Verhaftungslose Liebe
Verhaftungslose Liebe ist eine Form der spirituellen Liebe. Verhaftungslose Liebe ist erwartungslose Liebe, eine Liebe ohne Erwartungen und Anhaftungen. Verhaftungslose Liebe nimmt den anderen so wie er ist und ist bereit, den anderen sich entwickeln zu lassen. Verhaftungslose Liebe hat ihren Platz in allen sozialen Kontexten, in den verschiedenen Formen von Liebesbeziehung.
Verhaftungslose Liebe ist nicht unverbindliche Liebe. Man kann jemanden verhaftungslos lieben und dennoch verbindlich und verlässlich in der Beziehung sein.
Verhaftungslose Liebe in der Zweierbeziehung
Meist wird der Ausdruck Liebe besonders im Kontext der Zweierbeziehung verwendet. Hier ist die verhaftungslose Liebe etwas komplexer. Grundsätzlich ist die Liebesbeziehung nicht verhaftungslos, wenn man von zwei Ausnahmen absieht:
- Die unverbindliche Liebe, Ludus bzw. freie Liebe genannt, die den einen Sexualpartner mit dem anderen austauscht
- Die pragmatische Liebe, in welcher die Liebe zum Partner Mittel zum Zweck ist
Normalerweise ist in den meisten Formen der Liebe eine gewisse Verhaftung dabei. Diese Verhaftung kann aber ergänzt werden durch eine gewisse Verhaftungslosigkeit. Hier ein paar Anregungen für verhaftungslose Liebe in der Zweierbeziehung:
- Liebe den anderen, wie er ist. Erwarte nicht, dass er sich so entwickelt wie du ihn gerne hättest
- Sei offen für die Entwicklungen des anderen. Sei neugierig. Sieh die Beziehung jeden Tag auf's Neue als etwas Faszinierendes
- Glaube nicht, dass du den anderen schon kennst. Du kennst ja noch nicht mal dich selbst richtig
- Lass dem anderen seinen Freiraum - drücke aber auch deine Bedürfnisse aus
- Mache deine spirituelle Praktiken, auch wenn es dem anderen am Anfang nicht so passt
- Finde immer wieder Gemeinsamkeiten und Möglichkeiten, gemeinsam Dinge zu tun, die euch verbinden und Freude bereiten. Sei dabei verhaftungslos insofern, als es vielleicht andere Dinge sein werden als früher
- Wenn dein Partner eine schwere Krankheit bekommt oder die Beziehung in die Brüche geht, dann erkenne, dass auch nach der Beziehung dein Leben weiter geht und dass noch viel Großartiges auf dich wartet. Gib dir aber auch Zeit für eine Trauerphase.
- Erkenne: Jede Liebe ist letztlich Ausdruck der Gottesliebe. Alle Menschen sind Kinder Gottes. So kann dein Herz sich immer wieder von Neuem für andere öffnen
Verhaftungslose Liebe heißt normalerweise NICHT unverbindliche Liebe bzw. eine sogenannte offene Beziehung. Nur die wenigsten Menschen werden glücklich in einer unverbindlichen Beziehung mit wechselnden Affären und parallelen Partnern. Wenn dein Partner so etwas von dir will im Namen von Spiritualität und du das nicht willst, drücke es klar aus, dass du eine solche Beziehung nicht willst. Die meisten spirituellen Systeme und Weltreligionen empfehlen eine Verbindlichkeit in der Beziehung und eheliche Treue.
