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==Auszeit im [[Ashram]]==
==Auszeit im [[Ashram]]==
 
'''Artikel von Dörte Krugmann, erschienen im Yoga Vidya Journal Nr. 27, Herbst 2013'''
Artikel von Dörte Krugmann, erschienen im Yoga Vidya Journal Nr. 27, Herbst 2013


Schon lange [[Zeit]] geistert mir immer wieder der gleiche Satz
Schon lange [[Zeit]] geistert mir immer wieder der gleiche Satz

Version vom 14. Mai 2014, 15:29 Uhr

Auszeit: Zeit der Regeneration und Neuausrichtung, um sich in einen kreativen Fluss zu bringen und der Lebensaufgabe aus einer ganzheitlichere Perspektive gerecht zu werden.

Auszeit im Ashram

Artikel von Dörte Krugmann, erschienen im Yoga Vidya Journal Nr. 27, Herbst 2013

Schon lange Zeit geistert mir immer wieder der gleiche Satz durch meine Gedanken: Ich will das alles nicht mehr! Tja, das ist erst mal leicht gedacht und auch gesagt, aber was will ich dann? Ich kann doch nur meinen Bürojob, den ich seit 15 Jahren mache und sollte schließlich dankbar dafür sein, dass ich ihn habe und mir unzählige Dinge leisten kann und viel Sicherheit in meinem Leben herrscht. Ich muss doch glücklich sein! Aber Dankbarkeit und Glücksgefühle wollen sich einfach schon lange nicht mehr einstellen.

Ich befrage das Internet, was bedeutet eigentlich aussteigen. Bin ich mit solchen Gedanken überhaupt noch normal? Bin ich eine Weltreisende? Soll ich Farmhelferin werden? Oder lieber alles so lassen wie es ist? Und dann stoße ich per Zufall auf das Sadhaka-Programm bei Yoga Vidya und bin sofort gefesselt: 3 Monate für deine spirituelle Praxis. Wachstum und Sinnfindung statt Krise. Das ist es!!!! Sadhaka, was bedeutet das eigentlich? Es ist eine Schülerin, eine Suchende. Ja, das bin ich.

Ich nehme all meinen Mut zusammen und lasse mich für einige Monate im Büro beurlauben, melde mich in Bad Meinberg an und Anfang Februar ziehe ich im Ashram ein. Es fühlt sich an wie nach Hause kommen, als ich meinen großen Koffer auspacke. Alles ist mir sehr vertraut durch meine [[Yogalehrer- Ausbildung]], die ich über 2 Jahre in einem Yoga Vidya Stadtcenter absolviert habe und immer wieder hier im Haus war.

Gleich am ersten Abend treffe ich meine Betreuerin, Vani Devi. Mit ihrem strahlenden Blick schaut sie mir tief in die Augen und fragt, warum ich denn überhaupt hier sei. Ich erzähle ihr kurz, dass ich etwas Neues für mein Leben suche, mich schon lange heimatlos und ohne Ideen und Freude fühle. Sie sagt, mein zu Hause muss ich erst einmal in mir selbst finden. Wow, damit hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Und das nach ganzen 5 Minuten unserer neuen Bekanntschaft. Das soll während der nächsten 3 Monate immer wieder mein Thema werden. Mein erster Job steht an. Ich darf in der Küche mithelfen. Vor wenigen Wochen habe ich noch in unzähligen Besprechungen und Geschäftsessen alles serviert bekommen, nun bin ich diejenige, die mit der Schürze das Gemüse schnippelt und Tische wischt. Was wird wohl mein Ego dazu sagen? Es schweigt und freut sich über die neue ungewohnte Beschäftigung. Die Küchenarbeit ist für mich wie Meditation, abends falle ich erschlagen aber zufrieden ins Bett.

