesprochen, wann war das denn eigentlich?
Ich bin 1963 geboren.
Dann bist ja in einer Zeit groß geworden, wo Hochsensibilität noch überhaupt kein Thema war.
Absolut. Da gab es noch ganz andere Erziehungsmethoden. Deshalb empfand ich meine Kindheit so anstrengend und habe mich in meiner Seele nicht gesehen gefühlt. Meine Eltern wussten einfach nicht darum, und ich denke, sie haben es so gut gemacht, wie sie konnten.
Wie bist Du denn unter diesen Bedingungen in Dein Berufsleben eingestiegen? Du bist ja jetzt schon erfolgreich. Wie hast Du das denn geschafft? Ab wann hat denn Yoga für Dich eine Rolle gespielt?
Ich bin mit 20 zum Yoga gekommen. Vorher habe ich einen klassischen Beruf gewählt, und habe eine Ausbildung als Bürokauffrau gemacht und dann eine Anstellung in Hamburg in einem großen Konzern bekommen. Dort habe ich mich sehr schnell hochgearbeitet und habe einen sehr verantwortungsvollen Bereich betreut. Das ist auch so ein Phänomen der hochsensiblen Menschen: Sie sind zum einen sehr kreativ, können sehr schnell denken. Jedenfalls bin ich sehr motiviert, und mir fallen viele Dinge einfach sehr leicht. Ich war in kürzester Zeit die Assistentin der Geschäftsführung und habe die Auftragszahlen verwaltet. Aber je erfolgreicher ich in dem Beruf war, umso unglücklicher wurde meine Seele. Damals gab es den Begriff Mobbing noch nicht, aber heute denke ich, dass ich klassisches Mobbing erfahren habe. Irgendwann habe ich diesen gut dotierten Job aufgegeben, und habe mir gesagt, mein Leben und meine Gesundheit sind mir einfach wichtiger. Dann habe ich die mehrjährige Yogaausbildung gemacht und mein Leben praktisch total umgekrempelt.
Wie bist Du mit dem Mobbing umgegangen? Als Hochsensible spürst Du ja vermutlich die aggressiven Energien sehr deutlich. Konntest Du dann eigentlich noch normal arbeiten, hast Du noch Leistung bringen können?
Also, die Leistung schon. Aber wenn man morgens das Gebäude betritt und weiß, man wird kontrolliert, das macht ja was mit einem! Das habe ich auch körperlich gespürt. Die ganze psychosomatische Palette. Ich habe dann entschieden, dass ich dort nicht mehr hingehe, wo ich mich nicht wohlfühle. Die Freiheit, das zu entscheiden, habe ich. Da war ich damals schon ganz klar, und bin jetzt selbst erstaunt darüber, wo ich es erzähle.
Das empfinde ich auch als sehr klar. Vielen Menschen mit dieser Begabung würde es wahrscheinlich anders gehen. Ist das so?
Ja natürlich. Das bekommt man im Austausch mit, wenn man sich in den Gruppen und Foren der Hochsensiblen/Hochsensitiven bewegt. Zum Beispiel sind in den Foren im Internet viele hochsensible Menschen, die ganz offen darüber schreiben, dass sie an dieser Gesellschaft beinahe zerbrechen. Wir leben leider in einer sehr leistungsorientierten Gesellschaft, und da haben es sensible Menschen im Moment noch schwer. Ich denke, dadurch, dass es wunderbare Bücher, wie zum Beispiel „Das Prinzip Empathie“ von Franz de Waal gibt, in dem der Autor die These des „Survival of the fittest!“ in Frage stellt, weil es doch mehr um das Miteinander geht, damit sich in der Gesellschaft etwas verändern kann. Das braucht einfach noch seine Zeit. Je mehr über Hochsensibilität berichtet wird, kommt in Zukunft auch in den Chefetagen an, dass hochsensible Menschen sehr kreative und kostbare Mitarbeiter sind, die man wertschätzen sollte.
Kannst Du noch detaillierten zu der Widerlegung der These „Survival of the fittest!“ etwas sagen?
Es gibt ja diese These von Darwin, dass es im Tierreich darum geht, wer die größte Dominanz hat. Also wer sich durchbeißen kann, der hat auch die höchste Überlebenschance. Franz de Waal hat im Gegensatz dazu in „Das Prinzip Empathie“ ganz hervorragend beschrieben, dass es auch im Tierreich viel Miteinander gibt, in dem sich viele Tiergruppen beispielsweise zusammentun, um gemeinsam Ziele zu erreichen. Er hat in seinem Buch vieles aus dem Tierreich in unser Gesellschaftssystem übertragen.
Du hast vorhin von den Chefetagen gesprochen. Was für Möglichkeiten gibt es für Hochsensible, ihre vermeintlichen Schwächen als Qualitäten zu verkaufen?
