Arunachala: Unterschied zwischen den Versionen

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Seit dem großen Tempelfest für Kârttikeya im Monat Kârttika (November-Dezember) 1896, das wie alle Jahre einen Strom von Wallfahrern anzog, mehrte sich die Schar der Frommen, die Shrî Ramana ihre Verehrung bezeigten; wer die heiligen Orte aufsucht, verlangt sich ja, Heilige seinesgleichen zu sehen und, indem er sie verehrt, aus ihrer gottgleichen Nähe Trost und Erbauung davon¬zutragen, nebst himmlischem Gnadenlohn für die milden Gaben, die der heilige Mann entgegenzunehmen geruht.
 
Durch Uddandi Nayinar kam Annamalai Tambiran zum Heili-gen. Er zog mit anderen, die ihm folgten, herum, sang Lieder aus dem »Dêvâram« und sammelte Almosen; er speiste die Armen und versah den Dienst in einem Vorstadttempel, der Gurumûrta hieß. Er schlug Shrî Ramana diesen entlegenen Ort vor. Damals hatte dessen Gleichgültigkeit gegen Leib und Welt den höchsten Grad erreicht: er war sehr schmutzig, sein Haar, unmäßig gewachsen, war eine wirre, verfilzte Masse, und seine Nägel wuchsen so lang und krumm, daß er die Hände zu nichts gebrauchen konnte. Stän¬dig verschlungen von der Tiefe des Selbst, war er der Schale seines Leibes ganz entfremdet. Er saß wochenlang auf einem Fleck am Boden, von Ameisen umwimmelt, und spürte nicht, wie sie ihn bissen. Seine Freunde setzten ihn auf einen Stuhl an der Wand, dessen Füße sie in Wasserkrüge stellten, um ihn vor den Ameisen zu schützen; aber diese liefen die Wand hinauf und bissen ihn in den Rücken, ohne daß er es merkte.
 
Annamalai Tambiran wurde Shrî Ramana zu Zeiten mit seiner gläubigen Verehrung lästig; er wollte dem Heiligen wie einem Götterbild begegnen und ihm Darbringungen von Oel und Milch, Wasser und Speisen über den Kopf gießen. Aber, als er zum zweitenmal damit anrückte, hatte der Svâmin mit einem Stück Kohle den lakonischen Satz an die Wand geschrieben: »Dies ist alles, was dieser braucht« und wies mit stumm beredter Gebärde auf die Schrift und dabei auf »dies« als das Essen und auf »diesen« seinen Leib. Durch diese Schriftprobe kamen seine Verehrer aller¬erst auf den Gedanken, daß der stumme Yogin, der jede Mitteilung verschmähte, lesen und schreiben könne, und zwar gewandt, und
 
 
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einer der verehrenden Besucher — es war ein Beamter auf Ur-laub — drang in ihn, wer er sei, Shrî Ramana blieb die Antwort lange schuldig; als aber der andere drohte, nicht eher in sein Amt heimzukehren, wo ohne ihn alles drunter und drüber gehen würde, bequemte er sich schließlich, die beiden Wörter »Venkata-Raman Tiruchuzhi« hinzuschreiben, und als der Beamte bekannte, den Namen des Ortes nie gehört zu haben, zeigte er ihm denselben in einem Exemplar des »Periya-Purâna«, So wurden sein Name und seine Herkunft den Leuten bekannt: Schalen, die längst von ihm abgefallen waren, die aber der bewundernden Welt bei seines¬gleichen leicht wichtiger werden als der Kern, aus dem er lebte und den er als unwillkürliches Vorbild der Welt offenbarte,
 
Danach zogen Uddandi Nayinar und Tambiran auf verschiede¬nen Wegen weiter, Der Heilige blieb allein und lebte von gelegent¬lichen Gaben frommer Besucher und von dem, was andere, die ihm anhingen, ihm täglich zutrugen, Dann fand sich Palanisvâmin zu ihm; der lebte von den Opfergaben, die Ganesha in einem Tempel dargebracht wurden. Jemand hatte ihn einmal in tiefer Andacht vor dem Bildnis des elefantenköpfigen Gottes gesehen und sprach zu ihm: »Was verbringst du dein Leben in Verehrung vor einem steinernen Svâmin? Da ist ein lebendiger junger Svâmin in Gurumûrta, in glühende Askese versenkt, wie Heilige alter Zeiten. Geh und diene ihm und hange ihm an; dann erfüllt sich der Sinn deines Lebens.« So wurde Palinasvâmin zur Verehrung des Heiligen gebracht und ward sein ständiger Begleiter,
 
Zu jener Zeit war Shrî Ramana bei dauerndem Sitzen in Ver-senkung und völligem Mangel an Bewegung wie ein bettlägeriger Kranker nicht imstande, sich aufrecht zu halten, wenn er sich erhob, um ein paar Schritte zu machen, Nach achtzehn Monaten in Gurumûrta, die durch viele Besucher unruhig wurden, verzog er sich in einen Mangogarten. Palanisvâmin ging mit, und der Besitzer des Gartens, Venkata-Raman Naicker, ließ niemanden un¬gefragt hinein. Dort hausten die beiden in den Sitzen zweier Feld¬hüter an einem Mangobaum und waren ungestört. Palanisvâmin
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brachte die schönsten Spruchsammlungen und Lehrtexte des Sans¬krit in Tamilübersetzungen aus der Stadt, und so lasen die beiden »Kaivalya-Navanîta«, »Yoga-Vâsishtha« und die Sentenzensamm¬lung des großen Shankara »Kronjuwel der Erkenntnis« (»Viveka¬chûdâmani«), worin der Geist des Vedânta in Sprüchen so volks¬tümlich wir kristallen seinen überwältigenden Ausdruck gefunden hat.
 
Inzwischen hatte Annamalai Tambiran, der auf seiner Wande-rung nach Madura gelangt war, dort in frommer Begeisterung von einem jungen Heiligen erzählt, den er in Tiruvannamalai verehrt habe, der stamme aus Tiruchuzhi, Ein junger Mensch von dort hörte ihn und hatte bald Gelegenheit, die Nachricht »Venkata¬Raman ist ein Heiliger in Tiruvannamalai« einem Oheim des Ver¬schollenen weiterzugeben, den er im August 1898 in Madura beim Leichenbegängnis jenes anderen Oheims traf, aus dessen Hause Shrî Ramana den Weg in die »Hauslosigkeit« angetreten hatte.
 
