Retter im Lotussitz - Welt am Sonntag 29.9.2013
Retter im Lotussitz ist der Titel eines Artikels in der Zeitschrift "Welt am Sonntag", der am 29.9.2013 erschienen ist. In diesem Zeitungsartikel geht es um den Kurort Bad Meinberg, um den Niedergang des Kurortes 1996-2013, um die Vision "Yogastadt Bad Meinberg", um das Bad Meinberger Marketing Konzept Yoga, Moor und Externsteine und darum, wie Bürgermeister und Bürger von Bad Meinberg zu Yoga Vidya in Bad Meinberg stehen. Und es geht um Sukadev Volker Bretz, der in diesem Artikel plakativ als erhoffter "Retter im Lotussitz" bezeichnet wird. Der Artikel ist erschienen sowohl in der "Normalausgabe" der Welt am Sonntag als auch in der Kompaktausgabe. In der Normalausgabe ging der Artikel über 2 Seiten mit der Überschrift "Retter im Lotussitz". In der Kompaktaussage umfasste der Artikel 3 Seiten, hatte andere Bilder und die Überschrift: "Erleuchtung in Ostwestfalen".
Hier also der Artikel - der Originalartikel ist/war zu finden unter http://www.welt.de/print/wams/wirtschaft/article120484840/Retter-im-Lotussitz.html
Retter im Lotussitz
Artikel aus der "Welt am Sonntag", 29.9.2013
Seit die klassische Kur von den Kassen nicht mehr gezahlt wird, stecken deutsche Heilbäder in der Krise. Das einstmals reiche Bad Meinberg glaubt nun, eine Marktlücke gefunden zu haben: Es will zur Yoga-Stadt werden. Von Steffen Fründt
Yoga auf der Kirmes
Frauen im Dirndl, Kerle in Lederhosen. Karussells, Kapellen und fässerweise Bier. Das Oktoberfest ist nicht nur in München, sondern auch im ostwestfälischen Bad Meinberg der alljährliche Höhepunkt des Dorflebens. Doch diesmal ist etwas anders. Am Tag der Eröffnung drängen sich knapp 200 Bürger an langen, festlich eingedeckten Biertischen und machen ernste Gesichter. Durch das Schützenzelt tönen nicht die vertrauten Klänge der Marpetaler Blaskapelle, sondern klingt die Stimme eines jungen Mannes mit kurz geschorenem Haar und verwaschen-grauem Halstuch. Er spricht von unschönen Dingen. Überalterung, Leerstand, Abwanderung. Probleme, die die Bad Meinberger nur zu gut kennen. Und die Lösung, so die Quintessenz des Redners, sollen nun Leute wie er selbst sein. Yogis. Ausgerechnet. Eine Welle der Euphorie lösen die Worte nicht gerade aus.
Kurstadt Bad Meinberg
Bad Meinberg am Rande des Teutoburger Waldes hat fast alles, was es für ein staatliches Heilbad braucht. Das Moor als natürliches Heilmittel, die Externsteine als touristischen Anziehungspunkt. Große Kurkliniken und einen gepflegten Kurpark mit See, weiß lackierten Sitzmöbeln und der unvermeidlichen Konzertmuschel. Es fehlt bloß eine Kleinigkeit: die Kurgäste. Seit die Kassen die klassische Kur nicht mehr zahlen, kommen sie nicht mehr, die Ausgebrannten und Erschöpften, die jahrzehntelang etwas Leben und viel Geld nach Ostwestfalen gebracht hatten. Die Übernachtungszahl stürzte von einstmals einer Million auf 300.000 ab. Der mit Kassengeld und Kurtaxe reich gewordene Ort fiel nach der Gesundheitsreform schlagartig in einen Dornröschenschlaf. Und ist anders als andere Heilbäder bis heute nicht wieder daraus erwacht.
Yogastadt Bad Meinberg
In der weitläufigen Parkanlage verliert sich an diesem Montag im September keine Menschenseele. Das Kurgastzentrum wirbt vergeblich mit Kaffee und Kuchen. Auch die kleine Einkaufsstraße ist verwaist. Das Café am Kurpark und die "Kajüte" haben erst gar nicht geöffnet, und bei "Steffi Moden" langweilt sich das Verkaufspersonal. In Bad Meinberg ist so wenig los, dass eine Besucherin schon sarkastisch die Installation von Bewegungsmeldern an den Straßenlampen vorgeschlagen haben soll. Das ist nicht geplant. Doch die Maßnahme, die die Stadtväter von Horn-Bad Meinberg stattdessen erwägen, erscheint manchen Alteingesessenen nicht weniger abwegig: Bad Meinberg soll möglicherweise bald zur "Yoga-Stadt" erklärt werden.
