Aitareya Upanishad

Aus Yogawiki

Aitareya Upanishad (Sanskrit: ऐतरेय उपनिषद् aitareya upaniṣad f.) ist ein Teil der indischen Heiligen Schriften, die Veda genannt werden. Die Einheit des Atman mit dem Paramatman stellt die zentrale Aussage dieser Upanishad dar. Sie beschreibt die Schöpfung anhand von Symbolen. Diese sehr bildhafte Beschreibung macht dem Leser das Kapitel über die Schöpfung leicht zugänglich und verhilft uns dazu, ein klares und logisches Verständnis über unseren Ursprung zu entwickeln.

Diese Upanishad ist in 5 Kapitel unterteilt und ist ein Teil der Aitareya Aranyaka des Rigveda. Es gibt weitere Schreibweisen wie Aitareyopanishad, Aitareya Upanishad, Aitareya Upanischad, Aitareya Upanischade.

Jacob Bryant: Orphic Egg, 1774


Aitareya Upanishad - Sanskrit Text, Übersetzung, Kommentar von Swami Sivananda

Einleitung

Hari om!

Die Philosophie, die in den Upanishaden gelehrt wird, ist eine Quelle des Trostes für Tausende von Menschen gewesen, sogar für Westler, wie z.B. Schopenhauer. Es ist sehr schwierig, die Upanishaden ins Englische bzw. ins Deutsche zu übersetzen. Der Charme, die Kraft und die Schönheit gehen in der Übersetzung zum Teil verloren.

Der Wunsch, brahman zu kennen, ist letztlich der Wunsch nach vollkommener Erfüllung. Wer brahman kennt, hat alles erreicht, was er sich wünschen kann. Die letztendliche Befreiung liegt darin, zentriert zu sein in brahman, das Glückseligkeit und Freude ist. Alle Unwissenheit, welche die Ursache von Wunsch und von Handeln ist, ist dann beseitigt. Unwissenheit wird zerstreut durch das Wissen um brahman.

Die Aitareya-Upaniṣad ist Teil des Aitareya-Āraṇyaka des Ṛg-Veda. Sie ist in fünf Abschnitte (khaṇḍas) aufgeteilt. Wenn der śāntiḥ-mantra (die Friedenshymne) dazugezählt wird, haben wir sechs Abschnitte, und so wird diese Upanishad manchmal Ātma-Śataka genannt – „Abhandlung aus sechs Abschnitten über den ātman“. Die Upanishad ist aufgeteilt in drei Kapitel: das erste enthält drei Abschnitte, die anderen beiden je einen.

Die Upanishad leitet ihren Namen her von ihrem Autor Mahidāsa Aitareya, dem Sohn Itaras. Sie beschreibt, in symbolischer Sprache, die Schöpfung des Universums. Sie handelt vom ātman als der einzigen Wirklichkeit. Sie spricht von der Evolution durch Hunger und Durst, von Nahrung, vom Eintritt des Selbst in den Körper, von der Empfängnis und den drei Geburten des Menschen. Sie lehrt, dass man durch das Wissen über brahman von Geburt und Tod befreit wird und Unsterblichkeit erlangt. Enthalten sind die Aussagen von dem Seher (ṛṣi) Vāmadeva, der Unsterblichkeit durch das Wissen um das Selbst erlangt hat. Sie lehrt, dass der ātman und nicht prāṇa die letzte Ursache von allem ist. Das ganze Universum ist die Manifestation von brahman; die individuelle Seele ist identisch mit der höchsten Seele; das Ziel des Lebens liegt darin, die Einheit des individuellen Selbst mit dem höchsten Selbst zu verwirklichen. Ātman und para-brahman sind eins.

In allen Upanishaden wird klar herausgestellt, dass das letzte Ziel, das durch die Verwirklichung der Einheit des Selbst erlangt wird, die Unsterblichkeit ist. Eins zu werden mit den devas – das kann keine endgültige Befreiung geben. Die devas, wie Agni u.a., unterliegen dem saṃsāra; sie haben Fehler, wie z.B. Hunger. Alles, was dem Hunger unterworfen ist, ist noch im saṃsāra. Die śrutis erklären, dass das höchste brahman jenseits von Hunger ist. Nur die Verwirklichung des höchsten brahman kann uns Freiheit vom saṃsāra, von Geburt und Tod, geben.

