Autogenes Training

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Das autogene Training (von gr. αὐτόselbst und γεννάωerzeugen) ist eine auf Autosuggestion basierende Entspannungstechnik. Es wurde vom Berliner Psychiater Johannes Heinrich Schultz aus der Hypnose entwickelt, am 30. April 1927 erstmals vorgestellt und 1932 in seinem Buch Das autogene Training publiziert [1]. Heute ist das autogene Training eine weit verbreitete und anerkannte Methode, um Stress und psychosomatische Störungen zu behandeln.

Die Übungen

Autogenes Training lernt man meist in Gruppen-, seltener in Einzelkursen, unter Anleitung eines Psychologen, Arztes oder eines sonst Fachkundigen innerhalb einiger Wochen. Beim Selbststudium können Bücher, oft mit einer CD "Fehlprogrammierungen" vermeiden.

Der Übende nimmt eine bequeme Haltung ein; häufig sitzend mit nach vorn gebeugt gesenktem Kopf, die Hände entspannt auf den Oberschenkeln (sog. Droschkenkutscherhaltung). Anfänger tun sich häufig leichter, im Liegen zu trainieren, prinzipiell kann aber in jeder Haltung trainiert werden, in der die Muskeln vollkommen entspannt werden können. Die Übungen bestehen aus kurzen formelhaften Vorstellungen, die sich der Übende konzentriert mehrere Male im Geiste vorsagt. Dabei versucht er, sich diese Vorstellungen möglichst intensiv vor Augen zu führen.

Das Physiologische Prinzip erklärt am Beispiel der zweiten und dritten Übung: Der Ruhezustand des Körpers geht mit den Empfindungen von Schwere und Wärme einher. Durch konzentrierte Imagination eines Effektes kann umgekehrt dessen „Ursache“ herbeigeführt werden. Die autosuggestive Vorstellung schwerer Arme und Beine löst eine muskuläre Entspannung aus, die anschließende von warmen Armen und Beinen eine vermehrte Durchblutung. Die Rücknahme, ein bewusstes Aufwachen, aktiviert die Nervenenden an den Erfolgsorganen Muskeln und Gefäßwänden.

Unterstufe

Die Unterstufe des autogenen Trainings dient vor allem der Entspannung.

Sie besteht üblicherweise aus sieben Übungen, die nacheinander Ruhe, Schwere und Wärme in den Armen und Beinen, eine Beruhigung des Pulses und der Atmung, Wärme im Sonnengeflecht und Kühle der Stirn durch Selbst-Suggestion hervorrufen.

Die Übungen im Einzelnen:

  1. Die Ruhe-Übung versetzt den Körper und Geist in einen Ruhezustand und soll der Konzentration helfen. Typische Vorstellung: „Ich bin ganz ruhig. Die Gedanken kommen und gehen. Nichts kann mich stören.“ Die klassische Vorstellung von J.H. Schultz lautet ausschließlich (konditionieren!) "Ich bin ganz ruhig" und darf nicht als erste Übung verwendet werden sondern ist eine Zielvorstellung. J.H. Schultz schreibt wörtlich: "Ist der Aufgabensatz "ich bin ganz ruhig" in entsprechender Weise verstanden, so wird er nicht etwa geübt, sondern wir geben unserer Versuchsperson als erste Übungsaufgabe die Formel: "Der Arm ist ganz schwer".[1]
  2. Die Schwere-Übung löst ein Schweregefühl der Gliedmaßen aus (Muskelentspannung). Typische Vorstellung: „Die Arme und Beine sind schwer.“
  3. Die Wärme-Übung führt zu einem Wärmegefühl in den Gliedmaßen (verbesserte Durchblutung). Typische Vorstellung: „Die Arme und Beine sind warm.“
  4. Die Atem-Übung vertieft die Entspannung durch konzentriertes, ruhiges Ein- und Ausatmen. Typische Vorstellung: „Die Atmung geht ruhig und gleichmäßig.“, oder: „Es atmet mich.“
  5. Die Herz-Übung (Konzentration auf den Herzschlag) beruhigt weiter. Typische Vorstellung: „Das Herz schlägt ruhig und gelassen.“
  6. Die Sonnengeflechts-Übung: Konzentration auf den Solarplexus und seine Durchblutung (Vertiefen der Entspannung). Typische Vorstellung: „Das Sonnengeflecht (oder: die Leibmitte) ist strömend warm.“
  7. Die Kopf-Übung: Konzentration auf eine „kühle Stirn“ (dient dem Wachbleiben und Wiedererlangen von Konzentrationskraft, z. B. bei Müdigkeit). Typische Vorstellung: „Der Kopf ist klar, die Stirn ist kühl.“

