Sanskrit Kurs Lektion 61

Aus Yogawiki

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Der Partizip Präsens Aktiv (1)

Das Sanskrit besitzt neben dem Partizip Präsens Passiv (Lektion 58-60) eine weitere Möglichkeit, mit der man eine Handlung (Kriya), die in der Gegenwart (Präsens) stattfindet, ausdrücken kann, ohne dabei ein konjugiertes Verb (Akhyata) zu benutzen. Dazu gebraucht man ein sogenanntes Verbaladjektiv bzw. Partizip mit der Bedeutung des Aktivs in der aktiven Konstruktion (Kartari Prayoga). Dieses Verbaladjektiv heißt Partizip Präsens Aktiv.

Bildung

Das Partizip Präsens Aktiv bezeichnet einen Vorgang in der Gegenwart, der häufig parallel zu einer anderen Handlung verläuft. Ein solches Partizip erkennt man daran, dass es auf das Suffix (Pratyaya) -at bzw. -t endet, welches an den Präsensstamm der jeweiligen Verbalwurzel (Dhatu) tritt:

  • paṭh (Wurzel der Bhu Klasse) "rezitieren", Präsensstamm paṭha- + -t wird zu paṭhat "rezitierend"
  • śru (Wurzel der Su Klasse) "hören", Präsensstamm śṛṇu- + -at wird zu śṛṇvat "hörend"
  • as (Wurzel der Ad Klasse) "sein", Präsensstamm (a)s- + -at wird zu sat "seiend" (Sat)

Die weiblichen Formen des Partizip Präsens Aktiv enden im Nominativ Singular auf -a(n)tī:

  • paṭhantī "die Rezitierende"
  • śṛṇvatī "die Hörende"
  • satī "die Seiende, Gute" (Sati)

Deklination und Syntax

Das so entstandene Partizip Präsens Aktiv folgt bei männlichen und sächlichen Substantiven der Deklination der Nominalstämme auf -at (wie Jagat oder Mahat). Die weiblichen Formen (Femininum) des Partizip Präsens Aktiv (z. B.: satī Nom. Sg. f.) folgen der Deklination der Nominalstämme auf (wie Devi oder Nadi). Eine vollständige Übersicht zur Deklination des Partizip Präsens Aktiv findest Du hier.

Das Partizip Präsens Aktiv nimmt wie ein Adjektiv (Visheshana) Fall (Kasus), Zahl (Numerus) und Geschlecht (Genus) des Substantivs an, auf das es sich bezieht.

Wenn das Partizip Präsens Aktiv eine Verbalhandlung audrückt, die parallel zu einer anderen verläuft, so bezeichnet man das Partizip Präsens Aktiv als sekundäre Verbalhandlung bzw. Nebenhandlung (Guna Kriya). Die durch eine finite Verbform ausgedrückte primäre Verbalhandlung wird auch als Haupthandlung (Mukhya Kriya) bezeichnet.


Übung 1

  • Devanagari: ब्राह्मणः कानिचित्सुभाषितानि पठन्नुद्याने गच्छति |
  • wissenschaftliche Transliteration: brāhmaṇaḥ kānicit subhāṣitāni paṭhann udyāne gacchati |
  • vereinfachte Transkription: brahmanah kanichit subhashitani pathann udyane gachchhati |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Ein Brahmane (Brahmana, Nom. Sg. m.) einige (Ka-Chid, Akk. Pl. n.) Sinnsprüche (Subhashita, Akk. Pl. n.) rezitierend (paṭhat, Nom. Sg. m.) im Garten (Udyana, Lok. Sg. n.) geht (gam, Verb), d.h. "Ein Brahmane geht einige Sinnsprüche rezitierend im Garten umher."

