Mitgefühl
Mitgefühl ist: sich in die anderen Menschen hinein zu versetzen und - auch in tätiger Nächstenliebe und Unterstützung ("Wohltätigkeit") mit zu fühlen. Mitgefühl äußert sich im Zuhören, im Vergeben von kleinen Unfreundlichkeiten und Kränkungen; Mitfreude; vgl.: auch sadhana.
Mitgefühl drückt sich aus in tröstenden Worten, Umarmungen und dem Wunsch anderen zu helfen. Im Deutschen wird gerne unterschieden zwischen Mitleid und Mitgefühl. Andere Sprachen unterlassen die Unterscheidung.
Mitgefühl heißt die Fähigkeit mit einem anderen Menschen zu fühlen ohne ganz in sein Leid mit hineingezogen zu werden. Mitgefühl spielt in allen spirituellen Traditionen und Religionen eine große Rolle als Ausdruck spiritueller Erfahrung. Umgekehrt verhilft die Kultivierung von Mitgefühl zu Öffnung des Herzens, Ausdehnung des Bewusstseins, zu spiritueller Verwirklichung.
Sanskrit Ausdrücke für Mitgefühl
Es gibt verschiedene Sanskrit Ausdrücke für Mitgefühl:
- Karuna heißt Mitgefühl, Mitleid
- Maitri heißt Freundlichkeit, Mitgefühl, Liebe
- Prema heißt Liebe, auch Mitgefühl
- Ahimsa heißt Nichtverletzen, Nichttöten, Gewaltlosigkeit - und bedingt Mitgefühl als Grundeinstellung. Denn Ahimsa heißt Nichtverletzen in Gedanken, Wort und Tat.
Mitgefühl als Grundlage für Gelassenheit
Niederschrift eines Podcasts (2014) von Sukadev <mp3player>http://sukadev.podspot.de/files/47_mitgefuehl_als_grundlage_fuer_gelassenheit.mp3</mp3player>
Ich bin jetzt dabei, auf den eigentlichen Königsweg zur Gelassenheit zu kommen. Ich hatte das letzte Mal davon gesprochen, dass ich inzwischen zu einem fast bedingungslosen Anhänger von Adwaita geworden bin, also von Nondualität. Ich halte wenig davon, die Welt in Gutes und Böses einzuteilen. Gutes und Böses, diese dualistische Weltanschauung, hat viel Schlimmes bewirkt. Viel hilfreicher ist es, zu erkennen, es gibt nur das Gute und es gibt nur das Hilfreiche. Diese uralte Form, die Welt zu sehen, speist sich aus mehreren Quellen. Es gibt Bhakti Yoga, alles ist Gott. Adwaita Vedanta, alles ist eine Manifestation von Brahman. Und die moderne Sichtweise der Biologie, Evolutionsbiologie, Evolutionspsychologie, Paläoanthropologie, die letztlich sagt, alles menschliche Verhalten hat in irgendeinem Kontext Sinn gemacht. Es gibt also nichts Böses. Menschen tun das Böse nicht, um Böses zu bewirken, sondern um des Guten willen. Mensch ist am glücklichsten, wenn er andere glücklich macht. Um damit gut arbeiten zu können, beziehe ich mich dann auf das Raja Yoga System. Raja heißt König. Darüber werde ich dann beim nächsten Mal noch etwas mehr sprechen. Dieses Raja Yoga System ist aber gemeint im Sinne von, König mit Ministern, die alle berechtigte Anliegen haben. Es ist eben auch gespeist von modernen Ansätzen aus der Psychologie. Besonders wichtig hier Ansätze aus der Systemtheorie, systemischen Psychologie, systemischen Hypnotherapie von Gunther Schmidt, Gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg. Diese und andere Autoren gehen ja von Ähnlichem aus, wie ich das in diesem Buch beschreibe. Man kann sagen, auf das Zwischenmenschliche bezogen heißt dieses nicht-dualistische Weltbild: Jeder will das Gute. Jeder hat berechtigte Anliegen. Auch wenn jeder das Gute will, ist er, sie oft ungeschickt darin. Gewalt und Auseinandersetzungen sind Ausdruck von misslungener Kommunikation. Es ist möglich, zu jedem Menschen Liebe zu spüren, zumindest als Grundgefühl. