Sei ehrlich zu dir selbst - Die Bedingungsfaktoren der Persönlichkeit

Aus Yogawiki
Swami Krishnananda beim Gebet

Sei ehrlich zu dir selbst - Die Bedingungsfaktoren der Persönlichkeit

Die Bedingungsfaktoren der Persönlichkeit

Unsere gestrigen Überlegungen mündeten in der Notwendigkeit herauszufinden, wer wir wirklich sind, wonach wir suchen, mit wem wir in Verbindung treten oder was wir erreichen wollen. Wir konnten feststellen, dass keines unserer Ziele leicht zu erreichen ist. Als wir herausfinden wollten, woraus wir gemacht sind, stolperten wir über ein Mysterium, das uns keine Antwort auf unsere Fragen gab.

Ähnlich erging es uns bei dem Bemühen herauszufinden, woraus die Welt der Objekte besteht. - Welche Beziehungen haben wir zu dieser Welt? Wir konnten erkennen, dass es auf jeder Seite Schwierigkeiten gab. Wir haben von Geburt an eine Sicht des Lebens unter bestimmten Bedingungen entwickelt, doch wir sind uns nicht gewahr, dass unser Geist diese Bedingungsfaktoren mitbringt. Das liegt daran, dass unser Bemühen, ob wir bestimmten Bedingungen unterworfen sind oder nicht, bereits diesen bestimmten Bedingungen, die uns angeboren sind, unterliegen.

Selbst ein Hinterfragen, was mit uns geschehen ist und wo wir uns befinden, wird zu einer schwierigen Angelegenheit, denn wir sind mit einem Hintergrund in diese Welt gekommen, der uns weitgehend beeinflusst, sodass wir nur nach diesem Muster in der Lage sind zu denken.

Jeder weiß etwas von seinem vorherigen Leben. Wir befinden uns in einem Prozess verschiedener Verkettungen von Geburt und Tod. Dieses ist nicht unser erstes Leben, und es ist wahrscheinlich auch nicht unser letztes. Wir befinden uns in einer langen Kette des Entwicklungsprozesses der universalen Evolution.

Bei jeder Geburt leben wir unter den Bedingungen des Geistes, der die Welt in den Begrifflichkeiten der Sinnesorgane betrachtet. Was sieht er? Er sieht nur Objekte – verschiedenste Objekte, eine endlose Zahl von Menschen, von Objekten, Farben, Klängen und so weiter.

Wann immer dem Geist eine Form im Prozessablauf der Sinneswahrnehmung vor Augen geführt wird, erhält er wie auf einem Film in einer Kamera einen Eindruck dieses Objektes. Wenn dasselbe Objekt oder andere Objekte immer wieder zu unterschiedlichen Zeiten dem Geist vor Augen geführt wird oder werden, entsteht eine Serie von Eindrücken, die im Geist wie auf einer Leinwand in Schichten übereinander gelagert werden. Der Geist schaut wie durch ein gefärbtes Glas oder wie durch ein behaftetes Medium, und operiert mehr und mehr durch diese gefärbte ‚Bewölkung‘, die wie ein Schimmelpilz auf den Wän­den in der Regenzeit anwächst.

Wenn wir uns dessen gewahr werden und durch unsere Sinnesorgane auf die Welt der Menschen und Dinge schauen, was sehen wir dann wirklich? – Wir sehen dann nur diese Strukturen, die Formen und das Verhalten, die diese ‚Bewölkung‘ der verschiedenen aufgeschichteten Ebenen der Eindrücke zulässt, die im Geist durch die fortwährenden Präsentationen der Objekte im Laufe von vielen Inkarnationen angehäuft wurden. Wir sehen die Dinge nicht, wie sie wirklich sind.

Wenn man durch ein gefärbtes Glas auf die Dinge schaut, wird man diese Objekte ebenfalls in demselben Farbton der Glasplatte eingefärbt erkennen. Wenn das Glas durch seine konvexe oder konkave Verformung die Sichtweise wie durch eine Brille verändert, dann sieht man, wie sich das Objekt ebenfalls vor den Augen verändert; bei einer zerbrochenen Linse verändert sich das sichtbare Objekt wie in Scherben aufgesplittet oder wie ein Puzzle. Wenn man Menschen durch eine abgebrochene Glasecke plötzlich als etwas Äußeres ansieht, was sieht man dann wirklich? Dergestalt ist unsere heutige Situation, in der wir uns befinden.