Erläuterungen

  • Der Nominativ (Prathama) brāhmaṇaḥ ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der primären Verbalhandlung gacchati sowie der als Partizip Präsens Aktiv ausgedrückten sekundären Verbalhandlung paṭhan.
  • Der Akkusativ subhāṣitāni ist das logische Objekt (Karman) der als Partizip Präsens Aktiv ausgedrückten sekundären Verbalhandlung paṭhan.
  • Das Partizip Präsens Aktiv paṭhan ist von der Wurzel paṭh "rezitieren" abgeleitet und bezieht sich auf das Substantiv brāhmaṇaḥ, weshalb es gleichfalls im Nominativ Singular Maskulinum steht.
  • Die Verbform gacchati ("er geht") ist die 3. Person Singular Aktiv (Parasmaipada) der Gegenwart der Verbalwurzel gam "gehen, umhergehen" (1. bzw. Bhu Klasse).
  • Sandhi: Das auslautende stimmhafte -d von cid wird vor folgendem stimmlosem s- zu stimmlosem -t. Das auslautende -n von paṭhan wird vor einem folgenden Vokal verdoppelt, weil ihm ein kurzer Vokal vorausgeht: paṭhann u-.


Übung 2

  • Devanagari: तस्य भार्या गाथां गायन्ती गृहे भोजनं पचति |
  • wissenschaftliche Transliteration: tasya bhāryā gāthāṃ gāyantī gṛhe bhojanaṃ pacati |
  • vereinfachte Transkription: tasya bharya gatham gayanti grihe bhojanam pachati |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Dessen (Tad, Gen. Sg. m.) Frau (Bharya, Nom. Sg. f.) ein Lied (Gatha, Akk. Sg. f.) singend (gai, Nom. Sg. f.) im Haus (Griha, Lok. Sg. n.) eine Mahlzeit (Bhojana, Akk. Sg. n.) kocht (pac, Verb), d.h. "Seine Frau kocht im Haus singend eine Mahlzeit."

Erläuterungen

  • Der Nominativ bhāryā ist das logische Subjekt der primären Verbalhandlung pacati sowie der als Partizip Präsens Aktiv ausgedrückten sekundären Verbalhandlung gāyantī.
  • Der Akkusativ gāthām ist das logische Objekt (Karman) der als Partizip Präsens Aktiv ausgedrückten sekundären Verbalhandlung gāyantī.
  • Das Partizip Präsens Aktiv gāyantī ist von der Wurzel gai "singen" abgeleitet und bezieht sich auf das Substantiv bhāryā, weshalb es gleichfalls im Nominativ Singular Femininum steht.
  • Der Lokativ gṛhe bezeichnet den Ort der Handlung.
  • Der Akkusativ bhojanam ist das logische Objekt der Verbalhandlung pacati.
  • Die Verbform pacati ("sie kocht") ist die 3. Person Singular Aktiv (Parasmaipada) der Gegenwart der Verbalwurzel pac "kochen, backen, braten" (1. bzw. Bhu Klasse).
  • Sandhi: Die Endung -m von gāthām und bhojanam geht vor folgendem Konsonanten (hier: k) in Anusvara () über, welcher wie m ausgesprochen wird.


Übung 3

  • Devanagari: तं पठन्तं तां च गायन्तीं शृण्वन्भिक्षुरेकश्चिन्तयति |
  • wissenschaftliche Transliteration: taṃ paṭhantaṃ tāṃ ca gāyantīṃ śṛṇvan bhikṣur ekaś cintayati |
  • vereinfachte Transkription: tam pathantam tam cha gayantim shrinvan bhikshur ekash chintayati |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Diesen (Tad, Akk. Sg. m.) Rezitierenden (paṭh, Akk. Sg. m.) diese (Tad, Akk. Sg. f.) und (Cha, Partikel) Singende (gai, Akk. Sg. f.) hörend (śru, Nom. Sg. m.) Bettelmönch (Bhikshu, Nom. Sg. m.) ein (Eka, Nom. Sg. m.) denkt (cint, Verb), d.h. "Ein Bettelmönch, der den Rezitierenden und die Singende hört, denkt sich ..."