Die zentrale Lehre dieser Upanishad ist die Einheit des ātman mit dem ātman. Diese muss durch das Wissen um das Selbst erlangt werden und nicht durch Rituale etc. Nur ātma-jnāna kann den Samen des saṃsāra verbrennen und mokṣa geben.

Wer kann Brahman verwirklichen?

Das Wissen um brahman sollte denen gelehrt werden, die ihr Herz gereinigt haben. Das geschieht durch Handlungen, die in den Schriften vorgeschrieben sind. Die Schüler sollten wohlvertraut sein mit den śāstras; sie sollten Glauben haben, in brahman zentriert sein und das Gelübde befolgt haben, das śiro-vratam genannt wird. Dieses wohlbekannte Gelübde wird im Atharva-Veda erwähnt. Es bedeutet „Kopf-Gelübde“, womit gemeint ist, dass der Kopf geschoren wird – ein Zeichen für sannyāsa (Entsagung). Man sollte also in den vierten Stand (sannyāsa) eingetreten sein, denn es ist sehr schwierig, brahmā-vidyā ohne vollkommene Entsagung zu praktizieren. Shankara sagt, dass ein Haushälter nicht für das Studium und die Praxis des vedānta qualifiziert ist. Nach ihm ist sannyāsa erforderlich für das Erlangen von Selbstverwirklichung. Nur ein sannyāsī kann ein Vollzeitsucher sein. Nur er kann seine ganze Zeit dem Studium und der Meditation widmen. Nur er ist frei von Ablenkungen. Daher ist sannyāsa sogar für jene wünschenswert, die noch nicht jnāna erreicht haben. Aviduṣāmapi mumukṣuṇā parivrājyaṃ kartavyameva – „Sogar jemand, der nicht ein Wissender ist, der aber nach Befreiung strebt, sollte in den sannyāsī-Orden eintreten.“

Shankara betont, dass man nicht mit voller Kraft und Hingabe über das Selbst meditieren kann, wenn man nicht die Sorgen des Lebens hinter sich lässt. Er sagt: „Die Kontrolle der äußeren und inneren Aktivitäten der Sinne und alle weiteren Hilfsmittel zur Verwirklichung des ātman sind unvereinbar mit anderen Lebensweisen (als sannyāsa).“

In der Kaivalya-Upaniṣad finden wir: „Nicht durch Handlung, nicht durch Nachkommen, nicht durch Reichtum, sondern nur durch Entsagung kann der Mensch Unsterblichkeit erlangen.“ Und die smṛtis sagen: „Man sollte in dem Lebensstand leben, der ein Mittel zum Wissen um brahman ist.“ Nur in diesem (vierten) āśrama (Lebensstadium, d.h. sannyāsa) können brahma-carya (Zölibat) und die anderen Hilfsmittel, Wissen zu erlangen, zusammen existieren, und sie sind unmöglich im Leben eines Haushälters.

Die śrutis sagen: „Er soll das Heim verlassen, in den Wald gehen und dort als sannyāsī leben; oder aber er kann auch gleich vom brahma-cārī-Orden (des religiösen Studenten) aus vom Heim oder vom Wald-Leben zum sannyāsī-Orden übergehen.“ Der sannyāsī-Orden wird sogar jemandem empfohlen, der im Haushälter-Stadium lebt – als indirekte Hilfe für die Verwirklichung des ātman. Die freiwillige Entsagung schon in der brahma-cārī-Phase des Lebens qualifiziert den Sucher für das Studium des vedānta. Die śruti sagt auch: Yadahareva virajet tadahareva pravrajet – „Man sollte das Heim noch am selben Tag verlassen, an dem Leidenschaftslosigkeit und Abstand vom Leben aufdämmern.“

