Friedrich Nietzsche
Friedrich Wilhelm Nietzsche (* 15.10. 1844 in Röcken bei Lützen; † 25.8. 1900 in Weimar) war Philologe, Schriftsteller und Philosoph. Friedrich Nietzsche übernahm von Arthur Schopenhauer eine Begeisterung für Indien und bezieht sich in vielen seiner Werke auf Indien, auf die Kultur der Brahmanen, auf die Veden, auf Meditation und Kontemplation. Friedrich Nietzsche kann wie Schopenhauer und Friedrich Schelling zu den Wegbereitern des Yoga in intellektuellen Kreisen des 19. Jahrhunderts zählen. Da Friedrich Nietzsche große Wirkung hatte nicht nur in philosophischen Kreisen, kann sein Einfluss auf die Bereitschaft, sich für Yoga zu öffnen, kaum hoch genug eingeschätzt werden.
Leben von Friedrich Nietzsche
Nietzsche wurde unmittelbar im Anschluss an sein Studium, mit 24 Jahren, Professor für klassische Philologie in Basel. Bereits zehn Jahre später legte er aus gesundheitlichen Gründen die Professur nieder. Von nun an bereiste er – auf der Suche nach Orten, deren Klima sich günstig auf seine Leiden auswirkt – Frankreich, Italien, Deutschland und die Schweiz. Ab seinem 45. Lebensjahr litt er unter einer schweren psychischen Krankheit, die ihn arbeits- und geschäftsunfähig machte. Als Pflegefall verbrachte er den Rest seines Lebens in der Obhut zunächst seiner Mutter, dann seiner Schwester. Er starb 1900 im Alter von 55 Jahren. Seine Anfang der 1890er Jahre rasch einsetzende Berühmtheit hat er selbst nicht mehr bewusst erlebt.
Die Grundzüge der Philosophie von Nietzsche
Den jungen Nietzsche beeindruckte besonders die Philosophie Schopenhauers. Später wandte er sich von dessen Pessimismus ab und stellte eine radikale Lebensbejahung in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Sein Werk enthält scharfe Kritiken an Moral, Religion, Philosophie, Wissenschaft und Formen der Kunst. Die zeitgenössische Kultur war in seinen Augen lebensschwächer als die des antiken Griechenlands. Wiederkehrendes Ziel von Nietzsches Angriffen ist vor allem die christliche Moral sowie die christliche und platonistische Metaphysik. Er stellte den Wert der Wahrheit überhaupt in Frage und wurde damit Wegbereiter postmoderner philosophischer Ansätze. Auch Nietzsches Konzepte des „Übermenschen“, des „Willens zur Macht“ oder der „ewigen Wiederkunft“ geben bis heute Anlass zu Deutungen und Diskussionen.
Friedrich Nietzsche und Indien
Friedrich Nietzsche hatte, wie viele Intellektuelle des 19. Jahrhunderts, sich recht intensiv mit Indien auseinandergesetzt. Er schreibt z.B. im Buch "Morgenröthe":
"So vorgeschritten Europa auch sonst sein mag: in religiösen Dingen hat es noch nicht die freisinnige Naivität der alten Brahmanen erreicht, zum Zeichen, daß in Indien vor vier Jahrtausenden mehr gedacht wurde und mehr Lust am Denken vererbt zu werden pflegte, als jetzt unter uns. Jene Brahmanen nämlich glaubten erstens, daß die Priester mächtiger seien als die Götter, und zweitens, daß die Bräuche es seien, worin die Macht der Priester begriffen liege: weshalb ihre Dichter nicht müde wurden, die Bräuche (Gebete, Zeremonien, Opfer, Lieder, Metren) als die eigentlichen Geber alles Guten zu preisen. Wie viel Dichterei und Aberglaube hier auch immer dazwischengelaufen sein mag: die Sätze sind wahr! Einen Schritt weiter: und man warf die Götter beiseite, – was Europa auch einmal tun muß! Noch einen Schritt weiter: und man hatte auch die Priester und Vermittler nicht mehr nötig, und der Lehrer der Religion der Selbsterlösung, Buddha, trat auf: – wie ferne ist Europa noch von dieser Stufe der Kultur! Wenn endlich auch alle Bräuche und Sitten vernichtet sind, auf welche die Macht der Götter, der Priester und Erlöser sich stützt, wenn also die Moral im alten Sinne gestorben sein wird: dann kommt – ja was kommt dann?" (Friedrich Nietsche: Morgenröthe, 1881, Erstes Buch, S. 96)
Aus dem oberen Zitat kann man erkennen, dass Friedrich Nietzsche sich intensiver mit indischer Kultur auseinandergesetzt hatte.