Von Schwächen würde ich gar nicht reden. Und ich kann ja nur von mir berichten: Ich bin ein absoluter Schnelldenker. Ein Punkt, den andere Autoren auch immer wieder benennen ist der, dass es eine Art globales Denken gibt. Hochsensible können Dinge anders erfassen. Man sieht das „große Ganze“, die Gesamtsituation leichter als andere Menschen. Sie sind manchmal gedanklich schon einen Schritt voraus. Und das sind natürlich unheimliche Potenziale und stärken diejenigen, die diese Menschen in ihrem Umfeld haben.
Ich verstehe Deine Aussagen gut und weiß, was Du meinst. Ich bin aber noch nicht soweit gekommen zu klären, wie man es anderen Menschen vermitteln kann. Denn „das große Ganze sehen“ klingt so ungreifbar und eher anmaßend.
Mir ist kein anderer Begriff eingefallen. Ich kann es nicht anders erklären. Vielleicht fällt Euch ja eine andere Definition ein. Ich kann einfach Dinge erfassen und bin gedanklich schnell ein paar Schritte weite. Ich finde es schwierig, es zu definieren ohne das es abgehoben klingt. Aber das soll es nicht, denn für mich ist es etwas ganz normales, wie sicherlich für andere hochsensible ebenfalls.
Ich stelle es mir schwierig vor, wenn ich zum Beispiel in einem Vorstellungsgespräch sitze und meine Qualitäten als Hochsensibler Mensch darlegen soll. Ich werde gefragt: „Was können Sie? Warum wollen Sie gerade bei uns Arbeiten und was unterscheidet sie von anderen Mitbewerbern, die „bessere“ Nerven haben?“
Also ich wüsste auch gar nicht wie ich die Qualitäten in einem Vorstellunggespräch benennen könnte, ohne gleich in eine Schublade gesteckt zu werden. Aber ich denke da mal darüber nach.
Kommen wir zurück zu deinem Coaching. Nach welchen Kriterien stellst du fest ob eine Person mit der du arbeitest Hochsensibel ist? Es gibt ja auch eine HSP Skala? Arbeitest du damit? Wie funktioniert das? Gibt es eine klare Definition für den Zustand der Hochsensibilität?
Ich habe die Begabung, wahrzunehmen wenn jemand in die Tür kommt, wie es ihm oder ihr geht. Und meistens nehme ich beim Kinderyoga auch die sensiblen und hochsensiblen Kinder wahr. Ich möchte nicht, dass HSP eine Schublade ist, in die man eine Person steckt und diese Bezeichnung als goldenen Käfig benutzt. HSP ist keine Krankheit, sondern ein normaler Wesenszug. Es ist eine besondere, angeborene neurologische Konstitution. HSP hat so viele verschiedene Facetten, und manchmal kann man HSP auch nicht isoliert betrachten. Sicherlich gibt ist einige Test-Methoden inklusive einer Skala, aber mir persönlich sind diese Skalen nicht so wichtig, weil es so viele verschieden Facetten und Nuancen der feinen Wahrnehmung gibt.
Der eine ist geräuschempfindlich, der andere geruchempfindlich. Es gibt Kinder, die können bestimmte Materialien nicht auf der Haut tragen, oder bestimmte visuelle Strukturen brauchen, wie zum Beispiel das Essen angeordnet sein muss. Und dann gibt es natürlich noch die Hochsensitivität, also die Intuition oder auch Feinfühligkeit wie hellseherische Qualitäten. Ich finde es schwierig so ein weites Feld von null bis zehn einzugruppieren. Für Menschen, die in das Thema ganz neu einsteigen, bieten Tests bestimmt wertvolle Hinweise.
Welche Wege gibt es denn, um mit der permanenten Reizüberflutung sinnvoll umzugehen? Gibt es Möglichkeiten für eine Desensibilisierung? Oder muss das Gehirn trainiert werden, die eingehenden Informationen besser oder schneller zu verarbeiten? Gibt es Kräuter oder Medikamente die hochsensiblen Menschen helfen können?
Nein, die Pille gegen Hochsensibilität gibt es nicht. Meiner Meinung nach ist eine Desensibilisierung kaum möglich. Nehmen wir einmal ein Beispiel meiner feinen Wahrnehmung: Mein Mann und ich übernachten in einem Hotelzimmer. Mein Mann schläft sofort tief und fest ein, ich fühle mich dagegen, als würde ich "durchgeschleudert" werden, fühle meinen sehr aktiven Herzschlag und finde keinen Schlaf. Am nächsten Tag sehe ich, dass wir direkt unter diversen Telefon- und Funkantennen geschlafen haben. Mein Mann hat diese Energie nicht gespürt. Diese Energie haben jedoch meine "feinen Antennen" erreicht und haben etwas mit mir gemacht. Diese feine Wahrnehmung und deren Auswirkung kann man nicht desensibilisieren. Wäre es möglich, fände ich es für mich klasse und hilfreich ;-).