Nach einer Woche soll ich in die Werbung wechseln. Mir ist mulmig dabei, ich wollte doch um jeden Preis nicht mehr in ein Büro zurück. Hier werde ich aber so herzlich aufgenommen, dass ich mich innerhalb von ein paar Tagen pudelwohl fühle. Es soll wohl so sein und ich kann es gut annehmen. Zu Beginn meines ersten Team-Meetings singen wir gemeinsam das Om, es folgen einige Momente der Stille und dann geht es erst los mit der Tagesordnung. Ich muss in mich hinein lächeln, weil ich mir meine alte Abteilung vorstelle, wie wir unsere Meetings mit einem Mantra beginnen und alle in bequemer Kleidung statt Nadelstreifenanzügen über die nächsten Projekte diskutieren. Unvorstellbar! Dabei sind wir hier mindestens genau so effektiv auch ohne Kaffee und Business-Uniform. Kleidung macht vielleicht Leute, aber nicht immer unbedingt Sinn. Jeden Tag Yoga. Was für ein Geschenk! Lange Zeit habe ich mich nicht auf der Matte blicken lassen und muss erst mal an den Anfängerstunden teilnehmen, so ungelenkig und steif bin ich. Und das als Yogalehrerin. Mal wieder lässt sich das Ego hören und flüstert mir zu: Jetzt streng dich mal ein bisschen an! Aber ich schicke es schon mal voraus ins Nirvana, denn gerade diesen Antreiber-Sätzen möchte ich nicht mehr nachgehen. Es ist Zeit, endlich wieder auf meinen Körper zu hören und auf meine innere Stimme, die in den letzten Jahren beharrlich geschwiegen hat. Sie war wohl mit meinem Lebensweg nicht mehr so richtig einverstanden. Verdenken kann ich es ihr nicht. Wie gewohnt übertreibe ich es dann trotzdem und kann mich nach einigen Tagen vor Muskelkater kaum noch bewegen. Aber über die Wochen spüre ich, wie die Kraft zurück kommt und welche Zeit ich in einer Stellung verbringen möchte. Obwohl ich schon einige Jahre Asanas praktiziere, habe ich das Gefühl, dass ich sie erst jetzt richtig entdecke. Früher habe ich sie technisch aufgebaut und sportlich gehalten. Erst jetzt ist es mir möglich, mich mit meiner Atmung zu verbinden und in mich reinzuspüren und die Wirkungen zu fühlen. Das ist ein ganz neues Erleben von Yoga.

Plötzlich ist auch wieder die Verbindung zu mir selbst da. Jeden Tag schreibe ich Seite über Seite in mein Tagebuch, es fließt alles aus mir heraus, was sich lange angestaut hat. Das habe ich jahrelang nicht mehr gemacht, weil mir einfach die Worte ausgeblieben sind. Jetzt scheint sich alles aufzulösen und ich kann von Woche zu Woche klarer sehen. Mein Leben der letzten Jahre läuft wie ein Film in meinen Erinnerungen ab und ich kann ihn mir genau anschauen. Plötzlich kann ich sehen, wie fest sich meine Maske der Anpassung über die Jahre aufgebaut hat. Aber diese Maske habe ich glücklicherweise gar nicht erst mit ins Ashram genommen. Hier war sie von Anfang an nicht nötig. Warum musste ich erst hierher kommen, um mich wieder zu finden?

