Die Wasser des Daseins

Aus Yogawiki
Wasser versinnbildlicht die Gegenwart Gottes

Der nachfolgende Text ist dem Buch "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen" des Indologen Heinrich Zimmer entnommen (Originaltitel "Myths and Symbols in Indian Art and Civilization", Bollingen Foundation Inc., New York). Übersetzung aus dem Englischen von Ernst Wilhelm Eschmann, Eugen Diederichs Verlag, München 1981, 5. Aufl. 1993)

Indische Mythen und Symbole - Kapitel 2: Die Mythologie Vishnus

Teil 2: Die Wasser des Daseins

Die Hindu-Mythologie handelt erzählend vom Rätsel der Maya in einer Bildersprache, die auch dem gewöhnlichen Verstand die philosophischen Hintergründe des verborgenen Spieles zugänglich macht. Diese Erzählungen wurden in einer großen Überlieferung von Mund zu Mund weitergegeben; heute erscheinen sie in verschiedenen Versionen. Eine bedeutende Zahl dieser Variationen haben in literarischen Zeugnissen ihren Niederschlag gefunden; andere dauern in der flüssigen Form ungeschriebenen Volkswissens fort.

Von einem halbgöttlichen Asketen Narada wird erzählt, der einst das Höchste Wesen selbst bat, ihn das Geheimnis seiner Maya zu lehren. In der Mythologie des Hinduismus ist dieser Narada ein Lieblingsvorbild des Gläubigen auf dem »Weg liebender Hingabe« (Bhakti Marga). Als Lohn für seine ausgedehnte, glühende Askese war ihm Vishnu in seiner Einsiedelei erschienen und hatte ihm die Erfüllung einer Bitte gewährt. Als er demütig seinen höchsten Wunsch äußerte, belehrte ihn der Gott nicht mit Worten, sondern indem er ihn einem beklemmenden Abenteuer unterwarf. Die literarische Form der Erzählung ist uns in der Matsya Purana, einer Sanskrit-Kompilation, überliefert, die ihre gegenwärtige Form in der klassischen Periode des mittelalterlichen Hinduismus erhielt, ungefähr im vierten Jahrhundert n. Chr. Sie erscheinen dort als Erzählung eines Heiligen namens Vyasa.

Eine Gruppe heiliger Männer hatte sich um den verehrungswürdigen Vyasa in seiner Waldeinsamkeit versammelt. »Du weißt die göttliche ewige Ordnung«, hatten sie zu ihm gesagt, »darum enthülle uns das Geheimnis von Vishnus Maya.«

»Wer kann die Maya des Höchsten Gottes verstehen — ausgenommen er selbst? Vishnus Maya legt ihren Bann über uns alle. Vishnus Maya ist unser gemeinsamer Traum. Ich kann Euch nur eine Erzählung aus uralten Zeiten vortragen, wie diese Maya in einem einzelnen, besonders lehrreichen Beispiel ihre Wirkung wob.«

Die Besucher waren begierig zu hören. Vyasa begann:

»Es war einmal ein junger Prinz, Kamadamana, ,der Zähmer der Begierden', der, sein Verhalten in Übereinstimmung mit dem Geist seines Namens einrichtend, sein Leben in den Übungen der härtesten Selbstzucht verbrachte. Aber sein Vater, der immer wünschte, daß er heiraten möge, sprach einst bei einer gewissen Gelegenheit zu ihm: ,Kamadamana, mein Sohn, was ist mit Dir? Warum führst Du kein Weib heim? Die Ehe bringt die Erfüllung aller Wünsche des Mannes und die Gewißheit vollkommenen Glücks. Die Frau ist die eigentliche Wurzel allen Glücks und alles Wohlseins. Darum geh, lieber Sohn, und heirate.'

Wahrscheinlich Darstellung von Narada, Anf. 19.Jh.

Aus Ehrfurcht vor seinem Vater antwortete der Jüngling nichts. Aber als der König weiter in ihn drang und ihn immer wieder bat, erwiderte Kamadamana: ,Teuerster Vater, ich habe mich der Richtung des Verhaltens gelobt, welche durch meinen Namen bezeichnet wird. Die göttliche Macht Vishnus wurde mir enthüllt, die sowohl uns selbst wie alles in der Welt erhält und versteckt hält.'

