Ausgeglichenheit
Ausgeglichenheit ist die Fähigkeit, zwischen zwei entgegengesetzten Polen Ruhe zu bewahren. Ausgeglichenheit bedeutet, weder aus Euphorie in Leichtsinn zu verfallen noch aus Misserfolgen in Trübsal oder Verzweiflung zu geraten.
Eine tiefe Quelle der Ausgeglichenheit sind Yoga und Meditation: Wer durch Yoga und Meditation inneres Glück erfährt, weiß dass äußere Veränderungen nicht so wichtig sind. Wer in der Lage ist seinen Gemütszustand zu steuern, z.B. durch die Techniken des Raja Yoga, der kann in vielen Situationen ausgeglichen bleiben. Natürlich gehört auch Emotionalität zum Leben - aber Ausgeglichenheit verhilft dazu selbst das Ruder in der Hand zu behalten.
Ausgeglichenheit als hilfreiche Tugend
Auszug aus einem Vortrag von Sukadev Bretz
Ausgeglichenheit ist im Yoga ein wichtiger Begriff. Ein anderer Ausdruck für Ausgeglichenheit ist ja auch Gelassenheit, obgleich sie nicht identisch sind. Ausgeglichenheit heißt, ein gesundes Mittelmaß zu finden. Ausgeglichenheit heißt, nicht in die Aufregungen zu sehr hineinzugehen. Es gibt, man kann sagen, eine mehr statische Ausgeglichenheit und es gibt eine mehr dynamische Ausgeglichenheit. Und je nach Charakter und je nach Temperament gibt es unterschiedliche Formen von Ausgeglichenheit.
Die eine Form wäre die etwas statischere oder die ruhigere Ausgeglichenheit, auch daran kann man arbeiten. Diese Art von Ausgeglichenheit wäre auch die stoische Ruhe. Das heißt, angenommen, Dinge gehen schief, du hältst eine gewisse Ruhe, bleibst ausgeglichen, denn du weißt, es wird schon irgendwie sich wieder hinbiegen und letztlich, der Mensch braucht gar nicht so viel. Oder angenommen, jemand schimpft dich, gut, dann hast du auch eine gewisse Ausgeglichenheit, der andere mag gute Gründe haben, über dich zu schimpfen, du hast vielleicht sogar einen kleinen Fehler gemacht, aber du hast es so gut gemacht, wie du kannst, was nutzt es, sich darüber aufzuregen, „ich bleibe in der Ausgeglichenheit“. Oder angenommen, zwanzig Dinge kommen noch zusätzlich, die man zu tun hat, du hältst eine gewisse Ausgeglichenheit. Du setzt Prioritäten, du machst vielleicht ein bisschen schnell, du bittest um Hilfe, aber bewahrst deine Gemütsruhe. Das sind alles Formen von Ausgeglichenheit, von einer mehr ruhigen Ausgeglichenheit.
Es gibt aber auch eine dynamische Ausgeglichenheit. Dynamische Ausgeglichenheit heißt, du hast eine gewisse Polarität. Du weißt, manchmal bist du etwas aufgeregter, dann bist du wieder ruhiger. Manchmal bist du ein bisschen ängstlicher, manchmal hast du etwas mehr Vertrauen. Manchmal schimpfst du auch mal und manchmal hast du mehr Verzeihung und Vergebung gegenüber dem Menschen. Ein Teil von dir bleibt immer in dieser Beobachterrolle, du gehst nicht ganz auf in diesen Aufgeregtheiten und deshalb bleibst du doch in der Ausgeglichenheit. Wenn du gerade jetzt sehr aktiv bist und voller Enthusiasmus, im Inneren weißt du, es wird nicht dauernd sein. Und wenn du jetzt gerade müde bist oder verzweifelt, weißt du im Inneren, auch das geht vorbei. So diese Art von Ausgeglichenheit kann dir helfen, deine Emotionalität zu akzeptieren, kann Rhythmen im Leben akzeptieren und du kannst dabei doch tief im Inneren eine Ausgeglichenheit spüren.
