Kundalini-Yoga Grundpraktiken
Kundalini-Yoga trägt Elemente der verschiedenen Haupt-Yoga-Wege in sich. Hauptsächlich ist Kundalini-Yoga ein Praxisweg. Man kann seine Kundalini-Yoga Grundpraktiken in fünf Hauptkategorien einteilen:
- Hatha-Yoga: Energiearbeit mittels Körperübungen
- Mantra-Yoga: Energiearbeit mittels Klangschwingungen aus der Sanskritsprache
- Nada-Yoga: Energiearbeit mittels Klangschwingungen aus der Musik
- Yantra-Yoga: Energiearbeit mittels Visualisierungen von energetisch machtvollen Bildvorstellungen
- Laya-Yoga: Energiearbeit über Gefühlslenkung.
- Swara Yoga: Steuerung des Energieflusses
Auszug aus dem Buch "Das Große Yoga Vidya Pranayama Buch" von Sukadev Bretz, Copyright Yoga Vidya Verlag.
Die ganze vielschichtige komplexe Theorie und Praxis über das Energiesystem, die Energiebahnen und –zentren und wie man sie aktiviert, harmonisiert und lenkt, ist ein spezieller Zweig des Yoga, der Kundalini Yoga. Die Pranayamas die du hier lernst gehören sowohl zum Hatha Yoga, dem Körperübungssystem des Yoga wie auch zum Kundalini Yoga, dem Energie-Yoga. Mit Atemübungen beeinflusst du dein Energiesystem und lernst unter anderem
- bewusst mit deinem Energiesystem umzugehen,
- deinen Energielevel zu erhöhen
- und spirituelle Entwicklung und für deinen Alltag zu nutzen und zu beeinflussen.
Hatha-Yoga
Hatha-Yoga, der Yoga der Körperschulung, ist im Westen sicher am meisten verbreitet. Hatha-Yoga umfasst seinerseits wieder verschiedene Praktiken. Grundlegende Voraussetzungen sind hier die Yamas und Niyamas, die ethische Einstellung und geistige Schulung. Ebenso sind im Hatha-Yoga Meditationstechniken enthalten. Ein Viertel der Hatha-Yoga-Pradipika, des klassischen Grundlagentextes, spricht über Meditationstechniken.
Das Spezifische am Hatha-Yoga sind jedoch Kriyas (Reinigungsübungen), Asanas (Körperstellungen), Shavasana (Tiefenentspannung), Pranayama (Atemübungen), Bandhas (Verschlüsse) und Mudras („Siegel“, kombinierte Energieübungen).
Hatha-Yoga wurzelt in drei verschiedenen Traditionen, nämlich Ayurveda, Raja-Yoga und Kundalini-Yoga. Swatmarama schreibt in den ersten Versen der Hatha-Yoga-Pradipika, dass er Hatha-Yoga insbesondere als Hilfe für Raja-Yoga lehrt. Dafür beschreibt er die geistigen Wirkungen der Praktiken. Er geht aber auch immer wieder aus ayurvedischer Betrachtungsweise auf den Gesundheitsnutzen der Hatha-Yoga-Übungen ein. Am intensivsten beschreibt er die energetischen Wirkungen der Hatha-Yoga-Übungen aus tantrischer Sicht, er schreibt ausführlich über Prana, Nadis, Chakras und Kundalini.
Mantra-Yoga
Mantras sind klassische Sanskritsilben und -worte, in denen die Urenergie des Klangs, ihre ursprüngliche Bedeutung, unmittelbar enthalten sind. Durch Wiederholung des Mantras entfaltet sich diese im Klang eingeschlossene Energie. Das am meisten verbreitete Mantra ist Om. Es gibt auch komplexere Mantras wie Om Namah Shivaya oder Om Namo Narayana, die jeweils einen besonderen Aspekt der kosmischen Energie beinhalten.
Man unterscheidet verschiedene Arten von Mantras : Es gibt zum einen die so genannten Moksha-Mantras (Moksha = Befreiung). Diese Moksha-Mantras vermögen bei genügend langer Wiederholung deinen Körper, deine Lebensenergie, deine Emotionen, deine Gedanken und deinen Intellekt zu transformieren. Schließlich wird dein Bewusstsein nicht mehr von Körper und Geist begrenzt, sondern ruht in sich selbst. Du erreichst Samadhi, den überbewussten Zustand. Du erfährst Sat Chit Ananda (auch Satchitananda) – grenzenloses, unbegrenztes Sein, Wissen und Glückseligkeit.