Der Bürgermeister zur Yogastadt
"Wir brauchen ein Alleinstellungsmerkmal", sagt Eberhard Block in seinem Bürgermeisterzimmer. Bad Nauheim habe die medizinische Kompetenz und die Scheichs aus den Golfstaaten, Bad Kissingen habe sich auf China spezialisiert, Norderney laufe als Inselbad ohnehin außer Konkurrenz. Aber Bad Meinberg? "Unser Alleinstellungsmerkmal", sagt der Bürgermeister mit einem leichten Seufzer, "ist nun mal Yoga ."
Sukadev Volker Bretz und Yoga Vidya in drei ehemaligen Kurkliniken
Weil es in Bad Meinberg keine kasseneigenen Kliniken gab, sondern nur sogenannte Beleghäuser, wurde der Ort besonders hart von der Reform getroffen. Von den einstmals sechs großen Kurkliniken mussten vier schließen. 1500 Vollzeitjobs fielen weg – schwer zu verkraften für einen Kurort mit nicht mal 5000 Einwohnern. Der Versuch, ein großes Tinnituszentrum aufzubauen, blieb auf halber Strecke stecken. Leerstand grassierte, die verwaisten Klinikgebäude drohten zum verrottenden Denkmal fetterer Jahre zu werden. Doch dann kam ein bescheiden lächelnder Mann aus Frankfurt und lehrte die Meinberger, die Dinge mit anderen Augen zu sehen. "Herr Bretz erkannte in dem Gebäude der Silvaticum-Klinik eine siebenstufige Chakra-Pyramide", berichtet der Bürgermeister und runzelt nur ganz leicht die Stirn. "Das wird auch wirklich, ähm, verspürt." Volker Bretz entstammt einer Unternehmerfirma aus Rheinhessen, Möbelbranche. Sein Intelligenzquotient soll 160 betragen, mit 20 Jahren hatte er ein abgeschlossenes BWL-Studium. Dann ging er ins Ausland zu einem berühmten Yogi in die Lehre und kehrte irgendwann als "Sukadev" Bretz nach Deutschland zurück. "Das bedeutet ,Engel der Wonne'", erklärt Bretz, der heute 50 Jahre alt ist und im Lotussitz auf einem Bürodrehstuhl im Erdgeschoss der "Chakra-Pyramide" sitzt. Für nicht einmal eine halbe Million Euro hat er das ehemalige Klinikgebäude und später noch zwei Nachbargebäude gekauft und auf 49.000 Quadratmeter Nutzfläche ein Yoga-Zentrum aufgebaut, das in Deutschland seinesgleichen sucht.
Nach dem frühmorgendlichen Mantra-Gesang werden in 34 Seminarräumen Bauchatmung und Kopfstand gelehrt, Positionen wie Pflug, Kobra oder Heuschrecke eingenommen. Rund 21.000 Schüler und angehende Lehrer besuchen das Zentrum pro Jahr, schlafen hier und werden bekocht. In einem Shop bekommen sie Matten, Tee, Bücher und Lehrvideos. Der Umsatz des Yoga Vidya e. V. wird mit acht Millionen Euro angegeben. "Yoga ist die viertbeliebteste Sportart nach Laufen, Radfahren und Schwimmen", erklärt Unternehmersohn Bretz. "Es ist deshalb auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor."
Auf jeden Fall in einem Ort, der sonst nicht viel hat. Die eigenen Angaben zufolge größte Yoga-Einrichtung außerhalb Indiens verbuchte im vergangenen Jahr 85.000 Übernachtungen und ist damit zumindest auf dem Papier die mit Abstand wichtigste Tourismuseinrichtung von Bad Meinberg. Als die ersten Yogis mit ihren wallenden Gewändern eintrudelten, wurden sie von den Ostwestfalen noch misstrauisch beäugt. Auch Bürgermeister Block räumt ein, sich zuerst bei einem Sektenbeauftragten rückversichert zu haben. Nun aber schimmert unter seinem Dienstmonitor eine goldene Figur des Elefantengottes Ganesha, ein Geschenk vom "Engel der Wonne" Bretz. Und Block wirkt selbst ein bisschen erleuchtet angesichts der Möglichkeiten, die sich seiner Stadt nun plötzlich eröffnen.