Du bist relativ früh mit Yoga in Kontakt gekommen, um mit deinen Wesensanteilen besser zu recht zu kommen. Hast du Yoga dann täglich praktiziert?
So gut es in meinem Alltag ging, habe ich Yoga eingesetzt. Yoga hat mich immer wieder schnell in die Balance gebracht und ich habe mich wieder wohlgefühlt. Ich habe da aus dem Buch „Hochsensibilität, was tun“ von Silvia Harke ein Zitat. Sie hat etwas sehr grundsätzlich Wichtiges zu diesem Aspekt geschrieben: "In vielen klinischen Studien wird der Cortisol-Spiegel als Gradmesser für chronischen Stress gemessen. Bei Hochsensiblen wurde festgestellt, dass dieses Hormon dauerhaft erhöht ist und oft nur sehr langsam sinkt, selbst wenn HSPs gerade eine Erholungspause eingelegt haben..."
Da hochsensible Menschen immer stressbedingt eine erhöhte Hormonausschüttung haben, ist es ganz wichtig, dass hochsensible Menschen sich immer wieder Entspannungszeiten in den Alltag einbauen, um aus dieser erhöhten Stresskurve heraus zu kommen. Alles was mit Entspannung und Stress Reduktion zu tun hat, kann hilfreich sein: Yoga, Tai Chi, Qi Gong, Autogenes Training. Laufen, Walken oder Joggen kann bedingt eine gute Möglichkeit sein. Wer Laufen geht kommt natürlich in die Bewegung hinein, und über die Bewegung werden Stresshormone ausgeschüttet, aber für die Hochsensiblen, die oft im Alltag schon „übertourig“ laufen, empfehle ich eher in die Langsamkeit zu gehen. Den Alltag bewusst, phasenweise "entschleunigen" und in die Achtsamkeit gehen.
Das Zentrale Nervensystem hochsensibler Menschen braucht für die innere Balance Stressreduktionsmethoden, zumal diese Menschen auch mit ihren Gedanken schwer zu Ruhe kommen. Sie sind immer gedanklich sehr bewegt und haben viele geniale Ideen. Aber Hochsensible sind durch Worte anderer Menschen leichter verletzbar. Diese Verletzbarkeit zeigt sich darin, dass HSP schlecht abschalten können und manchmal kann es so sein, dass Worte wie ein Nachhall klingen. Dies wiederum sorgt für eine innere Anspannung und Stress. Der Autor Ernst Ferstl hat es treffend ausgedrückt: „Sensible Menschen haben es schwerer: Was anderen leid tut, tut ihnen bereits weh“. Für Hochsensible Menschen können verbale Verletzungen schon eine seelische Trauma-Erfahrung sein.
Die moderne körperorientierte Psychotherapie geht davon aus, dass nicht nur das Gehirn, sondern auch der Körper jede Stress, Angst- und Trauma-Erfahrung speichert (Babette Rotschild, Psychologin „Der Körper erinnert sich“). Durch den Dauerstress kann sich dies durch starke Muskelanspannungen oder -verkrampfungen in Form von extremer Körperspannung zeigen, es scheint so, als würden Hochsensible/Hochsensitive Menschen davon mehr betroffen sein.
Das hört sich nach sehr viel Disziplin an, die notwendig ist, um als hochsensibler Mensch das Leben zu meistern!?
Übung! Also Disziplin bedingt vielleicht. Einige Hochsensible aus meinen Yogakursen berichten beispielsweise: „Ich freue mich auf die Yoga-Übungen, aber eins kann ich dir gleich sagen, ich werde mich nie entspannen können. Ich bin zu sehr im Kopf.“ Das hat mir vor fünf Jahren zum Beispiel eine Frau am Anfang erzählt. Doch nach eineinhalb Kursen, ich unterrichte immer in Zehnereinheiten, konnte Sie bereits in der Entspannungszeit wirklich loslassen, und das war für Sie eine ganz elementare Erfahrung. Sie war so glücklich darüber, dass sie mir nach der Stunde gleich mitteilte, dass Sie das erste Mal erfahren hat, was es bedeutet loszulassen und zu entspannen. Damit möchte ich anderen Menschen Mut machen, denn man muss dazu nicht viele Jahre meditieren, aber man braucht Geduld und Motivation sich einzulassen.
Das bedeutet, im Bezug auf die Arbeit mit hochsensiblen Menschen ist es im Wesentlichen Yoga was du unterrichtest, sowohl mit Kindern als auch mit Erwachsenen?
Genau, und das schon seit vielen, vielen Jahren. Weißt Du eigentlich, dass ich auf dem 1. Deutschen Kinderyoga Kongress mit einigen anderen als die „Pioniere des Kinderyoga in Deutschland“ vorgestellt wurde?
