Die Essenz der Brahma Sutras - Kapitel 4 - Falsche Vorstellungen werden widerlegt

Aus Yogawiki
Swami Krishnananda 1982

Die Essenz der Brahma Sutras, Kapitel 4 - Falsche Vorstellungen werden widerlegt

Falsche Vorstellungen werden widerlegt

Wünsche, die sich auf weltliche Objekte beziehen, können nicht erfüllt werden, da der Geist sie als außerhalb von sich selbst akzeptiert. Etwas Äußerliches kann nicht zu etwas Innerem werden. Auf diese Weise sind alle Wünsche in ihrer Natur nutzlos. Sie sind wie Luftschlösser, denen man nachjagt. In den Vyavaharika satta, - im tatsächlichen Zustand der Existenz, - scheint sich die Welt auf gleicher Ebene mit dem Betrachter zu befinden. Man könnte ihre Hand schütteln. Doch dies ist mit Brahman, dem Absoluten, nicht möglich.

Die Welt existiert als empirische, praktische und pragmatische Wirklichkeit. Darum liegt Vijnanavada nicht richtig mit seiner Behauptung, dass die Welt überhaupt nicht existiert. Sie existiert irgendwie, doch nicht in jeder Beziehung. Vyavaharika satta ist die akzeptierte empirische Wirklichkeit der Außenwelt, mit der wir jeden Tag umgehen und in Berührung kommen, und das weltliche Geschehen geht immer weiter.

Darum müssen wir die Doktrin über die Existenz oder ‚Nicht-Existenz‘ der Welt mit absoluter Vorsicht behandeln. Wir sollten es nicht übertreiben. Ein unreifer Verstand sollte sich nicht um Philosophie kümmern.

Ein Guru erzählte seinem Schüler: ”Alles ist Brahman.” ”Sehr gut, sehr gut,” sagte der. Eines Tages als er auf die Straße ging, begegnete ihm ein Elefant. Der Mahut (Treiber) sagte: ”Geh aus dem Weg, geh aus dem Weg!” Der Schüler dachte bei sich: ‚Warum sollte ich aus dem Weg gehen? Der Elefant ist auch Brahman, und der Guru hat es gesagt!‘ Der Schüler blieb, wo er war. Der Elefant hob ihn empor und warf ihn wieder zu Boden, was dem Schüler einen Beinbruch einbrachte. Der Schüler ging zu seinem Guru und sagte: ”Guruji, was hast du mir erzählt! Du hast gesagt, alles sei Brahman, und ich dachte, dass auch der Elefant Brahman ist. Dies brach mir mein Bein.” ”Oh, du dummer Mensch! Hast du nicht geglaubt, dass auch der Mahut Brahman ist? Hat er dir nicht geraten, aus dem Weg zu gehen? Das hast du nicht richtig verstanden.”

Es ist nicht gut, nur einen Teil der Wirklichkeit zu verstehen. Die Yoga Vasishta warnt uns:

‚Ardhavyutpannabuddhestu Sarvam Brahmeti yo vadet; Mahanaraka-jaleshu sa tena viniyojitah‘

Wenn man die Doktrin über Brahman an einen unvorbereiteten Geist weitergibt, wirst du selbst zusammen mit diesem Schüler zur Hölle gehen! Sprich nicht sorglos. Es ist ein Fehler, unvorbereiteten Menschen zu erzählen, dass alles Brahman ist. Dies würde dem betreffenden Menschen seinen gesunden Menschenverstand rauben, er würde nichts davon haben, sondern alles verlieren.

Noch einmal zur Warnung: Die Vedanta sollte nicht gleich zu Beginn des Lernens studiert werden. In den ersten Stufen sollte man sich mit Bhakti Yoga, Karma Yoga, den Upasana Methoden und anderen Dingen auseinander setzen. Die Upasana Methode wird im dritten Kapitel der Brahma Sutra erwähnt. Man muss durch die Upasana Ebene (Bhakti) solange hindurchgehen, bis der Geist sorgfältig geläutert ist.