Der sannyāsī ist frei von allen Arten von weltlichen Ablenkungen und Anhaftungen. Die orangene Robe hindert den Sucher daran, auf Abwege zu geraten oder gar üble Handlungen zu begehen. Wenn er sich von innen her verändert hat, wenn er also bereit ist, in den vierten āśrama (sannyāsa) einzutreten, warum sollte er sich dann fürchten, die orangene Robe anzulegen? Wenn er jetzt sagen würde: „Ich habe mein Herz (orange) gefärbt“, aber nicht die Robe anlegt, dann wäre das nur Schüchternheit und eigentlich Heuchelei. Vāsanās (subtile Wünsche) lauern noch in seinem Herzen. Warum wählten Yājñavalkya, Shankara und Ramakrishna Paramahamsa ein Leben in Entsagung (sannyāsa)?

Sannyāsa hat seine eigene Herrlichkeit und seine Vorteile. Man kann das Freiheitsgefühl eines sannyāsī kaum beschreiben. Nur ein sannyāsī kann alle Bindungen durchtrennen. Selbst wenn du dein Herz „orange gefärbt“ hast, werden sich doch immer noch alle Familienmitglieder an dich klammern wie Blutegel, bis zum Ende deines Lebens. Sie können deinen veränderten Geisteszustand nicht verstehen. Und du kannst moha (Verliebtheit, Täuschung) und Anhaftung an die Familie nicht abschütteln. Wenn du einmal krank werden solltest, dann wirst du in Versuchung sein, sie um Hilfe zu bitten, und anders herum wird es dasselbe sein. Die alten saṃsāras werden neues Leben schöpfen und moha wird dich wieder mit starken Ketten festhalten. Nur durch dein sannyāsa werden sie dich freilassen. Sie werden alle Hoffnung auf dich fallen lassen. Erst dann bist du wirklich tot für sie. Sie werden sich nicht wieder an dich wenden.

Wenn du die Einsamkeit liebst, wenn du frei bist von Leidenschaft, weltlichem Ehrgeiz, karmischen Tendenzen und weltlicher Anhaftung, wenn du das Schweigen liebst und ein heiteres Gemüt hast, wenn du dich diszipliniert hast, während du noch in der Welt lebst, wenn du von einfacher Nahrung leben kannst, wenn du auch die Härten des Lebens gut aushältst, wenn du in einer guten körperlichen Verfassung bist, wenn du nicht gesprächig oder gar geschwätzig bist, wenn du gut allein leben kannst ohne Gesellschaft und ohne Gespräche, wenn du ein meditatives Temperament hast und eine nachdenkliche Natur, wenn du all die Härten des spirituellen Weges ertragen kannst, wenn du das Leben eines Asketen bis ans Ende deines Lebens durchhalten kannst –, dann kannst du den Weg der Entsagung, sannyāsa, einschlagen. Nur dann wirst du wirklich die Vorteile eines san⁠nyāsa-­Lebens genießen können. Tatsächlich solltest du erst einmal ein bis zwei Jahre ein sannyāsī-Leben führen, während du noch in der Welt lebst. Du solltest dich im Rahmen des normalen weltlichen Lebens auf sannyāsa vorbereiten. Sonst wirst du es vielleicht extrem schwierig finden, diesen Weg zu gehen. Für einen Menschen mit Leidenschaftslosigkeit, Unterscheidungsfähigkeit und einem starken Willen ist dieser Weg aber nur Freude und Glück.

Mögt ihr alle eine tiefe Sehnsucht nach Befreiung von den Fesseln des saṃsāra entwickeln! Mögen eure Herzen nur mit der Liebe des ātman erfüllt sein! Mögt ihr alle wahres vairāgya (Wunschlosigkeit) entfalten und in das grenzenlose

Königreich ewiger Glückseligkeit eintreten! Mögt ihr alle die uralte Weisheit der Upanishaden verwirklichen! Mögt ihr alle die Einheit des Selbst erkennen! Mögt ihr alle in einem erleuchteten Zustand leben, eingetaucht in den Ozean der Glückseligkeit!

