Kritik
Swami Sivananda lehrte, dass man sich von Kritik anderer Menschen, von der öffentlichen Meinung und auch von Lob nicht beeinflussen lassen soll, da man es ohnehin niemals allen recht machen kann. Die folgende Geschichte aus Swami Sivanandas Buch "Yoga im täglichen Leben" illustriert dies sehr schön.
Die Geschichte von einem alten Mann und einem Esel
Du kannst es der Welt nicht recht machen. Ein alter Mann, der am Sonntag von einem Fest zurückkehrte, ritt auf seinem Esel nach Hause. Sein junger Sohn lief nebenher. Die Vorübersehenden sahen das und krittelten: „Seht euch den rücksichtslosen Menschen an! Der Junge muss ganz allein laufen und der kräftige Alte reitet auf dem Esel, ein herzloser Mensch!“
Sobald der Alte diese harten Worte hörte, stieg er ab und setze den Jungen auf den Esel. Andere Leute, die des Weges kamen, sahen die beiden und sagten: „Nun seht euch bloß den herzlosen Burschen an. Der schwache Alte muss zu Fuß gehen, aber der unverschämte, anmaßliche, junge, kräftige Bursche reitet behaglich. Du liebloser Kerl!“
Da setzte sich auch der Alte auf den Esel und beide ritten auf dem alten Tier. Da kritisierten wieder andere Leute: „Seht euch doch nur die zwei Barbaren an, das Tier ist alt und schwach, aber die zwei kräftigen Kerle reiten! Wie grausam und herzlos ist das doch!“
Darauf stiegen beide ab und ließen das Tier allein laufen. Es kamen wieder Leute entgegen und spotteten: „Seht euch die zwei Narren an. Sie sind nicht bei Verstand. Haben ein kräftiges Reittier, aber sie gehen zu Fuß und könnten doch so bequem reiten!“
So kritisierte man den alten Mann, er mochte tun, was er wollte, irgendjemandem war es nicht recht. So geht es dir, wenn du heiratest. Dann sagten die Leute: Du bist leidenschaftlich. Bleibst du ledig, werden sie munkeln, du seiest ein Eunuche oder impotent. Treibst du Japa und Sandhya, sagen die Leute, du seiest ein großer Religionsverächter. Treibst du nicht Sandhya, werden sie dich auch kritisieren, du seiest Atheist. Du kannst es nun einmal der Welt nicht recht machen. Bhima riet Yudhishtira: „Oh Dharmaputra, du kannst es der Welt nicht recht machen.“ Erhebe dich also über alle Kritik und alles Lob. Rege dich nicht auf. Fürchte dich nicht vor der öffentlichen Meinung. Sei gleichmütig (Samata)!
Die Furcht vor der öffentlichen Meinung ist eine bedenkliche Schwäche. Mancher fürchtet sich nicht vor dem Messer des Chirurgen und lässt sich ohne Angst einen fest sitzenden Zahn ohne Betäubung ziehen oder sich ohne Chloroform operieren. Andere fürchten sich im dichtesten Urwald nicht vor wilden Tieren, sie wandern furchtlos durch die Wälder. Andere fürchten kein Maschinengewehr auf dem Schlachtfeld, sie setzen sich unerschrocken den Kugeln aus. Aber diese furchtlosen Menschen zittern vor der leisesten Kritik anderer Leute. Ja, sie sterben aus Angst vor solcher Kritik. Wer ein vergeistigtes Leben führt und über die fragwürdigen, von Menschen erfundenen Regeln der menschlichen Gesellschaft hinausgewachsen ist, muss auch über die öffentliche Meinung und Kritik erhaben sein. Er muss die klare, reine, innere Stimmer seiner Seele hören und, koste es was es wolle, dieser Stimme folgen, mag die Öffentlichkeit dazu sagen, was sie will.
Viele große Geistmenschen haben ihr Leben hingegeben, um ihren Überzeugungen auf dem Pfad der Wahrheit treu zu bleiben. Auch du kannst geistig wachsen, wenn du über die öffentliche Meinung erhaben bist. Sieh nur, wie Gandhi trotz aller Kritik der Öffentlichkeit unentwegt seinen Grundsätzen treu blieb. Auch wenn die ganze Welt gegen dich ist, musst du deinen Grundsätzen treu bleiben, wenn es sein muss auch als Einzelner dafür kämpfen.
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