So erhielt die Familie endlich Kunde vom verschollenen Sohne und streckte alsbald ihre liebenden Arme nach ihm aus, Der Schwager der Mutter machte sich mit einem Freunde auf und fand den jungen Heiligen im Mangohain. Aber der Besitzer, der seinen Willen zur Einsamkeit respektierte, ließ die beiden nicht ein: »Er ist ein ,muni' — ein stummer Heiliger. Was wollt ihr hinein und ihn stören?« Sie sagten vergebens, sie seien Verwandte von ihm. Schließlich durfte der Oheim einen Zettel hineinschicken und wurde vorgelassen. Da Venkata-Raman in hartnäckigem Schweigen verharrte, wandte sich der Oheim schließlich an seine beiden Ge¬fährten Palanisvâmin und Naicker: die Familie wünsche nicht seinen heiligen Wandel zu stören, aber sie möchte ihn bei sich in Manamadura haben. Man werde auf alle seine Wünsche Rück¬sicht nehmen. Aber der junge Heilige blieb unbewegt wie ein Stein¬bild. Der Oheim gewahrte die Vernachlässigung seines Aeußeren, die schmutzig zusammengeklumpten Haarsträhnen und die un¬mäßig langen Nägel, die sich nach innen krümmten, mit Kummer und Ehrfurcht und begriff, welche Wandlung in ihm vorgegangen
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Im Beieinander des Heiligen mit seinen Jüngern erfüllte sich wieder einmal der alte indische Vers: »Seltsam und wundersam: unterm Feigenbaum sind alte Schüler um einen jungen Meister geschart, und Schweigen ist des Meisters Unterweisung, aber es zerstreut alle Zweifel der Schüler.« Die Menschen, die sich zu ihm fanden, wurden durch sein schweigendes Dasein belehrt, und die unter ihnen Zugang zum Sanskrit und seiner heiligen Ueberliefe¬rung hatten, sahen das Ziel der Lehren und Wege, um das ihr Kopf wußte und dem ihre Sehnsucht galt, in ihm leibhaft erfüllt. Sie brachten ihre heiligen Texte in Sanskrit und Volkssprache vor ihn und rezitierten sie dem Schweigenden; sie knüpften Fragen daran und breiteten ihren geistigen Besitz aus, Zuweilen entlockten sie ihm knappe Antworten, die er auf kleine Zettel schrieb, denn seine Lippen blieben meist unbewegt, Mit all ihrem Wissen um die große Ueberlieferung konnten sie ihm, der aus sich selbst zur Wirklichkeit erwacht war und meist in ihrer Tiefe versunken saß, nichts Neues bringen, nichts eigentlich geben, Aber sie setzten sein stummes, überwältigendes Dasein in Beziehung zu der heiligen Sprache, die von dem Geheimnis handelt, das er unmittelbar durch Versenkung in die eigene Tiefe besaß und allzeit in sich selber verschlungen neu erlebte. Indem sie dieses Ziel und Geheimnis geistig entfaltet ihrem eigenen Verstehen erschlossen, bildeten sie unversehens die Formen aus, es der Welt zu vermitteln, und liehen dem Heiligen aus dem Schatze der alten Ueberlieferung die Aus-drucksmittel für sein reines Innesein des Unbedingten.
und, daß alles weitere Reden fruchtlos sei. So brachte er der Mutter die tröstliche und traurige Nachricht, daß ihr Kind am Leben, aber ihnen allen verloren sei. Die Mutter gab sich damit nicht zufrieden, Noch im selben Jahre 1898, als ihr Aeltester Weihnachtsurlaub nehmen konnte, machte sie sich auf, ihren »Mittleren« selbst zu suchen,
Indes hatte der Heilige den Mangohain verlassen, um wieder ganz allein zu sein, und war in einen kleinen Tempel der Schutz¬gottheit des Berges Morgenrot — »Arunagirinâthar« — über¬gesiedelt. Er wollte auch Palanisvâmin nicht mehr um sich haben und hatte zu ihm gesagt: »Geh du deinen Weg und bettle dir dein Essen, und laß mich meinen gehen, mein Essen betteln. Laß uns nicht beisammenleben,« Aber nachdem er einen Tag für sich allein gewandelt war, fand sich Palanisvâmin wieder bei ihm ein: »Wo soll ich hingehen? Du hast die Worte des Lebens,« So verbrachten sie zusammen einen Monat in dem kleinen Tempel, danach eine Woche in den stillen Oberräumen der ragenden Tortürme des Riesentempels und in einem seiner Gärten, wo ihn viele seiner verehrenden Anhänger wieder aufspürten, Er entwich vor ihnen nach Pavazhakkunru an einem Ausläufer des Arunâchala, in einen Shivatempel und eine Höhle daneben, bei denen eine Quelle floß. Hier saß er in der Tempelcella in sich selbst versenkt und stieg in die Stadt hinab, sein Mahl zu betteln, wenn Palanisvâmin nicht da war, es für beide zu tun. Der Priester des Tempels hatte nicht acht, ob der Heilige in seinem Winkel der dämmerigen Cella saß, und sperrte ihn öfters ein, wenn er den Tempel abschloß, nachdem er den Kult vor dem Götterbild vollzogen hatte. Auch hier suchten ihn viele Fromme auf und standen geduldig wartend, ob er aus dem Innern der Höhle oder des Tempels auftauchte.
Hier fand ihn auch die Mutter, als sie mit Nâgasvâmin kam, nachdem sie ihn vergeblich im Mangohain gesucht hatte. Er lag auf dem Felsen, schier unkenntlich mit seinem verwahrlosten Leib, nur mit einem schmutzigen Fetzen um die Lenden. Aber sie er¬kannte ihren Sohn sogleich und bat ihn, mit ihr heimzukehren.
Doch er blieb unbewegt. Tag für Tag stieg sie mit Nâgasvâmin hinauf, brachte ihrem Sohne Süßigkeiten und flehte ihn an, mit-zukommen, — aber er gab ihr keine Antwort. Als sie ihn schlie߬lich einmal schalt und in Tränen ausbrach, erhob sich der Heilige stumm und entfernte sich. Sie kam noch einmal und sprach auf ihn ein; aber der Sohn saß wie ein Steinbild, — da wandte sie sich an die Leute, die dabei waren, und klagte ihnen, sie sei die Mutter, und bat sie, bei dem Heiligen ein Wort für sie einzulegen. Da sagte einer zu Shrî Ramana: »Deine Mutter weint und fleht; warum antwortest du ihr nicht wenigstens mit einem Wort? Ob ,Ja' oder ,Nein', — warum gibst du ihr keine Antwort? Deswegen brauchst du das Gelübde des Schweigens nicht zu brechen. Hier sind Stift und Papier: schreib wenigstens auf, was du zu sagen hast.«
Da nahm der Heilige Papier und Stift und schrieb: »Gott waltet über dem Schicksal der Seelen gemäß ihrem Karman aus früheren Leben (prârabdhakarman). Was nicht geschehen soll, geschieht nicht, trotz allem Mühen. Was geschehen soll, wird geschehen; du kannst es nicht aufhalten. Darum ist das beste zu schweigen.« Das war ein Wort, das seine gläubige, gottergebene Mutter be¬greifen konnte. So mußte sie ohne ihn heimkehren. »Sind wir dazu hergekommen?« klagte sie, als sie mit ihrem Aeltesten den Berg hinunterstieg,
Nach Jahren kam es schließlich doch zu einer Lebensgemein-schaft zwischen dem Heiligen und seinen Angehörigen; aber sie formte sich ganz nach dem asketischen Gesetz seines Lebens. Der ältere Bruder starb 1900 bald nach seiner Rückkehr aus Tiru-vannamalai; der jüngere, Nâgasundaram, wurde Schreiber in einem Tempel, 1901 kam er zum Heiligen und wollte ganz bei ihm bleiben, kehrte aber auf dessen Wunsch noch einmal heim. Die Mutter und andere Verwandte besuchten den Heiligen in den nächsten Jahren gelegentlich; als sie 1914 auf dem Heimweg von einer Wallfahrt nach Tirupati bei ihm einkehrte, erkrankte sie an Typhus. Als es bedenklich um sie stand, dichtete Shrî Ramana ein Gebet in vier
Strophen, die seine Nähe zu der leidenden Kreatur, die ihn geboren hatte, auflösen in das Wissen, das den Tod auflöst:
»Berg meiner Zuflucht, du heilst die Leiden des kreisenden Stromes der Wiedergeburten, du kannst auch meiner Mutter Fieber heilen, Du schlägst sogar den Tod; du, meine einzige Zu-flucht, schenke deine Gnade meiner Mutter und beschirme sie vor dem Tode! — Was ist der Tod, wenn man ihn ergründet? O Aru¬nâchala, blendendes Licht der Erkenntnis, hülle meine Mutter in deinen Flammenschein und mach sie eins mit dir, — was bedarf sie dann des Scheiterhaufens der Toten? O Arunâchala, du ver¬treibst den Wahn der Mâyâ, — was säumst du, den Fieberwahn meiner Mutter zu vertreiben? Wer außer dir hält seine mütter¬liche Fürsorge schirmend über die flehende Seele und wehrt die Schläge des Schicksals ab?«