Sein königlicher Vater hielt nur einen Augenblick inne, um den Fall zu überlegen und verschob dann geschickt seine Beweisgründe von der Ebene persönlichen Vergnügens auf diejenige der Pflicht. Ein Mann muß heiraten, erklärte er, um Nachkommenschaft zu zeugen, damit seine Ahnengeister im ,Jenseits der Vorfahren' nicht die Speise- und Trankopfer ihrer Nachkommenschaft vermissen und in unbeschreibliche Not und Verzweiflung stürzen.

,Lieber Vater', erwiderte der Jüngling, ,ich bin durch Tausende von Leben gegangen. Ich habe viele hundert Male das Altern und den Tod erlitten. Ich habe Frauen erkannt und das Leid, das sie bringen. Ich war Gras und Strauch, Ranke und Baum; ich lebte zwischen Vieh und wilden Tieren. Viele hundert Male bin ich ein Brahmane, eine Frau, ein Mann gewesen. Ich kostete von der Seligkeit in Shivas himmlischen Wohnungen; ich weilte zwischen Unsterblichen. Selbst unter den übermenschlichen Wesen gibt es keines, dessen Form ich nicht mehr als einmal angenommen hätte: ich bin ein Dämon, ein Kobold, ein Wächter der Schätze der Erde gewesen; ich war ein Flußgeist; ich war eine Schöne des Himmels; ich war aber auch ein König der Schlangendämonen. Jedesmal, wenn sich der Kosmos auflöste, um wieder in die formenlose Wesenheit des Göttlichen zurückverschlungen zu werden, verschwand auch ich; und wenn das All dann wieder hervortrat, kehrte auch ich zum Dasein zurück, um andere Reihen von Wiedergeburten zu durchleben. Wieder und wieder bin ich den Täuschungen des Daseins zum Opfer gefallen — und immer, weil ich ein Weib nahm.'

,Laß mich Dir', fuhr der Jüngling fort, ,etwas erzählen, was mir während meiner vorletzten Inkarnation geschah. Während dieser Existenz war mein Name Sutapas, der, dessen strenge Übungen gut sind; ich war ein Asket. Und meine glühende Hingabe an Vishnu, den Herrn des Alls, gewann mir seine Gnade. Erfreut, weil ich so viele Gelübde erfüllt hatte, erschien er vor meinen leiblichen Augen, auf Garuda, dem Himmelsvogel, schwebend. ,Ich will Dir eine Gabe gewähren', sagte er. ,Was Du auch wünschest soll Dein sein.'

,Wenn ich Dir wohlgefällig bin', erwiderte ich dem Herrn des Alls, ,so laß mich Deine Maya erkennen.' ,Was sollte es Dir frommen, meine Maya zu erkennen?' antwortete der Gott. ,Ich will Dir lieber Überfluß des Lebens, Erfüllung Deiner menschlichen Pflichten und Aufgaben schenken, großen Reichtum, Gesundheit, Freude und heldenhafte Söhne.'

,Das, genau das', sagte ich, ,ist es ja, wovon ich befreit werden und was ich überwinden möchte.' ,Niemand kann meine Maya verstehen', fuhr der Gott fort. ,Niemand hat sie je verstanden, und niemals wird jemand sein, der in ihr Geheimnis eindringt. Vor langer, langer Zeit lebte ein gottgleicher heiliger Seher, Narada genannt. Er war ein Sohn des Gottes Brahma selbst und voll leidenschaftlicher Hingabe für mich. Wie Du erwarb er sich meine Gnade, und ich erschien ihm, wie ich Dir jetzt erscheine. Ich verhieß ihm eine Gabe, und er äußerte denselben Wunsch, den Du geäußert hast. Auch er bestand darauf wie Du, obgleich ich ihn warnte, nicht weiter nach dem Geheimnis meiner Maya zu forschen. So sprach ich zu ihm: ,Tauche in das Wasser dort drüben, und Du sollst das Geheimnis meiner Maya erfahren.' Narada tauchte in den Teich und wieder empor — in Gestalt eines Mädchens.

Narada entschritt dem Wasser als Sushila, ,die Tugendhafte', Tochter des Königs von Benares. Und da sie in der Blüte ihrer Jugend stand, versprach sie ihr Vater dem benachbarten König von Vidarbha zur Ehe. Im Leib eines Mädchens genoß der heilige Seher und Büßer die ganzen Wonnen der Liebe. Als seine Zeit erfüllt war, starb der alte König von Vidarbha, und Sushilas Gatte folgte ihm auf den Thron. Die wunderschöne Königin hatte viele Söhne und Enkel und war unvergleichlich glücklich.

