Fisch: Unterschied zwischen den Versionen
Shanti (Diskussion | Beiträge) Keine Bearbeitungszusammenfassung |
|||
Zeile 48: | Zeile 48: | ||
Dieser Abschnitt stammt aus dem Buch "Yoga Asanas" von Swami Sivananda [http://sivanandaonline.org/public_html/ ''Divine Life Society, Sivananda Ashram''] | Dieser Abschnitt stammt aus dem Buch "Yoga Asanas" von Swami Sivananda [http://sivanandaonline.org/public_html/ ''Divine Life Society, Sivananda Ashram''] | ||
==Der Brauch der Fische== | ==Der Brauch der Fische== |
Version vom 30. September 2013, 11:50 Uhr
Der Fisch (Sanskrit: मत्स्यासन matsyāsana n.), auch Matsyasana, ist eine Asana im Hatha Yoga. Der Fisch ist die vierte der 12 Grundstellungen der Yoga Vidya Reihe und eine befreiende und stark öffnende Asana.
Wirkungen des Fisches
Körperlich
Der Fisch harmonisiert dieSchilddrüse. Der Fisch schafft Abhilfe bei verspannten Schulter- und Rückenmuskeln, die eventuell im oder nach Sarvangasana fühlbar geworden sind. Der Fisch erhöht die Lebenskraft und beseitigt Steifheit im Lenden- und Halswirbelbereich. Der Fisch stärkt die obere Rückenmuskulatur und hilft gegen Rundrücken. Emotionelle Spannungen, die sich oft um Herz und Solarplexus legen, werden abgebaut.
Gedehnte Muskeln: Pectoralis (Brustmuskeln), Halsmuskeln Gestärkte Muskeln: Trapezius (Kaputzenmuskel), Longissimus (Rückenstrecker), eventuell Latissimus (Breite Rückenmuskeln) und Bizeps (Armbeuger).
Energetisch
Stark aktivierend, öffnend
Angesprochene Chakras
Geistig
Der Fisch hilft, das Herz zu öffnen und emotionale Spannungen zu lösen, die sich oft auf Sonnengeflecht und Herz legen. Der Fisch gibt ein Gefühl der Freiheit, der Offenheit und der Freude.
Swami Sivananda über den Fisch
Da diese Asana einem dabei helfen wird, mit Plavini Pranayama leicht auf dem Wasser zu schweben, wird sie Fischstellung oder Matsyasana genannt.
Methode
Breite ein Tuch aus und setze Dich in Padmasana und zwar so, dass Du den rechten Fuß über dem linken Oberschenkel und den linken Fuss über dem rechten Oberschenkel hast. Dann lege dich flach auf den Rücken. Entspanne Deinen Kopf auf den überkreuzten Unterarmen. Das ist eine Variante.
Strecke und dehne den Kopf so nach hinten, so dass die Krone des Kopfes auf der einen Seite fest auf dem Boden ruht und am anderen Ende nur die Sitzbeinhöcker. So machst Du eine Brücke oder eine Art Bogen, die aus dem Rumpf entsteht. Lege die Hände auf den Oberschenkeln ab oder greife die Zehen mit den Händen. So wirst Du Deinem Nacken eine intensive Dehnung geben. Diese Variante ist wirkungsvoller als die Vorherige. Der Nutzen, den Du aus dieser Variante ziehen kannst ist um das hundertfache höher als der aus der zuvor beschriebenen.
Zu Fettleibigkeit neigende Personen mit dicken Waden, die es schwierig finden Padmasana (Fußverschluss) einzunehmen mögen einfach zunächst in einer ganz gewöhnlichen Sitzhaltug verbleiben und dann die Asana üben. Übe zuerst Padmasana. Halte sie fest, leicht und beständig. Dann gehe in den Fisch über. Am Anfang halte diese Asana für 10 Sekunden und steigere Dich auf 10 Minuten.
Um aus der Asana zu kommen, befreie langsam Deinen Kopf mit der Hilfe der Hände und richte dich auf. Danach löse den Fußverschluss.
Diese Asana musst Du im Anschluss an Sarvangasana üben. Sie wird die Steifheit im Nacken lösen und jedweden krampfartigen Zustand im Hals-Nackenbereich, der durch das lange Halten Sarvangasanas entstanden sein kann, lösen.
Das wird Dir zu einer natürlichen Massage verhelfen indem die verstopften (verspannten) Bereiche des Nacken- Schulterbereichs regelrecht sanft geknetet werden. Darüber hinaus kannst Du so den größten Nutzen aus Sarvangasana ziehen. Die Asana ergänzt Sarvangasana. Wenn Kehlkopf oder Kehle und Luftröhre auf diese Weise weit nach oben hinten geöffnet sind, hilft dies tief zu atmen. Die Lungenspitzen die direkt hinter und über dem Schlüsselbein angesiedelt sind (umgangssprachlich dem Halsknochen) erhalten so angemessen Luft und werden ausreichend mit frischem Sauerstoff versorgt. Die den Hals betreffenden Nerven und die oberen dorsalen Nerven werden mit einer guten Menge Blut versorgt und in angemessener Weise angeregt. Die endokrinen Drüsen, nämlich die Hirnanhangdrüse und die Zirbeldrüse, die sich im Gehirn befinden werden so stimuliert und angeregt. Diese Düsen spielen eine wichtige Rolle beim reibungslosen Funktionieren der verschiedenen physiologischen Systeme des Körpers.
Nutzen
Der Fisch ist der Zerstörer vieler Krankheiten. Die Asana beseitigt Vestopfung. Sie hilft bei der Verdauungsregulation. Bei Asthma, Tuberkulose, chronischer Bronchitis, usw. ist sie, aufgrund der tiefen Atmung nützlich.