Die Mutter genas und kehrte nach Hause zurück, 1915 starb die Frau des jüngsten Sohnes, und die häuslichen Verhältnisse verschlechterten sich. Es zog die alte Frau erneut zu ihrem »Mitt¬leren«; sie kam 1916 nach Tiruvannamalai und blieb dort bis zu ihrem Tode am 19. Mai 1922. Shrî Ramanas Anhänger wollten sie erst nicht haben; sie fürchteten, er könnte, wenn sie ganz bei ihm leben wollte, den Ort verlassen, um ihre Nähe zu meiden, Aber was ihm zehn Jahre früher unmöglich gewesen war, ließ er jetzt schweigend geschehen. Bald kam auch der jüngere Bruder; sie selber hatte es gewünscht, sie wollte auf ihre alten Tage beide Söhne um sich haben, Nâgasundaram nahm das gelbe Gewand des Asketen und ward ein Schüler seines Bruders, Als Svâmin »Niran¬jânanda« — »dessen Seligkeit das unverschminkt Fleckenlose (d. i. das Unbedingte) ist« — kümmerte er sich um die Lebens¬gemeinschaft, die sich um Shrî Ramana als eine Art Einsiedelei gesammelt hatte. Die Mutter richtete sich eine Küche ein, um für ihre Söhne, und wer mit ihnen lebte und zum Heiligen kam, zu sorgen. So bekam die Einsiedelei, die von Bettelgängen in den Ort, von milden Gaben und Geschenken ihren Unterhalt fristete, eine Art Haushalt, ohne der asketischen Verpflichtung abzudanken,
nicht für den anderen Tag zu sparen und zu sorgen, Hier wie zu allen Zeiten indischen Asketenlebens — am greifbarsten bei der Blüte des Buddhismus mit seinen Klöstern und Reliquienschreinen, Schulen und Stiftungen — war es die Welt, die sich ergriffen und ehrfürchtig an das Ueberweltliche drängte, das lautlos in ihrer Mitte greifbare Gestalt angenommen hatte, um es dankbar zu schmücken, zu erhöhen und zu betreuen, So lebte der Heilige scheinbar halb wie ein Hausvater; aber er gab seiner Mutter keine Antwort, wenn sie zu ihm redete; er blieb der einsame Asket, sie war nicht Mutter für ihn, da war kein Familienleben. Er äußerte: alle Frauen seien für ihn wie Mütter,
Alagamal fand sich in ihre neue Rolle, mütterlich sorgen zu dürfen, ohne mütterlich zu herrschen oder nur als Mutter zu gelten. Diese Entsagung ward ihr vom Sohne als der Weg zur Vollendung gewiesen, der ihrem Lebensstande gemäß war, und sie ging ihn sechs Jahre gehorsam bis zu ihrem Tode, Sie nahm das gelbe Ge¬wand des Weltverzichts und ward eine Bettelasketin und tat in ihren Gebärden die lebenslange Rolle ihres Ich, die Mutterschaft, ab, Im Umgange mit dem Sohn und den Seinen lauschte sie seiner Belehrung und nahm sein Wesen in sich auf. Ihre werkgläubige Frömmigkeit weitete sich zum Begreifen des Namen- und Gestalt¬losen, auf das die gestaltige Vielfalt des Hinduismus mit seinen Kulten, Bildern und Uebungen zielt.
Als es mit ihr zu Ende ging, saß ihr Sohn, der Heilige, an ihrem Lager; seine Linke lag auf ihrer Stirn, die Rechte auf ihrer Brust, bis ihr der letzte, mühsame Atemzug entflohen war. Einige Schüler sagten heilige Sprüche her und murmelten Vishnus Namen »Râma«, um der scheidenden Seele die Richtung zu geben. — Sie hatten alle nichts gegessen, solange sie dem Ende der alten Frau bei¬wohnten; als es vorüber war, erhob sich der Heilige und sagte: »Jetzt dürfen wir essen, Kommt — dabei ist keine Befleckung,« Und er setzte sich mit den anderen und aß, Einer seiner Jünger verzeichnete in seinem Tagebuch: »Der Svâmin fühlte sich jetzt besonders heiter; die Brüder sangen die ganze Nacht über heilige
Weisen, Wahrscheinlich war die Pflege der Mutter eine drückende Bindung gewesen, und mit ihrem Hinscheiden fühlte er sich freier. Kein Grund mehr, am selben Ort zu bleiben; kein Grund mehr, sich von anderen helfen zu lassen. Keine Sorge, — frei wie ein Vogel, der aus dem Käfig ist. Ich kann mich irren, aber ich emp¬fand es so,«
An den Totenbräuchen beteiligte sich der Heilige nicht; als Yogin sah er ihnen schweigend zu. Er hatte Jahre vorher einmal gesagt, eine heilige Frau solle, wie ein Yogin, nicht verbrannt, aber begraben werden, So geschah es. Man dachte es in der Stille zu tun, aber die Nachricht hatte sich herumgesprochen, und so kam viel Volk. Die Tote wurde in eine Grube gelegt und heilige Asche, Salz, Kampfer und Weihrauch darüber geschüttet; die Grube ward mit Mauerwerk geschlossen und darauf ein Lingam Shivas er¬richtet. So erhielt die Mutter ihr »Samâdhi«: die Stätte ihrer »Ver¬einigung mit Gott«. Ihr Eingehen zum Göttlichen war vollzogen; sie wird, mit Shiva im Zeichen des Lingam vereint, als »Mâtri¬bhûteshvara« verehrt: als der »Höchste Gott in Gestalt der Mutter«, Der alte Kult der Mütter als Göttinnen Südindiens hat sich ihres Grabes dabei als Kultort bemächtigt; sie ist die mütter¬liche Schutzgottheit der Stätte, die zuvor durch ihren Sohn, den Heiligen, geheiligt ward. In ihrem Namen und im Geiste ihres sichtbaren Wirkens geschieht täglich die Ausspeisung der Wall¬fahrer, die den Weg zu Shri Ramana finden. Die göttliche Ver¬ehrung, die der Heilige selbst, soweit er es vermag, von seiner sterblichen Erscheinung abwehrt, darf sich der Entrückten zu¬wenden, wenn das Lingam auf ihrem Grabe mit dem üblichen Ritual der Tempel: Wassergüssen, Opfergaben und Hersagen der Namenslitanei der neunmal zwölf Namen Shivas, alltäglich verehrt wird und jeder Wallfahrer zur Einsiedelei Shrî Ramanas vor dem göttlichen Zeichen seine Andacht verrichtet, die in Versenkung in das Symbol des Gottes ihm die Vereinigung (samâdhi) des Gemüts mit dem Göttlichen schenken soll, das in ihm greifbar ist.
Im Beieinander des Heiligen mit seinen Jüngern erfüllte sich
wieder einmal der alte indische Vers: »Seltsam und wundersam: unterm Feigenbaum sind alte Schüler um einen jungen Meister geschart, und Schweigen ist des Meisters Unterweisung, aber es zerstreut alle Zweifel der Schüler.« Die Menschen, die sich zu ihm fanden, wurden durch sein schweigendes Dasein belehrt, und die unter ihnen Zugang zum Sanskrit und seiner heiligen Ueberliefe¬rung hatten, sahen das Ziel der Lehren und Wege, um das ihr Kopf wußte und dem ihre Sehnsucht galt, in ihm leibhaft erfüllt. Sie brachten ihre heiligen Texte in Sanskrit und Volkssprache vor ihn und rezitierten sie dem Schweigenden; sie knüpften Fragen daran und breiteten ihren geistigen Besitz aus, Zuweilen entlockten sie ihm knappe Antworten, die er auf kleine Zettel schrieb, denn seine Lippen blieben meist unbewegt, Mit all ihrem Wissen um die große Ueberlieferung konnten sie ihm, der aus sich selbst zur Wirklichkeit erwacht war und meist in ihrer Tiefe versunken saß, nichts Neues bringen, nichts eigentlich geben, Aber sie setzten sein stummes, überwältigendes Dasein in Beziehung zu der heiligen Sprache, die von dem Geheimnis handelt, das er unmittelbar durch Versenkung in die eigene Tiefe besaß und allzeit in sich selber verschlungen neu erlebte. Indem sie dieses Ziel und Geheimnis geistig entfaltet ihrem eigenen Verstehen erschlossen, bildeten sie unversehens die Formen aus, es der Welt zu vermitteln, und liehen dem Heiligen aus dem Schatze der alten Ueberlieferung die Aus-drucksmittel für sein reines Innesein des Unbedingten.
Uddandi Nayinar und Annamalai Tambiran waren die ersten, die das Buchwissen heiliger Ueberlieferung ihm nahebrachten, das ihren eigenen Pilgerweg begleitete und trug; dann kam Padma¬nâbhi-svâmin, ein sanskritkundiger Gelehrter (shâstrin) aus Chid¬ambaran. Der Heilige hörte ihnen zu, wie sie ihr Wissen auswendig rezitierten oder aus Büchern in Sanskrit und Tamil laut vortrugen, las auch selbst die Tamilfassungen der heiligen Texte, die sie in Sanskrit vorsagten, So ward ihm unwillkürlich der große Begriffs-und Bilderschatz zu eigen, mit dem die Ueberlieferung seit Jahr¬tausenden Erlebnisse wie das seine ausgeformt hatte, Er konnte,
Uddandi Nayinar und Annamalai Tambiran waren die ersten, die das Buchwissen heiliger Ueberlieferung ihm nahebrachten, das ihren eigenen Pilgerweg begleitete und trug; dann kam Padma¬nâbhi-svâmin, ein sanskritkundiger Gelehrter (shâstrin) aus Chid¬ambaran. Der Heilige hörte ihnen zu, wie sie ihr Wissen auswendig rezitierten oder aus Büchern in Sanskrit und Tamil laut vortrugen, las auch selbst die Tamilfassungen der heiligen Texte, die sie in Sanskrit vorsagten, So ward ihm unwillkürlich der große Begriffs-und Bilderschatz zu eigen, mit dem die Ueberlieferung seit Jahr¬tausenden Erlebnisse wie das seine ausgeformt hatte, Er konnte,
5 Zimmer: Der Weg zum Selbst. 65
5 Zimmer: Der Weg zum Selbst.
   
