Unverbindliche Liebe
Unverbindliche Liebe ist eine Liebe, die keine Bindungen eingehen will. Unverbindliche Liebe kann eine spielerische Liebe sein, eine verhaftungslose Liebe. Unverbindliche Liebe kann auch auf Bindungsängsten beruhen, auf Angst vor Enttäuschungen oder auf Angst, noch nicht den richtigen gefunden zu haben. Unverbindliche Liebe ist eine der Übersetzungen des "Ludus" genannten Liebesstils, im System der sechs Liebesstile des kanadischen Sozialpsychologen John Alan Lee.
Liebe und Unverbindlichkeit?
Kann es unverbindliche Liebe geben? Ist nicht jede Liebe etwas, das Herz verbindet? Ist nicht Liebe etwas, worauf man sich verlassen kann? Ist es nicht geradezu Charakteristikum von tiefer Liebe, dass sie eine gewisse Verbindlichkeit hat? Ist Unverbindlichkeit nicht auch Oberflächlichkeit?
Andererseits: Ist verbindliche Liebe nicht Verhaftung, vielleicht sogar egoistische Liebe?
Könnte nicht unverbindliche Liebe verhaftungslose Liebe, erwartungslose Liebe sein?
Dies sind Fragen, die man sich stellen kann, wenn man über die unverbindliche Liebe nachdenken kann.
Unverbindliche Liebe in verschiedenen sozialen Kontexten
Unverbindliche Liebe in der Elternschaft
In der Elternschaft kann es unverbindliche Liebe nicht geben. Das Kind muss sich auf die Liebe verlassen können. Elternliebe ist verbindliche Liebe.
Unverbindliche Liebe unter Geschwistern
Auch unter Geschwistern kann es keine unverbindliche Liebe geben. Es ist geradezu charakteristisch für die geschwisterliche Liebe, dass man sich auf sie verlassen kann - auch wenn man sich lange Zeit nicht gesehen hat.
Unverbindliche Liebe unter Freunden
Eine lose Freundschaft kann unverbindlich sein. Aber ist das schon Liebe? Normalerweise erwarten Freunde voneinander, dass man sich aufeinander verlassen kann. Auch freundschaftliche Liebe braucht eine gewisse Verbindlichkeit.
Unverbindliche Liebe in der Guru-Schüler-Beziehung und in spirituellen Gemeinschaften
Auch in der Guru-Schüler-Beziehung bzw. Guru-Schüler-Liebe braucht es eine gewisse Verbindlichkeit: Der Schüler muss sich darauf verlassen können, dass der Guru sich um ihn kümmert, ihn auf dem spirituellen Weg begleitet. Damit der Guru den Schüler führen kann, muss er ihn durch verschiedene Stadien des Weges begleiten, ihm auch einiges zumuten. Das funktioniert nur, wenn der Schüler in seiner Liebe eine gewisse Verbindlichkeit sieht. Aus guten Gründen gibt es die Einweihung als Beginn der tiefen verbindlichen Liebe zwischen Guru und Schüler.
Auch eine spirituelle Gemeinschaft beruht auf Liebe, ja auf verbindlicher Liebe: Die Gemeinschaftsmitglieder müssen sich aufeinander verlassen können. Was eine spirituelle Lebensgemeinschaft auszeichnet, ist die Liebe der Gemeinschaftsmitglieder untereinander. In vielen Lebensgemeinschaften (auch bei Yoga Vidya) ist eine große Herausforderung die Fluktuation unter den Gemeinschaftsmitgliedern. Wenn einem ein Mensch an's Herz gewachsen ist, kann er schon wieder die Gemeinschaft verlassen. Hier gilt es verhaftungslose Liebe zu üben: Einerseits selbst in seiner Liebe eine gewisse Verbindlichkeit und Verlässlichkeit zu haben, andererseits den anderen in seiner Freiheit zu belassen. Oft keine einfache Aufgabe!
Unverbindliche Liebe im Small Talk und in flüchtigen sozialen Beziehungen
Am ehesten hat unverbindliche Liebe ihren Platz im Small Talk sowie in flüchtigen sozialen Verbindungen. Es ist eine großartige Gabe, auf unbekannte Menschen mit Liebe und Freundlichkeit zugehen zu können, eine Herzensverbindung zu spüren, eine Zuneigung zum Gesprächspartner zu haben - und dann wieder auseinander gehen zu können.