Dieser Abschnitt stammt aus dem Buch "Yoga Asanas" von Swami Sivananda Divine Life Society, Sivananda Ashram
Der Brauch der Fische
Aufsatz von Heinrich Zimmer aus seinem Buch "Gesammelte Werke", Band 5: Indische Sphären 1963 erschienen im Rascher Verlag Zürich
Altindische Politik und der Geist des Abendlandes Schöpfer und Hüter der Doktrin altindischer Politik sind weniger die Könige, zu deren Nutzen sie geprägt ist, vielmehr ihre Räte und Kanzler, Brahmanen, Angehörige der obersten Kaste, die das magische und weltliche Wissen verwaltet, soweit es Ansehen genießt, die Zauberer und Gehirnmenschen altindischer Kultur. Das sind Theologen besonderer Art, Zauberpriester, die im Glauben an die Allmacht ihres Rituals mit dem ursprünglichen Schrecken der Menschen vor Göttern und Dämonen fertig geworden sind; ihr Wissen steht als beherrschende Kraft so anerkannt in ihrer Welt, wie bei uns die Wissenschaft. Im Umgang mit dem Dämoni¬schen, das sie überlistet, dem Göttlichen, das sie zur Wirkung rufen, haben sie das Grauen verlernt; wovor Gefühl erschrickt, Moral sich empört, kann ihnen an dem Ort, wo es zu Haus ist, nicht leicht unnatürlich erscheinen. Sie haben den Schwachen stark gemacht und ihm Sicherheit gegeben: Dem Menschen gegen die Übermächte ringsum, so kennen sie das Geheimnis, wo der Starke schwach und zu treffen ist und wie der Ohnmächtige sich behauptet. Als Ritualisten wissen sie um das richtige Vorgehen im einzelnen, was jede Situation besonders fordert, denn das Dämonische ist das Unvorhergesehene schlechthin und sie haben es überlistet. Als Hüter aller Tradition wachen sie über einer starren, zeremoniellen Lebensformung, wie sie magisch gebundenen Kulturen eigen ist, über einer sittlichen und sozialen Ordnung, die gläubige Unterwerfung, Opfer und rituelle Erfüllung verlangt und, auf sich selbst als Ganzes gerichtet, das Glück des Einzelnen nicht in ihr Blickfeld zieht; sie sind die gültigen Verwalter jener Inhumanität, die von archaischen Kulturen untrennbar scheint und in In-dien die allgemeine Wesensliebe des Buddhismus wie einen leuch-tenden Schlagschatten ihrer dunklen Gestalt hervorgebracht hat.
Volkstümliche Lehrbücher der Politik, das bekannte «Pantschatantra» oder «Hitopadescha» — die «Unterweisung in dem was frommt» — geben die politische Doktrin in Form von Tierfabeln. Es ist bezeichnend für das Wesen altindischer Politik, daß ihre Lehre keinen Trennungsstrich zieht zwischen der politischen Sphäre und dem Reich der Natur. Das Leben der Tiere untereinan-der, in Feindschaft und Überlistung, daß eins des andern Beute ist und ihm zu entkommen sucht, daß Schwache gegen den Stärkeren vereint mit ihm fertig werden können, — diese grausame Unschuld des Lebens, das sich fristen will, indem es einander ver-schlingt, ist das unmittelbare Abbild der politischen Welt. Lehren, die sich aus der grenzenlosen Insekurität, der Preisgegebenheit und Erbarmungslosigkeit des natürlichen Daseinskampfes ziehen lassen, gelten uneingeschränkt für die Sphäre der Politik. Aber auch die Grenze der politischen Doktrin gegenüber der allgemeinen Lebensklugheit bleibt offen, eine «Unterweisung in dem was frommt» wendet sich offenbar an alle; aus dem Verhalten der Tiere untereinander mit Kampf und Bündnis, List und Gewalt kann jeder lernen. So sind diese politischen Lehrbücher in Tierfabelform — ursprünglich schon in usum delphini gemeint — schließlich zu Schulbüchern der sanskritkundigen oberen Stände geworden und Allgemeingut wie Reinke Vos bei uns und wie ihre Nachbildungen bis zu Lafontaine und Gellert.
Indien hat aus seiner Sprache keinen besonderen Ausdruck entwickelt, der unserem Wort «Politik» entspräche, — kein Wort, das sich vom Begriff des Gemeinwesens, wie der antiken Polis, herleitet und nachträglich in allgemeinerer Funktion auch für das geschickte Verhalten des Einzelnen in unpolitischer Situation gebraucht werden kann; umgekehrt heißt das indische Wort für Politik einfach «Führung» (niti) als Inbegriff klugen Verhaltens und ist aus weltweitem Anwendungsbereich, aus der Sphäre der Tiere und Menschen auf den eigentlichen Bereich der Politik, den Staat, verengt. Hier kann es zusätzlich «raja-niti», «königliche Führung», oder «danda-niti» d. i. «Handhabung des Stockes» heißen, denn der Stock (danda) ist in Indien das Zeichen richterlicher Gewalt und Strafe. Der König trägt ihn wie der richtende König der Toten; er schafft Recht und erhält die Ordnung. Politik als rechte Führung des Königs, als Lehre, wie er sein Amt zu führen hat, um es sich zu wahren, und wie er mit dem erhobenen Stock der Strafe die sich selbst zerreißenden Mächte des Daseinskampfes in Bann hält, ist also nur ein Sonderfall allgemeinsten Wissens um die Technik der Selbstbehauptung.