Shanti Mantra

(om, vāṅme manasi ... ) om, vāṅme manasi pratiṣṭhitā। mano me vāci pratiṣṭhitam।

āvirāvīrma edhi। vedasya ma āṇīsthaḥ। śrutaṃ me mā

prahāsīranenādhītenāhorātrānsaṃdadhāmyṛtaṃ vadiṣyāmi।

satyaṃ vadiṣyāmi। tanmāmavatu। tadvaktāramavatu।

avatu mām। avatu vaktāram। avatu vaktāram।

oṃ śāntiḥ śāntiḥ śāntiḥ॥

Om. Meine Sprache wurzelt in meinem Geist. Mein Geist wurzelt in meiner Sprache. Brahman, offenbare Dich mir! Ihr beide, Geist und Sprache, macht mich fähig, die Wahrheit zu ergreifen, die von den Schriften gelehrt wird. Möge das, was ich gelernt habe, mir nicht wieder entfallen! Ich verbinde Tag und Nacht im Studium. Ich denke die Wahrheit, ich spreche die Wahrheit. Möge Das mich beschützen! Möge Das den Lehrer beschützen! Beschütze mich! Beschütze den Lehrer! Beschütze den Lehrer! Oṃ, Frieden! Frieden! Frieden!

Prathamo 'dhyāyaḥ (Erstes Kapitel)

ātmā vā idameka evāgra āsīnnānyatkiñcana miṣat।

sa īkṣata lokānnu sṛjā iti॥ 1॥


1. Am Anfang wahrlich war all dies allein der ātman. Nichts anderes war in Bewegung. (Da war nichts anderes, das lebte. Da war nichts anderes, das blinzelte.) Er dachte: „Nun werde ich ganz gewiss die Welten schaffen.“

ERLÄUTERUNG: Ātmā – der ātman; vai – wahrlich; idam – dies; ekaḥ – einer; eva – allein; agre – am Anfang; āsīt – existierte; na – nicht; anyat – anderes; kiñcana – irgendetwas; miṣat – blinzelnd; saḥ – er; īkṣata – dachte: lokān – die Welten; nu – sicherlich, wahrlich; sṛjai – werde erschaffen; iti – so (dachte Er).

Ātman – erstes Prinzip, Ursache, einzige Realität. Das Wort ātman leitet sich ab von einer Wurzel, die bedeutet: „erhalten“, „essen“, „genießen“, „alles durchdringen“. Der ātman ist das Höchste, allweise, allmächtig, frei von allen Charakteristika des saṃsāra, wie etwa Hunger, Täuschung, Kummer etc. Er ist ewig, rein, intelligent und frei. Er ist ohne Geburt, unvergänglich, alterslos, unsterblich, furchtlos und ohne ein Zweites.

Idam – das Universum, das im Pūrva-Khaṇḍa beschrieben worden ist als durch Name, Form und karma charakterisiert, ist in Wahrheit der eine ātman – zunächst (also vor der Schöpfung) allein-existierend.

Agre – am Anfang, d.h., noch vor der Schöpfung/Erschaffung des Universums, war nichts außer dem ātman. In letzter Analyse aber gibt es so etwas wie Schöpfung nicht. Die Schöpfung ist nur eine Projektion dessen, was in potentieller Form, zu Beginn eines neuen Schöpfungszyklus, im avyakta (Unmanifesten) schlummert. Ist Er jetzt noch derselbe, die Eine Entität? Ja! Gibt es neben Ihm noch etwas anderes? Nein! Warum wird dann aber gesagt: „Er war“? Wieso wird die Vergangenheitsform „existierte“ benutzt? Obwohl sogar jetzt nur Er allein existiert, ist da doch ein Unterschied.

Vor der Schöpfung war das Universum eins mit dem ātman. Es gab in Ihm keinen manifesten Unterschied von Name und Form. Er wurde nur durch das eine Wort, ātman, gekennzeichnet, aber jetzt, nach Beginn der Schöpfung, wird er durch viele Worte bezeichnet (und zugleich auch durch das eine Wort ātman), da sich die Unterscheidung ihrer Namen und Formen manifestiert hat.

