Passiv im Sanskrit
Das Passiv bezeichnet in der Sanskrit Grammatik die sogenannte passive Konstruktion (Karmani Prayoga) des Verbs (Akhyata), die im klassischen (d.h. nach-vedischen) Sanskrit wesentlich häufiger Verwendung findet als die aktive Konstruktion (Kartari Prayoga) des Verbs, also das Aktiv.
Das Passiv und die passive Konstruktion des Verbs
Das Sanskrit hat im Laufe seiner Entwicklung die Eigenart herausgebildet, die "passive" Ausdrucksweise (also die Verwendung des Passivs) der "aktiven" Ausdrucksweise (also der Verwendung des Aktivs) vorzuziehen. Daher sagt man im Sanskrit weniger "ich mache ..." (karomi), sondern "von mir wird ... gemacht" (mayā kriyate); oder es heißt öfter "von mir wurde gemacht" (mayā kṛtam) als "ich habe gemacht" (kṛtavān aham).
Passiv und Zeitform
Grundsätzlich kann im Sanskrit von jeder Zeitform ein Passiv gebildet werden. Besonders häufig sind jedoch die Passivformen der Gegenwart (Präsens, Vartamana) und die der Vergangenheit (Präteritum, Atita). Die jeweilige Verbform (genauer: ihre Endung) bezeichnet jeweils das, was getan wird oder wurde, d.h. das logische Objekt (Karman) der Handlung. Derjenige, der es tut, d.h. das logische Subjekt bzw. der Agens (Kartri) der Handlung, wird mit dem Instrumental (Tritiya) bezeichnet.
Passiv der Gegenwart
In den folgenden Beispielen wird stets die Passivform der 3. Person Singular der Wurzel kṛ "tun, machen" bzw. śru "hören" verwendet (kriyate bedeutet "wird getan", śrūyate bedeutet "wird gehört"). Die jeweiligen Handelnden (Agens) werden mit dem Instrumental bezeichnet.
Beispiele
- kāryaṃ mayā (Instr.) kriyate "Die Aufgabe (Karya) wird von mir (Maya) getan (kṛ)."
- kāryaṃ tvayā (Instr.) kriyate "Die Aufgabe (Karya) wird von dir (Tvaya) getan (kṛ)."
- kāryaṃ puruṣeṇa (Instr.) kriyate "Die Aufgabe (Karya) wird von dem Mann (Purusha) getan (kṛ)."
- gītā tena (Instr.) śrūyate "Die (Gita) wird von ihm (Tad) gehört (śru)."
- gītā tayā (Instr.) śrūyate "Die (Gita) wird von ihr (Tad) gehört (śru)."
- gītā kanyayā (Instr.) śrūyate "Die (Gita) wird von dem Mädchen (Kanya) gehört (śru)."
Passiv der Vergangenheit
In den folgenden Beispielen wurden die Sätze aus der Gegenwart in die Zeitform der Vergangenheit gebracht. Hierbei wird die Form der 3. Person Singular durch das sogenannte Partizip Präteritum Passiv (PPP) ersetzt (kṛta bedeutet "wurde gemacht", śruta bedeutet "wurde gehört"). Auch hier werden die jeweiligen Handelnden (Agens) mit dem Instrumental bezeichnet.
Beispiele
- kāryaṃ mayā (Instr.) kṛtam "Die Aufgabe (Karya) wurde von mir (Maya) getan (Krita)", d.h. "Ich habe die Aufgabe getan"
- kāryaṃ tvayā (Instr.) kṛtam "Die Aufgabe (Karya) wurde von dir (Tvaya) getan (Krita)", d.h. "Du hast die Aufgabe getan."
- kāryaṃ puruṣeṇa (Instr.) kṛtam "Die Aufgabe (Karya) wurde von dem Mann (Purusha) getan (Krita)", d.h. "Der Mann hat die Aufgabe getan."
- gītā tena (Instr.) śrutā "Die Gita wurde von ihm (Tad) gehört (Shruta)", d.h. "Er hat die Gita gehört."