Der König bedarf dieser Lehre am meisten; bei aller Machtfülle, die sein Amt umgibt, ist er in seiner Person gefährdeter als andere Menschen und ist, wie sein Abbild im indischen Schachspiel, zugleich eine allseits abhängige und nicht sehr schlagfähige Figur. Zwei Zonen, in denen die allgemeine Gefährdung alles Daseins gesteigert erscheint, durchdringen einander in der politischen Lehre: Die Situation des Königs, einsam an der Spitze des Staats und im Kreise bedrohender Nachbarn, und die Situation des Tiers, preisgegeben in der Wildnis, — die eine ist der praktische Gegenstand der Lehre, die andere gibt ihr den beispielhaften Hintergrund. Darin liegt dann die allgemeinere Funktion der besonderen politischen Lehre: sie ist ganz auf die Staatsform und Problematik des Despotismus gemünzt, aber am Bilde dieses Grenzf alles zeigen sich die Prinzipien der Sicherung und Machtausweitung überhaupt verschärft wie unter einer Linse und dienen auch denen zur Lehre, die innerhalb des sozialen Gefüges durch Recht und Sitte geschützter sein mögen.
Die Staatsform, der die politische Lehre gilt, ist der indische Despotismus, wie er seit dem 6. Jahrhundert v. Chr., etwa seit Buddhas Zeit, geschichtlich greifbar wird, — eine gnadenlose Form der Monarchie. Kein Charisma des Bluts, keine gottpriester-liche Funktion rückt diese Könige über die anderen Menschen hinaus als unantastbar. Zwar das monarchische Prinzip steht über allem Zweifel; mit dem ganzen sozialen Gebäude, dieser reichen pyramidalen Gliederung in Kasten, einer äußersten Funktionsteilung der Stände nach gestuften Tabus ritueller Reinheit, mit dem ganzen magischen Zeremonial des Lebens, das jedem Menschen nach Geburt, Geschlecht und Lebensalter Genauestes auferlegt und verwehrt, nur scharf Umrissenes offenläßt, und selten darunter ein Moment der Wahl, — mit der ganzen Starre einer archaischen sakramentalen Kultur ist auch das Königtum als unerlässlicher Hüter dieser gesamten Ordnung gesetzt. Aber es untersteht der naturgegebenen, gottoffenbarten Tradition, — daß diese von allen in erfüllte Lebensordnung umgesetzt werde, ist sein Wächteramt. Traditionsgebunden, ohne schöpferisches Prinzip, hat kein indischer Herrscher von sich her die Autorität besessen, das geltende Recht zu kodifizieren und neu zu prägen, wie Hammurabi oder Justinian oder die Neubegründer chinesischer Kaiserhäuser.
Als Person scheint der König auswechselbar wie nur einer in seinem Amt. Höher als er, zu Kritik und Tadel bereit, reizbar in ihren Vorrechten und ihrer überlegenen Würde, stehen Brahma-nen und Asketen, — hier zahlreiche und verstreute Träger des gotthaften Fluidums, das anderwärts die Pharaonen, der Sohn des Himmels, der Mikado auf ihr eines Haupt versammeln, — gefähr-liche wie unentbehrliche Walter priesterlicher Funktionen und magischer Kräfte, menschhafte Verleiblichung des Übermenschlichen. Mit solchen Gestalten der Priester und Seher, Asketen und Heiligen senkt eine unsichtbare Rangordnung kosmischer Typen, auf deren ungreifbaren Rängen Götter und Übermächte thronen, ihre Wurzeln rings in die sichtbare Welt, — schon durch die Tat-sache der Seelenwanderung, die Tier und Bettler morgen zum Gott erhöhen kann und den König in die Hölle stürzen, die alle Lebens-monaden zeitlos durch alle Sphären hohen und niederen Daseins wirbelt nach der Reinheit ihres Handelns und Erkennens. Oberer Walter der sichtbaren Welt, steht der König niedrig in diesen Rän-gen; König sein ist eine hohe Chance nur für den, der ganz gebannt aufs Sichtbare schaut. Der Buddha war als Königssohn geboren, das Reich seines Vaters war ihm gewiß, ja ihm war verheißen, der Traum indischer Könige, Oberherr über alle zu sein, solle sich an ihm erfüllen. Aber er streifte das alles ab, Geschenke und Versprechen des Lebens, um bar und bloß die Welt zu überwinden, statt sie beherrschend, sich an sie zu binden. Was wiegt eine Krone, wenn man den Blick für drüben hat, für das zeitlose Krei-sen in Wiedergeburten, wenn man den besonderen Geschmack des Episodischen am einzelnen Lebenslaufe auf der Zunge schmeckt!
Das einzelne Leben als Episode, Menschendasein eine mittlere Chance zwischen Göttern oben, Tier- und Höllendasein unten, alles im Augenblick Versagte vorstellbar als Chance einer Zukunft oder als schon gekostet in zur Erinnerung umgestülpten Wunschträu¬men, dieses Heut und Hier in seiner Bitternis, Not und Enge entlastet durch die Möglichkeit äußerster Relativierung in Zeit und Raum, — das gibt dem ungemeinen Druck und Zwang des sozialen Gefüges in Indien eine Elastizität bis an die Grenze des Traum¬gebilds, — das ist das wirksamste Ventil, Kräfte, die anderwärts zu politischen Gebilden, Parteien, Bewegungen, zu Revolutionen, politischer und sozialer Neugestaltung sich ballen, ins persönlich Imaginäre zu verpuffen; — dieses indische Lebensgefühl ist wohl der größte unsichtbare Alliierte des Königs, seine Stellung nach innen zu festigen.