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, ist keine Illusion, sondern eine tatsächliche Möglichkeit für den Alltag. Und es ist möglich, mit Menschen geschickter zu kommunizieren. Und selbst wenn es mal nicht möglich ist, durch Kommunikation Meinungsunterschiede auszuräumen und man sich durchsetzen muss zum Wohl der guten Sache, ist und bleibt der andere liebenswert. Er hat unsere Achtung, unsere Liebe verdient, allein dadurch, dass er da ist. Auf das Staatliche bezogen heißt dieses Weltbild, alle Gruppen haben berechtigte Interessen. Diese gilt es abzuwägen. Man kann sagen, davon ist ja auch der Rechtsstaat Ausdruck. Es geht um das Abwägen von Interessen, es geht um Versuche, verschiedene Interessen abzuwägen und auszugleichen, auch wenn vermutlich der Rechtsstaat mit seinem Belohnungs- und Bestrafungssystem nicht oft geschickt vorgeht. Aber die Grundlage erst mal ist durchaus richtig. Genauso auf das Zwischenmenschliche bezogen, gilt natürlich, man kann es trainieren, man kann es lernen, gut und geschickt zu kommunizieren, darauf beruht ja die gesamte gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Auf das Zwischenstaatliche bezogen heißt das auch, jeder Staat hat seine Berechtigung. Kriege sind Ausdruck misslungener Konfliktlösung. Es gilt, Mechanismen zu finden, um Interessenskonflikte zu lösen. Übergeordnete Instanzen wie die UNO sind dabei hilfreich, aber auch im zweistaatlichen Bereich können die Diplomaten und die Staatsmänner davon ausgehen, jeder Staat hat auch seine Berechtigung und es sind viele Menschen da, sie alle wohlmeinen. Und auch wenn vorübergehend ein tyrannisches Regime dort herrscht, auch die schlimmsten Tyrannen haben ihre menschliche Seite. Sie mögen tyrannisch sein, vielleicht aus innerem Leiden, vielleicht aus Kränkung, vielleicht weil sie dem dualistischen Weltbild unterliegen und sie meinen, sie müssen das Böse unterdrücken, aber auch sie sind letztlich Menschen und an sie kann appelliert werden. Es ist schon oft genug passiert, dass schlimme Diktatoren sich geändert haben. Gut, und in manchen Fällen mag es auch notwendig sein, Diktatoren zu stürzen, vorzugsweise gewaltlos. In jedem Fall, jetzt auf das Zwischenstaatliche bezogen, jeder Staat hat seine Berechtigung, die Bürger von jedem Staat sind liebenswert. Und es gilt, Mechanismen zu finden, um Interessenskonflikte zu lösen. Auf das Innermenschliche bezogen heißt das, es gibt nichts Schlechtes im Menschen, alles ist Ausdruck berechtigter Anliegen. Jede Emotion, auch die scheinbar zerstörerischen, ist Ausdruck eines berechtigten Anliegens. Alles macht von einer Warte aus Sinn. Innere Konflikte, geistige Unruhe, psychische Probleme, sind Ausdruck von nicht gelungenem Umgang mit den inneren Kräften. Auf das Subtile und das Feinstoffliche, auch das Religiöse bezogen, gibt es keine negativen Kräfte, es gibt nicht das Böse, das gegen das Gute kämpft. Es gibt nur die Liebe Gottes. Niemand braucht sich gegen das Böse, das Negative zu schützen. Es mag feinstoffliche Energien geben, welche förderlicher sind für die eigene Schwingung und solche, die es weniger sind. Aber es gibt auch