Lendenschurz
Der Lendenschurz
Indische Geschichte aus einer Nacherzählung von Heinrich Zimmer aus seinem Buch "Weisheit Indiens. Märchen und Sinnbilder" 1938 im L.C. Wittich Verlag in Darmstadt erschienen. S. 22-24.
Der junge Yogi war entschlossen, sich endlich von seinem alten Lehrer zu trennen, um wie andere Heilige in Einsamkeit ganz auf sich selbst gestellt den Gang zur entschiedenen Verklärung anzutreten. Die anderen Schüler des Guru hatten sich längst in die Welt oder in die Stille verloren; wieviel er ihnen von seinem geheimen Wissen mit auf den Weg gegeben hatte, blieb sein Geheimnis. Jeder mochte wähnen, in einsamer Einweihung das Letzte erfahren zu haben — der junge Yogi meinte es besser zu wissen. Der Alte war wie das Meer, uferlos in seinem Wissen, unergründlich und dunkel in seiner Tiefe, er hielt sein Geheimnis fest. Sein Blick durchflog den Raum und griff ins Ferne, griff ins Dunkel der Zukunft und in die verhohlene Falte des Herzens, — schwieg er deshalb soviel und lächelte nur immer? Der Alte würde die wunderbaren Kräfte, die der Schüler sich manchmal als endlichen Lohn geduldigen Dienens in vermessenen Träumen von ihm erhofft hatte, mit in die höheren Welten nehmen, aus denen sie stammten, wenn es ihm bald gefiele, sich auf immer von der Erde zu entrücken. Es war an der Zeit, den eigenen Weg zu gehen, sich in zäher Arbeit an sich selbst weltentsagend und selbstversunken zu sammeln und tief innen die göttlichen Stimmen zu wecken und ihnen statt Menschenworten zu lauschen.
Der Guru schwieg, als der Schüler ihm bescheiden seine Absicht unterbreitet hatte und fragend verstummte. Vielleicht hatte er diese Wendung erwartet, ja den Entschluss im Stillen mit austragen helfen? Er schwieg wie zu den meisten Fragen und Reden, die an seine Stille tasteten; glasklar und demanthart, wie eine Säule aufwärts fließender Luft stand Schweigen und Lächeln um ihn. Lautlos erhob er sich und winkte dem Schüler, ihm zu folgen. Sie gingen auf die Suche nach einem geeigneten Fleck in der Einsamkeit, wo der junge Einsiedler sich eine Hütte bauen könne: in der Stille des Dschungels, nahe beim Fluss zum Baden und Wasserholen, und nicht weit vom Dorf, damit die Bauern ihm von ihrer Armut das geringe Almosen abgäben, dessen ein Yogi bedarf.
Sie fanden was sie suchten und schieden voneinander; in den Augen des Lehrers lag jenes unmerkliche Lächeln, dessen Sinn der Schüler nie enträtselt hatte. Der junge Yogi begann seinen strengen Taglauf, aber die Fallstricke und Störungen auf dem Wege zur Verklärung sind viele. Die dunkeläugigen Frauen im Dorfe blicken nach seiner schlanken Gestalt, wie er voll gesammelter Kraft einherwandelt und ihnen mit Augen, die vom inneren Feuer glühen, die Almosenschale hinstreckt, wenn er täglich zur Essenszeit von Tür zu Tür im Dorfe betteln kommt. Und wenn die Schlanken mit den flinken Gazellenaugen und die Reifen mit ihrem trägen wissenden Kuhblick die Seelenruhe solch eines Heiligen nicht zu stören vermögen, sendet wohl der König der Götter nachts eine überirdisch verlockende Himmelsfrau aus seinen Hainen der Seligen als Verführerin in seine Träume. Aber nichts dergleichen geschah dem jungen Einsiedler. Die Frauen im Dorfe blickten ihn gleichmütig an, und die Götter schienen ihn vorderhand nicht zu beachten. Dafür beschäftigten sich die Ratten mit ihm.