Eine tiefe Unlust zu öffentlicher Verantwortung und persönlichem Hervortreten im indischen Charakter hängt damit zusam-men; der längst korrupte Zustand einer ehrwürdigen Ordnung mag offenbar sein, — wer wagte ihn zu ändern? Wer fühlte in seiner episodischen Person das Maß, den zeitlosen Rahmen zu wandeln? Handeln, — davor warnen die Weisen. Handeln ver-strickt in Schuld; Gewalt, ohne die kein Handeln ist, muß man nach dem kosmischen Gesetz der Vergeltung früher oder später erleiden, wie man sie geübt hat. Der erste Schritt ist frei, dann ist man verstrickt; wo endet das Ringen? Aktivität ist wie ein Krieg, man mag ihn vom Zaun brechen, aber nicht enden wann man will. Weil nichts mit dem Tode aus ist, scheint es besser zu dulden als zu streiten. Schlimmes Regiment ist wie böses Wetter: ein Stück Natur, man muß sie ertragen und sucht sich vor beiden zu bergen. Stadt, Landschaft und Stammesart bilden keinen politischen Eigenraum, der von der Doktrin mit seiner besonderen Stoßkraft in Rechnung gestellt werden müßte. Die Vorstellungen, in denen der einzelne sich selbst erlebt, sind unpolitisch, bürgerlich und reli¬giös : Familie, Kaste, Beruf und Sekte. Der Despotismus duldet keine wehrhaften Bürger. Das ist die Sicherheit des Monarchen in Zeiten der Ruhe; in Gefahr von außen ist er auf sich selbst angewiesen und auf seinen Apparat.
Falls nichts an seiner Person und Leistung zu rühmen ist, bleibt er das notwendige Übel, das vor Schlimmerem schützt: die Gewähr der Rechtsordnung, die sich zwischen den Menschen und das Chaos seiner entfesselten Triebe im Daseinskampfe stellt, — die Gewähr, daß dieser Kampf nicht zum reinen Naturzustand in der Wildnis entarte. «Wäre nicht der Stock», heißt es von der Strafgewalt des Königs, «dann gingen die Menschen zugrunde; wie die Fische im Meer fräßen die Starken die Schwächeren auf» — das ist der «Brauch der Fische», die reine Ordnung der Natur, die sich erhält, indem sie sich verschlingt. Im Kampf der Staaten gegeneinander herrscht sie uneingeschränkt, in ständiger Drohung ist der Appa¬rat der Macht gegen die anderen gerichtet.
Der König gilt als Gemahl der Erde, ihr Leib, das Land ist sein eigen. So nimmt er ein Sechstel des Bodenertrags, dazu die gesamte Grubenausbeute der bedeutenden Vorkommen an Gold und Edelsteinen. Regiebetriebe, Krongüter und Wälder, ein dichtes Netz von Steuern und Zöllen, Strafjustiz als Einnahmequelle mit hohen Geldstrafen und Vermögenskonfiskation, — all das pumpt die Kräfte in den königlichen Staatsapparat, erhält Hof, Beamte und Heer, dazu eine Armee inoffizieller Agenten, Spione, Organe. Denn die Atmosphäre dieses Apparats ist Mißtrauen nach innen wie außen. Eine Staatslehre bezeichnet dem König vierzig Formen der Bereicherung bei seinen Organen. «Wer kann sagen, wann die Fische, die im Wasser schwimmen, vom Wasser trinken?» — «Eher kann man den Weg gewahren, den ein Vogel durch die Luft zog, als welche verhohlenen Schliche die eigenen Beamten wandeln.»
Zum Apparat zu gehören ist eine Chance, man ist Nutznießer der Macht, ist ein Teil des Subjekts im Ausbeutungsprozeß des Despotismus. Der Chance entspricht die Gefahr: von Intrigen um-sponnen, der Verleumdung sicher, von Spitzeln umgeben ist die Gunst, die den Bevorzugten trägt, augenblicks widerrufbar und von Laune und Furcht des Höheren überschattet. Sich unentbehrlich machen bleibt eins der Geheimnisse, um zu dauern. Dazu darf man «alle Dinge nur bis auf einen Rest erledigen», sonst wird man überflüssig und versinkt, — wie jene Katze, die sich der Löwe einmal aus dem Dorfe holte, damit sie ihn vor einer Maus in seiner Höhle schütze. Immer wenn er schlief, kam eine Maus aus ihrem Loch und nagte an seiner Mähne, und wenn er sie fangen wollte, entwischte sie. Aber der Kater, der sich von Abfällen seiner Beute nähren durfte, behütete seinen Schlaf. Bis er eines Tages so gut wie in Ungnade fiel, weil er zu tüchtig war. Er hatte die Maus erwischt. Als der Löwe sie nicht mehr rascheln und pfeif en hörte, gab er dem Kater nichts mehr zu essen. Es gilt Schwierigkeiten und Feinde in einem gewissen Umfange zu erhalten; dank ihrer erhält man sich selbst. Es war Wallensteins Unglück bei Lützen, nicht daß er geschlagen wurde, aber daß sein großer Gegenspieler fiel. Sobald der Wiener Hof den Alpdruck Gustav Adolf los war, mußte er in seinem eigenen General, dem Retter, die große Gefahr sehen. «Es gibt keinen geborenen Freund oder Feind», sagt die indische Lehre, «Gelegenheit und Eignung macht Freunde und Feinde.»
