Transformationsprozesse während einer zweijährigen Yogalehrer Ausbildung
Studie mit angehenden Yogalehrern: Wer intensiv und harmonisch Yoga praktiziert, wird tendenziell unbeschwerter, geistesgegenwärtiger und entwickelt eine positivere Lebenseinstellung. Besonders stark sind die Effekte bei Anfängern. Wissenschaftler der Universität Witten/Herdecke um Prof. Dr. med. Arndt Büssing haben 160 Teilnehmer einer Yogalehrerausbildung begleitet und deren Entwicklung während der ersten sechs Monate beobachtet und ausgewertet. Laut der Studie verbessert die intensive Yogapraxis insbesondere die „Innere Leichtigkeit“ (emotionale Unbeschwertheit) und die Achtsamkeit. Die psychische Gesundheit nimmt ebenfalls zu, die Grundstimmung wird positiver. Weniger erfahrene, aber engagierte Teilnehmer profitieren am stärksten von der Yogalehrerausbildung.
Zahlreiche Studien, Meta-Analysen und Reviews belegen die positive Wirkung von Yoga auf die körperliche und seelische Gesundheit. Als Intervention im Sinne der Mind-Body-Medizin arbeitet ganzheitliches Yoga auf körperlicher Ebene und hat spezifische Wirkungen auf lebensbezogene Funktionen. Es kann vermutet werden, dass ein aktives Engagement der Praktizierenden essentiell für die gesundheits-relevanten Wirkungen ist. Um diese innere Haltung und Einstellung der Übenden im Sinne einer „Inneren Kongruenz“ abbildbar zu machen, wurde die ICPH-Skala („Innere Kongruenz und Einklang mit den Übungen“) entwickelt und für Interventionen wie Yoga und Heileurythmie überprüft (Büssing et al., Evidence-based Complementary and Alternative Medicine (2010)).
Die lange Version dieser Studie ist unter Entwicklung spezifischer Aspekte von Spiritualität während einer sechsmonatigen intensiven Yogapraxis zu finden.
Fragestellung der vorliegenden Untersuchung
- Ändert sich die innere Haltung (gemessen mit der ICPH-Skala) auch bei erfahrenen Yoga-Praktizierenden während einer intensivierten Praxis (z.B. Yogalehrer Ausbildung)?
- Wie verändern sich gesundheitsbezogene Variablen (Lebensqualität, Lebenszufriedenheit, Gestimmtheit) sowie Achtsamkeit während dieser intensivierten Praxis?
- Bestehen relevante Zusammenhänge zwischen ICPH, Achtsamkeit und positiver Gestimmtheit?
Hierbei interessierten wir uns besonders für Unterschiede, die sich bei Probanden mit niedrigen vs. hohen ICPH-Scores ergaben.
Methoden
Unter 200 TeilnehmerInnen einer 2-jährigen Yogalehrer Ausbildung bei Yoga Vidya Zentren Bad Meinberg und Westerwald (Beginn der Ausbildung im März 2010) wurde eine anonyme prospektive Erhebung (genehmigt von der Ethikkommission der Universität Witten/Herdecke) mittels standardisierter Fragebögen zu Beginn der Ausbildung sowie 3 und 6 Monate später (t1, t2, t3) durchgeführt.
Folgende Instrumente wurden eingesetzt:
- ICPH – Innere Kongruenz und Einklang mit den Übungen
- FMI – Freiburger Achtsamkeits-Fragebogen
- BMLSS – Lebenszufriedenheit (Brief Multidimensional Life Satisfaction Scale)
- ASTS – Aktuelle Stimmungsskala
- SF-12 – körperliche und mentale Lebensqualität
- LHE – Innere Leichte
- ASP – Ausdrucksformen der Spiritualität
Probanden
Die Datensätze von 160 Individuen wiesen ausreichende Datenqualität auf und konnten verwertet werden. Die restlichen 40 wurden wegen mangelnder Identifizierbarkeit, unkompletter Beantwortung, Uneindeutigkeit oder fehlendem/n Folgebögen ausgeschlossen. Das Kollektiv bestand zu 91% aus Frauen; das mittlere Alter der Gruppe betrug 41 ± 8 Jahre, die mittleren Dauer ihrer Yoga-Praxis 39 ± 53 Monaten. Zwei Drittel fühlten sich subjektiv gesund und ein Drittel litt an chronischen Erkrankungen. Bei der Einteilung der Gruppe nach ICPH-Tertialen konnten wir anfangs drei Gruppen unterscheiden: ICPH < 60: niedriger Score (n=44); ICPH 60 – 77: mittlerer Score (n=85) und ICPH > 77: hoher Score (n=31)
Ergebnisse
Insgesamt fanden sich bei den erfahrenen Praktizierenden im Verlauf von 6 Monaten ein Anstieg bei innerer Kongruenz, innerer Leichte, positiver Stimmung, mentaler Gesundheit und Achtsamkeit (schwache bis moderate Effekte) (Tabelle 1). Hinsichtlich bestimmter Ausdrucksformen der Spiritualität verbessert sich leicht der bewusste Umgang (mit sich, den anderen, der Umwelt) und die religiöse Orientierung, während die primär schon hohen Scores für Einsicht / Weisheit und Transzendenzüberzeugung auf hohem Niveau verbleiben.