Erläuterungen

  • Der Akkusativ tam bezieht sich als Demonstrativpronomen auf paṭhantam und steht daher gleichfalls im Akkusativ Singular Maskulinum.
  • Der Akkusativ paṭhantam (Partizip Präsens Aktiv) ist ein logisches Objekt der als Partizip Präsens Aktiv ausgedrückten sekundären Verbalhandlung śṛṇvan.
  • Der Akkusativ tām bezieht sich als Demonstrativpronomen auf gāyantīm und steht daher gleichfalls im Akkusativ Singular Femininum.
  • Der Akkusativ gāyantīm (Partizip Präsens Aktiv) ist ein weiteres logisches Objekt der als Partizip Präsens Aktiv ausgedrückten sekundären Verbalhandlung śṛṇvan.
  • Das Partizip Präsens Aktiv śṛṇvan ist von der Wurzel śru "hören" abgeleitet und bezieht sich auf das Substantiv bhikṣuḥ, weshalb es gleichfalls im Nominativ Singular Maskulinum steht.
  • Der Nominativ bhikṣuḥ ist das logische Subjekt der primären Verbalhandlung cintayati sowie der als Partizip Präsens Aktiv ausgedrückten sekundären Verbalhandlung śṛṇvan.
  • Der Adjektiv ekaḥ bezieht sich ebenfalls auf das Substantiv bhikṣuḥ und steht somit gleichfalls im Nominativ Singular Maskulinum.
  • Die Verbform cintayati ("er denkt sich") ist die 3. Person Singular Aktiv (Parasmaipada) der Gegenwart der Verbalwurzel cint "denken, nachsinnen" (10. bzw. Chur Klasse).
  • Sandhi: Die Endung -m von tam, paṭhantam, tām und gāyantī geht vor folgendem Konsonanten in Anusvara () über, welcher vereinfachend wie m ausgesprochen wird. Die Form bhikṣur steht für bhikṣuḥ, da Visarga () vor Vokalen zu -r wird, wenn er nicht zwischen zwei a-Lauten (kurz oder lang) steht. Die Form ekaś steht für ekaḥ, da Visarga vor palatalem -c zu wird.


Übung 4

  • Devanagari: तया गायत्या निश्चितं मह्यं किञ्चिदन्नं देयमिति |
  • wissenschaftliche Transliteration: tayā gāyatyā niścitaṃ mahyaṃ kiñcid annaṃ deyam iti |
  • vereinfachte Transkription: taya gayatya nishchitam mahyam kinchid annam deyam iti |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Durch jene (Tad, Instr. Sg. f.) Singende (gai, Instr. Sg. f.) gewiss (Nishchita, Adverb) mir (Mad, Dat. Sg. m.) etwas (Kinchid, Akk. Sg. n.) Speise (Anna, Akk. Sg. n.) ist zu geben (Deya, Akk. Sg. n.) so (Iti, Partikel), d.h. "Jene Singende wird mir gewiss etwas zu Essen geben."

Erläuterungen

  • Der Instrumental (Tritiya) tayā bezieht sich als Demonstrativpronomen auf gāyatyā und steht daher gleichfalls im Instrumental Singular Femininum.
  • Der Instrumental (Tritiya) gāyatyā (Partizip Präsens Aktiv) ist das logische Subjekt der als Gerundivum ausgedrückten Verbalhandlung deyam.
  • Der Nominativ annam ist das logische Objekt der als Gerundivum ausgedrückten Verbalhandlung deyam.
  • Das Gerundivum deyam bezieht sich als Verbaladjektiv auf annam und steht daher auch im Nominativ Singular Neutrum. Es erfordert eine passive Konstruktion (Karmani Prayoga), bei der das logische Objekt im Nominativ steht: "etwas Speise soll gegeben werden". Das Gerundivum deyam ist von der Wurzel "geben" abgeleitet.
  • Das Adverb iti bedeutet wörtlich "so". Es wird im Sanskrit auch im Sinne von An-und Ausführungszeichen ("...") benutzt. Hier kennzeichnet es die ihm vorausgehende Aussage als wörtliche (bzw. gedachte) Rede.
  • Sandhi: Die Endung -m von niścitam, mahyam und annam geht vor folgendem Konsonanten in Anusvara () über, welcher vereinfachend wie m ausgesprochen wird.


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Siehe auch