Vollkommene Verhohlenheit ist der Umgangsstil dieser Politik, «man trage seinen Feind auf der Schulter, bis man hat, was man will; im rechten Augenblick wirft man ihn ab, daß er zerschellt wie ein irdener Krug am Stein». — «Wer darauf sinnt, was ihm frommt, und einen bezwingen will, tu es bedachtsam. Holt er schon aus, ihn zu treffen, rede er freundlich zu ihm; schlägt er zu, noch freundlicher; hat er ihm das Haupt abgeschlagen, soll er weinen und klagen!» und ein anderes Wort sagt, «glücklich die Könige, die nachts ruhig schlafen!» In dieser prekären Haltung, waffenstarrend, drohend und behutsam tritt der König in den Kreis seiner königlichen Rivalen um die Gunst der Göttin Erde, die jeder allein zu besitzen träumt. Das Schlachtfeld dieses Kampfes, der vorderindische Kontinent, ist von anderem Bau als Europa: eine große gliederlose Masse, durch Ströme quer in sich verbunden, durch Berge nicht eigentlich zerklüftet. Hier liegt die Mehrzahl der Staaten wie Deutschland: rein geographisch hat sie Feinde ringsum, nur einige lehnen den Rücken an Meer und Gebirg, die Ränder des politischen Raums. Daher kommt die politische Standortstheorie, daß der König inmitten eines Ringes von feindlichen Nachbarn sitze, die im Augenblick der Schwäche über ihn herfallen können, — eine Theorie konzen¬trischer Ringe, in deren Mitte er selbst, in deren zweitem Ring die Feinde seiner Feinde, seine natürlichen Bundesgenossen sitzen, und so sich folgend Ring auf Ring einander bedrohende Kräfte, die jeweils den Nachbarn des Feindes als möglichen Verbündeten emp¬finden. Die neuere Geschichte Europas, besonders der Gegensatz Deutschland—Frankreich zeigt, daß hier ein ganz Allgemeines richtig gefaßt ist. Seit Karl V. von den Habsburgern in Spanien und im Reiche umfaßt, sieht Frankreich seinen natürlichen Ver¬bündeten in der Türkei; der Kurfürst von Bayern aber, von Öster¬reichs Nachbarschaft bedroht, fand seinen natürlichen Freund in Ludwig XIV. ; Napoleon mußte Alexander von Rußland zu sich hinüberziehen aus der Koalition mit Österreich und Preußen, mußte ein Polen in ihrem Rücken aufrichten, — die ganze Ententepolitik gehört hierher.
Das Netz politischer Beziehungen und Spannungen ist in die-sem Raume indischer Politik äußerst dicht und kompliziert in wechselseitigen Abhängigkeiten, zugleich höchst unbeständig, denn jeder seiner Faktoren wechselt an Gewicht je nach der inneren Solidität, die vom einzelnen Träger der Macht abhängt. Krieg ist unvermeidlich, als Präventivkrieg bevorzugt und kann fürs Prestige des Königs unerläßlich sein. Aber man ist sich bewußt, wie sehr er Vabanque-Spiel ist, er öffnet dem Unvorhergesehenen nach allen Seiten die Tür, eine verlorene Schlacht entscheidet oft über das Schicksal der Dynastie. Es fehlen zu sehr die patriarchalisch-moralischen Reserven, die z. B. den Habsburgern eine län-gere Serie unglücklicher Kriege erlaubten.
Abfindung des Feindes mit Opfern, Spaltung seines Lagers durch Bestechung, Familienzwist oder Abfall der Bundesgenossen, friedliches Gewinnen durch Verständigung über gemeinsame Interessen, — «säman» genannt nach Zaubermelodien, mit denen man Dämonen einlullt, — sind gleichwertige, weniger riskante Mittel der Politik neben der kriegerischen Entscheidung. Lautlos und hellhörig schlafen wie die Gazelle, furchtbar ausgreifen wie der Löwe, sich stillhalten wie die Schildkröte, die ihre Glieder unter dem Schilde birgt, sich blind und taub stellen, sind wechselnde Verhaltungsweisen, von den Umständen geboten. Man soll den Feind nicht zum Äußersten treiben, Verzweiflung kann unerwartete Kräfte entfalten, und ein verlängerter Krieg ist gewagt, die Gesamtkonstellation kann zu schnell wechseln; — andererseits gilt: «ein Rest von Feind ist wie ein Rest von Feuer oder Schulden, — alle drei wachsen wieder nach». — Überraschung ist das Hauptmoment glücklicher Politik, tiefes Geheimnis die Atmosphäre, Verrat das gewohnte Mittel, Spionage, Bestechung und Intrigen sind die tägliche Abwehr und Vorsorge nach außen wie innen. In allem das Gefühl: wer ist nicht schwach? wer nicht gefährdet? wie verwundbar ist der Starke! wieviel vermögen die Umstände, und wer beherrscht sie, weiß sie voraus? wieviel vermag der Augenblick, wenn ihn der richtige Mann ergreift!
In diesen konzentrischen Ringen großer und kleiner Raubtiere, die einander belauern, umschleichen, in Schach halten, träumt jeder davon, Herr des Ganzen zu werden. Alle anderen sollen, die Häupter neigend, den Schimmer ihrer Diademe in den Nägeln seiner Füße spiegeln, seine siegreichen Kriegselefanten sollen aus allen Meeren trinken und die Erde ihm nach allen Himmelsrichtungen gehören. Dann wäre auch im Reiche der Politik, wie es in der sozialen Ordnung sein sollte, der Naturstand, der Brauch der Fische, daß der Große den Kleinen frißt, vorüber. Freilich nicht abgeschafft, nur aufgehoben durch das Recht des Stärksten und nur für die Dauer seines Daseins. Ein Friedenstraum der indi-schen Massen, und als solcher immer wieder mythisch verklärt, — aber keine Aufgabe, zu deren Verwirklichung alle aufgerufen wären, kein in die Zukunft weisendes Ideal, das in wechselnden Anläufen immer greifbarere Wirklichkeit werden soll, sondern ein Göttergeschenk von oben, mit kreisender Wiederkehr im Fluß der Zeiten immer wieder einmal möglich, wenn sich die Zeit erfüllt und unter den Menschen ein übermenschlich Hoher, Gewaltiger aufsteht, der mit seinem Stocke der Macht der ganzen Erde den Frie-den der sozialen Ordnung geben kann, weil er die politische Sphäre mit der Einschmelzung alles Gegenraums und seiner Spannungen gänzlich aufgehoben hat.