Mit zunehmendem Training verstärkt sich die Wirkung der Übungen (z. B. Wirkung auf den ganzen Körper anstatt nur auf die Arme). Der erfahrene Anwender kann daher in kurzer Zeit eine tiefe Entspannung (bei vollem Bewusstsein) hervorrufen. Die Formeln werden dabei nach persönlichem Geschmack angepasst und erweitert. Insbesondere ist es mit Hilfe der „formelhaften Vorsatzbildungen“ möglich, Aufträge an sich selbst im Unbewussten zu verankern, die nach Abschluss der Übung nachwirken (z. B. „Bei Stress bleibe ich ruhig und gelassen“).

Oberstufe

In der Oberstufe des autogenen Trainings soll ein Problem mittels Suggestion so weit gelöst werden, dass die Person Heilung oder wenigstens Linderung erfährt. Über die Ursache des Problems wird nichts ausgesagt. Für viele Zwecke sind die Übungen der Unterstufe vollkommen ausreichend. In der Oberstufe geht es um vertiefte Selbsterkenntnis und um Charakterbildung. Der Ablauf gestaltet sich etwa so:

1. Sitzung: Farberlebnisse

2. Sitzung: Wahrnehmen konkreter Gegenstände (z. B. eine brennende Kerze, eine Rose)

3. Sitzung: Schau abstrakter Werte (z. B. Hoffnung, Liebe, Mut)

4. Sitzung: Übungen zur Charakterbildung und vertieften Selbsterkenntnis (Fragen an sich selbst: z. B. „Wer bin ich?“ oder „Was soll ich tun?“; neben Fragen sind auch Suggestionen Inhalt dieser Sitzung, z. B. „Ich nehme mich an“ oder „Ich bin zuversichtlich“.)

5. Sitzung: Reise auf den Meeresgrund

6. Sitzung: Reise auf den Gipfel eines Berges

7. Sitzung: Eigene Bilder mit bestimmten Zielsetzungen

Die Oberstufe des autogenen Trainings kann für sich allein praktiziert werden. In Verbindung mit psychotherapeutischen Verfahren kann sie die Behandlungszeit deutlich verkürzen.

Voraussetzung für die Übungen der Oberstufe ist die Beherrschung der Übungen der Unterstufe. Die Oberstufe des autogenen Trainings dient der „aufdeckenden“ Selbsterkenntnis. Sie ist mit der psychotherapeutischen Tiefenanalyse vergleichbar, jedoch werden die Einsichten vom Übenden selbstständig ohne Hilfe eines Therapeuten erarbeitet.

In der Oberstufe werden luzide Träume durchlebt mit bleibenden klaren Erinnerungen, die nicht wie beim Traum meistens nach wenigen Minuten ausgelöscht sind. Nach üblicher Einleitung des AT über Ruhe, Schwere und Wärme, Atemübung, Herzübung und Sonnengeflechtsmeditation bleibt der Übende in der tiefsten Meditationsstufe des Sonnengeflechtes, dem hypnoiden Trancezustand, sagt sich aber jetzt: "Vor meinem inneren Auge sehe ich eine Farbe. Aus dieser Farbe entwickelt sich ein Traumbild".

Dieses Traumbild hat drei Quellen: Einmal das vor Beginn der Übung festgelegte Meditationsbild (Meer, Berg, ein anderer Gegenstand, ein Mensch etc), zum zweiten die aus dem Unbewussten kommende Veränderung dieses Bildes und drittens die aus dem aktiven Bewusstsein kommende gewollte Veränderung dieses Bildes. Diese drei Zuflüsse vermischen sich in jeweils unterschiedlicher Quantität und Qualität. Es entsteht so ein luzider Traum (Klartraum), der nach dem üblichen Rückruf im autogenen Training völlig memoriert werden kann. Er kann selbstheilend wirken oder als Basis für ein therapeutisches Gespräch verwendet werden. Die beste Zeitdauer für einen solchen Klartraum sind etwa 15 Minuten.