   
was ihm als Wissen und Kunde, Wort und Gleichnis entgegenkam, an der Wahrheit des eigenen Wesens messen, mit dem eigenen Sein erfüllen, gliedern und deuten.
was ihm als Wissen und Kunde, Wort und Gleichnis entgegenkam, an der Wahrheit des eigenen Wesens messen, mit dem eigenen Sein erfüllen, gliedern und deuten.

Version vom 18. September 2013, 15:47 Uhr

Der "heilige Berg der Morgenröte" - Arunachala; Gedenkstätte für Shiva; der Heilige Sri Ramana Maharshi verbrachte hier sein ganzes Leben

Arunachala: (Sanskrit: अरुणाचल aruṇācala m.) "der rote (Aruna) Berg (Achala)" (auch: Arunagiri) oder "Hügel des Lichts"; Symbolisch steht der Arunachala für die wärmenden Sonnenstrahlen der Morgendämmerung, die er in unsere verschlossenen Herzen bringt. Bekannt ist der Berg durch den indischen Heiligen Ramana Marharshi, der in den Höhlen lange Zeit meditiert und in der Nähe seinen Ashram gegründet hat.

Bedeutung des „Berg der Morgenröte“ (Arunachula)

Der Berg »Morgenrot« gehört zum ältesten Bestande der Erde, Mit dem ganzen Massiv Südindiens bildet er den Rest eines versunkenen Erdteils, der westlich gen Afrika reichte und östlich mit den Inselkuppen Hinterindiens und dem Rücken der Straits noch dem Meere entragt, das seine Niederungen überflutet hält. Er blickt auf die überragenden Ketten des Himalaya im fernen Norden wie auf nachgeborene Geschwister, die, spät emporgetrieben, ihn überwachsen haben; das Schwemmland ihrer Riesenströme hat die fruchtbaren Niederungen Nordindiens erst spät zusammengeschlämmt und mit ihnen nachmals die Landbrücke geschaffen, die den Rest des älteren Erdteils dem Kernland Asiens im Norden angestückt und den vorgeschichtlichen Süden in die geschichtlich greifbare Schicksalsgemeinschaft mit den Völkerwellen und Kulturen des Nordens verstrickt hat.

Der Arunchala gilt als "das Herz der Welt"

Hier gehören die ragenden Berge zum Bestande alter Gottheiten: groß und segenspendend, längst ehe die Götter des Hinduismus auf ihnen Platz nahmen und ihre Tempel mit heiligen Teichen und ragenden Toren die Wallfahrer alten Bergkults in ihre Bezirke ziehen. Alsdann verschmilzt die alte Gottheit vom Berge Morgenrot mit der umfassenden Majestät Shivas, des »Höchsten Herrn«, und wird eine seiner vielen greifbaren Erscheinungen. Das »Skanda Purana«, die »Alte Überlieferung, die dem Ruhme des Gottes Skanda geweiht ist«, des Sohnes Shivas, der auf dem Pfau reitet, verkündet die Einheit des göttlichen Berges mit dem Wesen Shivas. Der göttliche Bulle Nandin, Gefährte und Reittier Shivas, — sein Ebenbild in der Tierwelt —, lehrt hier, als Hüter heiliger Offenbarung über Shivas Wesen, vom Berge Morgenrot: »dies ist die heilige Stätte: Der Berg Morgenrot (Arunachala) ist hochheilig vor anderen Stätten, er ist das Herz der Welt. Wisse: er ist die geheimste heiligste Herzensstätte Shivas, dort weilt er allezeit als der herrliche Morgenrot.« Mit solchen Worten vollzieht die priesterliche Propaganda des Shivaismus die Versöhnung des alten örtlichen Bergkultes mit der Verehrung des höchsten Hindugottes und nimmt die uralte Überlieferung der Stätte in die umfassende Götterlehre ihres Pantheons auf. Hier, in der »Lehre von der Wunderwesenskraft des Berges Morgenrot« (Shri Arunachala Mahatmya des Skanda Purana), verkündet Shiva selbst seine ewige Gegenwart auf Erden in Gestalt des Berges Morgenrot und dessen strahlende Segenskraft: »feurig leuchtend wie roter Lack, ist die Erscheinung des Berges Morgenrot ein Ausdruck meiner Gnade und liebenden Fürsorge um das Bestehen der Welt. Hier weile ich allzeit als der Vollendete (Siddha). Versenke dich in den Gedanken, dass im Innern meines Herzens die überweltliche Herrlichkeit ist und alle Freuden dieser Welt. Der bloße Anblick des Berges Morgenrot nimmt alle Makel und Mängel hinweg, aus denen die Endlichkeit der Welt und die Grenzen des Ich entspringen. Was unendliche Mühsal nicht verleiht: die wahre Erkenntnis, — ist allen leicht gewonnen, die den Berg von Angesicht erschauen oder nur von ferne ihn innerlich betrachten. Ich bestimme: Wer in fünf Meilen Umkreis vom heiligen Berge weilt, wird aller Sünden ledig und verlangt die Vereinigung mit dem Höchsten

Das Hauptfest des großen Tempels von Tiruvannamalai fällt in den Monat Karttika (etwa November), wenn der spätherbstliche Vollmond im Zeichen des Siebengestirns steht, der »Krittikas«: der fünf göttlichen Ziehmütter des Kriegsgottes Skanda Subrahmanya, der nach ihnen »Karttikeya« benannt ist. Dann wird dieser volkstümliche alt-vorarische Gott mit den fünf Köpfen, der als Sohn Shivas und der Großen Göttin — der Weltkraft und -mutter (shakti) — aus dem südindischen Volksglauben ins Pantheon des jüngeren Hinduismus aufgestiegen ist, zehn Tage lang gefeiert. Die Festlichkeit gipfelt in der zehnten, letzten Nacht mit dem »Lichterfest der Krittikas« (Krittika Dipa): in feierlichem Umgange entschreitet Shiva als Gott Arunachala mit seinem Bilde um sechs Uhr abends seinem Tempel. Im selben Augenblick flammt auf dem Gipfel des Berges Morgenrot (Arunachala) die Riesengestalt seines Lingam als weißer Lichtschein auf: ein Haufen Kampfer und Butter schießt als Flammensäule ins dunkelnde Abendfirmament, weithin über die Ebene sichtbar, und wer das alte Sinnbild zeugender Gotteskraft erblickt, wirft sich anbetend zu Boden, Dieser Phallos aus Feuer (Tejo Lingam), in reinem Glanze ragend und tagelang in seiner Glut unterhalten, ist das sichtbare Zeichen Shivas, eine der acht Gestalten, mit denen der ungreifbar Überweltliche den Sinnen greifbar in der Erscheinungswelt erscheint. Mit ihr offenbart er seine ewige, geheime Gegenwart in der Gestalt des Berges; er ist der heilige Berg selber, wie er das verborgene Innerste der Menschen und aller Welt ist: ihr geheimstes Selbst.

Heinrich Zimmer über die zentrale Bedeutung vom Arunachulaberg in Sri Ramana Maharshis Leben

aus dem Buch "Der Weg zum Selbst" von Heinrich Zimmer

»Vernimm! — Es steht reglos als Berg da. Sein Wirken ist geheimnisvoll, über menschliches Begreifen hinaus. Seit Kindertagen strahlte es in mein Gemüt, daß der Berg Morgenrot unvergleichlich an Hoheit sei; aber als ein anderer mir sagte, er sei dasselbe wie Tiruvannamalai, begriff ich nicht, was es bedeutete. Als er mich an sich zog und mein Gemüt mit Stille füllte, und ich ihm nahe kam, sah ich: er stand unbewegt.