Indiens politische Doktrin nennt sich «Lehre des artha», — ein Wort, das etwa lateinisch «res» entspricht und die Fülle des Realen meint: Geld und Besitz, Interesse und Zweck. Die Doktrin des artha meint, daß Macht eine materielle Angelegenheit sei : greif-bare Werte aller Art, um aus ihnen das Interesse all der Menschen zu speisen, die der Despot als seine Organe an sich fesselt. Das Moralische wird dabei scharf gesehen: nicht als ein Übergeordnetes, Grenzenziehendes, sondern als unentbehrliches Ingrediens, als Forderung des Fürsten an sich selbst, anderen und sich selbst überlegen zu sein an Selbstbeherrschung und Leistungsfähigkeit, wie er überlegen sein muß an Charme und List. Erbarmungslosigkeit und Kraft, sich einzusetzen. Es wird ferner gesehen als unentbehrliche Beimischung der Macht, sie erträglicher zu machen in der Brutalität ihrer Sicherungsmaßnahmen, es ist das Öl. Moral ist einkalkuliert als Wirkungsmittel: soweit wie möglich das Zere¬moniell ihrer Formen ehren, das stärkt die Moral der anderen und verschleiert die Drohung.
Aber die ganze Doktrin durchzieht eine leidenschaftliche Polemik gegen das Vorrecht der Moral, die Handlungsweise des politi-schen Menschen entscheidend zu leiten. «Dharma», das Sittengesetz, das alle Untertanen unter sein Gebot beugt, dessen beu-gende Kraft in Wirkung zu halten das Amt des Königs ist, — dharma kann für den König selbst nur bedingte Geltung haben; artha, sein existenznotwendiges Interesse, muß ihm höher stehen. Wie der vollendete Heilige jenseits von Gut und Böse steht, dem Spiel der Welt enthoben, und Worte wie Schuld und Unschuld ihren Sinn an ihm verloren haben, muß der König, um sich in seiner Funktion zu behaupten, jeden Augenblick jenseits der Sittenord-nung treten können und ganz auf seine Selbstbehauptung sehen. Dazu ist jedes Mittel recht, denn sich behauptend dient er dem Ganzen, erhält er die Ordnung, mit seinem Sturz droht das Chaos des Daseinskampfs ohne Grenzen. Diese Doktrin schaut ganz aufs Sichtbare. Mit gereiztem oder überlegenem Ton erwehrt sie sich des Gewölks moralverquickter Metaphysik, das die indische Atmosphäre füllt: der Lehre der Seelenwanderung und Vergeltung; ein verlorenes Lehrbuch, aus dem zitiert wird, nennt die Veden, die höchste Autorität brahma-nischer Orthodoxie in weltanschaulichen Dingen, «Schwindel»; es meint, «werden Weltlauf kennt, weiß: das dient nur der Vernebe-lung». Der Träger politischer Macht wird erzogen, bewußt und gewaltsam abzusehen von dem, was alle andern binden soll, vom theologisch-moralischen Element, das die Massen beherrscht. Denn die Doktrin der Politik ist in ihrer Zuspitzung auf den politischen Menschen wie alles Lehrgut in Indien eine Lehre für Eingeweihte oder Spezialisten.
Wie Arzt und Priester, Zauberer und Handwerker im Besitz ihrer besonderen geheimen Lehre sind, um ihrem Stoff gewachsen zu sein, so ist der Politiker, der Fürst der Eingeweihte in die Lehre der Macht. Solche Wissenslehren sind Göttinnen und verlangen eifersüchtig, daß man sich ihren besonderen Geboten gänzlich unterwirft. Wer der Macht dienen will, daß sie ihm diene, ver-schreibe sich ihr ganz, sonst wird er sie gar nicht bewahren kön-nen. Dem Ganzen notwendig als Hüter der Ordnung, kann der Fürst der Notwendigkeit seines Amts nur genügen, wenn er sein besonderes Gesetz, Macht unter allen Umständen zu wollen, aus-schließlich erfüllt. Damit löst sich für ihn und auch für die Augen der anderen der Zwiespalt zwischen Macht und Sittenordnung : die Macht zu wollen unter allen Umständen ist die besondere Moral des politischen Menschen; was den unpolitischen schuldig macht, ist sein Gebot, ist die Erfüllung seiner Idee, seiner besonderen Funktion im Spiel des Ganzen.
Indiens politische Doktrin ist wie Indiens ganze Weltansicht un¬sentimental, naiv zynisch; der politische Bereich ist angesehen mit dem unmenschlichen Auge der Natur. Erst die Griechen haben den Menschen für uns als etwas Besonderes entdeckt, als dieses Tier mit Humanität, und mit ihm das sentimentale Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zur Menschheit. Seitdem sind Senti¬mentalität und zynische Selbstbehauptung die beiden Pole, zwischen denen die politische Willensbildung des Abendlandes spielt. Die Sentimentalität ist vom Zynismus her leicht zu belächeln, und doch ist sie das Plus, das den christlich-modernen Menschen, den Abendländer, seit dem Hellenismus von der archaischen Haltung des Menschen scheidet, die Alt-Indien und Ostasien verkörpern. Sie fügt der politischen Weltansicht eine ganze Dimension hinzu. Das Reich der Natur, der «Brauch der Fische», die einander fressen, ist zeitlose Gegenwart, Zustand schlechthin, wird erlitten und ausgeübt, zynisch konstatiert oder metaphysisch überwunden, Stagna¬tion ohne Dynamik; die sentimentale Humanität aber trägt den menschlichen Willen, diesen Aggregatzustand des Ganzen zu wandeln, wie ein Ferment hinein, — den Willen, der in eine Zukunft weist und um ihre Gestaltung ringt. Sie bringt die Idee der Mensch¬heitsgeschichte, daß es so etwas gäbe: eine besondere Menschheits¬geschichte, die sich als einmaliges Epos über die Bindungen des zeitlos kreisenden Naturstandes erhebt.
In dieser Humanität steckt ein neuer Sinn für das Ganze der politischen Welt und eine Verantwortung für dieses Ganze. Es ist nicht mehr nur ein Schauplatz streitender Kräfte, ein Gesamtraum ichbesessener Mächte, die sich vielleicht auf Zeit von einer zen¬tralen Übermacht bändigen lassen, sondern dieses Ganze ist wie unser eigenes großes Ich, für das wir alle verantwortlich sind, und soll eine Einheit werden, in der keiner verloren ist.