Friedrich Nietzsche und Yoga
Friedrich Nietzsche gebrauchte das Wort Yoga nicht explizit. Allerdings kannte er die Oupnek'hat genannte Sammlung der Upanishaden sowie die Bhagavad Gita und las voller Eifer alles, was er über indische Kultur finden konnte.
die engen Mittel der Erkenntniß “der ist beruhigt, bezähmt, entsagend, geduldig, gesammlet” die näheren: Vedastudium, Opfer, Almosen, Büßen, Fasten — ein Mittel zur Erreichung der Erkenntniß.
"Bei Gott ist kein Ding unmöglich” denkt der Christ. Aber der Inder sagt: bei Frömmigkeit und Wissenschaft des Veda ist kein Ding unmöglich: die Götter sind denen unterworfen und gehorsam. Wo ist der Gott, der dem frommen Ernst und Gebet eines in den Wald zurückgezogenen Yati widerstehen könnte?
Wie ein Stein, den man in den See wirft, im Augenblick verschwindet, so tauchen die Sünden unter und verschwinden in der Wissenschaft des Veda.
(Nietzsche: Fragmente VII , 1883 , S. 34 und Nietsche Fragmente XII, 1988, S. 197)
Diese Zitate beschreiben, dass Friedrich Nietzsche durchaus verstanden hatte, worum es im Yoga geht.
Bedeutung von Friedrich Nietzsche
Nietzsches Denken hat weit über die Philosophie hinaus gewirkt und bis heute unterschiedlichste Deutungen und Bewertungen erfahren. Nietzsche schuf keine systematische Philosophie. Oft wählte er den Aphorismus als Ausdrucksform seiner Gedanken. Seine Prosa, seine Gedichte und der pathetisch-lyrische Stil von Also sprach Zarathustra verschafften ihm auch Anerkennung als Schriftsteller.
Friedrich Nietzsches Bedeutung für die Verbreitung von Yoga
Friedrich Nietzsche stellte die christliche Spiritualität und Religion stark in Frage. Anders als andere war er aber nicht gegen jede Religion und Spiritualität. Im Gegenteil baute er Buddhismus, indische Spiritualität und Zoroastrismus als spirituelle Alternativen auf. So verhalf er Menschen, die vom Christentum enttäuscht waren aber nach spirituellen Alternativen suchte, zu mutiger Suche, die zu Buddhismus, aber auch Yoga führen konnte.
Friedrich Nietzsche lehnte sehr stark Biedermeier, Spießbürgertum, Bequemlichkeit ab. Ihm ging es um radikale Wahrheitssuche, um das Gegenteil von Mittelmäßigkeit. Auch hier war Friedrich Nietzsche Wegbereiter für alle, die den spirituellen Weg etwas radikaler und konsequenter gehen.
Friedrich Nietzsche lehnte auch Autoritäten ab. So war er auch hier Wegbereiter einer individuellen Suche und Spiritualität, die den Wert des eigenen Denkens und der Eigenverantwortung betont.
Mit seinen Schlagworten von "Übermensch" und "Wille zur Macht" animierte Friedrich Nietzsche viele Menschen dazu, über sich selbst hinauszuwachsen. Zwischen 1880-1960 praktizierten viele Menschen Yoga, um mehr Stärke etc. zu bekommen. Das war eventuell auch vom Gedankengut von Friedrich Nietzsche inspiriert. Erst seit den 50er, noch mehr seit den 90er Jahren gibt es da ein Umdenken: Es wird vom Yoga weniger erwartet, einem außergewöhnliche Fähigkeiten und Kräfte zu geben, über die Masse hinauszuwachsen etc.. Vielmehr geht es um Gelassenheit, um innere Ruhe und Entspannung.
Swami Krishnananda über Friedrich Nietzsche
Der indische Philosoph, Swami Krishnananda, Schüler von Swami Sivananda schreibt in seinem Buch "Studies of Comparative Philosophies" über Friedrich Wilhelm Nietzsche.