Wenn sich Schaum, Blase und Welle manifestieren, weil sich der Unterschied ihrer Namen und Formen von reinem Wasser manifestiert hat, wird jetzt dieselbe Substanz, Wasser, durch mehr als ein Wort bezeichnet. Vor der Differenzierung blieben die Ideen „Schaum“, „Blase“ und „Welle“ verschmolzen mit der Idee von Wasser und wurden durch das Wort „Wasser“ mit impliziert.

Nānyatkiñcana – nichts anderes; miṣat – aktiv, blinkend, lebend. Keine andere Entität außer dem ātman war aktiv, also etwa auch nicht das unabhängige und materielle pradhāna, das von den sāṅkhyas angenommen wird, und auch nicht die, von īśvara verschiedenen, Atome, wie sie von der Schule des Kaṇāda postuliert wurden. Vedānta lässt keine andere Entität zu, die vom ātman verschieden wäre. Es gab nur den ātman. Das ist die Aussage dieses Textes. Māyā (Täuschung, Illusion) kann nicht aus sich selbst heraus wirken. Sie hat keine unabhängige Existenz. Daher ist der ātman ohne ein Zweites und die Welt hat nur eine relative Existenz, da sie vor ihrer Erschaffung nur als der ātman existierte.

Der ātman, von seiner Natur her allwissend, dachte: „Ich werde Welten erschaffen.“ Wie kann Er aber vor der Schöpfung überhaupt gedacht haben, da Er doch keine Organe und keinen Körper hatte? Das ist kein Problem, da Er von Natur aus allwissend ist. Die śruti sagt: „Er geht ohne Füße und greift ohne Hände.“

Was war Sein Ziel? Warum erschuf Er die Welten? Die Antwort ist: „Ich werde die Welten namens ambhas, marīcī, maram und āpaḥ erschaffen, die verschiedenen Regionen, damit die Lebewesen die Früchte ihrer Handlungen (karma) genießen können.“

sa imāmँllokānasṛjata।

ambho marīcīrmaramāpo'mbhaḥ pareṇa divaṃ dyauḥ pratiṣṭhā'ntarikṣaṃ marī- cayaḥ। pṛthivī maro yā adhastāttā āpaḥ॥ 2॥

2. Er schuf folgende Welten: ambhas, marīcī, maram und āpaḥ. Ambhas ist oberhalb des Himmels, seine Stütze. Die marīcayaḥ (Strahlen) formen den Himmel. Maram (die Region der Sterblichen) ist die Erde, und was unterhalb der Erde ist, sind die āpaḥ (die [niederen] Gewässer).

ERLÄUTERUNG: Saḥ – Er (der ātman); imān – diese; lokān – Welten; asṛjata – erschuf; ambhaḥ – wässrige Region [bzw. das ätherische Wasser; marīcīḥ – Licht]; marīcayaḥ – der Bereich der Strahlen; maram – die Welt/Region der Sterblichen; āpaḥ – [niederes] Gewässer; adaḥ – das; pareṇa – höher; dyauḥ – Himmel; pratiṣṭhā – Stütze; antarikṣam – der dazwischenliegende Raum; pṛthivī – Erde; yāḥ – welche; adhastāt – unterhalb.

Nachdem er so reflektiert hatte, schuf der ātman diese Welten. Ein intelligenter Architekt überlegt zunächst in sich selbst: „Ich werde den Palast so und so bauen.“ Er macht zunächst einen Plan; danach erst baut er. So hat auch īśvara (Gott) die Welten erschaffen.

Der Baumeister baut einen Palast mithilfe von passenden Materialien. Wie kann aber der ātman, ohne solche Materialien, die Welten schaffen? Das ist kein Einwand, denn Er ist allwissend und allmächtig.

So wie man von „Schaum“ spricht, also ein anderes Wort benutzt als „Wasser“, obwohl doch der Schaum eine Modifikation des Wassers ist, so kann auch ein und derselbe ātman die Ursache des manifesten Universums werden, entsprechend dem Schaum, der sich vom Wasser differenziert hat.

