Zerstörer
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Video Zerstörer
Hier findest du ein Vortragsvideo mit dem Thema Zerstörer :
Autor/Sprecher/Kamera: Sukadev Bretz, Gründer von Yoga Vidya.
Zerstörer Audio Vortrag
Hier die Audiospur des oberen Videos zu Zerstörer :
Der nachfolgende Text ist dem Buch "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen" des Indologen Heinrich Zimmer entnommen (Originaltitel "Myths and Symbols in Indian Art and Civilization", Bollingen Foundation Inc., New York). Übersetzung aus dem Englischen von Ernst Wilhelm Eschmann, Eugen Diederichs Verlag, München 1981, 5. Aufl. 1993
Indische Mythen und Symbole - Kapitel 4: Shivas kosmisches Entzücken
Teil 7: Der Zerstörer der drei Städte
Bevor wir uns den Mysterien Devis, »Der Göttin«, zuwenden, wollen wir noch einen weiteren der »festlich-spielenden Aspekte« der großen Gottheit betrachten, deren »feststehende oder Grundfigur« der Lingam ist. Ein Relief aus Elura, datiert vom 8. Jahrhundert n. Chr., stellt Shiva als Tripurantaka dar, »der, welcher den drei Städten oder Festungen ein Ende macht«. Es ist der Gott als Eroberer und Befreier der ganzen Welt.
Entsprechend einer alten vedischen Auffassung umfaßt das Universum drei Welten (Triloka),
Diese werden »die drei Städte« (Tripura) genannt (darum wird die Höchste Göttin Devi, welche die weibliche Personifikation der totalen Schöpfungsenergie ist, als »die Schönste der drei Städte« (Tripurasundari), d. h. »Unsere Liebe Frau des Alls« bezeichnet). Shiva als Tripurantaka setzt den drei Städten ein Ende (Anta, verwandt mit dem deutschen und englischen Ende, end). Die Legende erzählt, daß einmal wieder im Lauf der Geschichte die Dämonen und Titanen oder Antigötter (Asura), Halbbrüder und ewige Rivalen der wahren Herrscher der Welt, die Zügel der Herrschaft an sich gerissen hatten. Wie gewöhnlich wurden sie durch einen schroffen und listigen Tyrannen angeführt, der wie Jalandhara mit Hilfe von Jahren glühender Selbstdisziplin besondere Macht erworben hatte. Der Name dieses Tyrannen war Maya (nicht zu verwechseln mit Mâyâ). Als er nun den ganzen geschaffenen Kosmos unter seine Gewalt gebracht hatte, errichtete er drei mächtige Festungen, eine im Firmament, eine auf der Erde und eine in der Atmosphäre dazwischen. Durch ein magisches Kunststück vereinigte er dann diese drei Festungen zu einer, einem einzigen, praktisch unangreifbaren ungeheuerlichen Zentrum dämonischen Chaos' und der Welttyrannei. Durch die Macht seines Yoga richtete er es dann noch so ein, daß dieser Gewaltturm niemals erobert werden sollte, es sei denn, er würde von einem einzigen Pfeil durchbohrt.
Natürlich lebte weder ein Bogenschütze, noch war er denkbar, der imstande gewesen wäre, einen Pfeil abzuschießen, der riesenhaft genug war, um die vereinigte Dämonenzitadelle der Welt zu durchbohren. Indra, der König des Regens und Donners, der Oberherr der Götter, Agni, der Feuergott, Vayu, der Windgott, waren alle tüchtige, anständige Spezialisten, aber dieser Aufgabe nicht gewachsen. Keiner der großen Olympier, der strahlenden Bewohner des Meru-Berges, die nun aus ihrem Paradies in die bittere Leere des Exils getrieben waren, konnten jemals hoffen, die Kraft zum Sturz dieser Verteidigungsstellung aufzubringen.
Nach vedischer Tradition war Shiva in alter Zeit ein Jäger und seine Waffen Bogen und Pfeil. In einer sehr frühen Epoche, als er noch aus der respektablen und luftigen Gemeinschaft der Olympier, der Schutzherren der menschlichen, vom unbesiedelten Dschungel scharf geschiedenen Wohnsitze, ausgeschlossen war, wurde Shiva als Herr des Waldes angesehen, als Herrscher der wilden Tiere. Zwischen ihnen wanderte er mit seiner primitiven Waffe herum und war ihr menschengestaltiger Schutzherr. Aber er war auch der Herr der Geister und Gespenster, die jene Plätze jenseits der Dorfgrenzen bewohnen und hochgefährlich machen. Sein Gefolge war aus den Seelen der Verstorbenen zusammengesetzt, die heulend hinter ihm herzogen (als Herr der Entschlafenen ist Shiva mit dem nordischen Gott Wode-Wodan verwandt, dem "Wilden Jäger", der von seiner lärmenden Geisterschar gefolgt mit der "Wilden Jagd" davonbrauste. Mit der Christianisierung der europäischen Heiden ging Wodans wohltätiger Aspekt auf Sankt Nikolaus (Santa Claus) über, der zur Zeit der Wintersonnenwende über die Dachfirste galoppiert und allen seinen Verehrten Geschenke austeilt).