Während einer Yogastunde sagt der Lehrer im Drehsitz die Affirmation: Nimm eine Haltung im Leben ein. Deine Haltung! Es fühlt sich an, als hätte er das nur für mich gesagt. Und ich weiß jetzt, dass es Zeit ist, einen lange gehegten Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen: Ich fahre zu meinem Chef und erkläre ihm, dass ich nicht mehr wiederkommen werde. Ich wirke auf ihn, als wäre ich sehr bei mir selbst, stellt er fest. Endlich kann ich ehrlich zu ihm sein. Er hat mich immer unter - stützt, dafür bin ich ihm unendlich dankbar, aber dieser lange berufliche Abschnitt ist nun beendet. Das war mir schon lange Zeit bewusst, aber jetzt ist auch der Mut da, etwas zu verändern. Ich habe in diesen Wochen viele Ideen gesammelt, wie es weiter - gehen kann. Und dabei ist es plötzlich nicht mehr wichtig, dass ich noch einmal ganz von vorne anfangen muss. Mir ist klar, dass ich meinen lange erarbeiteten Status aufgebe, aber das spielt keine Rolle mehr. Denn glücklich hat er mich schon lange nicht mehr gemacht. Nach so viel Euphorie kommt plötzlich doch ein tiefes Tal. Ich fühle mich traurig und ängstlich, bin wütend auf die ganze Welt und schlage mir den Bauch mit Schokolade voll. Ich kann nicht mehr in die Yogastunden gehen, auch in meinem Zimmer schaue ich die Matte feindselig an. So vergeht Tag für Tag und meine Widerstände werden immer stärker, ohne dass ich verstehe. Ich bin kurz davor, meinen Koffer zu packen und nach Hause zu fahren, zu flüchten. Was ist da los? Ich habe Angst, den Yoga zu verlieren. Glücklicherweise ist Vani Devi da und ich bespreche es mit ihr. Sie gibt mir einen guten Rat: Hör auf mit der Schokolade und mache lieber Wechselatmung! Ja so ist sie und trifft immer genau den Nagel auf den Kopf. Sie sagt, vielleicht gebe ich dem Yoga die Schuld daran, dass ich mein altes, bequemes, sicheres Leben nicht mehr weiterleben kann. Mit Yoga habe ich mich auf einen Weg gemacht, der näher an meinem Herzen ist, der wieder mehr mir selbst entspricht. Ich spüre jeden Tag die Freude über diesen neuen Weg und wie die Kraft zurück kommt. Aber es ist eben auch erst einmal alles ungewiss und ich muss in Bewegung kommen, meine eigene Kreativität ist gefragt. Sicherlich wird es auch wieder Einbrüche geben und Zweifel werden entstehen, aber ich bin dafür gut ausgerüstet und habe meine Vision klar vor meinem inneren Auge. Ein Zurück ist keine Option mehr.

Ich treffe viele Menschen, die sich die gleichen Fragen stellen wie ich. Der Austausch mit ihnen tut mir gut, ich fühle mich gar nicht mehr „unnormal“ mit meiner Entscheidung, mein Leben noch einmal komplett zu ändern. Natürlich finde ich auch wieder zurück auf die Matte. Eine Gelassenheit stellt sich ein, wie ich sie mir immer gewünscht habe. Normalerweise war mein Terminkalender schon wochen - lang im Voraus prall gefüllt. Hier plane ich maximal die nächsten 2 – 3 Tage und das funktioniert ganz hervorragend. Ich fließe wieder viel mehr mit dem Leben und lasse die Tage auf mich zukommen, versuche achtsam zu sein. So komme ich immer mehr bei mir an. Spüre, was jetzt gut für mich ist und wo meine Grenzen sind.

Inzwischen ist es Zeit geworden, sich zu verabschieden. Ich habe viel Kraft gesammelt und werde meine neuen Projekte nun Schritt für Schritt angehen. Ich freue mich drauf. Abschiede fallen mir immer sehr schwer und so bin ich auch jetzt voller Traurigkeit. Gleichzeitig erfüllt mich aber auch eine enorme Dankbarkeit, dass ich hier so unglaublich nette Menschen treffen konnte, die mir oft ein Spiegel waren und mir die Gelegenheit gaben, mich immer weiter zu entwickeln und zu wachsen. Und gelacht haben wir auch nicht zu knapp, das behalte ich einfach alles in meinen Erinnerungen und meinem Herzen! Mal schauen, was das Leben nun für mich bereit hält.

Dörte Krugmann – Yogalehrerin (BYV), war 15 Jahre in einem großen internationalen Versicherungsunternehmen in Düsseldorf tätig. Nach ihrer Auszeit im Ashram kehrte sie wieder zurück in ihre Heimat und lebt heute glücklich an der Ostsee.

Siehe auch

Literatur