Stichwort HSP und Yoga! Wo würdest du als Yogalehrerin die Hochsensibilität und deren Eigenschaften aus der Sichtweise der Lehren des Yoga einordnen? Handelt es sich nicht vielleicht „einfach“ nur um eine sehr hohe Identifikation mit den Sinnesorganen und dem was sie von Außen hineintragen? Vielleicht eine Schwäche im Bereich des Manipura Chakras, der Nabelgegend? Also mangelndes Selbstbewusstsein im Sinne von: über sich und sein eigenes Selbst bewusst sein? Und daraus folgernd steht dann die ganze Welt überproportional mit allen ihren Informationen in mir drin als meine Wahrnehmung? Ich fühle mich verloren und überfordert mit und in der Welt, weil ich keine Klarheit darüber habe, wer ich bin? Oder ist Hochsensibilität doch ein neues Phänomen unserer Zeit?
Ich würde das gar nicht einordnen wollen, weil es einfach ein Teil des Wesens ist. Es gehört dazu. Was ich gemerkt habe ist, dass man durch Yoga eine Feinfühligkeit entwickelt. Man wird achtsamer, man wird bewusster und es ist einfach da. Ich würde es nicht als Schwäche bezeichnen, aber Hochsensibilität kann etwas mit einem machen! Natürlich ist es wichtig, das Nabelchakra "liebevoll" zu stärken, denn hier sitzt ja auch unser sogenanntes "Bauchhirn", aber ich würde nicht sagen das dort eine Ungleichgewicht vorhanden ist, an dem man bewusst durch Feueratem oder Streckpositionen et cetera intensiv arbeiten sollte.
Wie ich eben schon sagte: Hochsensibilität ist ein Teil, ein Seelenanteil und das habe ich so auch in meinem Vortrag erwähnt, weil ich da einen Tipp bekommen habe der mich betroffen gemacht hat. Es ging in einem Zuschauerbeitrag darum, dass man bei einer gesunden Ernährung, die die Leber stärkt, weil man keinen Kaffee trinkt und auf Zucker verzichtet, dann nicht mehr so sensibel sein würde. Da habe ich mir gedacht, dass dort jemand einfach nicht die Thematik der Hochsensibilität versteht. Natürlich ist es richtig, dass ich über die Ernährung den Körper beeinflussen kann. Ich kann die Leber stärken, damit es mir energetisch besser geht, aber ich kann dadurch nicht die Hochsensibilität weg regulieren.
Was ich ausdrücken möchte: Mit diesen Maßnahmen kann ich die Hochsensibilität nicht weg machen, so wie die Person das meinte, weil es ist ein Seelenteil von mir ist. Und um zu deiner Frage mit dem Nabelchakra zu kommen: Wissenschaftler und Hirnforscher legen den Fokus immer mehr auf dieses „Bauchhirn“. In einem Buch über Neurobiologie habe ich gelesen, dass über den Vagusnerv 90% der Informationen vom Bauch in den Kopf fließen, aber nur 10% der Informationen anders herum vom Kopf in den Bauch. Wir haben im Solar Plexus Bereich ca. 72.000 Nerven Endpunkte, die wiederum durch den Blutkreislauf über die Hormonausschüttung Impulse an den Körper, also ans Gehirn geben. Ich bin schon der Meinung, dass Hochsensible über diesen Nabelpunkt viel mehr Informationen aufsaugen, die auch etwas mit einem machen können. Ich denke da an die Kinder. Es gibt schon Babys, die sogenannten Schreikinder, die immer Blähungen und Bauchweh haben und ich frage mich, ob es da nicht einen Zusammenhang geben kann, über diese ganz hochsensible Wahrnehmung der Umwelt und die Reaktionen des Solar Plexus Bereiches. Oder wenn man an Kindergartenkinder denkt, die einfach Schwierigkeiten haben mit der Gruppengröße, mit der Lautstärke, so dass sie morgens sofort Bauchschmerzen bekommen und über Unwohlsein klagen. Die Gefühle im Bauch reagieren.
Die hohe Sensibilität führt zu einer höheren Hormonsituation und das wirkt dann auf die Organe!?
Natürlich. Dort wo Stresshormone ausgeschüttet werden kommt es zu psychosomatischen Reaktionen, so dass man sich dann wirklich real unwohl fühlt und dann vielleicht auch wirklich Bauchkrämpfe bekommt.
Das bedeutet der Schlüssel, wie es bei hochsensiblen Menschen zu den vielfältigen Problematiken kommen kann, ist das Stresssyndrom oder die Stresshormone?
"Kommen kann", genau! Es gibt keine Studie darüber, deshalb kann man das nur mutmaßen und ich kann nur meine Gedanken äußern.
Also der Ansatz ist, dass man davon ausgeht das es sich bei der Hochsensibilität, wie bei einem Computer verhält: Informationen kommen über dieses „Bauchhirn“ herein und müssen verarbeitet werden. Und wenn viel mehr Informationen hineinkommen, als der Prozessor bearbeiten kann, dann hakt es eben an irgendeiner Stelle und andere Programme können nicht mehr so schnell arbeiten!?