Die Philosophie von Friedrich Nietzsche
Für Schopenhauer ist der ‚Wille zu leben‘ alles . Doch Nietzsche stellt sich den ‚Willen zur Macht‘ als das Absolute vor. Beide sind Philosophen des Willens; der Erste lehrt einen willkürlichen Idealismus, der Letztere einen willkürlichen Individualismus. Nietzsche propagiert die Theorie, die daran fest hält, dass der Machtinstinkt der Auslöser für die Aktivitäten des Lebens ist. Der Wille als der Wunsch zur Macht ist das Prinzip der Wirklichkeit. Der Intellekt, der Verstand und das Wissen sind Instrumente des Willens. Die Bedeutung des Wissens liegt darin, für die Macht zu sorgen. Man kann beobachten, dass alle in dieser Welt versuchen andere zu beherrschen, besser als andere dazustehen oder die ganze Welt des Seins zur beherrschen. Das Gesetz, das alle Aktivitäten im Leben steuert, ist das Gesetz der Macht, ist der Drang, alle anderen in der Stärke zu übertreffen. Dieser Drang ist allumfassend gegenwärtig. Sein Ziel liegt in der Schaf-fung eines Übermenschen, dem Meister allen Seins, der für alles Andere übermächtig ist. Dieser ‚Wille zur Macht‘ kann sein Ziel nur durch das Streben, das Leid und einen unausweichlichen Verlust der Schwäche erreichen. Das Leben hat nur Bedeutung durch ein ständiges Bemühen. In diesem Sinne sind für Friedrich Nietzsche Kriege gut; Frieden bedeutet Stagnation, was laut Nietzsche kein lohnenswertes Ziel ist. Kriege stärken die Gemeinschaft, Frieden schwächt sie. Es existiert weder eine übergreifende Wahrheit noch Vereinigung oder Einheit. Alles ist verschieden, ungleich und im Streit. Mut und Stärke sind die größten Tugenden; Mitleid ist schlecht, denn es steht dem Willen zur Macht im Wege. Selbstverleugnung und Askese, Frieden und Glück, mangelnder Widerstand und Gleichmut stehen gemäß Friedrich Nietzsche dem Willen zur Macht im Wege. Das höchste Gut im Leben heißt daher: das Bemühen um Existenz. Die Prüfung des Menschen be-steht in seiner Energie und seinen Fähigkeit. Der Wunsch des Übermenschen liegt darin, sich dem Streit zu stellen, um sich selbst gegenüber gut da zu stehen.
Kritik an der Philosophie von Friedrich Nietzsche
Swami Krishnananda kritisiert Nietzsche Philosophie vom Standpunkt von Yoga und Vedanta aus wie folgt:
Friedrich Nietzsches Philosophie ist in diesem Sinne eine Philosophie vom Egoismus, der individuellen Selbstbehauptung, vor der uns alle großen Philosophen immer wieder gewarnt haben. Nietzsches Übermensch kann solange keine universale Macht erreichen, solange er seine universale Existenz nicht gefunden hat. Wie sind Allmacht und individuelle Existenz miteinander vereinbar? Allmacht kann nur im Unendlichen sein? Woher kommt dann diese aufgeblasene Macht? Es gibt keine aufrichtige Macht, wenn man an die vergängliche Individualität gebunden ist. Wenn die universale Macht erreicht wurde, findet ein Durchdringen der individuellen Existenz statt, denn dann i-dentifiziert sie sich mit der Wirklichkeit, die unendlich ist. Nietzsches Doktrin ist offensichtlich eine stolze Bestätigung des Prinzips vom ‚Bemühen um Existenz‘ und vom ‚Überleben des Stärkeren‘. Nun gut, Mut ist gut und Tapferkeit ist lobenswert. Doch dies sollte von innerer Festigkeit sein, die aus der Verwirklichung eines übermenschlichen Ideals der Göttlichkeit geboren wurde, oder die mindestens von einem aufrichtigen Streben nach dieser Verwirklichung geprägt ist. Nietzsches Übermensch hat nichts von einem Göttlichen in sich; er ist nur stolz. Macht ohne Wissen ist eine schändliche Waffe, und derjenige der sie schwingt, wird irgendwann be-zwungen werden. Die Menschlichkeit eines Heiligen ist kein Eingeständnis von Schwäche, sondern ein Zeichen für universale Selbsterfahrung. Bruta-lität und Flegelei kann man nicht als Tugenden bezeichnen. Die Schwäche durch Macht zu unterjochen, ist keine Lehre der Weisheit. Und wer kann schon damit fertig werden schwach zu sein, wenn alle für die Herrschaft mit übermenschlichen Kräften auserwählt sind? Jegliches Verschieben von Werten muss in tiefster Übereinstimmung mit dem spirituellen Bewusstsein im Menschen einhergehen, und diese Implikation dehnt sich bis zum ‚Eins-sein‘ aus, das jenseits des Individualismus ist. Nietzsche scheint ein Prota-gonist in der Darstellung des Übels und des Lasters zu sein, wenn sein Drang nach Macht nicht mit Streben nach höherem spirituellen Wissen und Erfahrung verbunden ist, wo die Macht ihren Höhepunkt erreicht. Wissen ist Macht. Die Macht in bewussten Individuen muss als die Kraft gesehen werden, die durch innere Erleuchtung bzw. durch die Ausrichtung des Be-wusstseins auf die Wirklichkeit generiert wird. Unsere Macht nimmt im Verhältnis zur Annäherung zum Absoluten zu.