,Wer ist der Sehende?' — so forschte ich in mir, und da bemerkte ich, wie der Sehende verschwand und was danach übrigblieb. Keine Regung stand in mir auf, die sprach: ,ich sah', — wie konnte der Gedanke aufstehen: ,ich habe nicht gesehen?' — Wer hat die Macht, mit Worten zu künden, was du in alten Tagen mit deiner Gnadengestalt schweigend verkündigen konntest? Nur um in Schweigen dein überweltliches Sein zu künden, stehst du als Berg und strahlst vom Himmel zur Erde. Wenn ich dir nahe und dich betrachte als gestaltiges Wesen, stehst du als Berg auf der Erde. Wenn einer mit seinem Gemüt nach deiner wahren Gestalt forscht, die gestaltlos ist, gleicht er einem, der über die Erde hin wandert und schaut nach dem allgegenwärtigen Himmelsraum aus, Ohne Regung in deinem grenzenlosen Wesen verweilen, heißt sich selber verlieren, wie eine Puppe aus Zuckerzeug, die ins Meer der Süße fällt: sie löst sich darin auf. Erlebe ich, was ich wirklich bin, — was ist dann mein Wesen anderes als du, der du als Berg der Morgenröte ragend ruhst?

Wer auszieht, Gott zu suchen, und nicht um dich weiß als Sein und reines Innesein, gleicht einem, der mit der Lampe auszieht, das Dunkel zu suchen. Nur damit du dich selbst als Sein und reines Innesein zu erkennen gebest, weilst du unter vielen Namen und Gestalten in vielen Glaubenslehren. Und wenn die Menschen doch nicht dazu gelangen, dich zu erkennen, so sind sie wie Blinde, die die Sonne nicht sehen. O großer ,Berg Morgenrot', Juwel ohnegleichen, wohne in mir und leuchte als mein Selbst, du Eines, neben dem nichts Zweites wirklich ist!

Du durchdringst alle Wesen und Offenbarungen, wie die Schnur die Juwelen, die an ihr aufgereiht sind. Wie ein Juwel geschnitten und geschliffen wird, will das unreine Gemüt am Schleifrad des reinen Gemüts geläutert sein, um seiner Flecken ledig zu werden; dann nimmt es das Licht deiner Gnade an und strahlt wie ein Rubin, dessen Feuer kein Ding von außen berühren kann. O gnädiger und blendender ,Berg Morgenrot', — gibt es etwas außer dir? Du bist du selber: das Eine Sein, immer gewahr als das Herz, in seinem eigenen Lichte leuchtend. In dir ist eine geheimnisvolle Kraft (Shakti), die außer dir nichts ist, Von ihr geht die geisterhafte Erscheinung des Gemüts aus und sendet heimliche feine dunkle Nebel aus; sie werden vom Licht deines Gewahrseins angestrahlt und erhellt, das ihre spiegelnde Fläche auffängt und zurückstrahlt. Davon erscheinen sie im Innern als Vorstellungen, die in den Strudeln und Schnellen des Karman umeinander wirbeln, sich zu seelischen Wirklichkeiten entwickeln und nach außen getragen werden als eine stoffliche Wirklichkeit der äußeren Welt: von den nach außen gehenden Sinnen vergrößert, bewegen sie sich wie Bilder eines vorüberlaufenden Films, Sichtbar oder unsichtbar, o Berg der Gnade, sind sie nichts ohne dich!

Ist keine Ich-Regung da, so ist auch keine andere Regung da. Steigen andere Regungen auf, so frage: ,wem kommen sie?' — und die Antwort ist: ,mir'. — Wenn einer dann nicht abläßt zu fragen: ,woher steht das Ich auf?' und einwärts taucht und die Stätte des Gemüts, das Herz, erreicht, der wird der höchste Herrscher im Schatten des einzigen Sonnenschirms königlicher Größe, 0 uferloses Meer der Gnade und des Lichts, ,Berg Morgenrot' geheißen, du tanzest regungslos im Hof meines Herzens! Dort ist nicht länger Traum noch Wachen, noch irgendein Zweierlei von Innen oder Außen, Recht und Falsch, Geburt und Tod, Lust und Leid oder Licht und Dunkel, Die Wasser steigen aus dem Meer als Wolken auf und strömen als Regen hernieder und eilen in Strömen wieder zum Meer: nichts kann sie aufhalten, zu ihrem Ursprung heimzukehren. So steht die Seele (Jiva) auf aus dir und ist nicht aufzuhalten, sich wieder mit dir zu vereinen, auch wenn sie auf dem Weg zu dir in vielen Wirbeln kreisen muß, Der Vogel hebt sich von der Erde auf und schwingt sich in den Himmel, aber findet nirgends in der Luft, wo er rasten mag: so muß er wieder zur Erde kehren. So müssen alle den Weg zurückfinden, und wenn ihre Seele heimfindet zu ihrem Ursprung, versinkt sie in dir und geht in dir auf, o ,Berg des Morgenrots', du Meer der Seligkeit

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Im Beieinander des Heiligen mit seinen Jüngern erfüllte sich wieder einmal der alte indische Vers: »Seltsam und wundersam: unterm Feigenbaum sind alte Schüler um einen jungen Meister geschart, und Schweigen ist des Meisters Unterweisung, aber es zerstreut alle Zweifel der Schüler.« Die Menschen, die sich zu ihm fanden, wurden durch sein schweigendes Dasein belehrt, und die unter ihnen Zugang zum Sanskrit und seiner heiligen Ueberliefe¬rung hatten, sahen das Ziel der Lehren und Wege, um das ihr Kopf wußte und dem ihre Sehnsucht galt, in ihm leibhaft erfüllt. Sie brachten ihre heiligen Texte in Sanskrit und Volkssprache vor ihn und rezitierten sie dem Schweigenden; sie knüpften Fragen daran und breiteten ihren geistigen Besitz aus, Zuweilen entlockten sie ihm knappe Antworten, die er auf kleine Zettel schrieb, denn seine Lippen blieben meist unbewegt, Mit all ihrem Wissen um die große Ueberlieferung konnten sie ihm, der aus sich selbst zur Wirklichkeit erwacht war und meist in ihrer Tiefe versunken saß, nichts Neues bringen, nichts eigentlich geben, Aber sie setzten sein stummes, überwältigendes Dasein in Beziehung zu der heiligen Sprache, die von dem Geheimnis handelt, das er unmittelbar durch Versenkung in die eigene Tiefe besaß und allzeit in sich selber verschlungen neu erlebte. Indem sie dieses Ziel und Geheimnis geistig entfaltet ihrem eigenen Verstehen erschlossen, bildeten sie unversehens die Formen aus, es der Welt zu vermitteln, und liehen dem Heiligen aus dem Schatze der alten Ueberlieferung die Aus-drucksmittel für sein reines Innesein des Unbedingten. Uddandi Nayinar und Annamalai Tambiran waren die ersten, die das Buchwissen heiliger Ueberlieferung ihm nahebrachten, das ihren eigenen Pilgerweg begleitete und trug; dann kam Padma¬nâbhi-svâmin, ein sanskritkundiger Gelehrter (shâstrin) aus Chid¬ambaran. Der Heilige hörte ihnen zu, wie sie ihr Wissen auswendig rezitierten oder aus Büchern in Sanskrit und Tamil laut vortrugen, las auch selbst die Tamilfassungen der heiligen Texte, die sie in Sanskrit vorsagten, So ward ihm unwillkürlich der große Begriffs-und Bilderschatz zu eigen, mit dem die Ueberlieferung seit Jahr¬tausenden Erlebnisse wie das seine ausgeformt hatte, Er konnte, 5 Zimmer: Der Weg zum Selbst.