Und es sind eben nicht nur die schönen Empfindungen, die man wahrnimmt, weil Hochsensible Menschen ganzheitlich wahrnehmen. Man merkt es zum Beispiel, wenn das Gegenüber versucht einem etwas zu Signalisieren und einen beim Erzählen wohlwollend anlächelt. Hochsensible Menschen merken es sofort, wenn etwas nicht authentisch ist. Ich kenne einen Jungen, der nach der Schule zu seiner Mama gegangen ist und zu ihr gesagt hat: „Mama, der Lehrer ist nicht echt“. Die Mutter wusste nicht, was er damit meint, aber irgendwann hat sie verstanden, dass dieser kleine Junge, der Hochsensibel beziehungsweise Hochsensitiv ist, sofort wahrgenommen hat, dass dieser Lehrer nicht authentisch ist.
HSP-Menschen erfahren oftmals in ihrem Leben eine Art Dualität. In der Empfindungs- und Empathiefähigkeit sind sie wahre, feinfühlige und einfühlsame Meister. Unausgesprochenen Streit habe ich schon als Kind sofort wahrgenommen, egal welche Miene zum bösen Spiel gemacht wurde. Hochsensible Menschen spüren einfach, was so um sie herum los ist. Auch wenn das gesprochene Wort mit der Mimik nicht übereinstimmt, oftmals eine widersprüchliche Botschaft transportiert, wird es von den Hochsensiblen meistens sofort wahrgenommen. Mich irritiert es beispielsweise sofort, wenn mich jemand im Gespräch scheinbar freundlich anlächelt und es kein echtes Lächeln ist. Beim echten Lächeln sind sehr viel mehr Muskeln aktiv. Beim vorgetäuschten Lachen sind die Muskeln um die Augen herum nicht beteiligt, das entdeckte schon 1862 der französische Arzt Guillaume Duchenne. Hochsensible Menschen nehmen diese Ambivalenz im Ausdruck meistens sofort wahr und durchschauen ihr Gegenüber.
Diese Ambivalenz kenne ich auch. Dann denke ich immer, „was will mir die Person Erzählen? Was will sie mir wirklich Erzählen?“ Weil das, was sie mir mit den Worten sagt nehme ich in der Mimik nicht wahr. Man kann diese feinen Nuancen ganz leicht erkennen. Unbewusst nimmt man das sofort wahr, weil man diese Gabe der feinen Wahrnehmung hat. Vielleicht nicht alle Hochsensiblen Menschen, deshalb sagte ich ja, es gibt so viele verschiedene Facetten.
Für mich persönlich ist das ein sehr gutes Beispiel, weil ich das auch kenne. Da ist dann so ein Gefühl in mir, dass sagt, hier stimmt etwas nicht mit dem überein, was ich sehe. Also mein Gefühl stimmt nicht mit dem überein, was mir gesagt wird, oder was ich sehe. Ich hab dann ein Problem, weil ich innerlich versuche etwas zu verarbeiten, das kein Ende findet. Das belastet.
Ja klar, auch wenn unser Unterbewusstsein oder ein Teil in uns eine Erklärung sucht, gibt es keine Erklärung dafür. Also natürlich gibt es eine Erklärung, aber wir wissen ja nicht, wieso die Person sich so verhält.
Das ist jetzt schon ein großes Thema, weil es permanent stattfindet und die meisten Menschen scheinen das als normal hinzunehmen oder machen sich da nicht so einen Kopf darum. Doch den Hochsensiblen bewegt es wohl sehr?
Eben, man macht sich schon Gedanken und es ist auch so, dass man diese Gedanken die man hat auch nicht unbedingt abstellen kann. Die sind halt da und manchmal bekommt man in der Kommunikation mit anderen auch etwas um „die Ohren gehauen“, also die anderen hauen da Kommentare oder Sprüche manchmal scheinbar achtlos heraus, und dann sag ich immer, die nicht so Hochsensiblen Menschen können das irgendwie nicht nach den Motto abhaken „naja, der hat einen schlechten Tag gehabt“. Bei Hochsensiblen Menschen, und dass geht mir auch oft so, klingen diese Wörter oder Sätze oder verbalen Verletzungen ganz lange nach, wie ein Nachhall. Man beschäftigt sich viel länger damit, dass ist schon manchmal anstrengend finde ich.
Hast du da eine Idee wie man das abkürzen kann? Du warst ja einmal sehr aktiv in der „normalen“ Arbeitswelt tätig und auch erfolgreich. Damals haben diese Prozesse doch auch permanent statt gefunden: Irgendwelche Leute die lächeln und irgendeine Show abziehen, Mobbing auf eine ganz subtile Art oder ganz grob. Wie hast du das dann hinbekommen?
Also damals, das war ja nun wirklich vor vielen Jahren, da war es eben so und ich habe das nur als Unwohlsein wahrgenommen. Heute ist es mir bewusster denn je, wie wichtig die Seelenhygiene ist. Und wie wichtig es auch ist, aus diesem Gedankenkarussell, aus diesem Nachhall so gut wie möglich auszusteigen. Was mir selber, dass sag ich auch ganz ehrlich, nicht unbedingt immer leicht fällt.