Sie hatten sich merkwürdig schnell bei ihm eingefunden, obschon es bei ihm nicht viel zu nagen gab. Aber eben ihre Genügsamkeit war sein Verdruss. Morgens wenn er vom Bad im Flusse heimkehrte, hing er seinen feuchten Lendenschurz zum Trocknen an einen niedrigen Ast vor seiner Hütte; aber als er von seinem Bettelgange ins Dorf zurückkam, fand er ihn von den Ratten zerfetzt. Er musste sich anderntags im Dorf ein neues Hüfttuch ausbetteln. Ein paar Tage später breitete er den feuchten Lappen nach dem Bade vorsorglich aufs Dach der Hütte zum Trocknen — aber als er aus dem Dorfe heimkehrte, fand er nur mehr ein paar Fetzen. Er war verstimmt und ratlos; wen sollte er schon wieder um ein Tuch bitten — die Bauern hatten ja selber nichts. Trotzdem bettelte er sie anderntags um einen Lendenschurz an und klagte ihnen sein Leid mit den Ratten. Die Bauern hörten ihn an und sagten: „Wer soll dir alle Tage einen neuen Lendenschurz schenken? Halte dir doch einfach eine Katze — dann kommen keine Ratten."
Das dünkte ihn ein guter Rat, und die Katze war leicht beschafft. Die Ratten verschwanden, und die Einsiedelei wurde behaglicher. Der Yogi gewann die Katze lieb, konnte ihr aber nicht viel bieten — woher sollte er Milch für sie nehmen, wo sie schon niemals Fleisch oder Fisch bei ihm bekam? Er ging um Milch ins Dorf, aber nach ein paar Tagen sagte ein alter Bauer: „Heiliger, du bettelst alle Tage um Milch, das kann nicht immer so weitergehen — wer wird dich das ganze Jahr mit Milch versorgen? Lass dir raten: Halte dir eine Kuh, dann hast du Milch genug für dich und deine Katze."
Der Yogi befolgte den Rat, der ihm viel Mühsal zu ersparen versprach. Es gelang ihm, sich eine Kuh zu beschaffen, und er brauchte nicht mehr um Milch betteln gehen. Aber die Kuh brauchte Stroh. Er ging ins Dorf, aber die Bauern sagten: „Rings um deine Hütte liegt so viel Ödland; leg dir doch ein kleines Feld an, dann brauchst du nicht um Stroh zu betteln."
Das leuchtete dem Yogi ein, und er sah den Bauern das Pflügen ab. Seine kleine Wirtschaft wuchs, bald musste er ein paar Feldarbeiter einstellen und eine Scheune für die Ernte bauen. Eins gab das andere: Felder und Scheunen wuchsen, Vieh und Garten wollten besorgt sein — eigentlich lebte der Yogi wie ein Bauer auf einem Hofe.
Eines Abends betrat ein fremder Greis das kleine Anwesen. Er maß Vieh und Hühner, Reisscheuer und Stall mit verwunderten Blicken, als habe er dergleichen nie gesehen oder wundere sich, sie hier zu finden. Er wandte sich an einen, der daherkam — es schien der Besitzer zu sein, und fragte ihn lächelnd: „Hat hier nicht einmal ein Yogi in seiner Hütte gelebt? Kannst du mir sagen, wo der hingekommen ist?"
Der andere blickte ihn an und erkannte ihn jählings; er blickte wie ein aus wirrem Schlaf Erwachter um sich, fuhr sich mit der Hand über die Augen, blickte an sich selber nieder, sah den Schurz an seinen Lenden, lachte laut auf und sagte schnell und beschämt: „Ich komme mit." Er warf keinen Blick zurück, als er dem Alten folgte, der sich mit einem unmerklichen Lächeln in den Augen zum Gehen wandte.
Siehe auch
- Heinrich Zimmer
- Indische Geschichten
- Bettler
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- Einweihung
- Geruch
- Gopala
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Literatur
- Heinrich Zimmer: "Weisheit Indiens. Märchen und Sinnbilder" 1938, L.C. Wittich Verlag, Darmstadt.