Tägliche Anrufungen - Die Bedeutung der Satarudriya

Aus Yogawiki
Swami Krishnananda

Tägliche Anrufungen - Die Bedeutung der Satarudriya


Swami Krishnananda - Die Gesellschaft des Göttlichen Lebens, Sivananda Ashram, Rishikesh, Indien - Webseite: www.swami-krishnananda.org

© Divine Life Society

Die Bedeutung der Satarudriya

Das Rudra-Adhyaya, das auch als Satarudriya bekannt ist und im Yajur Veda vorkommt, ist eine seelenbewegende Hymne, die dem alles durchdringenden Allmächtigen, der als Rudra-Shiva bezeichnet wird, dargebracht wird. Er ist in verheißungsvollen, gütigen Formen anwesend, um alle geschaffenen Dinge zu erhalten, und auch in schrecklichen Formen, die er zur Zeit der Auflösung und Zerstörung des Kosmos am Ende der Zeit annimmt. Abgesehen von diesen beiden Hauptaspekten der Höchsten Wirklichkeit, nämlich dem Erhaltenden und dem Zerstörenden, dem Konstruktiven und dem Destruktiven - wir könnten sagen, dem Positiven und dem Negativen -, gibt es ein unergründliches, unverständliches Mysterium hinter der Vorstellung des Gott- Seins in unserem praktischen Leben.

Der Zweck dieser großartigen Hymne, der Satarudriya, ist es, die außerkosmische Vorstellung von Gott, die die Menschen manchmal in ihrem religiösen Eifer hegen, ein für alle Mal beiseite zu schieben und den Menschen das größere, tiefere Wissen über die Tatsache einzuflößen, dass Gott nicht nur der schöpferische außerkosmische Elternteil des Universums ist, sondern dass Er auch in jedem Teilchen, in jedem Fleckchen Raum, in jeder Zeiteinheit, in jedem Winkel und jeder Ecke, in jedem Teilchen der Schöpfung immanent ist.

Ein sehr faszinierender Aspekt Gottes, der in dieser wundersamen Hymne dargestellt wird, ist, dass Gott sowohl das Gute als auch das Schlechte, das Schöne und das Hässliche, das Richtige und das Falsche, das Positive und das Negative, das Hohe und das Niedrige, das Denkbare und das Undenkbare, das Sterbliche und das Unsterbliche, die Existenz und die Nichtexistenz ist - jede gesegnete Vorstellung von Gott und ihr Korrelat, oder wir können sagen, das Gegenkorrelativ, das Gegenteil, das auch in der Existenz Gottes enthalten ist. So ist das Gegenkorrelativ von Weiß Schwarz, und Gott ist sowohl das Weiße als auch das Schwarze. Wenn wir sagen, dass etwas gut ist, muss es etwas anderes geben, das schlecht ist. Gott aber ist beides, verschmolzen in einer transzendenten Gegenwart, die weder das Gute noch das Schlechte ist und doch sowohl das Gute als auch das Schlechte, das Subjekt und das Objekt ist. Jede Erfahrung, jede Wahrnehmung, jede Art des menschlichen Denkens ist in dieses Dilemma des Nebeneinanderstellens, Vermischens oder Zusammenführens von Gegensätzen im Gott-Sein verwickelt.

Das ganze Leben ist nichts anderes als ein Kriegsschauplatz, wie es manchmal heißt, ein Mahabharata - eine Kampfarena, in der Kräfte aufeinanderprallen -, denn das Universum stellt sich nicht als ein einheitliches, eigenschaftsloses, ausgebreitetes Kontinuum einer einzigen Existenzform dar, sondern als eine Mischung gegensätzlicher Elemente. Wir können sie die zentripetalen Bewegungen und die zentrifugalen Bewegungen nennen - Energien, die zum Zentrum hin tendieren, und Energien, die sich vom Zentrum weg zur Peripherie des Kosmos, zu den Sinnesobjekten richten. Das Schlachtfeld des Lebens ist nichts anderes als das Feld des Konflikts dieser beiden Tendenzen, überall, im Prozess der Evolution - eine Tendenz zum Zentrum des Universums und die entgegengesetzte Tendenz, die sich vom Zentrum weg zum Umfang des Kosmos bewegt.

Wenn also unsere Vorstellungen, Erkenntnisse und Wahrnehmungen auf die Tendenzen im Universum abgestimmt sind, die sich auf das Zentrum des Kosmos zubewegen, scheinen wir gute Dinge, schöne Dinge, glückliche Dinge, angenehme Dinge zu sehen; aber wenn die Wahrnehmungen, Erkenntnisse und Aussichten verstrickt sind in jene Tendenzen, die sich nach außen - weg vom Zentrum, hin zu den Objekten - bewegen und so das Bewusstsein nach außen bringen, erscheinen die Dinge unglücklich, hässlich, schlecht und böse. Die Wahrnehmung dieser Ungleichheit der Charaktere in den Dingen ist also nicht auf eine tatsächliche Ungleichheit im Kosmos zurückzuführen, da es diese Ungleichheit nicht wirklich gibt, sondern auf die Unfähigkeit des menschlichen Individuums, die Gesamtheit des Seins mit einem Schlag zu erfassen. Die Schwäche des menschlichen Wahrnehmungsvermögens besteht darin, dass es nur die Zeichen, die zum Subjekt gehören, und die, die zum Objekt gehören, dichotomisieren kann.