Es gibt wirklich gute Möglichkeiten durch Yoga. Übungen die erden, indem man den Fokus vom Kopf in die Füße legt. Für mich ist es eine ganz wichtige Kraftquelle, wenn ich mit meinen Hunden in der Natur unterwegs bin. Den Boden unter den Füßen zu spüren. Manchmal mache ich so etwas, wie eine Gehmeditation. Ich gehe mit einem Mantra einfach eine Zeit spazieren, bis ich merke, dass ich aus dieser Gedankenflut gut aussteigen kann.
Welche wären Übungen das? Oder gleich weiter gefragt: Kinderyoga ist in einigen Teilen an sich schon anders aufgebaut im Vergleich zu Erwachsenen Yoga. Wie unterscheidet sich dann Kinderyoga für Hochsensible von normalem Kinderyoga? Wo sind da die Eckpunkte?
So wie ich Kinderyoga vermittele würde ich sagen, einiges ist ähnlich, aber dennoch würde ich noch mehr in die Achtsamkeitsschulung und in die Balanceschulung mit Hochsensiblen Kindern gehen. Da geht es wirklich darum „was ist unsere Basis?“ Unsere Basis sind unsere Füße. Die geben uns Sicherheit und Stabilität. Über die Füße können wir uns verwurzeln und da geht es nochmal ein bisschen um feinere Übungen.
Also Stand- und Gleichgewichtsübungen. Ist es das?
Unter anderem ja. Also wirklich Erdungs- und Balanceübungen. Für mich ist es eine wunderschöne Vorstellungsübung, die ich sowohl mit Kindern als auch mit den Erwachsenen mache, dass man sich eine Bambuspflanze vor das geistige Auge holt. Ich schaue jetzt gerade bei mir aus dem Büro heraus, wir haben einige Bambuspflanzen im Garten und es ist hier gerade ganz stürmisch. Wenn man sieht wie der Bambus sich hier im Wind, im Sturm bewegt - diese filigranen Blätter, wie beweglich die Pflanze ist - aber wie sie dann auch immer wieder zurück schwingt. Es liegt an der guten Verwurzelung, obwohl ein Bambus keine tiefen Wurzeln hat. Er ist ein Flachwurzler, aber die haben ein unglaublich gutes Wurzelsystem, ohne dass der Bambus im Wind jemals brechen würde. Er schwingt mit und findet dann auch wieder seine Mitte, er ist flexibel, standfest und zugleich beweglich. Qualitäten die wir eigentlich alle im Alltag brauchen.
Das ist ein schönes Beispiel. Es ist sehr plastisch, da kann ich gut mitgehen.
Und das erkläre ich den Erwachsenen und Kindern oft, wenn ich spüre dass eine unruhige Energie vorhanden ist. Wir verwandeln uns gedanklich in den Bambus und schwingen selber mal hin und her und testen die Grenzen aus: Wann fange ich an mit den Füßen zu wackeln? Wo sind meine Grenzen in der Beweglichkeit und schon kommt man auch aus diesem Gedankenkarussell heraus. Man geht in die Achtsamkeit, in die Körperwahrnehmung und das ist so ein einfaches Beispiel, aber es ist eine tolle Essenz die Wirkung zu spüren und diese Übung mit großen und kleinen Menschen zu machen.
Was machen denn die empfindlichsten unter den Hochsensiblen? Kann eine vorliegende Hochsensibilität so stark sein kann, dass es irgendwann pathologisch, also krankhaft sein kann, so dass es eine andere Form der Betreuung braucht. Hast du da Beispiele aus deiner Arbeit als Coach?
Also da gibt es wirklich einige Beispiele, aber da würde ich mich zurückhalten wollen. Das ist nicht mein Fachgebiet, weil ich ja nicht in der klassischen Psychotherapie aktiv bin. Also für mich ist es so: Ich bin ein sehr positiver, optimistischer Mensch und bin der Meinung, dass ich durch Yoga eine ganz super gute psychische Stabilität habe, aber dennoch bin ich selber in eine Falle getappt, als ich nicht genügend Seelenhygiene für mich betrieben habe und das hat sich auch auf meinen Körper, in diesem Fall auf mein Lymphsystem ausgewirkt.
Durch meine feinfühlige Wahrnehmung und der Tatsache, dass ich alles wie ein Schwamm aufsauge hat irgendwann mein Lymphsystem angefangen zu streiken. Dafür habe ich für mich keine Erklärung gefunden, weil ich mich gesund Ernähre, viel bewege und ich viel Yoga mache. Dennoch musste ich feststellen, dass es trotzdem nicht genug ist. Ich muss noch mehr Seelenhygiene betreiben.