Wir haben kennen gelernt, wie die Brahma Sutra die buddhistische Sichtweise über die sich verändernden Dinge, den augenblicklichen Zustand der Dinge und den nihilistischen Aspekt des Buddhismus widerlegt.

Alles nur Atome?

Es gibt andere Doktrin, wie die Theorie über das Atom. Alles besteht nur aus Atomen. Die Bündelung von Atomen erschaffen die Formen der Dinge, und die Qualität des Ausgangsmaterials bringt neue Qualitäten hervor. Wer erschuf die Welt? Die Atome erschufen die Welt. Die Atome trafen aufeinander und erschufen so die Sinne der Objektivität, die Solidität und die Fähigkeit zur Wahrnehmung. Diese Doktrin wird in der Brahma Sutra widerlegt. Atome können sich nicht miteinander treffen, denn sie haben weder Gestalt noch Ausdehnung.

Nyaya und Vaiseshika haben diese Doktrin skizziert und damit akzeptiert, dass Atome weder Gestalt noch Ausdehnung haben. Wenn es bei Atomen keine Ausdehnung gibt, wie sollen die sich dann treffen? Darum ist die Theorie über die Begegnung der Atome nicht akzeptabel. Selbst angenommen, wenn es möglich wäre, dass sich die Atome begegnen, wer veranlasst dies? Wer verursacht die Vereinigung von einem mit einem anderen Atom, mit einem Doppelatom oder Trippelatom? Solange es keine zwingende Kraft dafür gibt, kann diese Aktivität nicht stattfinden. Um diese Argumentationskette von der Vereinigung der Atome und der Schaffung der Welt akzeptieren zu können, bedarf es einer Kraft, die diese Atom zusammenkommen lässt. Wenn man behauptet, dass die Atome ausreichend seien, und alles würde durch die Aktivität der Atome erschaffen werden, dann ist diese Theorie unzureichend. Diese Theorie ist widerlegt. Die Nyaya akzeptiert letztendlich die Existenz einer Art göttlichen Schöpferkraft, doch dieser außerordentliche kosmische Vorgang setzt in Wirklichkeit den Eingriff Gottes mit seiner Schöpfung voraus.

Es gibt andere Theorien, die besagen, dass der Atman, das Selbst oder das Bewusstsein sich ebenso wie Atome verhalten (Anumatra). Dieses Wort wird in den Upanishaden nicht als Atom, sondern als subtil verstanden. Es bedeutet so viel wie sehr fein, was man unmöglich greifen kann; darum wird es metaphorisch als ‚Anu‘ bezeichnet.

‚Anuh pantha Vitatah‘, sagt die Upanishad. Der Pfad zur Vollkommenheit ist ‚Anu‘, atomisch. Atomisch bedeutet nicht nur klein, wie ein kleines Teilchen, sondern so viel wie außerordentlich fein, was im menschlichen Sinne nicht fassbar ist, und darum wurde es als ‚Anu‘ – extrem fein und nicht wahrnehmbar – bezeichnet.

‚Kshurasya Dhara Nisita Duratyaya Durgam Pathastat Kavayo Vadanti‘ (Katha Upanishad)

Der Weg zum Himmel, zu Gott, zum Absoluten ist so scharf, so fein und unverständlich, als würde man auf der Schneide einer Rasierklinge voranschreiten.

Warum heißt es, dass Atman innerlich ist? Die Idee von einem inneren Atman vermittelt den Eindruck, dass ES nicht außen zu suchen ist. Ist es nicht so? Die Idee von einem Atman, sei ES innerlich oder äußerlich, muss zuerst geklärt werden. Was ist überhaupt unter dem Atman zu verstehen? Was ist es? Woraus besteht es? ES ist nicht von körperlicher Gestalt, denn alles Körperliche ist sterblich. Das Selbst ist unsterblich und unvergänglich. Alle Doktrin, alle Philosophien akzeptieren das Selbst als Unsterbliches. Wenn ES unsterblich ist, sollte ES jeglicher Ausdehnung und jeder Art von Vergänglichkeit trotzen. ES sollte ohne jede Ausdehnung sein. Wenn dieses Bewusstsein, welches Atman ist, eine Ausdehnung oder Begrenzung hätte, wäre es endlich und nicht unsterblich. Endliche Dinge streben nach Unendlichkeit. Endliche Dinge können nicht mit sich selbst zufrieden sein. Im Zentrum jedes Endlichen existiert ein Bemühen um Unendlichkeit. Darum kann Atman nicht endlich sein, sondern ES ist all-durchdringendes Bewusstsein.