Es ergaben sich moderate Zusammenhänge zwischen ICPH und Achtsamkeit sowie bewusstem Umgang und innerer Leichte. Es bestand kein Zusammenhang zwischen Übungserfahrung und ICPH (Tabelle 2).
In Detailanalysen zeigte sich ein starker Anstieg von ICPH insbesondere bei Probanden mit anfänglich niedrigen Scores (Abb. 1). Probanden mit anfänglich hohen Werten zeigten eher eine leichte Abnahme, was entweder für einen Regressionseffekt oder eine realistischere Selbsteinschätzung im Zeitverlauf sprechen könnte. Bezüglich der inneren Leichte lässt sich feststellen, dass die Werte von Probanden mit anfänglich mittleren Scores stärker ansteigen, gefolgt von Probanden mit niedrigen Scores. Auch Probanden mit hohen Scores verbesserten sich noch signifikant (Abb. 2).
Die insgesamt sich steigernde Achtsamkeit (Gesamtscore) im Verlauf von 6 Monaten zeigt sich in den Subgruppen insgesamt mit mittelgroßen Effekten: Für Probanden mit initial niedrigem ICPH fällt der Effekt am stärksten aus (d=0,78), gefolgt von jenen mit mittleren Werten (d=0,47) und jenen mit hohen Werten (d=0,42)
Zusammenfassung
Bei den Probanden, die alle schon Erfahrung oder zumindest ein Grundinteresse an Yoga haben, wenn sie sich für eine Yogalehrer Ausbildung entscheiden, verbessern sich insbesondere die innere Leichte / Unbeschwertheit und Achtsamkeit, hingegen nur geringfügig die positive Gestimmtheit und psychische Lebensqualität. Bei ihnen fanden sich bereits relativ hohe ICPH-Scores - dies mag bei Unerfahrenen anders sein und sollte Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.
Bezüglich der Unbeschwertheit stellen wir eine stärkere positive Entwicklung bei Probanden mit initial niedrigen und mittelgradigen ICPH-Scores, die etwas geringer bei Probandinnen mit hohen Scores ausfällt. Bezüglich der Achtsamkeit finden wir eine stärkere Entwicklung bei Probandinnen mit niedrigen Scores, geringer bei mittleren und hohen.
Die intensivere Yogapraxis hat also bei den meisten zu einer weiteren Entwicklung internaler Prozesse im Sinne einer „bewussten Unbeschwertheit“ geführt, die insbesondere bei Probanden mit initial geringerer ICPH ausgeprägt war. Menschen, die sich im Einklang mit den Yoga-Übungen und diese auch „innerlich“ nachvollziehen können, weisen also auch eine höhere Achtsamkeit und einen bewussteren Umgang mit sich, den anderen und der Umwelt auf. Dadurch können sie sich möglicherweise besser in den Übungen zurechtfinden und von diesen auch im Sinne einer „spirituellen Transformation“ profitieren als Übende mit bisher gering ausgeprägter Achtsamkeit.
Ausblick
ICPH könnte eine Voraussetzung darstellen, sich gegenüber „Neuem“ zu öffnen und sich auf neue Perspektiven einzulassen. Die innere Kongruenz könnte dabei die Auswirkungen der Achtsamkeit auf psychische Gesundheit und stabile Gestimmtheit begünstigen. Lerneffekte oder gewisse Erfahrungen durch die regelmäßige Praxis sind denkbar. Weitere Forschung insbesondere mit unerfahrene Patienten sowie Patienten mit chronischen Erkrankungen sind notwendig, um weitere gesundheitsrelevante Zusammenhänge zu erschließen.
Siehe auch
- Studien
- Wissenschaftliche Studien
- Wissenschaftliche Studien Meditation
- Wissenschaftliche Studien Ayurveda
- Wissenschaftliche Studien Tiefenentspannung
- Wirkungen des Yoga
- Transformationsprozesse während einer vierwöchigen Yogalehrer Intensivausbildung
- Klinische Wirkung verschiedener Yoga-Interventionen
- Zusammenhänge zwischen Achtsamkeit, Fröhlichkeit und innerer Verbundenheit bei Yogapraktizierenden