Mein Körper hat reagiert, indem der Stoffwechsel durcheinander geraten ist. Es gibt dafür medizinisch keinerlei Erklärungen. Ich haben alle möglichen Tests und Untersuchungen gemacht, aber keiner weiß, wo es herkommt und ich habe mir wirklich immer wieder die Fragen gestellt „Was ist los? Was braucht mein Körper?“
Anfang des Jahres, wo wir die Raunachtszeit gefeiert haben, habe ich intensiv meditiert und hatte ein Bild vor Augen. Wenn du in der Natur unterwegs bist gibt es so kleine Bäche, die ganz klares Wasser in sich führen. Ich habe mich als so ein Bächlein gesehen,… in den aber ganz viele Blätter von den Bäumen gefallen sind und du kannst dir vorstellen, wie der Bach dann aussieht? Der ist dann ganz vermodert und dunkel. Dieses Bild habe ich gesehen. In diesem Prozess stecke ich jetzt selber drin. Ich habe gedacht, das ist genau der Punkt, dass ich auch mit so vielen Menschen zusammen bin und auch so viel von mir gebe und aufnehme. Ich habe einfach zu viel aufgesogen.
Ich bin jetzt an einem Punkt angekommen, wo ich trotz Yoga und Meditation merke, dass ich wirklich noch mehr Seelenhygiene für mich betreiben muss. Das ist wiederum aber auch ein gutes Geschenk, weil sich dadurch wieder etwas Neues entwickeln kann. Ich bekomme eine neue Sichtweise, durch die Erfahrung aus dem Prozess, in dem ich gerade stecke. Ich probiere neue Übungen aus, spüre hinein, was der Körper braucht, um wieder klar zu werden? Was ist wichtig? Ich gehe nochmal ganz tief ins Spüren hinein und greife auf all mein Wissen zurück, wodurch sich etwas ganz wundervolles entwickeln kann oder wird. Ich bin wirklich ganz tief in diesem Prozess drin und bin fleißig am schreiben bzw. aufschreiben. Vielleicht wird es ein Ratgeber für andere feinfühlige Menschen….
Das ist dann dein nächstes Buch. Du hast ja geschrieben, dass du auch Autorin bist. Eigentlich hast du es als ersten Punkt auf deine Visitenkarte geschrieben. Bezieht sich dieses Autorin auch auf das Thema Hochsensibilität?
Ach so, habe ich das als erstes aufgeführt? (Lacht)… ja, ich schreibe von Herzen mit ganzem Herz. „Yoga mit Kindern“, das ist so ein absoluter „Longseller“ der feiert in diesem Jahr sein dreizehn jähriges Bestehen auf dem deutschen Buchmarkt. Da bin ich unheimlich stolz drauf, weil Bücher normalerweise ein paar Jahre nach ihrem Erscheinen ganz schnell verramscht werden und wieder vom Buchmarkt verschwinden. Sukadev hatte in einem Vortrag über Kinderyoga erzählt, dass mein Buch „Yoga mit Kindern“ bei Yoga Vidya schon vor zehn Jahren ein ganz wichtiger Begleiter für die Kinderyoga Lehrer war.
Mein Sohn hat mich, als er klein war, zu einem weiteren Buchprojekt inspiriert. Ich hatte damals täglich in dem Buch „Herzenstüren Öffnen“, von Eileen Caddy gelesen. Mein Sohn war damals vier Jahre alt und wollte immer wissen „Mama, was liest du da jeden Morgen? Lies mir das doch auch mal vor.“ Ja sollte ich dann sagen „ Du verstehst das nicht“. Also habe ich ihm das vorgelesen und dann sagt er „Verstehe ich nicht“ und ich habe mir gedacht „Mensch, das ist einfach so ein tolles Buch. Warum gibt es sowas nicht für Kinder?“, und habe danach gesucht, ob es so etwas auch für Kinder gibt. Es gab keines, und deswegen wollte ich selbst so ein Buch schreiben, und habe meinen Sohn und die Kinder auf dem Spielplatz oder anderswo beobachtet. Ich habe überall geschaut wo Kinder sind: Was ist gerade ihr Lebensthema, was ist ihnen wichtig oder wo sind Defizite? Was nehmen sie sich zu Herzen, was beschäftigt sie. Wo können sie einen Gedankenimpuls für ihr Leben gebrauchen?
Und so habe ich dann Schritt für Schritt das Buch geschrieben. Damals hieß es noch „Die Kraft der Tagesbotschaften“ und letztendlich war mein Sohn damals mein Lektor, weil ich ihm meine Zeilen vorgelesen habe und er hat dann gesagt „Finde ich toll“ oder „Verstehe ich nicht“ und dann musste ich es natürlich nochmal umschreiben. Das war eine tolle Motivation.