Wenn ihr euch zur Meditation oder zu Yogaübungen hinsetzt, wer ist es, der denkt? Dieser Kopf, der bereits mit vielerlei Vorurteilen geboren wurde und nur wie ein Mensch denken kann. Ein Tier wird nur wie ein Tier denken können. Ein Frosch wird wie ein Frosch und eine Ameise wie eine Ameise denken. Wer meditiert wirklich? Ist es ein Mann oder eine Frau, eine Ameise oder ein Elefant? Wer meditiert wirklich? Wer erreicht Gott? Ist es ein Mensch oder ein Tier, das Gott erreicht? Wer strebt nach Gott?

Selbst als Menschen denken wir nicht so, wie Menschen denken müssten. Obwohl wir allem Anschein nach Menschen sind, so scheinen wir Charakterzüge zu haben, die nichts mit dem wirklichen Menschen gemein haben. Dieses kommt daher, weil wir durch niedrigere Stufen der Evolution hindurchgegangen sind, dessen Eindrücke auch im Gedächtnis haften und bis heute ihre Auswirkungen haben.

Wir können wie ein Stein schlafen und uns später an nichts erinnern, weil wir uns im Tiefschlaf urplötzlich in einer unbelebten Phase der Evolution befinden, die wir als die niedrigste irdische Bedingung bezeichnen. Wir atmen, sind hungrig und durstig, wie man es von der Pflanzenwelt her kennt. Wir nehmen die Qualitäten eines wilden Tieres an, das an die Oberfläche unseres Geistes gebracht werden kann, wenn uns danach ist. Verhalten wir uns immer wie menschliche Wesen?

Der individuelle Mensch, der Mann, die Frau sind keine wirklichen Menschen, sondern auch eine Mixtur verschiedener unterer Ebenen. Jemand kann, wenn er tief schläft und sich dessen nicht bewusst ist, zu einhundert Prozent tamasisch wie ein Stein sein. Man kann einfach hungrig und durstig sein, nach Essen und Trinken verlangen. Man kann wie ein Löwe brüllen, die Zähne wie ein Tiger fletschen, wie eine Schlange beißen oder wie ein Skorpion stechen. All diese Qualitäten können wir Menschen haben.

Solche Menschen versuchen nun während ihrer Meditation dem allmächtigen Gott gegenüberzutreten. Ist es da ein Wunder, dass sich der Geist nicht konzentrieren kann? Worauf will er sich bei dem Durcheinander im Geist konzentrieren, wo er mit all dem Müll und den Vorurteilen früherer Inkarnationen in Kopf und Blut erfüllt ist? Dies findet nicht außerhalb von uns statt, sondern ist ein Teil von uns selbst.

Es geht darum, die Bedingungsfaktoren zu verstehen. Was hat man unter Bedingungsfaktoren zu verstehen? Er befindet sich nicht außerhalb von uns selbst, und drückt uns von außen. Wir sind es selbst, die Materie, aus der wir bestehen. Jeder von uns stellt ein Bündel dieser Bedingungen dar. Niemand ist eine fest geformte Persönlichkeit, sondern eine Abfolge von Ebenen von Strukturen. Während wir glauben wir selbst zu sein, sind wir gar nicht wir selbst. Wir bestehen im Inneren aus vielen Dingen. Alles von uns kann unter gegebenen Umständen hervorgebracht werden. Ich kann euch glücklich oder unglücklich machen, zum Lachen oder zum Weinen bringen, euch innerhalb von einer Sekunde in Rage versetzen, indem ich eure Gefühle auf bestimmte Art und Weise anspreche. Wer seid ihr dann durch euch selbst? Seid ihr rachsüchtige Tiere, deren Charakter sich unter bestimmten Bedingungen innerhalb einer Sekunde offenbaren kann, falls die Voraussetzungen für diese Offenbarung gegeben sind? Oder seid ihr wie eine Pflanze, die sich hungrig und durstig fühlt und nur nach Nahrung und Flüssigkeit verlangt? Oder seid ihr müde und geht schlafen? Oder seid ihr egoistisch und selbstbewusst, sodass ihr jeden anderen Menschen in der Welt als zweitrangig anseht, als Nummer zwei, wobei ihr euch selbst als Nummer eins seht? Ihr könnt behaupten, dass andere ebenso bedeutend wie ihr selbst seid. Theoretisch zum Zweck des gesellschaftlichen Angepasst seins mögt ihr diese Position akzeptieren, doch, wenn die Dinge schlecht um euch stehen, lasst ihr die Welt vor die Hunde gehen. Da die Dinge heutzutage nicht so schlecht stehen, denken wir an andere Menschen, Dinge und schützen Tiere aus ökologischen Gesichtspunkten heraus. Wenn man jedoch ertrinkt, wisst ihr nicht, wer eigentlich ertrinkt. Das Selbst kommt bezüglich seiner Wertigkeit in Verlegenheit.

© Divine Life Society

Siehe auch

Literatur

Seminare

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