Anwendung

Das autogene Training wird aus verschiedensten Gründen angewandt, von denen einige hier beispielhaft dargestellt werden sollen. Als Entspannungstechnik kann es beispielsweise bei Nervosität, Schlafstörungen etc. eingesetzt werden.

Es kann weiter dazu dienen, psychosomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen oder Bluthochdruck zu bekämpfen. Dabei sollte aber vorher von einem Arzt festgestellt werden, dass keine schwerwiegenden physischen Ursachen für die jeweiligen Beschwerden vorliegen.

Da man in dem durch das autogene Training hervorgerufenen Entspannungszustand besonders empfänglich für suggestive Selbstbeeinflussung ist, kann es durch geeignete Vorstellungen (formelhafte Vorsatzbildungen) eingesetzt werden, um sich das Rauchen, Trinken und ähnliche Süchte abzugewöhnen. Es kann ebenso einem sichereren Auftreten in der Öffentlichkeit oder im persönlichen Umfeld dienen. Ebenso kann die eigene körperliche und geistige Leistungsfähigkeit gesteigert werden.

Die Fähigkeit, autogenes Training zu erlernen, nimmt mit der zunehmenden Ausprägung neurotischer/psychotischer Tendenzen ab.

Entstehung

Methoden der Entspannung und Selbstbeeinflussung waren schon seit der Antike bekannt, beispielsweise in der indischen Yogalehre oder der japanischen Zen-Meditation. Die geistigen Grundlagen dafür finden sich im buddhistischen Satipatthana. Allerdings sind diese Methoden kaum von der Weltanschauung der jeweiligen Lehre zu trennen, oder sie verlieren dadurch an Wirkung. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde in der Esoterischen Sektion der Adyar-Theosophischen Gesellschaft eine mit dem autogenen Training weitgehend identische Form von Entspannungsübungen durchgeführt.

Johannes Heinrich Schultz entwickelte mit dem autogenen Training eine Technik, die unabhängig vom kulturellen Umfeld und der Weltanschauung anwendbar sein sollte. Vor ihrer Ausarbeitung war er lange Zeit in einem Berliner Hypnose-Ambulatorium tätig. Auf diesen Erfahrungen aufbauend, entwickelte er nach wissenschaftlichen Prinzipien eine Selbsthilfemethode, die er 1932 in seinem Buch „Das autogene Training“ veröffentlichte.

Grundlage hierfür war seine Entdeckung, dass die meisten Menschen in der Lage sind, einen Zustand tiefer Entspannung allein mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft zu erreichen. So lässt sich beispielsweise bei Personen, die sich intensiv Wärme in ihren Armen vorstellen, tatsächlich eine Zunahme der Oberflächentemperatur messen, die auf eine Zunahme der Durchblutung zurückgeführt wird.

Die ursprünglichen Methoden wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts aufgrund neuer Erkenntnisse erweitert. Die Wirksamkeit des autogenen Trainings konnte in vielen Studien nachgewiesen werden.

Einzelnachweise

  1. J. H. Schultz: Das autogene Training (konzentrative Selbstentspannung). Versuch einer klinisch-praktischen Darstellung. Thieme, Leipzig 1932, Auflage 12 ff., S.24