Doch im Laufe der Zeit brach schließlich eine Fehde zwischen Sushilas Gatten und ihrem Vater aus, die sich zu einem wütenden Krieg entwickelte. In einer einzigen Riesenschlacht wurden viele von ihren Söhnen und Enkeln, ihr Vater und ihr Gatte erschlagen. Als sie von dem Gemetzel hörte, begab sie sich trauernd aus der Hauptstadt zum Schlachtfeld, wo sie ihre Klagen zum Himmel steigen ließ. Sie befahl, einen mächtigen Scheiterhaufen zu errichten und ließ die toten Leiber ihrer Verwandten, ihrer Brüder, Neffen und Enkel und schließlich Seite bei Seite den Leib ihres Gatten und den ihres Vaters darauf legen. Mit eigener Hand hielt sie die Fackel an den Scheiterhaufen, und als die Flammen stiegen, schrie sie laut: ,Mein Sohn, mein Sohn!' Und als sie zischten und prasselten, warf sie sich selbst in den großen Brand. Sofort wurde die Glut kühl und durchsichtig, der Scheiterhaufen wurde zum Teich. Und inmitten der Wasser fand sich Sushila selbst, aber wieder als den Heiligen Narada. Der Gott Vishnu nahm ihn bei der Hand und führte ihn aus der kristallenen Flut heraus.

Als der Gott und der Heilige wieder am Ufer waren, fragte Vishnu mit rätselhaftem Lächeln: ,Wer ist dieser Sohn, dessen Tod Du bejammerst?' Narada stand verwirrt und beschämt. Der Gott fuhr fort: ,Dies ist der Schein meiner Maya, jammervoll, dunkel, fluchbeladen. Weder der lotosgeborene Brahma noch ein anderer der Götter, Indra, nicht einmal Shiva, können ihre tiefenlose Tiefe ausloten. Warum und wie solltest gerade Du diese Unermeßlichkeit erkennen?'

Narada betete, daß ihm vollendeter Glaube und Hingabe gewährt werden möge und außerdem die Gnade, dies Geschehnis in allen kommenden Lebensläufen zu erinnern. Ferner erbat er noch, daß der Teich, der für ihn zur Quelle der Einweihung geworden war, ein heiliger, von Pilgern aufgesuchter Platz werden möge. Sein Wasser solle — dank der immer bleibenden verborgenen Gegenwart des Gottes darin, nachdem er einmal hineingeschritten war, den Heiligen aus der magischen Tiefe emporzuleiten — mit der Macht begabt sein, alle Sünden abzuwaschen. Vishnu gewährte diese frommen Wünsche und verschwand sogleich, um zu seinem fernen Wohnsitz im Milchmeer zurückzukehren.

,Ich habe Dir diese Geschichte erzählt', schloß Vishnu, bevor er gleicherweise den Büßer Sutapas verließ, ,um Dich zu belehren, wie das Geheimnis meiner Maya unerforschbar und nicht zu erkennen ist. Wenn Du willst, magst auch Du in das Wasser tauchen, und Du wirst erfahren, warum dies so ist.'

Daraufhin tauchte Sutapas (oder Prinz Kamadamana in seiner vorletzten Inkarnation) in das Wasser des Teiches. Gleich Narada entstieg er ihm als ein Mädchen und wurde so in den Stoff eines anderen Lebens eingehüllt.«

Es handelt sich hier um eine mittelalterliche, literarische Version des Mythos. Aber die Geschichte wird noch als eine Art Kinderstubenmärchen in Indien erzählt und ist vielen von Kindheit an vertraut. Im neunzehnten Jahrhundert gebrauchte der bengalische Heilige Ramakrishna die volkstümliche Form der Sage als Gleichnis in seinen Unterweisungen. Auch in diesem Fall war Narada, der Mustergläubige, der Held. Durch lange Askese und fromme Selbstentäußerungen hatte er Vishnus Gnade gewonnen. Der Gott war dem Heiligen in seiner Einsiedelei erschienen und hatte ihm die Erfüllung eines Wunsches gewährt. »Zeige mir die magische Macht Deiner Maya«, hatte Narada gebeten, und der Gott hatte erwidert: »Ich will es gewähren. Komm mit mir«; doch wieder mit dem rätselhaften Lächeln auf seinen schön geschwungenen Lippen.

