Brahmi Schrift
Die Brahmi Schrift ist der Urtyp aller auf Silben basierenden indischen Schriftsysteme, mit Ausnahme der für das Urdu und Kashmiri verwendeten persischen Schrift.
Brahmi ist dabei der heutige Name, der für das älteste Mitglied in der Familie der Alphabete der Brahmanen verwendet wird. Diese Brahmi Schrift ist eine der klassischen Schriftsysteme der Welt aufgrund ihrer Benutzungsdauer und ihres gestaltenden Einflusses. Diese Schrift repräsentiert die ältesten post-Indus Texte und einige der ältesten historischen Inschriften, die in Indien gefunden wurden. Und diese sehr elegante Schrift tauchte dann in ganz Indien etwa zur Zeit des 5. Jahrhunderts v. Chr. auf.
Geschichte
Die Brahmi Schrift geht mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die aramäische Schrift zurück, welche sich wiederum aus der phönizischen Schrift entwickelt hat. Aus der linksläufigen aramäischen Schrift ist auch das hebräische und das arabische Alphabet hervorgegangen. Die Brahmi Schrift ist eine rechtsläufige Schrift, die über Vokal- und Konsonantenzeichen verfügt. In ihr wurde das in allen späteren indischen Schriftsystemen beibehaltene Prinzip entwickelt, Konsonant und Vokal zu einem Silbenzeichen (Akshara) zu kombinieren.
Die Brahmi Schrift wurde zur Schreibung der Prakrit genannten mittelindischen Sprachen entwickelt. Ihre ältesten Zeugnisse sind die Felsen- und Säuleninschriften des zum Buddhismus konvertierten Kaisers Ashoka, der im 3. Jh. v. Chr. über das Maurya-Reich herrschte. Zur Schreibung von Sanskrittexten, die zuvor und auch noch lange Zeit nachher nur mündlich überliefert wurden, entwickelten sich über viele Zwischenstufen von der Brahmi Schrift abgeleitete Schriften, aus denen schließlich die modernen indischen Schriftsysteme wie die Devanagari, Bengali oder die aus der Grantha abgeleitete Tamil Schrift hervorgingen.
Vokale: isolierte und modifizierende Vokalzeichen
Die Brahmi Schrift verfügt über eigenständige und abhängige Vokalzeichen. Erstere, die nur am Wortanfang (1. Silbe) benutzt werden, nennt man isolierte Vokalzeichen. Insofern die Brahmi Schrift zur Schreibung der Prakrit genannten mittelindischen Sprachen entwickelt und benutzt wurde, fehlt ihm das aus dem Sanskrit stammende silbische ṛ und ḷ.
In Zusammenhang mit einem Konsonanten (im Beispiel k) wird der entsprechende Vokal mit kleinen, in verschiedene Richtungen weisenden Zusatzstrichen markiert. Diese abhängigen Vokalzeichen nennt man modifizierende Vokalzeichen. Ein kurzes a (im Beispiel in ka) wird in der Brahmi nicht eigens geschrieben, da es dem Konsonantenzeichen "inherent" ist.
Unter der nachfolgenden Übersicht der Vokalzeichen erscheint die Ausprache des Vokals gemäß der wissenschaftlichen Transliteration (IAST), in eckigen Klammern laut dem Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA). Ein Strich über (IAST) bzw. ein Doppelpunkt hinter (IPA) dem Vokal bedeutet die Länge desselben. Im Prakrit wurde ein e oder o lang oder kurz ausgesprochen, je nachdem, in welcher lautlichen Umgebung es sich befand.
Konsonanten
Die Konsonanten der Brahmi Schrift werden im Alphabet nach streng phonetischen Gesichtspunkten angeordnet. Traditionell geschieht dies für die ersten 25 Konsonanten in fünf Fünfergruppen, die jeweils eine Reihe bzw. Klasse (Varga) von Lauten (Varna) darstellen, die an derselben Artikulationsstelle (Ort, wo ein Laut im Mund durch Erzeugen einer Engstelle hervorgebracht wird) gebildet werden. Die Konsonanten werden außerdem hinsichtlich ihrer Stimmhaftigkeit (stimmlos vs. stimmhaft) und Behauchung bzw. Aspiration (unbehaucht vs. behaucht) angeordnet.
Unter dem Konsonantenzeichen erscheint wieder die Ausprache gemäß der wissenschaftlichen Transliteration (IAST), in eckigen Klammern laut dem Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA).
Anusvara
Auch das Anusvara (IAST: ṃ oder ṁ) genannte Sonderzeichen wurde in der Brahmi Schrift bereits verwendet. Es stand in der Wortmitte für den sogenannten Klassennasal, am Wortende wurde es wie m ausgesprochen. Anusvara wurde in der Brahmi durch einen kleinen Punkt markiert, der in halber Höhe rechts der vorangehenden Silbe stand.
Textbeispiel
Das folgende Textbeispiel mit beigefügter IAST Transliteration ist ein reproduzierter Auszug aus einem in Delhi befindlichen Steinsäulenedikt von Kaiser Ashoka:
devānaṁpiye piyadasi lājā hevaṁ āhā ye atikaṁtaṁ
aṁtalaṁ lājāne husa hevaṁ ichisu kathaṁ jane
dhaṁmavaḍhiyā vāḍheya nocujane anulupāyā dhaṁmavaḍhiyā
vaḍhithā etaṁ devānaṁpiye piyadasi lājā hevaṁ āhā esame
huthā atākaṁtaṁ ca aṁtalaṁ hevaṁ ichisu lājāne katha jane
Varianten der Brahmi Schrift
Da die Brahmi Schrift über einen Zeitraum mehrerer Jahrhunderte und in sehr weit auseinanderliegenden Gebieten verwendet wurde, entwickelten sich für die meisten Vokal- und Konsonantenzeichen verschiedene Schreibweisen.