Das Buch heißt jetzt „Kinder fördern mit täglichen Denkanstößen“ und ist im Via Nova Verlag erschienen. Es ist jetzt auch schon viele Jahre auf dem Buchmarkt und ich entdecke es gerade auch noch einmal wieder neu, weil ich zu dem Thema Hochsensibilität schreibe. In dem Buch stehen unbeabsichtigt so viele Botschaften oder Gedankenanregungen für Kinder drin, die Hochsensibel/Hochsensitiv sind. Das fand ich selber ganz spannend.
Ich habe mittlerweile acht Bücher veröffentlicht und in einigen davon geht es um Entspannung für Mensch und Hund. Ein ganz tolles Buch ist „Weisheiten der Schnüffelnasen“, in dem wir Menschen von Hunden lernen können. Daraus ist auch ein Hundeprojekt entstanden, dass die Überschrift trägt „Wertschätzung teilen, Empathie verbindet“. Viele verschiedene Menschen, Verhaltensforscher oder eben auch Prof. Dr. Hüther und auch prominente Menschen aus dem Fernsehen, haben dazu auch eine Botschaft geschrieben.
Wo du das Thema Hund erwähnst: Das ist ja für dich so ein Entspannungsfaktor. Kannst du noch näher beschreiben, was der Hund für dich bedeutet?
Wenn ich mit meinen Hunden in der Natur umher streife, ist das für mich immer Abenteuer und zur Ruhe kommen. Wir haben ganz verschiedene Plätze, wenn ich so das Gefühl habe, geistig fließt es gerade nicht so bei mir, dann gehe ich mit meinen Hunden an die Elbe um einfach so am Strom zu sein und das fließende Wasser zu beobachten. Das finde ich einfach total heilend und dann hab ich immer das Gefühl, ich komme dadurch auch in den Fluss.
Im Kindercoaching sind meine Hunde auch manchmal anwesend, wenn die Eltern das wünschen oder erlauben. Es gibt über die therapeutische Arbeit mit Tieren wissenschaftliche Studien. Demnach wird, egal, ob Kind oder Erwachsener, das Wohlfühlhormon Oxytocin ausgeschüttet, wenn man einen Hund, eine Katze oder andere Tiere streichelt. Es fühlt sich dann nicht nur das Tier wohl, weil Oxytocin ausgeschüttet wird, sondern auch beim Streichelnden, also beim Menschen. Oxytocin ist ein Gegenspieler vom Stresshormon und Entspannung tut einfach gut und ist eben für Hochsensible/ Hochsensitve sehr wichtig. Darum ist mir das Thema so wichtig!
Vielen Dank für das Gespräch.
Siehe auch
- Gesundheitserziehung durch Yoga
- Joga für Kinder
- Lachyoga für Kinder
- Kind
- Kinderjoga
- Kinderyoga
- Kinder-Yoga
- Kinderyoga an der Grundschule: Pilotstudie zur Evaluation von Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung
- Kinder Yoga Meditation Entspannung
- Kinderyoga Satsang
- Kinderyoga Seminare
- Künstler Yogis
- Wissenschaftliche Studien Yoga für Kinder und Jugendliche
- Yoga für Kinder
- Yoga Nidra für Kinder
- Youtube Kinderyoga Videos
Literatur
- Bücher zum Thema : hochsensibel
- Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen, Dr. Elaine N. Aron. ISBN 978-3636062468
- Sind Sie hochsensibel?: Ein Praktisches Handbuch für Hochsensible Menschen, Dr. Elaine N. Aron. ISBN 978-3868825077
- Hochsensibilität in der Liebe: Wie ihre Empfindsamkeit die Partnerschaft bereichern kann, Dr. Elaine N. Aron. ISBN 978-3636062802
- Gerti Nausch: Kinder fördern mit Yoga inkl. Kartenset
- Kinderyoga CD Mai Cocopelli: Der kleine Yogi
- Kartenset: Yoga spielend lernen - mit Ananda
- Yoga mit Rotkäppchen & Co.: Märchen in ruhiger und entspannter Atmosphäre lehren, Mit Audio-CD (1. bis 4. Klasse). ISBN 978-3403049159
- Mit Yoga durch das Grundschuljahr: Yogaübungen mit Monatsversen und Bewegungsgeschichten für den Anfangsunterricht. ISBN 978-3834625069
Weblinks
- Video: nano - Zu viele Reize
- Hochsensibel-Test
- Yoga für Hochsensible
- Kinderyoga
- Yoga für Kinder
- Yoga mit Kindern
- Kinderyoga Übungen
- Yoga Übungen für Kinder
- Yoga in der Schule
- Kinderyoga Ausbildung
- Ausbildung Yoga für Kinder
- Kinderyoga Kurse
- Kinderyoga Kongress
- Kinderyoga Community
- Kinderyoga Videos
- Kinderyoga Videos II
- Zzzebra Web-Magazin für Kinder
Seminare
Yoga Für Kinder
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Yogalehrerweiterbildung: Yoga mit Kindern
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Multimedia
Kinderyoga in Kitas (Dr. M. Stück)
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8-stufen-Weg des Familienfriedens (Nepal Lodh)
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