Die Idee von einem inneren Atman muss vom Begriff her richtig verstanden werden. ‘Im Innern’ heißt nicht ‘in mir’ oder ‘in dir’ usw., sondern ‘Im Innern’ bedeutet in allem. Ein Ding, dass in allem existiert, ist überall. Wenn ES überall ist, ist es, wie im Fall von Atman, vor dem Gebrauch der Wörter ‘innerlich’ und ‘äußerlich’ sicher. Sag’ nicht, dass Atman innerlich oder äußerlich ist. ES ist überall und unbegreiflich. Wenn sich etwas außerhalb befindet, kann man es verstehen, und wenn es sich auch innerhalb befindet, kann man es bis zu einem gewissen Grade auch noch verstehen. Doch wenn ES sich überall befindet, wer will das noch verstehen?

Hier kommt wieder Frage über den ‘erkannten Brahman’ auf. Dasjenige, was überall ist, schließt selbst jenen Menschen ein, der versucht, ES zu kennen zu lernen. Dieses Etwas, was überall ist, kann solange nicht erkannt werden, bis der Sucher selbst zu DEM geworden ist. Brahman zu kennen, bedeutet Brahman zu sein. Die Wirklichkeit zu kennen, bedeutet die Wirklichkeit zu sein. Gedanke und Wirklichkeit verbinden sich und werden Absolutes Sein. Darum ist Atman nicht nur ein ‘Anu’ oder Teilchen, wie die Menschen manchmal glauben mögen. Die Doktrin über das Atom oder Anuvada, eines Bewusstseins, das nur innerlich ist, ist damit ebenfalls widerlegt.

Überraschenderweise ist dies der Grund, weshalb die Brahma Sutra nicht von allen und jedem gelesen werden sollte; - sie widerlegt viele Theologien, unter anderem auch Vaishnavismus und Savisismus etc. Man wird überrascht sein, warum sie Vaishnavismus (Verehrer Vishnus, Krishnas etc.) und Savisismus (Verehrer Shivas) widerlegt. Ende des zweiten Kapitels geht die Brahma Sutra ins Detail, wobei erklärt wird, dass es unmöglich ist, die Vaishnava und Saiva Theologie pauschal gelten zu lassen. Dies ist für deren Anhänger nicht besonders erfreulich. Philosophie ist keine Religion, sondern tief gehende Analyse des Modus operandi der Attraktivität von Religionen.

Warum geht die Brahma Sutra so weit, den Glauben der Menschen zu erschüttern? Noch einmal, der Punkt ist, dass die Menschen noch nicht reif für das Wissen Brahmans sind, und sie sollten die Brahma Sutra nicht gleich am Anfang ihrer Ausbildung studieren. Zuvor ist es notwendig, die Logik des Wünschens und Fühlens kennen zu lernen.

Vyuha’ bedeutet eine Gruppe von Gottheiten. Unter diesen Gruppen versteht man Vasudeva, Sankarshana, Pradyumna und Aniruddha. Vasudeva ist Gott Krishna. Pradyumna ist sein Sohn, Aniruddha sein Enkel und Sankarshana ist sein Bruder. Vasudeva, Sankarshana, Pradyumna und Aniruddha sind im Vergleich zu Gott, die Kategorien der Gottheiten, und in Bezug auf Vaishnavismus, individuell, geistig und Ich-bezogen.