Diese westliche Idee des Ganzen ist das Erbe des Imperium Romanum mit seiner Fiktion, den ganzen bewohnten Erdkreis umgreif end zu befrieden. Über die antiken Staatsbegriffe der Polis und Res publica, die der Selbstbehauptung des Vereinzelten die-nen, über den Begriff des Vaterlandes, den Cicero prägte, hinaus, erhebt sich die Idee der Pax Romana, des Römischen Weltfriedens mit universaler Geltung. Die politische Schöpfung des Augustus findet ihre ideelle Interpretation durch Vergil, den großen senti-mentalen Dichter der Antike. Aneas, der den Keim des römischen Weltreichs pflanzt, vernimmt, ins Schattenreich hinabgestiegen, aus Anchises' Munde im Elysium den göttlichen Auftrag, den die Weltgeschichte Rom bereithält, «parcere subiectis et debellare superbos» — «die Unterworfenen gnädig zu regieren und die Widerspenstigen in Kriegen zu bezwingen». Hier hat die Macht, auf der Höhe ihrer Expansion einhaltend, in ihrer vereinsamten Größe erschauernd, den Drang, dieses Wunder an Kraft, das sie nach dem Brauch der Fische in Selbstbehauptung und Verschlin¬gen geworden ist, nicht nur als Zustand zu genießen, sondern als Aufgabe zu begreifen und sich darin zu verklären. Das ist ein Moment, den die jeweils größte Macht im Westen immer wieder er-reicht, sie begreift sich als verantwortlich für ein Werdendes, zu Gestaltendes; so die Kirche, ihrer Idee folgend wie als geistliche Erbin des Imperium Romanum, mit ihrer Weltmission; aber auch der Engländer in der weltlichen Formel von «the white man's bur-den», von der Verantwortung des weißen Mannes, die christliche Zivilisation in Verwaltung der Erde planetar zu machen, die ande-ren Rassen zu westlicher Humanität zu erziehen.
Ethisches Pathos und objektive Ironie umfunkeln diese Formel. Aber das Verantwortungsgefühl für das Ganze als eine zu entwik-kelnde Größe oberhalb des nur gebändigten Naturstandes ist mehr als bloße Maskierung des Machtwillens, sich selber annehmbar zu machen. Daß er die Notwendigkeit empfindet, sich zu rechtferti¬gen, ist das Besondere an ihm, — dieses Gewissen, daß er zur Macht nicht einfach Ja sagen kann, wie ein Löwe zu seiner Pracht, sondern daß er sie als verpflichtend für das Ganze nehmen muß, daß sie ihm selber Grenzen setzt. Von den Beherrschten und Bedrohten aus kann das als große Verlogenheit wirken, und der Mächtige, der sich durch Macht verpflichtet fühlt, sieht sich ungern an sein Glück erinnert, Subjekt der Politik zu sein und entsprechend im Genuß der größeren Fülle. So erscheint der koloniale Imperialismus den Ausgebeuteten und Bedrohten als «höhere» Verlogenheit, der Westen mit seiner humanen Moral als das verlogene Raubtier neben dem immoralistisch-naiven des Ostens, das nur verschlagen ist, grausam mit gutem Gewissen. Das Mittelalter lebt mit Entschiedenheit von der Ideologie eines Ganzen, für das alle verantwortlich sein sollen, daß es in sich den Naturstand überwinde; die Mythe der Christenheit soll einen Frieden im Innern schaffen und die Wut der Fische nach außen lenken, die Kreuzzüge sind ein sichtbarer Versuch einer solchen Zusam¬menfassung der sich selbst zerfleischenden Kräfte gegen den ideel¬len Feind. Aber Friedrichs II. orientalisierende Despotie in Sizilien, mittelalterlicher Wegbereiter fürstlicher Tyrannis bis in den Ab¬solutismus hinein, rehabilitiert mit ihrer Doktrin die reine Geltung des Brauchs der Fische, wie ihn dann Machiavell für seine Zeit konstatiert.
Man hat die indische Lehre gern mit Machiavell verglichen, aber gerade sein «Principe» weist über die reine Zuständlichkeit sich selbst zerfleischender Despotismen hinaus; am Eingang der Moderne schwebt ihm das Ideal der Nation vor, eines in seinen Grenzen geeinten Italiens, ledig der Despoten und fremden Gewalten, die es zerfetzen. Diese Idee eines naturhaft in sich befriedeten Ganzen als nahe reale Möglichkeit von selbstverständlicher Dauer hebt Machiavell über die Trostlosigkeit des reinen Naturaspekts hinaus. Die zivilisatorische Mission, auserwähltes Volk zu sein, die der englische Puritanismus dem Alten Testament entnimmt, bringt in weltlicher Form noch einmal eine den Kreuzzügen ähnliche Situation: wieder ist eine Gegenwelt fremder Kultur und Rasse ausge-grenzt, für die dem kolonialen Imperialismus der Brauch der Fische mit gutem Gewissen gilt. Noch einmal, wie schon bei den spani¬schen Conquistadoren, gibt die Mythe der Christenheit mit der Idee einer Ganzheit, die ihren Gegenraum hat, dem expansiven Kräftedrang zu seinem Beutefelde das gute Gewissen einer Mission.