In der Vergangenheit hatte Shivas Bogen gefeierte Taten vollbracht. Als zum Beispiel der uranfängliche Vater der Geschöpfe, Prajapati, Inzest mit seiner Tochter Morgenröte, der lieblichen Maid, zu begehen wünschte — eine alte, alte Geschichte vom ersten Vater und von der ersten Tochter — wurde Shiva von den Göttern gerufen, um zu intervenieren und den frevlerischen Erzeuger mit seinem Bogen zu strafen. Und so ist es wieder er, der jetzt angerufen wird, die göttliche Ordnung des Alls wiederherzustellen. Diesmal ist seine Aufgabe die Vernichtung der universalen Festung der Dämonen, Tripura, mit einem einzigen Pfeil.
Das Elura-Relief zeigt den göttlichen Bogenschützen wie er in seinem Luftkampfwagen, von stampfenden Rossen gezogen, daherbraust. Die linke Hand hebt den Bogen; die rechte, die mit angewinkeltem Ellbogen die Sehne bis zum rechten Ohrläppchen und der vollen Länge des Bogens gezogen hat, hat eben das machtvolle Geschoß entsendet. Die Erhabenheit der Gebärde verkündet schon das wundervolle Ergebnis. Shivas Wagenlenker ist, würdig und schön, der vierköpfige Brahma. Mit einem bezaubernden Ausdruck ernsten Erwartens und Vertrauens sammelt er sich auf seine Aufgabe, während der herkulische Held, kraftvoll und dynamisch, doch ohne die Kompaktheit und Schwere irdischer Krieger, im Hintergrund des Reliefs mit der Leichtigkeit und der unwiderstehlichen Macht des Blitzstrahls vorwärts stößt, schnell, triumphierend, ohne die Schwere statischer Substanz. Das magische Dämonenschloß stürzt, und sein Volk sinkt in Vergessenheit zurück. Wieder einmal ist die Welt von der Last des Übels befreit, und der Rundlauf der Geschichte schwingt wieder in seiner Bahn. Die Tyranneien des furchtsam-furchtbaren Ichs, brutal in ihrem inkonsequenten Ehrgeiz und ihrer Begierde sind mit einem Schlage aufgelöst. Die Energien des Alls strömen wieder aus den transzendentalen Quellen, alle Welten durchdringend, und der Kosmos tönt vom Klang wiedergeborenen Lebens. Shivas Bogen ist nicht weniger der Träger seiner Energie als der Lingam: beide sind ein und dasselbe.
Entlang der Wände seiner Hauptheiligtümer sind die heroischen Taten des großen Gottes geschildert, und sowohl in der mündlichen wie in der literarischen Überlieferung werden sie wieder und wieder erzählt. An den Wallfahrtszielen, den Schreinen und Tempeln, entfalten Priester und Weise das Panorama der Laufbahn des Gottes durch den Gang der mythologischen Weltgeschichte. Doch ruhevoll und selig, jenseits von Ruhe und Seligkeit, transzendent, unerkannt und unerkennbar, jenseits selbst des zweifaltigen Wunders des Gottes und der Göttin, des Lingam und der Yoni, des Pfeiles und Tripuras, wohnt das Eine ohne einen Zweiten, das Absolute. Es ist jenes Brahman-Atman, auf das alle Bilder und Legenden hinzielen. Es ist jener Bindu, der selbst unsichtbar ist, und den doch all die sichtbaren Ineinandertauchungen der Dreiecke lehren. Es ist jene Vitalität, aus der das Phänomen der expandierenden Gestalt mit unwiderstehlicher Kraft hervorgeht. Brahman, das inhaltsvolle Neutrum, ist Fülle, ist Ganzheit — nicht männlich oder weiblich, gut oder böse, sondern männlich und weiblich, gut und böse. Seine Personifikation ist Shiva, und jedes Leuchten von den Gliedern des wirbelnden Yogi-Gottes, jeder Pfeil von Shivas Bogen ist im innersten wesensgleich mit jener göttlichen Substanz voll ewiger Ruhe und ewigem Frieden.
Siehe auch
Weiterlesen im Buch von Heinrich Zimmer?
- Heinrich Zimmer, "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen"
- Kapitel 1: Ewigkeit und Zeit
- Kapitel 2: Die Mythologie Vishnus
- Kapitel 3: Die Wächter des Lebens
- Kapitel 4: Shivas kosmisches Entzücken
- Kapitel 5: Die Göttin
Literatur
Seminar
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