Aus dem freundlichen Schatten der Einsiedlerhütte führte Vishnu Narada über einen öden Streifen Landes, der wie Metall unter der erbarmungslosen Glut einer versengenden Sonne brannte. Die beiden hatten bald großen Durst. In dem gleißenden Licht gewahrten sie in einiger Entfernung die Strohdächer eines winzigen Weilers. Vishnu fragte: »Willst Du gehen und mir etwas Wasser holen?«

»Gewiß, Herr«, erwiderte der Heilige und begab sich zu den Hütten in der Ferne, während der Gott sich im Schatten eines Felsens niederließ um seine Rückkehr zu erwarten.

Als Narada den Weiler erreichte, klopfte er an der ersten Tür. Ein wunderschönes Mädchen öffnete ihm, und der heilige Mann erfuhr etwas, wovon er bisher nicht einmal geträumt hatte: ihre Augen bezauberten ihn. Sie glichen denen seines göttlichen Herrn und Freundes. Er stand staunend und vergaß schlechthin weswegen er gekommen war. Das freundliche Mädchen bot ihm sanft den Willkommen, und ihre Stimme war wie eine goldene Schlange um seinen Hals. Wie im Traum trat er ein.

Die Bewohner des Hauses waren voller Höflichkeit gegen ihn, aber nicht im geringsten verlegen. Er wurde ehrenvoll empfangen als ein heiliger Mann, aber irgendwie nicht wie ein Fremder, sondern eher wie ein alter verehrter Bekannter, der lange fort war. Narada blieb bei ihnen, beeindruckt von ihrer Fröhlichkeit und ihrem Anstand und fühlte sich ganz zu Hause. Niemand fragte ihn, warum er gekommen sei; es war, als ob er seit unvordenklichen Zeiten zur Familie gehört hätte. Und als er nach einer gewissen Zeit den Vater um die Hand des Mädchens bat, war dies nicht mehr als was jedermann erwartet zu haben schien. Er wurde ein Mitglied der Familie und teilte mit ihr die altehrwürdigen Mühen und einfachen Freuden des Bauernlebens.

Zwölf Jahre vergingen; er hatte drei Kinder bekommen. Als sein Schwiegervater starb, wurde er das Haupt der Familie, erbte das Land und verwaltete es. Er züchtete Vieh und bebaute den Boden. Im zwölften Jahr war die Regenzeit außerordentlich heftig: die Ströme schwollen an, Sturzbäche ergossen sich von den Himmeln, und das kleine Dorf wurde von einer plötzlichen Flut überschwemmt. In der Nacht wurden die Strohhütten und das Vieh fortgerissen und jedermann floh.

Mit der einen Hand sein Weib stützend, mit der anderen zwei seiner Kinder führend, das kleinste auf der Schulter, schritt Narada eilends fort. Durch die pechschwarze Dunkelheit vorwärtshastend, vom Regen gepeitscht, watete er durch schlüpfrigen Schlamm, wankte er durch wirbelnde Wasser. Die Last war mehr als er in den schwer an seinen Beinen ziehenden Strudeln bewältigen konnte. Er stolperte, das Kind glitt von seiner Schulter und verschwand in der tosenden Dunkelheit. Mit einem verzweifelten Schrei ließ Narada die anderen Kinder los, um nach dem Kleinsten zu greifen, aber es war schon zu spät. Inzwischen hatte die Flut die beiden anderen fortgenommen, und noch bevor er das Unglück fassen konnte, sein Weib von seiner Seite gerissen, ihm selbst die Füße unter dem Leib fortgezogen und ihn kopfüber wie einen Klotz in den Sturzbach geschleudert. Bewußtlos wurde Narada schließlich an einen kleinen Felsen angetrieben. Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, sahen seine Augen auf eine weite Fläche schmutzigen Wassers, und er konnte nichts mehr tun als weinen.