Ebenso ist es mit Urlaubsbekanntschaften oder mit Menschen, die man im Zug, im Flugzeug trifft. Idealerweise hat man ein Gefühl der Liebe zu allen Menschen - und da hat die unverbindliche Liebe ihren Platz.
Auch im Umgang mit Kunden, mit Nachbarn, mit Verkäuferinnen und Briefträger hat die unverbindliche Liebe ihren Platz. Aus dem Bewusstsein, dass alle Menschen Teil einer großen Familie sind, kann man Liebe zu allen pflegen, und dabei unverbindlich bleiben.
Unverbindliche Liebe zu sozial Benachteiligten, zu Patienten und Klienten
Im Umgang mit sozial Benachteiligten, mit Patienten und Klienten, kann die unverbindliche Liebe ihren Platz haben: Wer vielen Menschen hilft, sollte das mit Liebe tun. Allerdings sollte es ihm gelingen, ohne dass all das Leid im zu sehr zum Herzen geht. Hier kann die unverbindliche Liebe eine große Hilfe sein. Helfen solange man den Menschen vor sich hat bzw. man Verantwortung für den Menschen hat. Helfen mit Liebe. Aber danach seinen Geist davon lösen können. Nichts vom anderen erwarten, und selbst loslassen.
Das schließt nicht aus, dass es in manchen Kontexten auch im Umgang mit Patienten und Klienten auf Verbindlichkeit und Verlässlichkeit ankommt. Letztlich hängt es von der Situation ab.
Unverbindliche Liebe in der Partnerschaft
Auch in der Liebesbeziehung in der Partnerschaft ist, mindestens wenn die Beziehung auf Dauer angelegt ist, eine vollständig unverbindliche Liebe kaum möglich.
Als Sonderfall gilt die rein sexuelle Liebe. Es gibt Menschen, die wechselnde Sexualpartner haben, spielerisch immer wieder neue Abenteuer haben. Ob man das als Liebe bezeichnen kann, ist zweifelhaft. Wenn man aber Sexualität mit Liebe gleich setzt, dann gibt es tatsächlich auf diesem Gebiet die so genannte unverbindliche Liebe. (siehe unten).
Unverbindliche Liebe als einer der sechs Liebesstile
Vom amerikanischen Soziologen stammt das Konzept der sechs Liebesstile Eros, Storge, Ludus, Mania, Agape und Pragma. Dabei ist Ludus die spielerische Liebe.
Hier wird spielerische Liebe als Partnerschaft angesehen ohne Verbindlichkeit, sie kann daher auch als unverbindliche Liebe bezeichnet werden. Diese Art von Liebe beruht hauptsächlich auf Sexualität und Vergnügen. Sie ist charakterisiert durch One-Night-Stands, durch wechselnde Sexualpartner, Untreue bzw. parallele Beziehungen. Dies stellt natürlich die Frage, ob das tatsächlich Liebe ist. Allerdings können Menschen durchaus Liebe zu einem Menschen empfinden, und bald darauf zu einem anderen. Vom Ayurveda her könnte man diese Form der unverbindlichen Liebe als Manifestation des Vata Prinzips bezeichnen.
In den 1960er Jahren, im Kontext der sexuellen Revolution, gab es das Ideal der freien Liebe, worunter eben die unverbindliche Liebe verstanden wurde. "Wer zweimal mit der gleichen pennt gehört schon zum Establishment", war eine der Redensarten der Zeit. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Menschen mit dieser Art der unverbindlichen Liebe nicht glücklich wurden, im Gegenteil innere Verletzungen davon trugen. So ist heute wieder die romantische Liebe, die verbindliche Liebe, das Ideal der meisten Menschen.
Dennoch gilt: Es gibt eine gewisse Anzahl von Menschen für welche die unverbindliche Liebe in der Partnerschaft und Sexualität ihr vorherrschender Liebesstil ist und die damit auch glücklich zu sein scheinen. Wichtig ist, dass das für beide Partner so ok ist. Unverbindliche Liebe scheint unter homosexuellen Menschen häufiger vorzukommen als unter heterosexuellen. Eventuell ist das aber nur ein Phänomen von überkommenen Konventionen und wird sich mit der Verbreitung und Akzeptanz der Homo-Ehe ändern.
In den meisten Religionen wird sicherlich das Ideal der verbindlichen Liebe gelehrt. Je religiöser die Menschen, desto geringer ist die Scheidungsrate, kann man durchaus verallgemeinernd sagen.
Allerdings gilt bei Menschen, die sich nicht als religiös sondern als spirituell bezeichnen, ein umgekehrter Zusammenhang...