Der Rudra-Adhyaya erhebt uns über all diese menschlichen Betrachtungsweisen, über das sterbliche Denken und die individualistische Wahrnehmung und ermahnt uns, das Mächtige Wesen in jeder kleinen Sache im Kosmos zu erkennen, ob sie nun beliebt oder unbeliebt, gut oder schlecht, notwendig oder unnötig, angenehm oder unangenehm ist. Nur hier lesen wir mit Bestürzung, dass Gott als der Herr der Diebe, der Herr der Banditen, der Herr der auf den Berggipfeln marodierenden Dacoits gepriesen wird, und als derjenige, der in den Werkstätten, auf den Marktplätzen, auf den Straßen, in der Erde, im Wasser, im Feuer, in der Luft und im Äther, in allen Dingen der Schöpfung gegenwärtig ist.

Die Rudra-Adhyaya oder die Satarudriya ist eine große Meditation über den Kosmos oder den Virat-Svarupa des Herrn als dem ursprünglichen Allmächtigen vor der Schöpfung und auch nach der Schöpfung, in dem die gesamte Schöpfung in einer Verschmelzung der Einheit mit ihrer eigenen Existenz absorbiert ist. Der menschliche Verstand kann hier nicht wirken, denn alles auf einmal zu denken - auf jede Art und Weise und in jeder Form der Beschreibung - ist für den menschlichen Verstand praktisch unmöglich; und höchste Meditation ist nichts anderes als das Bemühen des menschlichen Verstandes, sich über körperliche und empirische Wahrnehmungen zu erheben und sich das Universum als ein einziges Wesen vorzustellen, in dem Subjekt und Objekt miteinander verschmolzen sind.

Normalerweise wird der Mensch als Subjekt betrachtet und das Universum oder die Welt der Objekte als etwas Äußeres. Hier, in dieser Meditation des Allmächtigen, wird Rudra oder Shiva als die universelle Gegenwart in der gesamten Schöpfung begriffen. Die Unterscheidung, die normalerweise zwischen dem Denker und dem Gedanken, dem Bewusstsein und der Materie, dem Subjekt und dem Objekt gemacht wird, wird durch eine Anstrengung des Bewusstseins überwunden, das sich durch eine tiefe Gemeinschaft mit dem Wesen vereinigt, das nicht nur das Bewusstsein ist, das meditiert, sondern auch das, worüber meditiert wird.

In gewisser Weise ähnelt die Purusha Sukta der Vishvakarma Sukta, der Hiranyagarbha Sukta und anderen großen Hymnen der Veden, einschließlich der Varuna Sukta des Atharva Veda, die alle ein Bild des Allmächtigen als eine Mischung aus Gegensätzen darstellen - nicht nur philosophisch oder metaphysisch, sondern sogar sozial, ethisch und moralisch -, so dass niemand, der sich nicht über die Grenzen des menschlichen Denkens erhoben hat, auf diese Weise Gebete darbringen kann. Kein Mensch, außer einem Übermenschen, kann auf diese Weise zu Gott beten. Ich spüre, dass dies nicht das Gebet eines Menschen zu Gott ist, sondern die Hingabe eines Übermenschen an den Allmächtigen, eine große Schutzmaßnahme, eine tröstende Kraft und ein Erlöser von allen Schwierigkeiten und Problemen im Leben.

Diese Rudra Adhyaya, diese Satarudriya, diese Hymne sollte gesungen, gehört und zu einem Instrument des täglichen Gebets zu Gott gemacht werden, durch das die eigenen Todsünden zerstört werden. und das spirituelle Licht wird im Innern entzündet, wodurch das innere Auge jene Gegenwart erblickt, die sich nach außen hin als das Universum und nach innen hin als der Geist und das Bewusstsein manifestiert. Es handelt sich also um eine universelle Meditation, die in den Veden als Hymne des Gebets an das Höchste Wesen ausgedrückt wird, das hier mit dem Beinamen Rudra, Shiva - der Eine ohne ein Zweites - angesprochen wird. Möge Seine Gnade über uns alle kommen!  

Siehe auch


Literatur


Seminare

Indische Schriften

30.05.2024 - 02.06.2024 Religio - Wiederanbindung an deine göttliche Essenz
Stell Dir vor, Du BIST in Einheit und Harmonie mit Dir selbst und der Welt um dich herum. Du lebst und wirkst in Fülle, aus der Quelle des unbegrenzten Seins, Wissens und Wonne (Satchidananda).
Premala von Rabenau
14.06.2024 - 16.06.2024 Klassisches Tantra - Geschichte und Praxis der Shiva-Shakti Philosophie
"Tantra" ist eines der am meisten missverstandenen Worte der modernen Spiritualität. Im klassischen Tantra geht es kaum um Partnerübungen, sondern um die verkörperte Erfahrung der gesamten Existenz u…
Raphael Mousa