Verhaftungslose Liebe in verschiedenen sozialen Kontexten
Verhaftungslose Liebe in der Eltern-Kind-Beziehung
Verhaftungslosigkeit in der Eltern-Kind-Beziehung heißt, dass die Eltern das Kind bedingungslos lieben. Elternliebe ist bedingungslose Liebe, nicht an Vorleistung des Kindes geknüpft. Verhaftungslose Liebe heißt Neugier darauf, wie das Kind sich entwickelt. Verhaftungslose Liebe ermöglicht dem Kind seinen Freiraum und seine Entwicklungsmöglichkeiten. Verhaftungslose Liebe entlässt das Kind schrittweise in die Unabhängigkeit, in die Freiheit, und freut sich wenn der Jugendliche, der junge Erwachsene, seinen eigenen Weg findet. Verhaftungslose Liebe in der Elternliebe ist nicht wirklich ohne Verhaftungen: Eltern werden immer eine besondere Beziehung zu ihren Kindern haben, sich mit ihnen freuen und mit ihnen leiden. Dennoch kann die Liebe zu den Kindern erwartungsloser und damit verhaftungsloser gestaltet werden. Ein besonderer Test der verhaftungslosen Elternliebe ist, wenn das "Kind" sich verliebt, und der Geliebte, die Geliebte wichtiger wird als die Eltern. Eine Portion Verhaftungslosigkeit könnte die Beziehungen zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter erheblich verbessern...
Verhaftungslose Liebe in der Freundschaft
Verhaftungslose Liebe in der Freundschaft heißt den anderen so nehmen, wie er ist. Verhaftungslose freundschaftliche Liebe ist auch erwartungslose Liebe: Man gibt dem anderen, schenkt ihm seine Liebe, ohne etwas zu erwarten, ohne verhaftet zu sein an eine Gegengabe. Verhaftungslose Liebe ist auch neugierige Liebe: Wie wird sich der andere entwickeln, was werden wir heute erfahren und erleben? Verhaftungslose Liebe in der Freundschaft ist geprägt von Offenheit, Zuneigung, ohne den anderen einzuengen.
Guru-Schüler-Beziehung und spirituelle Gemeinschaft
Verhaftungslose Liebe in der Guru-Schüler-Beziehung heißt, dass der Guru dem Schüler gegenüber keine konkreten Erwartungen hat und den Schüler in die Selbständigkeit entlässt, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Verhaftungslose Liebe des Guru gegenüber dem Schüler heißt auch, dass der Guru dem Schüler Aufgaben gibt und überträgt, ihm Prüfungen auferlegt, ohne Angst, den Schüler dadurch zu verlieren.
Verhaftungslose Liebe des Schülers zum Guru, zum Lehrer, heißt, dass der Schüler keine konkreten Erwartungen an den Guru hat. Wenn der Guru keinen Anspruch auf Vollkommenheit erhebt, sollte der Schüler auch keine Vollkommenheit erwarten. Allerdings sollte der Schüler den Lehrer nicht "frei sprechen" von ethischen Verpflichtungen. Und wenn der Schüler merkt, dass er von diesem Guru nichts mehr lernen kann, dann kann er weiter gehen, ohne Verhaftungen. Allerdings kann verhaftungslose Liebe auch heißen, sich von eigenen Vorstellungen zu lösen, wie die Guru-Schüler-Liebe, die Guru-Schüler-Beziehung zu sein hat. Denn nur wer offen und ohne Verhaftungen zum Lehrer geht, kann tatsächlich lernen.
Verhaftungslosigkeit ist auch in der spirituellen Gemeinschaft von großer Wichtigkeit. Gerade in modernen spirituellen Lebensgemeinschaften, wie z.B. Yoga Vidya, gibt es eine größere Fluktuation unter den Gemeinschaftsmitgliedern. Da ist es wichtig, auf andere in Liebe zuzugehen, ohne Erwartungen und Verhaftungen. Zwar gehört zu einer spirituellen Gemeinschaft dazu, dass von neuen Gemeinschaftsmitgliedern die Regeln und Ideale der Gemeinschaft geachtet und beachtet werden. Darüberhinaus jedoch sollte man jedes neue Gemeinschaftsmitglied mit offenem Herzen, mit Liebe, willkommen heißen. Und wenn ein Gemeinschaftsmitglied wieder eigene Wege geht, sollte man es vom Herzen her wieder gehen lassen. Vollständig verhaftungslose Liebe ist da jedoch ausgesprochen schwierig: In einer spirituellen Gemeinschaft lebt man zusammen, man isst zusammen, übt Yoga und Meditation zusammen, hat Gemeinschaftserlebnisse, tiefe gemeinsame spirituelle Erfahrungen, geht durch viele Herausforderungen und Triumphe. Das verbindet, das führt zu einer großen inneren Liebe. Auch wenn es wehtut, wenn einer geht, gilt es das Ideal der verhaftungslosen Liebe hoch zu halten und den anderen in Frieden weiter ziehen zu lassen. Umgekehrt merken Menschen, die eine Weile in einer Gemeinschaft gelebt haben, dass ihre Liebe doch erheblich stärker war zu Gemeinschaft, als sie gedacht haben. Auch hier gilt es, sich eine Trauerzeit zu genehmigen. Oft hilft eine Periode der Trauer, die Liebe und etwaige verletzten Gefühle umzuwandeln in Dankbarkeit und Offenheit für den nächsten Schritt, den das Leben anzubieten hat.