Literatur

  • J. H. Schultz: Das autogene Training (konzentrative Selbstentspannung). Versuch einer klinisch-praktischen Darstellung. Thieme, Leipzig 1932 Abbildung
  • J. H. Schultz: Das original Übungsheft für das autogene Training. Anleitung vom Begründer der Selbstentspannung. 24. Auflage. TRIAS, Stuttgart 2004, ISBN 3-8304-3157-0.
  • J. H. Schultz: "Bionome Psychotherapie". Thieme, Stuttgart, 1951
  • J. H. Schultz: Das Autogene Training. in: Frankl, Gebsattel, Schultz: Handbuch der Neurosenlehre, neue Auflage Urban und Schwarzenberg München, Berlin, Wien 1972, S. 339 ff. ISBN 3-541-05501-4
  • H. Binder(Hg): "Zwanzig Jahre praktische und klinische Psychotherapie". Lehmann, München, 1973, ISBN 3-469-00447-1
  • Henrik Brandt, Steffen Grose: Weniger Stress durch Autogenes Training. CD mit Begleitheft. Brandt, Lübeck 2004, ISBN 3-00-014701-2.
  • Helmut Brenner: Autogenes Training – Der Weg zur inneren Ruhe. Pabst, Lengerich u.a. 2004, ISBN 3-936142-62-9.
  • Helmar Dießner: Reisen ins Abenteuerland – Phantasiereisen für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Junfermann, Paderborn 2003, ISBN 3-87387-536-5.
  • Joseph Garcia: "Autogenes Training und Biokybernetik". Hippokrates Stuttgart, 1983. ISBN 3-7773-0594-4
  • Delia Grasberger: "Autogenes Training". 8. Auflage. Mit Übungs-CD. Gräfe und Unzer, München 2008, ISBN 978-3-7742-5571-5.
  • Marita Hennig: Autogenes Training. Mit CD. Knaur, München 2003, ISBN 3-426-66849-1.
  • Bernt H. Hoffmann, et al.: Handbuch autogenes Training - Grundlagen, Technik, Anwendung. DTV, München 2000, ISBN 3-423-36208-1.
  • Werner König, Gerhard di Pol, Gerhard Schaeffer: Fibel für Autogenes Training. 10. Auflage. Fischer, Jena u.a. 1996, ISBN 3-437-31130-1.
  • Hartmut Kraft: Autogenes Training. Handbuch für die Praxis. 4. Auflage. Deutscher Ärzteverlag, Köln 2004. ISBN 3-7691-0454-4.
  • Günter Krampen: Einführungskurse zum autogenen Training. Ein Lehr- und Übungsbuch für die psychosoziale Praxis. 2. Auflage. Verlag für Angewandte Psychologie, Göttingen 1998. ISBN 3-8017-1078-5.
  • Hannes Lindemann: Autogenes Training. Der bewährte Weg zur Entspannung. Goldmann, München 2004, ISBN 3-4421-6595-4.
  • Alfred Pritz (Hg): "Einhundert Meisterwerke der Psychotherapie". Springer, Wien, New York, 2008, S. 181 ff, ISBN 978-3-211-25214-7
  • Alfred Pritz: (ED): "Globalized Psychotherapy". Facultas Wien, 2002. ISBN 3-85076-605-5
  • Karl Robert Rosa: "Das ist Autogenes Training", Kindler, München 1981. ISBN 3-463-00563-8
  • Karl Robert Rosa: "Das ist die Oberstufe des Autogenen Trainings". ISBN 3-463-00610-3
  • Franz Sedlak & Renate Chiba: Die besonderen Chancen der Autogenen Psychotherapie. Sedlak (EV) Wien 2005, ISBN 3-9500979-8-8 Download: www.oegatap.at
  • Stumm, Pritz, Gumhalter, Nemeskeri, Voracek (Hg): Personenlexikon der Psychotherapie. Springer, Wien, New York 2005. ISBN 978-3-211-83818-1
  • Stumm, Pritz (Hg): "Wörterbuch der Psychotherapie". Springer, Wien, New York 2000, ISBN 3-211-83248-3
  • Heinrich Wallnöfer: "Gesund durch Autogenes Training/Autogene Psychotherapie". Novum, Horitschon, Wien, München, 2003, ISBN 390232463-5
  • Heinrich Wallnöfer: "Seele ohne Angst". Hofmann und Campe, Hamburg, 1968, Naglschmid Stuttgart 1992, ISBN 3-927913-30-8
  • Heinrich Wallnöfer: "Auf der Suche nach dem Ich". Naglschmid, Stuttgart, 1992, ISBN 3-927913-31-6
  • Daniel Wilk: Autogenes Training – Ruhe und Gelassenheit lernen. 3. Auflage. Huber, Bern 2004, ISBN 3-456-84102-7.

Weblinks

siehe auch

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