was ihm als Wissen und Kunde, Wort und Gleichnis entgegenkam, an der Wahrheit des eigenen Wesens messen, mit dem eigenen Sein erfüllen, gliedern und deuten. 1900 kam G. Sheshier als Beamter nach Tiruvannamalai; er schloß sich an den Heiligen an und stellte ihm Fragen über vieler¬lei, was er gelesen hatte, Shrî Ramana schrieb, in Schweigen ver¬harrend, seine Antworten auf kleine Zettel; Sheshier sammelte sie zu einem Heft Aufzeichnungen, — so entstand Ueberlieferung. Ihr enstammt der Bericht über Venkata-Ramans »Erwachen« im Hause des Oheims, Shivaprakâsham Pillai, ein Steuerbeamter, der Philosophie studiert hatte, kam 1902 zu Shrî Ramana und zeich¬nete Fragen und Antworten in Tamil auf; sie wurden 1924 als Gespräche veröffentlicht. S, Sheshu Iyer, ein Anwalt aus Cocanada, der später ganz nach Tiruvannamalai übersiedelte, besorgte die englische Uebersetzung, die mit einigen Abänderungen 1930 er-schien, 1937 erschien auf den Wunsch vieler eine verbesserte Neu¬ausgabe, die der Leiter der Einsiedelei, Svâmin Niranjânanda, be¬sorgte, Ein schmales Heft, in dem Begegnungen mit Shrî Ramana Maharshi festgehalten waren, erschien 1936 aus der Feder seines Jüngers Râmânanda (unter dem Titel »Crumbs from his table«). So fand sich allmählich das schmale Bündel von Gesprächen und Lehrreden zusammen, die von Shrî Ramana Zeugnis ablegen. Es kann nicht mehr die Aufgabe des Wissenden sein, sich selber dar¬zustellen; aber die Welt, die an seinem Wesen teilzuhaben be¬gierig ist, muß seine Gestalt und Botschaft stilisieren, wie es einst die Jünger Buddhas taten, indem sie Gespräche, Reden und Stro¬phen des Erleuchteten bewahrten und weitergaben, oder wie die erste Christengemeinde mit den Worten des Herrn verfuhr. Die in sich selbst vollkommene, wahre Stille wirkt auf die Un ruhe der Welt als saugender Wirbel; so zog der Heilige den schweifenden, vielbegabten und immer unerfüllten Ganapati Shâs tri an, der hochfliegender Pläne und öffentlicher Ehren, seines Wissens und seiner Schriftstellerei überdrüssig, zu seinen Füßen so viel Frieden fand, wie seiner Art möglich war und, von dieser

Begegnung inspiriert, zum literarischen Wegbereiter Shrî Ramanas wurde, Er war kaum zwei Jahre älter als der Heilige; als Kind schwächlich, erwies er bei vielseitiger Begabung eine erstaunliche Frühreife, Mit zehn Jahren schon dichtete er in Sanskrit und er¬hielt 1900 mit zweiundzwanzig Jahren auf einer Tagung sanskrit-kundiger Gelehrter und Schriftsteller für seine Virtuosität in poetischen Improvisationen den Ehrennamen »Kâvya-Kantha«, d. h, »Kehle der Poesie«, Der wahre Ehrgeiz seines Lebens zielte höher: er wollte es den Heiligen der Vorzeit und Mythen gleichtun an glühender Askese (tapas), die sich zu kosmischer Macht erhoben hatten; zugleich beschäftigten ihn immer wieder weitschichtige Weltverbesserungs¬pläne, die das Antlitz Indiens veredeln und über seine Grenzen hinaus reformierend wirken sollten. Er schwor auf den Yoga, der seine Kraft aus unablässiger Rezitation heiliger Formeln und gött¬licher Namen zieht (mantra-japa), und unternahm viele Pilger¬fahrten zu heiligen Stätten, ohne an ihrer magischen Kraft Er¬füllung seiner Askese zu finden. Er hatte wohl einige Erlebnisse in dieser Richtung; aber sie ließen ihn unverwandelt, So kam er 1903 das erstemal zum Heiligen, zog aber, nicht wirklich von ihm berührt, nach Vellore weiter, wo er eine Stelle als Lehrer annahm, um dort mit einer Schülergruppe durch Mantra-japa um kosmische Kraft (shakti) zu ringen, die ihn zur Reform der Heimat, ja der Menschheit befähigen sollte. 1907 gab er diesen Posten auf; voll tiefer Unzufriedenheit mit all seinem Wissen und Können, seiner Virtuosität und Ohnmacht, kam er aufs neue nach Arunâchala. Er erklomm den Berg in der Vormittagshitze während des Kârttikafestes und fand zu seinem Glück den Heiligen allein vor seiner Höhle sitzen. Er fiel vor ihm flach auf den Boden, ergriff seine Füße mit beiden Händen und sagte mit bebender Stimme: »Ich habe alles gelesen, was es zu lesen gibt, auch die Lehre des Vedânta habe ich ganz verstanden. Ich habe Flüstergebete (japa) ohne Ende gesprochen, Aber ich habe bis heute nicht gefaßt, was

Askese (tapas) ist. Darum nehme ich meine Zuflucht zu deinen Füßen. Erleuchte mich über das Wesen der Askese!« Der Heilige sah ihn eine Viertelstunde lang schweigend an, wie er, ganz Erwartung, zu seinen Füßen lag. Dann sagte er: »Wenn einer darauf acht hat, woher die Vorstellung ,Ich' entspringt, dessen Gemüt wird darein verschlungen, — das ist Askese. Wenn ein Spruch innerlich wiederholt und die Aufmerksamkeit darauf ge¬lenkt wird, woher der innerliche Laut dieses Spruches entspringt, dann wird das Gemüt dahinein verschlungen, — das ist Askese,« Diese Belehrung erfüllte Gartapati Shâstri mit erlösendem Glück. Er verweilte einige Stunden und ließ sich von Palani-svâmin den Namen des Heiligen sagen. Er erfuhr, es sei »Venkata¬Raman Ayyar«, und er dichtete sogleich fünf Strophen zu seinem Preise. In ihnen verkürzte er den Namen zu »Ramana«, und diese Bezeichnung ist dem Heiligen geblieben, Dann schrieb er gleich Briefe an seine Verwandten und Schüler und berichtete ihnen von der Unterweisung (upadesha), die er von dem »Brâhmana-svâmin auf dem Berge« empfangen habe, und tat kund, jedermann solle diesen hinfort den »Großen Seher« (maharshi), seine Schüler ihn aber den »Erhabenen Großen Seher« (Bhagavan Maharshi) nennen. In der Unterweisung, die ihm zuteil geworden war, erblickte der gelehrte Poet eine Gnade der von ihm besonders verehrten Gottheit: der Weltkraft (shakti) und Weltmutter Umâ, und er dichtete sofort eintausend Verse zu ihrem Preise. Er brauchte nur drei Wochen dazu und schrieb rund zweihundert Verse auf einen Sitz nieder, meist zwischen acht Uhr abends und Mitternacht. Die Weißglut seiner musischen Inspiration nährte sich dabei an der Nähe des Erhabenen Großen Sehers, Nach etwa drei Monaten zu dessen Füßen wirbelte es ihn allerdings wieder aus der Berges¬höhe ins wimmelnde Flachland, dem er, getragen von der Welt¬kraft, die ihn begnadet hatte, als endlicher Erneuerer in vielen Dingen zu nahen gedachte. Beim Abschied fragte er den Heiligen noch: »Genügt dieses Forschen nach der Quelle der Ichvorstellung, um alle meine Ziele

zu erreichen, oder brauche ich auch innere Sammlung auf heilige Sprüche und Silben?« Der Heilige antwortete: »Das erste genügt«, — und als der andere nach dem Ziel fragte, gab er ihm den Rat: »Du solltest lieber deine ganze Last auf Gott werfen. Er wird alle Lasten tragen, und du wirst aller Last ledig sein. Er wird schon seine Pflicht tun,« Aber Ganapati, der Betriebsame, verstand diesen Wink nicht und stürzte sich vom Berge ins Feld seiner Begabungen und An-liegen. In den nächsten Jahren kam er häufig auf Besuch, Sein beredtes, überströmendes Wesen brachte dem Meister vieles aus seiner virtuosen Kenntnis des Sanskrit und dessen heiliger Litera¬tur nahe, Der Heilige griff aus Texten, die er in Sanskrit und seiner Muttersprache Tamil nebeneinander zu lesen begann, die alte Sprache göttlicher Offenbarung und Ueberlieferung auf und dich¬tete 1915 einen Vers in Sanskrit, der die Quintessenz seiner Lehre enthält: »Mitten in der Höhle des Herzens leuchtet allein das reine Unbedingte (brahman) als ,ICH-ICH' offenbar in Gestalt des Selbst (âtman), Laß dein Gemüt sich selbst erforschen und im Herzen untertauchen und finde angehaltenen Atems deinen Stand im Selbst,« Zwei Jahre später dichtete er fünf Sanskritstrophen auf das Göttliche, das sich im Berge »Morgenrot« verkörpert, und ver-faßte in Sanskrit die »Dreißig Merksprüche zum täglichen Ge-brauch für die Jünger der Einsiedelei« (Upadesha-sâra). Ein besonderes Verdienst Ganapati Shâstris bestand darin, im Umgang mit dem Meister ihm Antworten zu entlocken und, seinem Gespräch mit andern lauschend, solche aufzuzeichnen. Was er während zweier Aufenthalte im Dezember 1913 und im Juli und August 1917 auffing, ward ihm zum Stoff für sein Lehrgedicht »Shrî-Ramana-Gîtâ«. Es folgt dem Vorbild der unsterblichen Bha¬gavad-Gîtâ und ihrer jüngeren Geschwister in der Sanskritdich¬tung und ist als Apotheose des Heiligen gemeint, durch dessen Mund und Erscheinung das göttliche Wesen der Welt aufs neue