Yoga, insbesondere Vedanta, würde sagen: „Du bist das unsterbliche Selbst, du bist eins mit der Weltenseele. Du bist kosmisches Bewusstsein.“ Und aus diesem Bewusstsein heraus hast du die tiefst mögliche Ausgeglichenheit. Und da mag jetzt Körper und Psyche durch ihre Prozesse und Höhen und Tiefen gehen, es spielt keine allzu große Rolle. Ganz im Inneren bist du in der Ausgeglichenheit. Überlege selbst, was Ausgeglichenheit für dich heißen kann und ob du mehr zur ruhigen Ausgeglichenheit neigst oder zur dynamischen Ausgeglichenheit oder ob Ausgeglichenheit eher ein Thema ist, was du noch kultivieren willst oder wo du sagt: „Mit Ausgeglichenheit, nein, ich will intensiv sein.“
Ausgeglichenheit und andere Tugenden
In diesem Yoga Wiki werden über 1000 Tugenden und geistigen Eigenschaften beschrieben. Hier einige Erläuterungen, wie man die Eigenschaft der Ausgeglichenheit in Beziehung zu anderen Tugenden und geistigen Eigenschaften sowie in Bezug auf Laster sehen kann:
Ähnliche Eigenschaften wie Ausgeglichenheit
Ähnliche Eigenschaften wie Ausgeglichenheit, also Synonyme zu Ausgeglichenheit sind z.B. Gemütsruhe, Gelassenheit, Ruhe .
Ausgleichende Eigenschaften
Jede Eigenschaft, jede Tugend, die übertrieben wird, wird zu einer Untugend, zu einem Laster, einer nicht hilfreichen Eigenschaft. Ausgeglichenheit übertrieben kann ausarten z.B. in Gleichgültigkeit, Interesslosigkeit, Gefühlskälte, Abgestumpftheit, Herzlosigkeit . Daher braucht Ausgeglichenheit als Gegenpol die Kultivierung von Emotionalität, Herzlichkeit, Einfühlungsvermögen, Spontanität .
Gegenteil von Ausgeglichenheit
Zu jeder Eigenschaft gibt es ein Gegenteil. Hier Möglichkeiten für Gegenteil von Ausgeglichenheit, Antonym zu Ausgeglichenheit :
- Positive Gegenteile von Ausgeglichenheit, man könnte diese auch als Gegenpole bezeichnen: Emotionalität, Herzlichkeit, Einfühlungsvermögen, Spontanität
- Negative Gegenteile von Ausgeglichenheit, also Laster, negative Eigenschaften, sind z.B. Unruhe, Getriebenheit, Hektik, Unrast, Beunruhigung, Aufregung, Reizbarkeit, Verzweiflung
Ausgeglichenheit im Kontext von Tugendengruppen, Persönlichkeitsfaktoren und Temperamenten
- Ausgeglichenheit gehört zur Tugendgruppe 6 Gelassenheit, Ruhe. Die wichtigsten Tugenden dieser Tugendgruppe sind Gelassenheit und Ausgeglichenheit
- Im Kontext des Persönlickeitsmodell der Big Five gehört Ausgeglichenheit zum Persönlichkeitsfaktor N0 Neurotizismus/Labilität niedrig: selbstsicher, ruhig, stabil, entspannt, auch E0 Extraversion niedrig: zurückhaltend, reserviert, introvertiert, auch O0 Offenheit niedrig: vorsichtig, bedachtsam, konservativ, auch C1 Gewissenhaftigkeit hoch: effektiv, organisiert, verlässlich]]
- Im Persönlichkeitsmodell DISG gehört Ausgeglichenheit zur Grundverhaltenstendenz G - Gewissenhaftigkeit
- Im Ayurveda zählt man Ausgeglichenheit zum Kapha Temperament bzw. Dosha.
Entwicklung von Ausgeglichenheit
Ausgeglichenheit kann man sehen als Tugend, als eine positive Eigenschaft. Vielleicht willst du ja Ausgeglichenheit in dir stärker werden lassen. Hierzu einige Tipps:
- Nimm dir vor, eine Woche lang diese Eigenschaft der Ausgeglichenheit zu kultivieren. Du kannst nicht mehrere Tugenden auf einmal entwickeln. Aber es ist möglich, jede Woche eine Tugend, eine Eigenschaft, wachsen zu lassen.
- Triff den Entschluss: "Während der nächsten Woche will ich die Tugend, die Eigenschaft, Ausgeglichenheit kultivieren, wachsen lassen, stärker werden lassen. Ich freue mich darauf, in einer Woche ein ausgeglichenerer Mensch zu sein."
- Nimm dir vor, jeden Tag mindestens eine Handlung auszuführen, die Ausgeglichenheit ausdrückt. Mache jeden Tag etwas, was du sonst nicht tun würdest, was aber diese Tugend zum Ausdruck bringt.
- Wenn du morgens aufwachst, dann sage eine Affirmation, z.B.: "Ich entwickle Ausgeglichenheit '. Mehr Möglichkeiten zu Affirmationen findest du weiter unten.