auf feiner Ebene nur das Gute, auf das man sich einstimmen kann und es gibt das, das vielleicht momentan schwingungsmäßig nicht so förderlich ist. Dieser Erkenntnisprozess für mich war ein Prozess über mehrere Jahrzehnte, aber er war letztlich befreiend, unglaublich befreiend, denn es gibt nichts zu bekämpfen, es gibt nichts zu verdammen, es gibt nichts, vor dem man Angst zu haben braucht. Diese Erkenntnis verband sich dann mit Konzepten aus mehreren Yogarichtungen zu einem ganzen Konzept. Ich wiederhole mich, aber ich sage es ruhig nochmal. Jnana Yoga sagt, alles ist Manifestation des einen unendlich Ewigen. Bhakti Yoga sagt, hinter allem steckt das Wirken Gottes und Gott wirkt auch durch dich. Karma Yoga sagt, Leben macht einen Sinn, wir wachsen durch alle Erfahrungen, auch Leid macht seinen Sinn. Die Reinkarnationslehre macht das Annehmen dessen auch noch leichter. Das verbunden mit systemischen Konzepten und mit evolutionsbiologischen Konzepten, gibt dann das Konzept des Raja Yoga, der Königsweg der Gelassenheit. Über diesen will ich das nächste Mal sprechen. Überlege nochmals für dich: Macht das für dich Sinn, was ich so gesagt hatte, davon auszugehen, jeder Mensch meint es gut, jeder Anteil in dir meint es eigentlich gut? Die ganzen Gruppen von Menschen meinen es grundsätzlich gut. Auch Staaten meinen es grundsätzlich gut. Und auch wenn Menschen sich ungeschickt verhalten, vielleicht aus Unwissenheit irregeleitet sind, aus Schmerzen und Selbstverteidigung und vorweggenommener Angriff als Verteidigung, auch wenn sie schlimme Sachen machen, tief im Inneren meinen es alle Menschen gut. Du kannst auch überlegen, gibt es in deiner Umgebung vielleicht Menschen, die du nicht als so angenehm empfindest. Vielleicht hast du einen unangenehmen Chef. Vielleicht hast du einen Kollegen, der dich anscheinend mobbt. Vielleicht hast du eine ganze Gruppe von Menschen, die dich anscheinend mobbt. Vielleicht hast du Kunden, die dich immer nerven. Vielleicht hast du einen Chef, der dich anscheinend auf dem Kieker hat. Vielleicht hast du einen Vermieter, der unfreundlich ist. Vielleicht hast du rücksichtslose Nachbarn. Vielleicht bist du schon mal ausgeraubt worden. Vielleicht hast du einen Steuerprüfer, der unfreundlich ist. Vieles kann tatsächlich passiert sein. Also, ich bezweifle nicht, dass Menschen übel mitgespielt wird. Aber es hilft, wenn du dir bewusst machst, es könnte sein, dass alle Menschen es gut meinen. Und es könnte auch sein – das wäre eine weitere Sache, die ich anregen will – eins der vielen Anliegen, die sich in fast allem Menschsein ausdrücken, ist, jeder Mensch will Liebe schenken, jeder Mensch will Liebe erfahren. Du könntest für die nächste Woche mal mit der Arbeitshypothese herumlaufen: „Angenommen, es wäre richtig, dass jeder Mensch mit jeder seiner Handlung Liebe zeigen will, und angenommen, jeder Mensch will mit jeder seiner Handlung Liebe empfangen, wie könnte ich das erklären?“ Ein Ehemann mag zur Arbeit gehen und sich abends bei seiner Frau erst sehr spät melden. Die Frau denkt: „Er liebt mich nicht.“ Und der Ehemann denkt: „Ich opfere mich auf für die Familie.“ Die Frau mag den Ehemann schimpfen, dass er so spät kommt, der Ehemann mag das nicht als berechtigt ansehen und denkt: „Meine Frau wertschätzt nicht das, was ich für die Familie tue.