- gītā tayā (Instr.) śrutā "Die Gita wurde von ihr (Tad) gehört (Shruta)", d.h. "Sie hat die Gita gehört."
- gītā kanyayā (Instr.) śrutā "Die Gita wurde von dem Mädchen (Kanya) gehört (Shruta)", d.h. "Das Mädchen hat die Gita gehört."
Syntax
Das Partizip Präteritum Passiv (PPP) nimmt wie ein Adjektiv (Visheshana) Fall (Kasus), Zahl (Numerus) und Geschlecht (Genus) des Substantivs an, auf das es sich bezieht. In den obigen Beispielen ist kāryam sächlich (Neutrum), daher heißt es kṛtam (n.). Das Wort gītā ist weiblich (Femininum), daher heißt es śrutā (f.).
Das PPP bezeichnet das logische Objekt (Karman) der Handlung und steht daher in der passiven Konstruktion (Karmani Prayoga) im Nominativ (Prathama). Hier folgen noch drei Beispiele zur Verdeutlichung der grammatischen Übereinstimmung (Kongruenz) von Substantiv und PPP:
- śabdaḥ (Nom. Sg. m.) puruṣeṇa (Instr.) śrutaḥ (Nom. Sg. m.) "Der Klang (Shabda) wurde von dem Mann (Purusha) gehört."
- gītā (Nom. Sg. f.) tvayā (Instr.) śrutā (Nom. Sg. f.) "Die Gita wurde von dir gehört."
- sūtraṃ (Nom. Sg. n.) tena (Instr.) śrutam (Nom. Sg. n.) "Das Sutra wurde von ihm gehört."
Übersicht: Die Passivformen der Gegenwart einiger häufiger Verben
Bildung
An die schwache Form der Verbalwurzel (Dhatu), deren Vokal sich zuweilen verändert, tritt das stammbildende Infix (Vikarana) -ya- sowie die Endungen des Mediums bzw. Atmanepada -te (3. Person Singular) bzw. -nte (3. Person Plural).
In der folgenden Übersicht erscheinen einige wichtige Verben unter folgenden Aspekten: Verbalwurzel (Dhatu) und ihre Hauptbedeutung(en), der davon abgeleitete Passivstamm, die gebeugte (konjugierte) Form der 3. Person Singular und Plural im Passiv (Karmani Prayoga) der Gegenwart (Präsens, Vartamana).
Verbalwurzel | Bedeutung | Passivstamm | 3. Person Singular | Übersetzung | 3. Person Plural | Übersetzung | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
pac | kochen | pacya- | pacyate | es (er, sie) wird gekocht | pacyante | sie werden gekocht | |
yuj | verbinden | yujya- | yujyate | es (...) wird verbunden | yujyante | sie werden verbunden | |
bhuj | genießen | bhujya- | bhujyate | es wird genossen | bhujyante | sie werden genossen | |
badh/bandh | binden | badhya- | badhyate | es wird gebunden | badhyante | sie werden gebunden | |
jñā | wissen, kennen | jñāya- | jñāyate | es wird gewusst | jñāyante | sie werden gewusst | |
pā | trinken | pīya- | pīyate | es wird getrunken | pīyante | sie werden getrunken | |
dā | geben | dīya- | dīyate | es wird gegeben | dīyante | sie werden gegeben | |
gā/gai | singen | gīya- | gīyate | es wird gesungen | gīyante | sie werden gesungen | |
kṛ | machen, tun | kriya- | kriyate | es wird gemacht | kriyante | sie werden gemacht | |
śru | hören | śrūya- | śrūyate | es wird gehört | śrūyante | sie werden gehört | |
pṛ/pṝ | füllen | pūrya- | pūryate | es wird gefüllt | pūryante | sie werden gefüllt | |
vac | sagen | ucya- | ucyate | es wird gesagt | ucyante | sie werden gesagt |
Weitere Verwendung des Passivs
Die Formen des Passivs der Gegenwart und Vergangenheit (PPP) werden im Sanskrit auch in der sogenannten unpersönlichen Konstruktion (Bhave Prayoga) des Verbs verwendet.