Auch diese Episode ist vorbei, und eine gewisse Aktualität der indischen Doktrin mag darin gefunden werden, daß die Frage auftauchen kann: welcher erdumfassende Mythos könnte heute dem zeitlosen Brauch der Fische als wirkende Idee, ihn verschleiernd und faktisch temperierend, entgegengehalten werden? — Mythen wachsen aus dem individuellen Schicksal einzelner Völker und Kulturkreise; die Erde als Ganzes, wie sie sich jetzt zusammengeschlossen hat, besitzt kein gemeinsames Schicksal, hat noch keinen verbindlichen Mythos. Eine Schwierigkeit der Verständi-gung in Genf, den Brauch der Fische einzuschränken und an Stelle des «artha» einen «dharma» zu setzen, scheint darin zu liegen, daß man an keine gemeinsamen mythischen Urbilder appellieren kann, um Gefühle aufzurühren oder zu bannen, daß man vielmehr die mythischen Erbmassen nationaler Heldengeschichte gegen sich hat, und gegen sie mit rationaler Einsicht und freiwilliger Einschränkung nationaler Egoismen ankommen soll.
Heute ist kein Gegenraum mehr da, in den die Kräfte, die ein-ander expansiv bedrohen, abgeleitet werden könnten mit gutem Gewissen, mit ideologischer Verklärung. Der Vorrang der Christenheit, die Einzigkeit westlicher Humanität sind sich selbst zweifelhaft geworden als Grundlagen eines planetaren Mandats, die Unterworfenen zu erziehen, die Widerspenstigen zu beugen, und haben durch lohnende Geschäfte mit dem östlichen Gegenraum, auf den sie sich beziehen konnten, sich selbst abgedankt. So scheint der Augenblick wieder der zynischen Natursicht recht zu geben; die Ironie gegen die Konferenzler mit ihrer Hochspannung zu tagen, — diese fischgläubige, wehrgläubige Ironie scheint berechtigt, — auch angesichts der Ruhe und Schnelligkeit, mit der sich fürs allgemeine Bewußtsein das Grab über der frischen Katastrophe schließt, und angesichts der Gelassenheit weithin, mit der sie nur als Vorspiel und Probe künftiger, viel gründlicherer Zerstörungen emp¬funden wird.
Aber es scheint undenkbar, daß das Prinzip der Humanität, diese eigentliche Geburtsakte des Abendlandes verschwände, diese folgenreichste Erfindung der Griechen, an der das rationale menschbezogene Weltbild mit all seinen Erfolgen der Erd- und Stoffbeherrschung, als ihre greifbarste Konsequenz, hängt, — daß es verschwände, auch wenn es einer ganz verwandelten Erdsituation gegenübersteht.
Seine augenblickliche Schwäche, ein höheres Aggregat politischen Lebens als den reinen Kampf der Kräfte heraufzuführen, ist ein Schein — es war allezeit schwach, das liegt in seinem Wesen und gehört zu seiner Stärke. Freilich, wenn der Brauch der Fische, von ihm aus gesehen, manchem als reiner Atavismus erscheint, der durch Vernunft und Güte überwindbar wäre, so gilt die psychologische Einsicht, dass unsere stärksten, tiefsten Atavismen zeitlos sind, daß sie immer wieder zur Herrschaft kommen in Affekten und hemmungslosen Entladungen, wenn die Lage des Menschen kritisch wird. Er greift auf sie zurück, ihre dämonisch-explosive Substanz wird seine Kraft und Rettung; auf Zeit durch Disziplin gemeistert, im Gleichlauf erträglicher Tage als entbehrlich und störend zurückgedrängt, sprengen sie den Bann errungenen Gleichgewichts im Alarm der Selbstbehauptung.
Aber darin, daß Verständigung statt Kampf nur eine Idee ist ohne greifbare Drohung, liegt ihre Stärke; darin, daß der Brauch der Fische keinen vagen Gegenraum mehr findet, sich auszuleben mit gutem Gewissen, wenn er im anerkannten Ganzen gebannt sein soll, — in der planetaren Einheit des politischen Kraftfeldes, die kein Ventil mehr hat, liegt der neue Ernst der Situation : ein objektiver Zwang zur Verantwortung für dieses kollektive Ganze, der früheren Jahrhunderten mit der luftigen Elastizität ihrer Räume abging. Die Idee einer Ordnung jenseits des Brauchs der Gewalt läßt sich heute nicht mehr im Transzendenten verankern wie im Mittelalter; sie muß sich praktisch-rational und ganz unmystisch geben: darin liegt ein Stück Unmöglichkeit, daß sie dem Brauch der Fische nur zur Verschleierung diene und als ideologischer Wunschtraum über einer chaotischen Wirklichkeit schwebe. Daß sie ganz auf den Nutzen, das greifbare Reale, also auf «artha» aus ist, könnte dem fischgläubigen Zyniker, der nur an artha, an sein Interesse glaubt, zu denken geben. Die Frage, wieweit Recht den Naturstand imprägnieren kann, hat eine langsam schleichende Geschichte, deren Linie Einbrüche zeigt, aber eine Richtung wahrt im Sinne wachsender Organisierung des gesamten Zivilisationsganges, und dem Politiker, auch wenn er die Rechtsform rein als Kampfmittel der Macht gebrauchen muß, ist die Macht der Idee des Rechtes gegenwärtig. Soweit sich Recht nicht in Organisation des Wirklichen erfüllen kann, weil die dämonischen Kräfte die stärkeren bleiben, wirkt es als die große Fiktion, als Erfindung über dem unausweichlichen Schicksal; auch wenn es von ihrer Gewalt ironisiert wird, wirkt es als die Idee, die über die Not des Augenblicks Aufgabe setzend in die Zukunft weist; und Politik im großen, wie Indien sie nicht gekannt hat, weiß, daß die waffenlosen Ideen so starke Dämonen sind, wie die sich selbst zerreißenden Kräfte des reinen Naturstandes. Sie sind die zögernden Genien, denen nicht zu opfern den Naturstand heraufrufen heißt, der nach seinem Gesetze den verschlingen muß, der sich ihm verschreibt.
Weblink
Literatur
- Indische Sphären von Heinrich Zimmer, Rascher Verlag Zürich und Stuttgart, 1963, 2. Auflage