Die Brahma Sutra sagt, dass es keine Kategorien von Gottheiten geben kann. ES ist eine unteilbare Menge, und wenn Vasudeva, Sankarshana, Pradyumna, Aniruddha usw. hervorbringt, so ist jede von ihnen sterblich. Etwas, das etwas anderes hervorbringt, ist endlich. Eine Ursache, die sich selbst in einen Effekt verwandelt, hat bereits in sich selbst eine Veränderung durchgemacht und aufgehört, die Ursache zu sein; der Effekt hat die Ursache zerstört.

Brahman kann nicht zu Vasudeva, Sankarshana, Pradyumna und Aniruddha werden, wenn ES sich selbst nicht in diese Abstufungen oder Objekte verwandelt, die wir religiös verehren. Wenn Milch sich in Jogurt verwandelt, kann es nicht länger als Milch bezeichnet werden. Wenn also Jogurt entstanden ist, hat die Milch aufgehört zu existieren. Wenn man diese Doktrin der Offenbarung der Vyuhas entsprechend der Vaishnava Theologie akzeptierte, dann würde dies bedeuten, dass Brahman sich selbst in diese Vyuhas verändert hätte, so wie sich Milch in Jogurt verwandelt. Genauso wie Jogurt die Milch völlig zerstört, würden die Vyuhas Brahman zerstören. Darum kann diese Theologie nicht akzeptiert werden. Entsprechend können die Pashupata (Name Shivas - Herr der Tiere) und Saiva Kosmologien beiseite gelassen werden.

Gott - eine Person

Gott als Persönlichkeit zu sehen, herrscht in vielen Weltreligionen vor, sei es im Christentum, dem Islam, dem Zoroastrismus und all den semitischen Religionen. In indischen Religionen wird Gott als Übermensch betrachtet. Man kann Ihn Allah, Vater im Himmel, Narayana, Vishnu oder Shiva nennen. Welcher Name auch immer es sei, es wird ein Gottmensch akzeptiert.

Was versteht man unter einer Persönlichkeit (einem Gottmenschen)? Dies muss zuerst geklärt werden. Die Persönlichkeit bedeutet eine Einschränkung, die man dem all-durchdringenden Gott auferlegt. Du bist eine Persönlichkeit, und du dehnst nur die Vorstellung deiner Persönlichkeit zur Unendlichkeit aus, um die Persönlichkeit Gottes wahrzunehmen. Gott sieht wie ein riesiger Mensch aus. Man kann diese Fehleinschätzung nicht vermeiden. Selbst wenn Gott eine unendlich ausgedehnte Persönlichkeit wäre, gäbe es Raum und Zeit außerhalb von IHM. Die Vorstellung von einem Gottmenschen kann solange nicht aufkommen, wie kein äußerlicher Raum vorhanden ist. Wenn der Raum sich in diesem Gottmenschen befinden würde, dann würde der wahrgenommene Mensch zur Unperson. Brahma Sutra betont die Unpersönlichkeit Gottes, und lässt Persönlichkeiten zum Zweck der Verehrung und Kontemplation zu.

Die Brahma Sutra wird nicht zu Beginn der Vedanta Sastra behandelt. Es gibt vorangestellte Texte wie Atma Bodha, Tattva Bodha, Vedanta Sara und Panchadasi usw. Diese einführenden Texte sollen die schwierigen Punkte der Vedanta Doktrin klären. Man muss langsam voranschreiten. Gehe niemals direkt zu den Upanishaden. Heutzutage sagen die Leute: ‚Ich studiere die Upanishaden usw.‘ Der Geist ist noch nicht dafür reif, das Herz ist voller Wünsche, Verlangen, Vorurteile, Egoismus, Lust, Angst und Gier. Diese Ablenkungen sollten vor dem Verlangen nach dem ALL-Sein, - Brahman, - ausgemerzt werden.

© Divine Life Society

Siehe auch

Literatur

Seminare

Vedanta

28.02.2025 - 02.03.2025 Der Geist, das Glück und die Gunas - Vedanta im Alltag
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14.03.2025 - 16.03.2025 Indische Schriften und Philosophiesysteme
Die wichtigsten Yogaschriften: Die 6 Darshanas. Unterrichtstechniken: Korrekturen und Hilfestellungen speziell für Anfänger, Yoga für den Rücken.