- Am Tag wiederhole immer wieder eine solche Affirmation: "Ich bin ausgeglichen ".
Affirmationen zum Thema Ausgeglichenheit
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Affirmationen für mehr Ausgeglichenheit Unter dem Stichwort "Affirmation" und "Wunderaffirmationen" erfährst du mehr darüber.
Klassische Autosuggestion für Ausgeglichenheit
Hier die klassische Autosuggestion:
- Ich bin ausgeglichen.
Im Yoga verbindet man das gerne mit einem Mantra. Denn ein Mantra lässt die Affirmation stärker werden:
- Ich bin ausgeglichen. Om Om Om.
- Ich bin ein Ausgeglichener, eine Ausgeglichene.
Entwicklungsbezogene Affirmation für Ausgeglichenheit
Manche Menschen fühlen sich als Scheinheiliger oder als Heuchler, wenn sie sagen "Ich bin ausgeglichen " - und sie sind es gar nicht. Dann hilft eine entwicklungsbezogene Affirmation:
- Ich entwickle Ausgeglichenheit.
- Ich werde ausgeglichen.
- Jeden Tag werde ich ausgeglichener.
- Durch die Gnade Gottes entwickle ich jeden Tag mehr Ausgeglichenheit
Dankesaffirmation für Ausgeglichenheit
- Ich danke dafür, dass ich jeden Tag ausgeglichener werde.
Wunderaffirmationen Ausgeglichenheit
Du kannst es auch mit folgenden Affirmationen probieren, die Sukadev Volker Bretz als Wunderaffirmationen bezeichnet:
- Bis jetzt bin ich noch nicht sehr ausgeglichen . Und das ist auch ganz verständlich, ich habe gute Gründe dafür. Aber schon bald werde ich Ausgeglichenheit entwickeln. Jeden Tag wird diese Tugend in mir stärker werden.
- Ich freue mich darauf, bald sehr ausgeglichen zu sein.
- Ich bin jemand, der ausgeglichen ist.
Gebet für Ausgeglichenheit
Auch ein Gebet ist ein machtvolles Mittel, um eine Tugend zu kultivieren. Hier ein paar Möglichkeiten für Gebete für mehr Ausgeglichenheit:
- Lieber Gott, bitte gib mir mehr Ausgeglichenheit.
- Oh Gott, ich verehre dich. Ich bitte dich darum, dass ich ein ausgeglichener Mensch werde.
- Liebe Göttliche Mutter, ich danke dir. Ich danke dir dafür, dass ich jeden Tag die Tugend Ausgeglichenheit mehr und mehr zum Ausdruck bringe.
Was müsste ich tun, um Ausgeglichenheit zu entwickeln?
Du kannst dich auch fragen:
- Was müsste ich tun, um Ausgeglichenheit zu entwickeln?
- Wie könnte ich ausgeglichen werden?
- Lieber Gott, bitte zeige mir den Weg zu mehr Ausgeglichenheit.
- Angenommen, ich will ausgeglichen sein, wie würde ich das tun?
- Angenommen, ich wäre ausgeglichen, wie würde sich das bemerkbar machen?
- Angenommen, ein Wunder würde geschehen, und ich hätte morgen Ausgeglichenheit kultiviert, was hätte sich geändert? Wie würde ich fühlen? Wie würde ich denken? Wie würde ich handeln? Als ausgeglichener Mensch, wie würde ich reagieren, mit anderen kommunizieren?
Vortragsmitschnitt zu Ausgeglichenheit - Audio zum Anhören
Hier kannst du einen Vortrag von Sukadev Bretz, Gründer von Yoga Vidya, anhören. Dieser Vortrag ist die Audio Version eines Videos zu Ausgeglichenheit, Teil des Yoga Vidya Multimedia Lexikons der Tugenden.
Siehe auch
Eigenschaften im Alphabet vor Ausgeglichenheit
Eigenschaften im Alphabet nach Ausgeglichenheit
Literatur
- Sukadev Bretz, Ulrike Schöber: Der Königsweg zur Gelassenheit; 2014
- Sukadev Bretz: Karma und Reinkarnation
- Sukadev Bretz: Die Yoga-Weisheit der Bhagavad Gita für Menschen von heute / Band 1
- Swami Sivananda: Göttliche Erkenntnis
- Swami Sivananda: Inspirierende Geschichten
- Swami Sivananda, Die Kraft der Gedanken (2012)
- Swami Sivananda: Sadhana - Ein Lehrbuch mit Techniken zur spirituellen Vollkommenheit
Weblinks
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