Brahman ist sowohl die materielle Ursache als auch die Wirkursache. Der allwissende ātman ist das Substrat des Universums. Er wurde die materielle Ursache und schuf das Universum. Es gibt also keinen inneren Widerspruch. Brahman ist nur der vivartopādāna.

Oder: So wie ein Zauberkünstler sich selbst in einer anderen Form erschafft und sich dann in der Luft bewegt, ohne eine weitere materielle Ursache, so erschafft der allmächtige und allwissende Gott, dieser mächtige Zauberer, sich selbst als ein anderes Selbst, in der Form des Universums. Dies ist eine bessere Erklärung der Schöpfung. So werden die Positionen derjenigen unhaltbar, die glauben, dass entweder die Ursache oder die Wirkung unwirklich sind oder sogar beide. Diese Ansichten kann man leicht widerlegen.

Als nächstes wird dargelegt, welche Welten Er erschuf. Nachdem Er die Welt in angemessener Abfolge erschaffen hatte, angefangen mit dem Äther, schuf er die Welten ambhas, marīcī, maram und āpaḥ. Die śruti erklärt selbst, welche diese Welten sind. Die Welt ambhas ist oberhalb der himmlischen Welt. Sie wird ambhas genannt, weil sie Wasser enthält, das das Leben unterstützt. Der Himmel stützt die wässrige Welt ambhas. Der Himmel bzw. der Zwischenraum unterhalb dyu-loka ist bekannt als marīcayaḥ. Obwohl er nur einer ist, wird der Plural marīcayaḥ benutzt, weil er viele Regionen durchdringt oder aber weil die Myriaden von Sonnenstrahlen ihn durchleuchten. Die Erde wird maram genannt, weil hier alle Kreaturen sterben (mriyante). Die Welten unterhalb der Erde heißen āpaḥ; das kommt von der Wurzel āp (erlangen, erhalten, bekommen). Die Menschen, die dort wohnen, sind mit Freude erfüllt.

Obwohl alle Welten aus den fünf Elementen zusammengesetzt sind, so werden sie doch nach den jeweils vorherrschenden Elementen benannt, z.B. ambhas, weil dort das [ätherische] Wasser überwiegt.

Die Welten ambhas, mahar, jana, tapas und satya sind oberhalb der Himmel, dort, wo zu Beginn der Schöpfung die Wasser angesiedelt wurden.


sa īkṣateme nu lokā lokapālānnu sṛjā iti।

so'dbhya eva puruṣaṃ samuddhṛtyāmūrcchayat॥ 3॥


3. Er überlegte: „Dies sind also die Welten (die ich geschaffen habe). Ich werde jetzt die Beschützer und Lenker der Welten schaffen.“ Dann hob er den purua aus dem Wasser und gab ihm Form.


ERLÄUTERUNG: Saḥ – Er; īkṣata – überlegte, dachte nach; ime – diese; lokapālān – Lenker der Welt; sṛjai – ich werde schaffen; iti – so; saḥ – Er; adbhyaḥ – aus dem Wasser; eva – nur, wahrlich; puruṣam – den puruṣa (Urseele/-wesen, Mensch); samuddhṛtya – erhoben habend; amūrcchayat – gab Form.

Adbhyaḥ – aus dem Wasser; aus der manifestierten Kausalmaterie; aus den fünf Elementen, von denen Wasser das wichtigste ist.

Puruṣavirāṭ-puruṣa (das universelle Selbst).