Yoga, Moor und Externsteine
"Yoga – Moor – Externsteine" bewirbt die neu gedruckte Stadtbroschüre Alleinstellungsmerkmale auf der Titelseite, und zwar in dieser Reihenfolge. Die Tage des alten, kompromissbehafteten Stadtslogans "Vielfalt erleben" sind offensichtlich gezählt. "Bad Meinberg ist das Yoga-Zentrum Europas", verkündet der Bürgermeister und berichtet, dass sich im Umfeld der Chakra-Pyramide mehrere unabhängige Yoga-Angebote gebildet und fernöstliche Einflüsse längst auch in traditionellen Kureinrichtungen Einzug gehalten hätten. Die Kurgäste von morgen kommen nicht in Gesundheitsschuhen, sondern in Jesuslatschen, das haben die ersten Gewerbetreibenden erkannt. In der Eisdiele gibt es jetzt auch veganes Eis, die Pizzeria verzichtet auf Wunsch auf Käse. Und der Bioladen, so was gab es in Bad Meinberg seit Jahren nicht mehr, musste unlängst vergrößern. Man scheint Geld mit den Yogis verdienen zu können – bloß wie?
"Früher genügte es, eine Schubkarre vor die Tür zu stellen, und jemand schüttete Geld hinein", erinnert sich Günter Weigel, der beim Kreis Lippe die Ressorts Wirtschaftsförderung und Tourismus unter sich vereint. Heute seien die Meinberger gut beraten, sich auf die Yogis einzustellen. "Typische Gerüche, plätscherndes Wasser – ein bisschen mehr Umfeld", rät der Verwaltungsmann. Nachdem das andere Bad im Kreis, Bad Salzuflen, sich erfolgreich auf Geschäftstourismus und Wellness verlegt habe, seien die Yogis für Bad Meinberg nun die Chance, sich doch noch aus dem Sog der Bäderkrise zu befreien.
Tatsächlich führte die Invasion der Yogis dazu, dass Bad Meinberg erstmals nach langer Zeit wieder einen positiven Wanderungssaldo aufweist. Neben den immerhin 160 Mitarbeitern, die im Zentrum arbeiten, essen und schlafen, haben sich etwa 50 yogabegeisterte Neubürger außerhalb der Anlage angesiedelt. Einer von ihnen ist Christoph Harrach, der vor einem Jahr mit Frau und zwei Kindern herzog. Der Trendforscher aus Frankfurt am Main ist der Mann, der vor einer Woche im Oktoberfestzelt seine Vision vom Bad Meinberg 2030 vorstellte – ohne jedoch Begeisterungsstürme auszulösen. "Einige Einheimische glauben, wir wollten die Stadt übernehmen. Schwer wäre das nicht", sagt der 39-Jährige. Doch seine Pläne klingen eher unkriegerisch. Ein selbst verwaltetes Kulturzentrum mit Kleiderkreisel und veganem Kuchen, regionale Wirtschaftskreisläufe mit Biolandwirten.
Yoga und die Hotellerie von Bad Meinberg
"Zehn bis 20 Gäste im Jahr", sagt dagegen Thomas Steger mit gesenkter Stimme. Mehr seien es nicht, die des Yogas wegen im "Stern" abstiegen, dem ersten Haus am Platz, das doch extra Yoga-Arrangements eingeführt hatte. "Natürlich habe ich nichts gegen Yoga Vidya", betont der Regionaldirektor mehrmals und zeigt zum Beweis eine Vitrine im Keller, in der tatsächlich Hindu-Gottheiten ausgestellt sind. "Aber es ist nicht die Klientel, die Vier-Sterne-Standard erwartet." Eine ausschließliche Vermarktung als Yoga-Stadt, so warnt der Hotelier, werde die Probleme des Ortes sicherlich nicht lösen.
"Es ist bekannt, dass diese Leute etwas spartanisch leben. Das bringt keine Kaufkraft", fürchtet auch Hans-Jürgen Jansen, der über 30 Jahre lang eine große Pension im Ort betrieb, die nun zum Verkauf steht, da kein Nachfolger in Sicht ist. Die Ur-Bad-Meinberger, so Jansen, seien nicht unbedingt angetan von der Vorstellung, bald in einer "Yoga-Stadt" zu leben. Die Yogis gälten vielen als reiche Erben, die mit dem Leben nicht klarkämen. Man komme gut mit ihnen zurecht, aber viele wünschten sich doch lieber den guten alten Kurbetrieb zurück.
Das Herzblut des Heilbads fließt heute nur noch in den weiß gekachelten Katakomben des Badehauses. Eine einzige Patientin liegt dort in einer Edelstahlwanne, bis zum Hals getaucht in eine schwerölschwarze, 42 Grad warme Tunke. "Lendenwirbelsäule", sagt sie, und der Physiotherapeut nickt verstehend mit dem Kopf. Das leicht schwefelig muchelnde Moor wird per Pipeline aus dem drei Kilometer entfernten Stinkebrink gepumpt und soll bei Rückenschmerzen und anderen Gebrechen eine heilsame Wirkung entfalten. Zigtausende von Kurgästen pilgerten deshalb früher in den Ort – heute entspannt hier pro Tag noch ein dreckiges Dutzend.