Zum anderen gibt es einsilbige Mantras, die so genannten Bija-Mantras. Mittels dieser Mantras kannst du die Chakras (Energiezentren) gezielt und systematisch aktivieren, öffnen.
Mit Mantras lassen sich Energien verändern. Allgemein bekannt ist, dass Musik die Stimmung verändert, heilend, beruhigend oder aktivierend wirken kann. Musik ist eine Weise, auf Energien einzuwirken. Und ein Mantra ist eine ganz spezifische Weise, Energien zu erwecken und zu lenken.
Mantras stellen auch eine persönliche Beziehung zu einem bestimmten Aspekt der Kosmischen Energie oder zu einem bestimmten Lehrer her. Wenn die Kundalini-Energie tatsächlich aktiv wird, bekommst du über das Mantra Halt und Führung. Mittels des Mantras kannst du Kontakt zu Gott und/oder zu deinem spirituellen Lehrer aufnehmen.
Nada-Yoga
Nada-Yoga ist der Yoga des Klanges. Im Unterschied zum Mantra-Yoga, wo die Wirkung auf der Wiederholung eines Sanskritwortes beruht, ist Nada-Yoga die Arbeit mit dem Klang an sich. Die klassische indische Musik zum Beispiel war ursprünglich keine Unterhaltungsmusik, sondern diente den Energieerfahrungen.
Der äußere Nada-Yoga besteht aus einer bestimmten Art von Musik, von Klängen. Der innere Nada-Yoga manifestiert sich zum Beispiel in Form von Anahata-Klängen, inneren Klängen, die du vielleicht manchmal in tiefer Meditation oder in einem hochenergetisierten Raum hören kannst.
Yantra-Yoga
Yantra-Yoga arbeitet mit Bildern, Farben und Formen. Die bekanntesten Yantras sind die Darstellungen der Chakras. Jedes Chakra hat eine festgelegte Anzahl von Blütenblättern, denen eine bestimmte Farbe zugeordnet wird. Jedes Chakra strahlt mit einer besonderen Farbe aus, einer so genannten Aura-Farbe. Im Inneren hat ein Chakra auch eine spezifische farbige geometrische Figur, ein Chakra-Tier sowie einen Aspekt Gottes und eine Göttin. All das kann man meditativ auf sich wirken lassen. Über die Wahrnehmung dieser Yantras kann man die Energie und den Bewusstseinsinhalt des entsprechenden Chakras aktivieren. Daneben gibt es auch andere Yantras, mit denen man sehr spezifische Meditationen durchführen und sehr tiefe Energieerfahrungen machen kann. Besonders bekannt ist da zum Beispiel das Shri Yantra.
Laya-Yoga
Laya-Yoga wird in verschiedenen Traditionen unterschiedlich erklärt. In manchen Traditionen ist es gleichbedeutend mit Kundalini-Yoga. In dem Sinne, wie ich ihn interpretiere, ist Laya-Yoga eine Weise, das Bewusstsein auf Energie an sich zu konzentrieren. Ein Beispiel einer Laya-Yoga-Technik: Während der Meditation löse alle Bilder und Worte auf. Werde dir nur des Gefühls beziehungsweise der Essenz des Gedankens an sich bewusst. Dann löse diese Empfindung in reine Energie auf. So erfährst du die Urenergie hinter allen Gedanken und Emotionen, Shakti. Und Shakti führt dich zur Erfahrung von Shiva, reinem Bewusstsein.
Zum Laya-Yoga gehört auch die Konzentration auf diverse Körperteile, auf Energiewahrnehmungen und Gefühle, ohne Worte und Bilder. Auf gewisse Weise entsprechen Mantra-Yoga, Yantra-Yoga und Laya-Yoga den drei Grundformen des menschlichen Denkens: Menschen denken entweder in Worten/Klängen oder in Bildern oder in Gefühlen. Bei manchen Menschen überwiegt das Wort- und Klangdenken. Diese Menschen werden als eher auditiv bezeichnet. Eher visuelle orientierte Menschen denken in Bildern. Kinästhetische Menschen „denken“ in Gefühlen. Welche Denkkategorie überwiegt, kann man oft an der Sprache „sehen“, „begreifen“ oder „verstehen“.
Swara Yoga
Swara, auch Svara geschrieben, bedeutet wörtlich Ton, Betonung, Akzent. Swara Yoga ist ein Teilbereich des Kundalini Yoga, der sich mit der Beobachtung und Steuerung des Energieflusses beschäftigt. Swara Yoga beschreibt insbesondere die Nadis (Energiebahnen) und die Chakras (Energiezentren), ihre Funktionsweise und wie man auf sie einwirken kann. Hier lernst du die nötige Grund-Theorie, vor allem aber praktische Anwendungen.