leibhaft offenbar geworden ist, Hier wird bereits der Kult des Heiligen begründet: seine Verklärung als Menschwerdung des Gött¬lichen, wie das Empfinden des Volkes ihn feiert, das wallfahrtet, ihn zu schauen. Er ist nichts anderes als Shiva, der Höchste Herr, und als dessen Sohn und zweites Ich, Kârttikeya, die volkstümliche Gottheit der Landschaft. Er ist, ganz Selbst (âtman) geworden, leibhaft greifbar das gestaltlos Unbedingte (brahman), und ist nichts anderes als die Segensgottheit uralten Bergkults, die Wesen¬heit des Berges »Morgenrot«, Wie sich der Allgott Vishnu in einem früheren Weltalter als Krishna, der Held, Heiland und Lehrer der Bhagavadgîtâ offenbarte, ist das Allwesen unserer Zeit, Shiva, im erhabenen großen Seher und Meister Shrî Ramana Fleisch gewor¬den, Ein und dasselbe Wirkliche, überweltlich und innerweltlich zugleich, hat sich in vielen seiner Erscheinungen zusammen¬gefunden: im steinernen Lingam Shivas, das, im innersten Heilig¬tum des großen Tempels ragend, seine Gegenwart bezeugt, in Bildsäulen des Großen Gottes, seines Sohnes und anderer Gott¬heiten ringsumher, im mächtigen Berge, den die Pilger wallfahrtend umwandeln, wie in allen Heiligtümern, Tempeln Brunnen und Teichen, die den heiligen Ringweg säumen, und in den Klausen seiner Schlüfte, — dazu aber lebendig-menschlich in der Gestalt des Heiligen, der alles menschhafte Ich an sich vernichtet hat und das reine allwesende Selbst geworden ist, Lauterkeit ohne Rast¬losigkeit und ohne Trübe, Vollendung ohne Schatten, Das alles aber gehört schon längst nicht mehr zur Geschichte Shrî Ramana, sondern in die seiner unfreiwilligen Wirkung, seines unwillkürlichen Ruhmes, — es ist Geschichte seiner Jünger, seiner Gemeinde und der Welt. Der Vollendete hat keine Geschichte mehr; sie ist der Bereich des Unvollkommenen und Unvollendbaren. Als die Seinen 1912 zum erstenmal seinen Geburtstag feierten — wie seither unter dem Zustrom wachsender Scharen alljährlich, und dazu den Jahrestag der vergotteten Mutter —, gab er ihnen

zwei Strophen zur Antwort: »Ihr, die ihr den Geburtstag feiern wollt, ergründet erst: Woher kam eure Geburt? — Das ist fürwahr der Geburtstag, wenn einer eingeht ins Jenseits von Geburt und Tod, ins ewige Sein. Wenigstens an seinem Geburtstage soll einer seinen Eintritt in den Kreislauf von Geburt und Tod betrauern. An ihm frohlocken und ihn feiern, heißt einen Leichnam schmük¬ken. Sein Selbst suchen und in ihm untertauchen ist: Weisheit.« Der Vollendete läßt der Welt ihren Weg. Unbewegt in sich selber wurzelnd, ein »Schweigender« (muni), gibt er dem kreisen¬den Schein ringsum ein Beispiel in der Unwillkürlichkeit seines Daseins und kann der Welt nicht wehren, was sie aus dem Schein seiner Person macht. Ein reicher Mann ließ eine lebensgroße Bild¬säule vom Meister formen und stellte sie in Tiruvannamalai auf. Der Buddha und seine Mönche konnten dem göttlichen Kult, der seiner Erscheinung, seinen Reliquien gezollt wurde, auch nicht wehren; die Geschichte des Buddhismus bis zu seinem Untergang in Vorderindien ist die mähliche Ueberflutung seines Gebäudes mit allen Gehalten der Volksreligion von den vorarischen Kulten der Schlangen-, Erd- und Baumgottheiten bis zum Pantheon des jüngeren Vishnu- und Shivaglaubens mit ihren Ritualen und Jen¬seitshoffnungen. Mit seiner Erscheinung im Schein der Welt gibt der Heilige sich unbeteiligt ihrem Scheinspiel dar, wie der überweltliche Gott, dem nichts zu tun aufgegeben ist, nach dem Wort der Bhagavad¬gîtâ im Weltschein waltet und sein Gewebe mit keiner überwelt¬lichen Gebärde zerreißt. Er wehrt die greifbare Vergottung ab, daß Wasser oder Milch, Oel oder Honig ihm wie einem Götterbild oder Lingam übers Haupt gegossen wird (abhisheka), so sehr es die eifrigen Frommen nach dieser verehrenden Gebärde der »pûjâ« verlangt; er duldet nicht, daß er wie eine Kultfigur mit Sandel oder Farben bemalt wird; aber er kann nicht hindern, daß die Wallfahrer den Staub vor seinen Füßen mit den Fingern aufnehmen und gläubig an Stirn und Lippen führen. So wenig er vermag, daß Kokosnüsse als Dar

bringung zu seinen Füßen aufgebrochen werden und Kampfer zu weißer Flamme entzündet wird, kann er wehren, daß am großen Festtage des Gottes Arunâchala, der Berggottheit und Shivas in einer Person, auch die dritte Gestalt desselben göttlichen Wesens. er selbst, in sich selber versunken, von dem weißen Jubelfeuer angestrahlt wird, das im gleichen Augenblick vor seinen Füßen aufflammt, wie das weiße Flammenlingam sich auf dem nächtlichen Gipfel des Berges erhebt. Denn er ehrt die alte Lehre: »Wer Gott ganz hingegeben ist und seinem geistlichen Meister (guru) ganz wie Gott, — dem Großgemuten wird alle Wahrheit offenbar.« Er weiß, daß die Verehrung, die ihm dargebracht wird, eine Anfangs¬stufe der Erkenntnis in gläubiger Hingabe (bhakti) ist, über die sich der Weg der Befreiung zu der Erkenntnis zu erheben vermag, daß der Gläubige und der verehrte Gegenstand seiner Andacht ein und dasselbe sind: beides Erscheinungen des einen Seins, das ohne Namen und Gestalt in allem west. So ist es ganz in Ordnung, daß er, wenn er sich morgens zwi¬schen drei und vier Uhr erhoben und seine Waschungen vollzogen hat, auf seinem Ruhelager Platz nimmt und zuhört, wie seine Jünger ihren Tag mit Gesängen aus einem Preislied auf ihn selbst beginnen, das über 1500 Verse lang ist, oder daß er Strophen, die er einst selbst für die jährlich mehrfach wiederholte Prozession rings um den heiligen Berg und für den Bettelgang der Seinen in die Stadt gedichtet hat, aus ihrem Munde vernimmt, die jetzt ihm selber gelten, wie er sie einst für die Gottheit des Berges Morgen¬rot gemeint hat: »Du tratest in mein Haus und locktest mich mit dir hinweg, — was hältst du mich in deines Herzens Höhle gefangen, o Arunâ¬chala? Viel zärtlicher bist du als die eigene Mutter, — ist das deine alliebende Gnade, o Berg Morgenrot? Du süße Frucht in meiner Hand, reiß mich hin in den Rausch der Entrückung, trunken von der Seligkeit deines Saftes!