»Kind!« Er hörte eine vertraute Stimme, die sein Herz fast zum Stillstehen brachte. »Wo ist das Wasser, das Du für mich holen wolltest? Ich warte schon länger als eine halbe Stunde.«

Narada wandte sich um. Anstelle des Wassers sah er die strahlende Wüste in der Mittagssonne. Neben ihm stand der Gott. Die grausamen Linien des schönen Mundes, auf dem noch das Lächeln schwebte, teilten sich zu der sanften Frage: »Begreifst Du jetzt das Geheimnis meiner Maya?«

Von der Zeit der frühen Veden an bis zum heutigen Hinduismus ist das Wasser als eine äußerlich faßbare Manifestation der göttlichen Essenz angesehen worden. »Am Anfang war alles gleich einem Meer ohne Licht«, erklärt eine alte Hymne; und bis zu unseren Tagen ist einer der einfachsten und gewöhnlichsten Gegenstände der Verehrung im täglichen Ritual ein mit Wasser gefüllter Krug oder Becher, welcher die Gegenwart der Gottheit versinnbildlicht und die Stelle eines geweihten Bildes vertritt. Für die Dauer des Gottesdienstes wird das Wasser als Wohnort oder Sitz (Pitha) des Gottes angesehen.

In unseren beiden Narada-Erzählungen war der bezeichnende Zug die vom Wasser herbeigeführte Verwandlung. Dies war als eine Wirkung der Maya zu verstehen; denn das Wasser gilt als eine erste Materialisation der Maya-Energie Vishnus. Das Wasser ist das lebenserhaltende Element, das in Gestalt von Regen, Lebenssaft, Milch und Blut durch die Natur kreist. Es ist Substanz, die mit der Macht fließenden Wandels begabt ist. Darum heißt, im Symbolismus des Mythos, in das Wasser tauchen, in das Geheimnis der Maya eingehen; heißt, nach dem letzten Geheimnis des Lebens suchen. Als Narada, der menschliche Jünger, über dies Geheimnis belehrt zu werden erbat, antwortete der Gott ihm nicht durch eine Lehre in Wort oder Spruch. Statt dessen wies er nur auf Wasser als das Element der Einweihung.

Grenzenlos und unvergänglich sind die kosmischen Wasser gleicherzeit die unbefleckte Quelle aller Dinge und ihr schreckliches Grab. Mittels der Macht der Selbstverwandlung entläßt die Energie der Tiefe individualisierte Formen oder nimmt sie selbst an, die mit vorübergehendem Leben und mit beschränktem Ich-Bewußtsein ausgestattet sind. Für eine Weile nährt und erhält sie diese mit ihrer lebenspendenden Essenz. Dann löst sie sie wieder auf ohne Mitleid oder Unterscheidung, zurück in die unbekannte Energie, aus der sie einst entstiegen. Das ist Werk und Wesen der Maya, des allverzehrenden, universellen Weltschoßes.

Solche Doppeldeutigkeit eines Schrecklichen und doch Gütigen ist ein vorherrschender Zug in allem Symbolismus und aller Mythologie der Hindus. Sie gehört wesentlich zu der Hinduanschauung vom Göttlichen. Nicht nur die Höchste Gottheit und ihre Maya, sondern auch jeder Untergott in den wimmelnden Pantheons dieser überwältigenden Tradition ist ein Paradox: machtvoll sowohl zu helfen wie zu zerstören; durch Wohltaten zu verstricken wie mit einem Schlag, der tötet, zu erlösen.

Siehe auch

Weiterlesen im Buch von Heinrich Zimmer?

  • Heinrich Zimmer, "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen"
Kapitel 1: Ewigkeit und Zeit
1.1 Die Parade der Ameisen
1.2 Das Rad der Wiedergeburten
1.3 Die Weisheit des Lebens
Kapitel 2: Die Mythologie Vishnus
2.1 Vishnus Maya
2.2 Die Wasser des Daseins
2.3 Die Wasser des Nichtseins
2.4 Maya in der indischen Kunst
Kapitel 3: Die Wächter des Lebens
3.1 Die Schlange, Trägerin Vishnus und des Buddha
3.2 Gottheiten und ihre Träger
3.3 Schlange und Vogel
3.4 Vishnu als Besieger der Schlange
3.5 Der Lotos
3.6 Der Elefant
3.7 Heilige Flüsse
Kapitel 4: Shivas kosmisches Entzücken
4.1 Fundamentale Gestalt und spielende Manifestationen
4.2 Das Phänomen der expandierenden Gestalt
4.3 Shiva-Shakti
4.4 Der große Oberherr
4.5 Shivas Tanz
4.6 Das Antlitz der Glorie
4.7 Der Zerstörer der drei Städte
Kapitel 5: Die Göttin
5.1 Die Entstehung der Göttin
5.2 Die Juweleninsel

Literatur

Seminar

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