Kurma (Vishnu)

Aus Yogawiki

Kurma (Sanskrit: कूर्म Kūrma m. "Schildkröte") Inkarnation Vishnus in Gestalt einer Schildkröte.

Kurma Avatar

Kurma (Vishnu) – Die Schildkröten-Inkarnation des Erhalters

Kurma ist die zweite Inkarnation Vishnus in der Reihe der Dashavatara, der zehn Haupt-Avatare des Gottes Vishnu. In dieser Gestalt stützt Vishnu als gewaltige Schildkröte den Göttern und Dämonen den Berg Mandara, damit sie den Ozean der Milch rühren konnten – ein zentrales Ereignis in der hinduistischen Kosmologie. Kurma symbolisiert Stabilität, Geduld, Ausdauer und die Unterstützung des Göttlichen in kosmischen Prozessen.

Bedeutung und Symbolik von Kurma

Das Wort Kurma bedeutet „Schildkröte“ und steht im Hinduismus für Beständigkeit, Standhaftigkeit und Schutz. Die Schildkröte, die sich in ihr Gehäuse zurückzieht, ist ein Sinnbild für den Rückzug der Sinne – ein zentrales Prinzip im Yoga (Pratyahara). Gleichzeitig trägt Kurma die Welt auf seinem Rücken, was ihn zu einem kosmischen Symbol für Stabilität macht.

Im Kontext der Avatare Vishnus steht Kurma für die zweite Stufe der Evolution: Nach der ersten Inkarnation Matsya (Fisch), die das Leben im Wasser repräsentiert, symbolisiert Kurma den Übergang vom Wasser zum Land – also die Entwicklung stabiler Lebensformen.

Die Legende von Kurma – Das Quirlen des Milchozeans

Das Quirlen des Milchozeans: links die Götter, rechts die Dämonen

Die Geschichte von Kurma ist eine der bekanntesten kosmischen Mythen des Hinduismus und wird im Bhagavata Purana, Vishnu Purana und Mahabharata erzählt.

Einst verloren die Devas (Götter) ihre Kraft, weil sie von den Asuras (Dämonen) besiegt worden waren. Sie wandten sich an Vishnu, der ihnen riet, den Ozean der Milch (Kshira Sagara) zu quirlen, um das Amrita, den Nektar der Unsterblichkeit, zu gewinnen. Da diese Aufgabe nur gemeinsam zu bewältigen war, schlossen die Devas und Asuras einen zeitweiligen Frieden.

Als Rührstab diente der gewaltige Berg Mandara, als Seil die kosmische Schlange Vasuki. Doch der Berg drohte zu versinken, da es keine feste Grundlage gab. Da erschien Vishnu in seiner Kurma-Gestalt – als riesige Schildkröte – und legte sich unter den Berg, um ihn zu tragen. Auf seinem stabilen Panzer konnte der Berg ruhen, und das kosmische Rühren begann.

Während des Quirlens traten zahlreiche göttliche Wesen, Kostbarkeiten und Energien hervor, unter anderem:

Als die Dämonen das Amrita für sich beanspruchen wollten, nahm Vishnu eine weitere Gestalt an – Mohini, die bezaubernde Göttin –, um den Nektar den Göttern zukommen zu lassen. So rettete Vishnu erneut das Gleichgewicht im Universum.

Die kosmische und spirituelle Bedeutung der Kurma-Inkarnation

Die Kurma-Inkarnation Vishnus kann auf mehreren Ebenen verstanden werden:

: 1. Kosmisch: Kurma verkörpert die Grundlage des Universums, die Achse der Welt (Meru), die Stabilität im Wandel. Ohne eine feste Basis kann die Welt nicht bestehen.

: 2. Psychologisch: Im Menschen symbolisiert Kurma die Fähigkeit, inmitten von Bewegung und Aufruhr Ruhe und Gleichgewicht zu bewahren. Wer sich in Meditation oder Yoga übt, sollte – wie die Schildkröte – die Sinne einziehen und nach innen gehen.

: 3. Energetisch: Im Kundalini Yoga wird Kurma mit der Erdelement-Energie (Prithivi Tattva) assoziiert, die das Fundament für spirituelles Wachstum bildet.

: 4. Mythologisch: Das Rühren des Milchozeans steht für den inneren Transformationsprozess des Menschen: Durch geistige Übung und Reinigung (Samudra Manthan) werden die „Gifte“ des Egos und die „Nektare“ des Bewusstseins freigesetzt.

Kurma in der Kunst und in den Schriften

In der indischen Kunst wird Vishnu als Kurma-Avatar dargestellt, mit einem menschlichen Oberkörper und dem Unterleib einer Schildkröte. Oft ist er in einer ozeanischen Szene zu sehen, unter dem Berg Mandara liegend, während die Götter und Dämonen an der Schlange Vasuki ziehen.

Wichtige Schriften, die die Geschichte von Kurma erzählen, sind:

  • Kurma Purana – ein ganzes Purana, das Vishnus Inkarnation als Schildkröte gewidmet ist,
  • Bhagavata Purana, 8. Skandha, Kapitel 5–12,
  • Mahabharata, Adi Parva, Kapitel 18–20.

Geschichtlicher Hintergrund und philosophische Interpretation

Die Geschichte von Kurma kann als allegorisches Gleichnis über die Weltordnung verstanden werden. Sie spiegelt die Idee wider, dass der Kosmos ständig erneuert wird, und dass göttliche Stabilität notwendig ist, damit das Leben weiter bestehen kann.

Aus historischer Sicht entstand der Kurma-Mythos vermutlich in der vedischen Spätzeit, als die Erde als Schildkröte gedeutet wurde, die das Universum trägt. Diese Vorstellung findet sich auch in anderen Kulturen, etwa in der chinesischen oder nordamerikanischen Mythologie.

Die Aufgabe Vishnus als Kurma

Als Kurma hatte Vishnu mehrere zentrale Aufgaben:

  • Träger des Berges Mandara, Symbol für das kosmische Gleichgewicht.
  • Ermöglicher der Zusammenarbeit zwischen Göttern und Dämonen.
  • Stabilisator der Weltordnung (Dharma) in Zeiten des Chaos.
  • Verkörperung von Geduld, Ausdauer und Beständigkeit – Tugenden, die jeder spirituelle Suchende kultivieren sollte.

So zeigt Kurma, dass spirituelle Entwicklung nicht nur Energie und Bewegung, sondern auch Ruhe und Stabilität braucht.

Fazit: Kurma – Symbol für Stabilität, Geduld und kosmisches Gleichgewicht

Die Kurma-Inkarnation Vishnus lehrt, dass wahre Stärke aus innerer Ruhe entsteht. So wie die Schildkröte ihren Panzer trägt, sollen auch wir unseren inneren Halt bewahren – selbst wenn das Leben in Bewegung gerät. Kurma erinnert daran, dass Gleichgewicht, Geduld und Ausdauer die Basis sind, auf der spirituelle Entwicklung und kosmische Ordnung ruhen.