Schenke mir Wissen, ich flehe dich an, daß ich nicht vor Liebe zu dir vergehe, in Unwissenheit! Die Dirne Gemüt wird nicht mehr gassenauf, gassenab herum¬streichen, könnte sie nur zu dir gelangen! O zeige dich und gib dich zu erkennen und halte sie in deinem Bann! Die Lotosknospe öffnet sich dem Sonnenlicht, — was kamst du zu mir wie eine Biene und sprachst: ,Dein Herz ist noch nicht aufgeblüht'?« In diesen Klagen eines Liebenden erwachte die gläubige Hin-gabe und glühende Gottesliebe der großen Sänger und Heiligen des südindischen Mittelalters zu neuer Blüte; die »Hochzeitliche Blumenkette aus neunmal zwölf Strophen für Shiva, der im Berge Morgenrot als dessen Herr zugegen ist« (Shrî-Arunâchala-akshara mana-malai) und das »Geschmeide aus neun Juwelen für Shrî-Arunâchala« (Shri-Arunâchala-nava-mani-malai) bewegen sich in der großen Ueberlieferung der Sänger und Heiligen des »Dêvâram«): »In meinem liebeleeren Ich wecktest du die Leidenschaft zu dir; darum verlaß mich nicht, o Berg Morgenrot! Verschrumpfte und verdorrte Frucht ist wertlos; nimm mich und iß mich, da ich reif bin, o Berg Morgenrot! Führe mich heim, ich flehe dich an, und laß mein Gemüt, das jetzt dir anvermählt ist, der Vollkommenheit vermählt sein! Laß uns umschlungen liegen auf dem Blumenbette des Gemüts in der Kammer meines Leibes, o Berg Morgenrot! Ich dachte dein und ward von deiner Gnade gefangen, und wie eine Spinne in ihrem Netz hieltest du mich gefangen, um mich zu nehmen zu deiner Stunde. Nimm mich hin in dich, sonst muß ich vergehen mit meinem Leibe, der im Strom meiner Tränen zerschmilzt. Wortlos sprachst du: ,steh und schweig' und warst Schweigen. Zu schweigen wie ein Stein, der keine Blüten treibt, — ist das wahrhaftes Schweigen, Herr? Im Herzen scheint ein Licht, sich selber inne, einzig wirklich: das bist du.

Im Tempel von Chindambaran tanzt Shiva, der Regungslose, seinen selbstberauschten Tanz im Angesicht seiner göttlichen Kraft und Gattin (shakti), die regungslos vor ihm steht. — Aber wisse: im Berge Morgenrot steht er in seiner Herrlichkeit reglos da, und sie, die rastlos spielende Weltkraft, ist zur Stille eingegangen in sein regungsloses Selbst.« Begreiflich, daß der Heilige selbst für seine Jünger der bevor¬zugte Gegenstand innerer Meditation ist, wie ein Kultbild leib¬haft angeschaut und verehrt oder in innerer Schau betrachtet wie die Gestalt einer Gottheit. In dieser geistigen Berührung vollzieht sich vornehmlich sein Wirken, daneben in gelegentlichen Aus¬sprüchen, Beantwortung von Fragen, erläuternden Bemerkungen zu heiligen Texten, die im Kreise der Gemeinde rezitiert werden. Er verbreitet aus sich die Kraft zur Versenkung, er kehrt das Wesen des anderen nach innen, auf den Weg zum Selbst, den er lehrt. Dem Heiligen fällt nicht schwer, was schon seinen besten Schülern kaum erreichbar ist. Wäre ihm eine andere Wahl ge-blieben, sich irgendwie zu verwirklichen, so wäre er nicht an diesen ausgefallensten Beruf geraten, der auch wo Adepten der Heilig¬keit — Yogins und Asketen — zahlreich sind, ausgefallen bleibt durch den Grad der Vollendung, der Shrî Ramana Maharshi zu eigen geworden ist. Die Vollkommenheit des Heiligen ist ebenso-sehr Anlage und Natur wie zurückgelegter steiler Weg: Anlage und Natur wie das musikalische Genie etwa bei Schumann oder Chopin. Was sie als große Künstler konnten in Erfüllung und Ge¬staltung, war ihnen die kleinere Mühe, die leichtere Last; aber mit sich selber, der Welt und dem Leben fertig zu werden, all diesem standzuhalten bei der Hellsichtigkeit und Sensibilität ihres Genius, das war die Aufgabe, die immer wieder an die Grenze ihrer Kräfte ging, um immer wieder in zauberhaften, nie zuvor gehörten Klängen ihre Lösung zu finden. Nur einer, der keine

Aussicht hat, es ihnen schattenhaft je gleichzutun, sich aber doch zu musikalisch schöpferischer Tätigkeit hingezogen fühlt, kann wünschen und meinen, einmal auch zu können, was sie konnten und was ihrer angeborenen Meisterschaft in guten Stunden ein hohes Spiel war, So denken auch die Schüler von Erleuchteten und Heiligen. Was ihnen als Versenkung und Sammlung größte Mühe und lange Technik kostet, ist dem Meister als Anlage seiner Natur, als Leich¬tigkeit zu einem exzentrischen Erkenntnis- und Glückszustand ge¬schenkt, — als »karman«, Das Selbst, in das jene zu tauchen sich mühen, und können dabei die Schichten kaum durchstoßen, die sie davon trennen, saugt ihn begierig auf, zieht ihn unwidersteh¬lich und alltäglich an; er kann nicht anders, als sich unaufhörlich darein verlieren und es finden, Er ist ein einwärts Gekehrter, nicht nur nach seelischer An-lage, auch nach leiblich angeborener Disposition. Schicksalhaft für die anderen wird, daß diese Anlage bei ihm in ihrer Erfüllung beispielgebend und inspirierend auf die Umwelt wirkt; der Heilige selbst, der auf keine Umwelt wirken will, vielmehr ihr unwillkür¬lich lebenslang den Rücken wendet, sobald er zu seinem Wesen einwärts gekehrten Versinkens erwacht ist, folgt nur seiner inner¬sten Natur. Daß er sich durch kein Urteil der Welt, keine Plage, Beschwer und Entbehrung des Lebens, durch kein Mutterwort irre machen läßt, diesen Weg, den ihm sein »karman«, seine Anlage vorzeichnet, ewig zu Ende zu gehen, macht seine Größe in den Augen der Welt aus, Wieweit die Schüler, die, von seinem Anblick getroffen, ihm auf seinem Wege nacheifern, durch Zucht und Mühe erreichen können, was ihm als einzig angemessene Lebensform seiner ein-samen Art leicht fällt, — diese Frage ist die Ironie aller Schüler¬schaft und Ordensgründungen. Der Buddhismus hat das in der Mahâyânalehre begriffen, wenn er am Leben des Buddha abliest, daß Mönchsgelübde, Orden und Lehrbetrieb nicht das Entschei¬dende sind, um Erleuchtung und Nirvâna zu erlangen. Alles das

gab es ja in der Form des Buddhismus nicht, als der Erleuchtete, noch unerleuchtet, aber unwiderstehlich hinausgezogen wurde aus dem umhegten Gartenidyll, aus Eheglück und prinzlichem Glanz, und in die Wildnis hinauszog, um als Asket Erleuchtung zu suchen und Nirvâna zu finden und schließlich mit wenig Glauben an mög¬liche Wirkung und voll tiefster Gleichgültigkeit gegen die Welt sich herbeiließ, Menschen zu belehren, Schüler zu haben und einen Orden zu gründen, der nachmals »alle vier Weltgegenden« mit dem Licht seiner Lehre erhellte. Der Berufene bedarf keines Lehrers und keiner Einweihung, keines Ordens als Lebensrahmen und -regel; er kommt ohne sie ans Ziel. Wieweit die Schüler mit alledem kommen, ist eine Frage ihres individuellen »karman«. Der Meister folgt seiner Natur: gegen die Welt, das ist seine Größe. So führt sie ihn zur Erfüllung. Was andere nach ihm in seinen Fußstapfen mit allen Mühen sich kaum abzuringen vermögen, ist ihm geschenkt, da seine Mühen die notwendige, einzig erwünschte Erfüllung seiner begriffenen Anlage sind: das einzige, das ihm in seiner »letzten Geburt« noch zu tun übrigblieb. Daher die Warnung des Heiligen an die Welt¬kinder, die ihm nachfolgen wollen, im Glauben, das Verlassen der Welt und ihrer Pflichten verbürge allein schon Erfolg: sie sollen sich prüfen, ob sie reif sind. Die Loslösung aus der Welt will un¬widerstehlich und ganz von selbst als die einzige Möglichkeit, wirklich zu werden, in übermächtigem Zuge geschehen.

Siehe auch

Literatur