Verhaftungslose Liebe in unverbindlichen sozialen Kontexten
Verhaftungslose Liebe ist am einfachsten in unverbindlichen sozialen Kontexten. Ob man diese schon als Liebe bezeichnen kann, ist eine andere Frage. Man kann jedoch das Grundgefühl von freundschaftlicher Liebe zu allen Wesen kultivieren, und jedem Menschen mit Herzensverbindung begegnen. Dass eine Beziehung nur vorübergehend ist, z.B. bei Urlaubsbekanntschaften, Zugmitfahrern, Mitfahrgelegenheiten, bei Begegnungen im Naturkostladen, im Yoga Zentrum etc., heißt nicht, dass man zu diesen Menschen auf Liebe verzichten sollte. Im Gegenteil kann man sich darin üben, jeden Menschen in Liebe zu begegnen, Herzensverbindung herzustellen, den anderen mit Freundlicheit, Achtsamkeit, Respekt, Liebe zu begegnen.
Verhaftungslose Liebe beim uneigennützigen Dienst
Verhaftungslose Liebe ist gerade beim uneigennützigen Dienen, in der tätigen Nächstenliebe, besonders wichtig: Es gilt, dem anderen zu dienen und zu helfen, ohne etwas zu erwarten. Gerade wenn Menschen tief leiden, sind sie manchmal nicht bereit, die Liebe anzunehmen, die wohl gemeinten Ratschläge umzusetzen. So gilt es gerade beim uneigennützigen Dienen Liebe und Herz hineinzugeben, gleichzeitig aber die Liebe verhaftungslos zu machen. Genau das ist die Essenz des Karma Yoga, wie ihn Krishna in der Bhagavad Gita lehrt: Handle so gut wie du kannst, mit Liebe, im Wunsch Gutes zu tun. Sei aber nicht verhaftet an die Früchte der Handlung (erwarte nichts dafür), übe Gelassenheit gegenüber Erfolg und Misserfolg, und sei auch nicht verhaftet an die Handlung selbst. Besser könnte man verhaftungslose Liebe nicht beschreiben, als es Krishna in der Bhagavad Gita tut.
Siehe auch
Literatur
- Swami Sivananda, Göttliche Erkenntnis (2001)
- Swami Sivananda, Autobiographie von Swami Sivananda (1999)
- Swami Sivananda, Shrimad Bhagavad Gita. Erläuternder Text und Kommentar von Swami Sivananda (1998)
- Swami Sivananda, Gedanken zur Kontemplation (1996)
- Franz-Josef Nocke, Liebe, Tod und Auferstehung: Die Mitte des christlichen Glaubens (2005)
- John Ortberg u.a., Die Liebe, nach der du dich sehnst: Vom Kopf ins Herz - Gottes Liebe fühlen lernen (2001)
Weblinks
- Swami Sivananda: Diene, liebe, gib, reinige dich, meditiere, verwirkliche
- Swami Sivananda, Götter und Göttinnen: Was ist Gott?
- Swami Sivananda: Bhakti
- Bhakti Yoga
- Karma Yoga
- Tantra Portal
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