“ Aber die Frau macht das aus Liebe. Die Frau schimpft den Mann und sagt dabei eigentlich nur: „Ich liebe dich und ich würde gerne deine Liebe empfangen.“ Und der Mann, der so spät nach Hause kommt, will eigentlich sagen: „Ich liebe dich und daher tue ich alles für dich.“ Oder jemand, der viel Geld ansammelt, er will sich Anerkennung damit kaufen, er will sich Liebe kaufen. Keine sehr geschickte Strategie. Sehr häufig sind die Strategien, um Liebe zu geben und zu schenken, nicht sehr geschickt. Aber du kannst es so sehen, dass ein Mensch viel Geld anhäufen will, um irgendwo Anerkennung und Liebe zu kaufen und vielleicht auch zu geben, weil er dann denkt, „dann kann ich irgendwann geben“ und er macht dann irgendwelche Spenden und will dafür geliebt werden. Oder jemand kauft sich ein riesiges Auto. Kann man auch sehen, er will irgendwo geliebt werden, vielleicht will er auch jemandem, den er liebt, eine Freude machen. Oder selbst jemand, der Verbrechen begeht. Oft kann man auch sehen, irgendwo ist selbst da ein Anteil Liebe dabei. Ich will nicht sagen, dass wir alles gutheißen sollen. Ich bin ja selbst in einer Situation, dass ich der Leiter eines Yogaashrams bin und da gibt es Regeln. Z.B. darf im Ashram nicht geraucht werden, es darf kein Alkohol getrunken werden, darf kein Fleisch gegessen werden. Es gibt immer wieder Menschen, die dagegen verstoßen und dann müssen wir ihnen sagen: „Das geht so nicht.“ Es ist sogar schon passiert, dass wir jemandem gesagt haben, „du, die Regel bei einer Yogalehrerausbildung ist, dass du keinen Alkohol trinken kannst“ und der Mensch dann totunglücklich war, dass er schließlich von der Ausbildung ausgeschlossen wurde. So was kann passieren. Oder ich hatte mal den Fall gehabt, dass jemand bei einer Yogalehrerausbildung gesagt hat, er will lieber morgens spazieren gehen, statt zu meditieren. Er würde sich Gott viel näher fühlen, wenn er am Bach entlang spazieren geht, anstatt Meditation zu praktizieren. Ich musste ihm natürlich sagen: „Das kann ich voll nachvollziehen, manchmal mache ich auch früh morgens schöne Spaziergänge und fühle mich über die Natur Gott sehr nahe.“ Da konnte ich sagen: „Ja, das kann ich gut verstehen. Und wenn du wechseln willst, kannst du ja in eine Yogaferienwoche überwechseln und dann kannst du deine morgendlichen Spaziergänge zur Meditationszeit genießen. Und wenn du die Yogalehrerausbildung mitmachen willst, dann geht das leider nicht.“ Oder wir hatten auch schon verschiedene andere unangenehme Erfahrungen gehabt. Bei all dem gilt es aber zu erkennen, nicht die Menschen sind böse, sondern ihr Verhalten ist ungeschickt. Es ist alles eine Frage des Schenkens von Liebe oder des Wunsches, Liebe zu geben und Liebe zu empfangen. Überlege das während der nächsten Woche. Dies vielleicht als besondere Aufgabe. Schaue dir all deine Mitmenschen an, alles was sie tun, Eigenartiges und Angenehmes und Unangenehmes, und prüfe: „Könnte ich das erklären vor dem Hintergrund, dass Menschen Liebe geben oder Empfangen wollen?“ Das war es für heute. Beim nächsten Mal geht es dann um das Konzept des Raja, des Königs, und damit den Königsweg zur Gelassenheit.
Siehe auch
Weblinks
Multimedia
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