Nadis – die Energiekanäle
Die Nadis im Kundalini Yoga sind ähnlich zu verstehen wie die Meridiane, die Energiebahnen in der chinesischen Tradition. Die Kundalini-/Swara-Lehre spricht von 72.000 Energiekanälen. Von diesen 72.000 sind zehn besonders wichtig. In meinem Buch „Die Kundalini-Energie erwecken“ sind diese ausführlich beschrieben. Drei dieser Energiekanäle - Ida, Pingala und Sushumna -, haben eine zentrale Bedeutung. Ida ist der Energiekanal, der mit der Mondenergie zusammen hängt. Pingala ist der Energiekanal, der mit der Sonne zusammen hängt. Sushumna ist der zentrale Energiekanal, der alle Dualität transzendiert. Sushumna ist der feinstoffliche Kanal in der Wirbelsäule. Ida beginnt unterhalb des Muladhara Chakra (Wurzelchakra), verläuft links neben der Wirbelsäule, kreuzt sie mehrmals, geht im dritten Auge in die rechte Gehirnhälfte und endet dann am linken Nasenloch. Pingala beginnt ebenfalls unterhalb des Muladhara Chakra unten im Beckenbodenbereich, verläuft rechts neben der Wirbelsäule, kreuzt sie mehrmals, geht im dritten Auge in die linken Gehirnhemisphäre, kreuzt dann wieder und endet am rechten Nasenloch. Sie enden jeweils genau dort, wo die kleine Mulde oberhalb der Nasenflügel ist und wo wir idealer Weise bei der Wechselatmung die Nasendurchgänge mit den Fingern verschließen.
Sonnen- und Mondenergie – Pingala und Ida Nadi
- Wenn dein linkes Nasenloch offen ist (bzw. offener als das rechte), dann ist Ida Nadi aktiver und damit die Mondenergie. Dann bist du in „Mondstimmung“: eher besinnlich, ruhig, intuitiv, kreativ.
- Ist dein rechtes Nasenloch offener, dann ist Pingala Nadi und damit die Sonnenenergie aktiver und du bist in „Sonnenstimmung“: unternehmungslustig, tatkräftig.
- Wenn beide Nasenlöcher gleich offen sind, dann ist Sushumna aktiv. Dann bist du in einem Zustand der Harmonie, des Gleichgewichts, des Friedens. Daher fällt zum Beispiel Meditation am leichtesten, wenn beide Nasenlöcher gleich offen sind. Dann ist der Zugang zum Überbewusstsein besonders gut.
Übung: Schließe kurz beide Nasenlöcher mit zwei Fingern. Lasse das rechte verschlossen und atme ein paar Mal durch das linke Nasenloch stoßweise aus, so fest und kräftig wie angenehm. Jetzt verschließe das linke Nasenloch und atme einmal normal durch das rechte Nasenloch aus. Dabei merkst du, dass dein linkes Nasenloch jetzt aktiver/offener ist als das rechte. Dasselbe geht natürlich auch umgekehrt.
Der natürliche Rhythmus von Sonnen- und Mond-Dominanz
Gemäß der Swara Yoga Lehre ist es wichtig, dass wechselseitig je ein Nasendurchgang offener ist als der andere. Ist dieser Rhythmus recht regelmäßig, herrscht ein natürlicher harmonischer Ausgleich zwischen Ida und Pingala. Dieser Wechsel geschieht bei den meisten Menschen etwa alle zwei Stunden von selbst, ohne dass es uns bewusst wird. Bei manchen Menschen ist der Rhythmus kürzer, etwa alle 50-60 Minuten, bei anderen länger, etwa alle drei Stunden. Dieser natürliche Wechsel kann durch unterschiedliche Faktoren gestört sein; zum Beispiel durch Energieblockaden oder chronisch verstopfte Nase oder stark verkrümmte Nasenscheidewand. Der Organismus passt sich zwar auch da weitgehend an, aber man kann diesen Ausgleich unterstützen und schaffen durch regelmäßige Wechselatmung. Dabei werden die linke und rechte Energiebahn gleichmäßig beansprucht und beim Atemanhalten öffnet sich Sushumna Nadi. So fühlt man sich nach einer Weile regelmäßiger Übung von Wechselatmung sehr harmonisch.