Atmasamnyasa
Atmasamnyasa (Sanskrit: आत्मसंन्यास, ātmasamnyāsa, m.) bedeutet wörtlich „Entsagung, gerichtet auf das Selbst“ und beschreibt im Yoga und Vedanta den Zustand tiefer Selbsthingabe und Versenkung in die wahre Wirklichkeit, in der die Erkenntnis „Aham Brahmasmi“ – Ich bin Brahman verwirklicht wird.
Atmasamnyasa – Die Entsagung des Egos und die Vereinigung mit dem Selbst
- Sanskrit: आत्मसंन्यास (Ātmasamnyāsa)
- Bedeutung: Ātman = Selbst, Seele; Samnyāsa = Entsagung, Hingabe, Aufgabe
- Übersetzung: „Entsagung, die auf das wahre Selbst gerichtet ist“
Atmasamnyasa ist ein zentraler Begriff der vedantischen und yogischen Philosophie. Er beschreibt den Prozess, bei dem der Mensch alles Äußere loslässt, um sich vollkommen auf die Erkenntnis des inneren Selbst (Atman) auszurichten. Es ist der Zustand, in dem die Dualität von „Ich“ und „Gott“ aufgehoben wird und das Bewusstsein in der Einheit mit dem Absoluten, Brahman, ruht.
Philosophische Bedeutung von Atmasamnyasa
Im Advaita Vedanta, der Philosophie des Nicht-Dualismus, ist Atmasamnyasa kein äußerer Verzicht, sondern eine innere Loslösung. Der Mensch erkennt, dass wahres Glück und wahre Freiheit nicht im Besitz, sondern im Erkennen des wahren Selbst liegen.
Atmasamnyasa bedeutet daher nicht, die Welt zu fliehen, sondern in ihr zu leben, ohne an sie gebunden zu sein. Es ist die Haltung der Selbsthingabe und des Nichtanhaftens, in der das Ego (Ahamkara) aufgelöst wird und das wahre Selbst erstrahlt.
- „Nicht der Verzicht auf Handlung ist Samnyasa, sondern der Verzicht auf das Ich in der Handlung.“ – Bhagavad Gita 18.2
Atmasamnyasa in der Bhagavad Gita
In der Bhagavad Gita beschreibt Krishna zwei Wege der Befreiung: den Weg der Erkenntnis (Jnana Yoga) und den Weg der Entsagung (Samnyasa Yoga). Atmasamnyasa verbindet beide – er ist die innere Entsagung des Ego und die ständige Versenkung in das Bewusstsein des Selbst.
Krishna lehrt, dass wahre Entsagung nicht im Aufgeben der Welt liegt, sondern darin, die Welt als Ausdruck des Göttlichen zu erkennen. Wenn der Mensch erkennt, dass alles Brahman ist, wird jede Handlung zur Meditation, jedes Denken zur Hingabe.
- „Wer in Atmasamnyasa verweilt, der sieht das Selbst in allen Wesen und alle Wesen im Selbst.“ – Bhagavad Gita 6.29
Atmasamnyasa im Yoga – Der Weg zur Selbstverwirklichung
Im Yoga wird Atmasamnyasa als höchster Bewusstseinszustand verstanden, in dem der Yogi vollständig mit dem Atman, der göttlichen Seele, verschmilzt.
Dieser Zustand ist das Ziel aller spirituellen Praxis:
- Im Raja Yoga: die völlige Beruhigung der Gedanken (Chitta Vritti Nirodha).
- Im Bhakti Yoga: die hingebungsvolle Verschmelzung mit dem Göttlichen.
- Im Jnana Yoga: die intellektuelle und intuitive Erkenntnis „Ich bin das“.
- Im Karma Yoga: das Handeln ohne Anhaftung an Ergebnisse.
Atmasamnyasa ist somit der Moment, in dem das individuelle Selbst (Jiva) sich als eins mit dem universellen Bewusstsein (Brahman) erkennt.
Aham Brahmasmi – Ich bin Brahman
Der Satz „Aham Brahmasmi“ (अहं ब्रह्मास्मि) ist eines der vier großen Mahavakyas (Großen Aussprüche) aus den Upanishaden. Er drückt die Erfahrung aus, dass der Mensch nicht vom Göttlichen getrennt ist, sondern selbst göttliches Bewusstsein ist.
In der Praxis des Atmasamnyasa wird dieser Satz nicht nur intellektuell verstanden, sondern existentiell erfahren. Der Übende erkennt, dass alles, was er sucht, bereits in ihm selbst liegt – als Ausdruck des einen, unendlichen Brahman.
- „Wer sich selbst als Brahman erkennt, der überwindet Tod, Leid und Begrenzung.“ – Brihadaranyaka Upanishad 1.4.10
Wie man Atmasamnyasa im Alltag lebt
Atmasamnyasa ist keine Praxis nur für Mönche oder Yogis, sondern eine innere Haltung, die jeder Mensch kultivieren kann.
Praktische Wege zur inneren Entsagung:
- 1. Meditation auf das Selbst:
Setze dich still hin, atme ruhig und wiederhole innerlich das Mantra Aham Brahmasmi. Fühle, dass du Bewusstsein bist – ewig, frei und unbegrenzt.
- 2. Nichtanhaften im Alltag:
Handle bewusst, aber ohne dich mit Erfolg oder Misserfolg zu identifizieren.
- 3. Selbstreflexion:
Beobachte dein Denken und frage: „Wer bin ich wirklich?“ Diese Frage führt direkt zum Bewusstsein des Selbst.
- 4. Hingabe an das Göttliche:
Übergib alle Früchte deiner Handlungen dem Göttlichen – das ist wahre Entsagung.
- 5. Achtsamkeit und Dankbarkeit:
Erkenne in jedem Moment das Wirken des Göttlichen – auch im Alltäglichen.
Spirituelle Bedeutung von Atmasamnyasa
Atmasamnyasa ist das Loslassen der Illusion des Getrenntseins. Wenn das Ego schweigt, offenbart sich das selbstleuchtende Bewusstsein, das frei von Geburt, Tod, Freude und Leid ist.
Dieser Zustand ist nicht durch Anstrengung erreichbar, sondern entsteht durch innere Reife, Erkenntnis und Hingabe.
- „Wenn der Suchende alles loslässt, bleibt nur das, was nie verloren werden kann – das Selbst.“
Fazit: Atmasamnyasa – die Rückkehr in das wahre Selbst
Atmasamnyasa ist die Essenz des Yoga und Vedanta: die Entsagung von Ego, Anhaftung und Unwissenheit, um in der Erkenntnis des wahren Selbst zu ruhen.
Wer diesen Zustand erreicht, erfährt die höchste Freiheit – die unendliche Glückseligkeit (Ananda), die aus der Erkenntnis „Aham Brahmasmi“ – Ich bin Brahman erwächst.
- „Atmasamnyasa ist nicht der Verlust, sondern die Wiederentdeckung dessen, was du immer schon bist – das Ewige, Unveränderliche, Göttliche.“