Swami Krishnananda meint weiter:
Moral ist keine Waffe der Schwachen, wie Nietzsche glaubt, sondern sie ist die Voraussetzung für Selbstkontrolle, die den Weg für das Wissen ebnet, das die wahre Macht hervorbringt. Dass Glück und Frieden uner-wünscht, und dass Krieg und Strebsamkeit unentbehrlich sein sollen, entspricht keinem gesunden Menschenverstand. Nietzsche verfügt nicht über die inneren Werte eines Hegel, um das Gute, die Wirklichkeit und die Macht des Einzelnen in einem weiter gestecktem Umfeld zu entdecken, wo dies alles in eine Selbsttranszendenz umgewandelt wird; und er verfügt auch nicht über die Ehrlichkeit eines Schopenhauer, um die Übel der indi-viduellen Existenz auszumachen. Die großen Menschen eines jeden Alters sind keine mit Stolz aufgeblasenen Kraftballons, sondern friedliche Kon-templierer des Lichts, das jenseits von Strebsamkeit und Schmerz leuchtet. Weltliches Wissen mag ein Mittel sein, um Macht über andere auszuüben, doch das Wissen als solches, die Weisheit der Wahrheit hinter den tanzen-den Marionetten, ist nicht auf den Einzelnen begrenzt, sondern sie lässt das Absolute als Herz und Seele der vereinten Mächte des Universum nieder-prasseln. Hier sind Wissen und Macht vereint, und die Ausübung der Macht ist eine Übung des Wissens und von niemandem sonst, denn es gibt nichts Anderes außer das Wissen. Selbst auf der relativen Ebene, wo Macht über andere ausgeübt werden kann, bestimmt das Wissen die Intensität und die Ausdehnung der Macht. Macht ist ohne Wissen nicht von Erfolg gekrönt. Das Gute ist das Aufrichtige, was gleichzeitig auch Weisheit und Macht ist.
Das Bemühen um Existenz der Individuen ist kein Beweis für die Überlegenheit des ‚Willens zur Macht‘ in ihnen. Das Bemühen um Existenz ist in erster Linie der Lebenswille und schließt, wie Schopenhauer es ausdrückt, den Willen zur Reproduktion ein. Der Lebenswille steht an erster Stelle, und das ist kein Verlangen nach Macht, sondern ein Versuch nach größtmöglichem Glück zu streben. Niemand strebt wirklich nach Macht, und jene, die das glauben, unterliegen einer Illusion. Das scheinbare Verlangen nach unbegrenzter Macht ist ein Verlangen nach unbegrenztem Glück; und Glück ist identisch mit Freiheit. Die Freiheit als höchstes Gut ist in keiner Phase individueller Existenz möglich. Das Individuum handelt, als ob es die Fesseln der Offenbarung als Mensch, in Form der eingeschränkten Macht des unendlichen Absoluten, durchtrennen möchte. Auf diese Weise ist alles Bemühen um Existenz letztendlich ein Zeichen des Verlangens nach der Glückseligkeit des Absoluten, die auch die unübertroffene Macht darstellt. Das Überleben der Besten ist der Erfolg jener Indivi-duen, die sich in ihrer Umgebung dem Bewusstsein des Absoluten mehr als andere anpassen. Der höchste Wert des Lebens liegt in der Verwirklichung dieses höchsten Bewusstseins. Das Bemühen um Existenz liegt nicht in ei-ner Ausbeutung an sich. Der Hegel’sche dialektische Prozess und die ‚eintretende Evolution‘ von Whitehead erklären viel besser das erscheinende Wunder, als unser Bemühen um Existenz und die Ausbeutung anderer es können. Alles Sein entdeckt seine Bedeutung in den Ebenen des Bewusstseins, das stufenweise das Individuum durchdringt und auf die Existenz des Absoluten hinweist.
Anmerkung: Swami Krishnananda geht hier nicht auf die Aussagen von Friedrich Nietzsche zu Yoga, zu indischer Kultur und Religiösität ein. Eventuell kannte er sie gar nicht.