Nachdem Er die vier Welten geschaffen hatte, in denen die lebenden Wesen die Früchte ihre Handlungen ernten, dachte Er erneut nach: „Diese Welten (ambhas etc.), die Ich geschaffen habe, werden eingehen ohne Herrscher und Lenker. Also werde ich für den Schutz dieser Welten ihre Herrscher erschaffen.“

Nachdem er derart überlegt hatte, hob er den puruṣa (Menschen) aus dem Wasser, d.h. aus den fünf Elementen, aus denen er die Welten (ambhas etc.) geschaffen hatte. Er gab ihm eine Gestalt, indem er die Gliedmaßen zusammenfügte, wie etwa ein Töpfer einen Klumpen Lehm aus der Erde nimmt und ihm eine Form gibt.


tamabhyatapattasyābhitaptasya mukhaṃ nirabhidyata yathā'ṇḍaṃ

mukhādvāgvāco'gnirnāsike nirabhidyetāṃ nāsikābhyāṃ prāṇaḥ

prāṇādvāyurakṣiṇī nirabhidyetamakṣibhyāṃ cakṣuścakṣuṣa ādityaḥ

karṇau nirabhidyetāṃ karṇābhyāṃ śrotraṃ śrotrāddiśastvaṅ nirabhidyata

tvaco lomāni lomabhya oṣadhivanaspatayo hṛdayaṃ nirabhidyata

hṛdayānmano manasaścandramā nābhirnirabhidyata nābhyā

apāno'pānānmṛtyuḥ śiśnaṃ nirabhidyata śiśnādreto retasa āpaḥ॥ 4॥

4. Dann grübelte ātman über den Klumpen nach. Er wollte ihm die Gestalt eines Menschen geben. Als Er so grübelte, manifestierte sich in dieser Masse ein Loch von der Form eines Mundes, so etwa, wie ein Vogelei aufbricht, wenn es bebrütet wird. Aus dem Mund kam Sprache und aus der Sprache Feuer (agni). Dann erschienen die Nasenlöcher und aus diesen der Geruch[sinn] (prāṇa); aus dem Geruch[sinn] (prāṇa) kam die Luft (vāyu). Dann kamen seine Augen hervor, daraus das Sehen, aus dem Sehen kam die Sonne. Seine Ohren erschienen, aus den Ohren das Hören und aus dem Hören die Himmelsrichtungen. Dann entstand die Haut, aus der Haut die Haare und aus den Haaren die Kräuter und die großen Bäume. Sein Herz kam hervor, aus dem Herzen der manas und aus dem manas der Mond. Der Nabel erschien, aus dem Nabel apāna und aus apāna kam der Tod. Sein Geschlechtsorgan entstand, daraus der Samen und aus dem Samen entstand das Wasser.

ERLÄUTERUNG: Tam-abhyatapat-tasya-abhitaptasya – nachdem Er darüber gebrütet hatte; mukham – aus dem Gesicht; nirabhidyata – kam hervor; yathā'ṇḍam – wie in einem Ei; mukhāt vāk – aus dem Mund kamen Worte; vācaḥ agniḥ – aus Worten entstand das Feuer; nāsike – Nasenlöcher; nirabhidyetām – kamen hervor; nāsikābhyām – aus den Nasenlöchern; prāṇaḥ – Geruch[sinn]; prāṇāt – aus dem prāṇa (Geruchsinn); vāyuḥ – Luft; akṣiṇī – Augen; nirabhidyetam – kamen heraus; akṣibhyām – aus den Augen; cakṣus – das Sehen; cakṣuṣaḥ – aus dem Sehen; ādityaḥ – die Sonne; karṇau nirabhidyetām – die Ohren kamen hervor; karṇabhyām – aus den Ohren; śrotram – das Hören; śrotrāt – vom Hören; diśaḥ – die Himmelsrichtungen; tvaṅ-nirabhidyata – die Haut kam hervor; tvacaḥ – von der Haut; lomāni – die Haare; lomabhyaḥ – von den Haaren; oṣadhi-vanaspatayaḥ – Kräuter und Bäume; hṛdayam nirābhedyata – das Herz kam hervor; hṛdayāt – aus dem Herzen; manaḥ – der manas (Denken, Verstand, Gefühl etc.); manasaḥ – aus dem manas; candramāḥ – der Mond; nābhiḥ nirabhidyata – der Nabel kam hervor; nābhyāḥ – vom Nabel; apānaḥapāna (der sich von oben nach unten bewegende Hauch [vāyu]; ist für die Ausscheidung zuständig); apānāt mṛtyuḥ – vom Nabel kam der Tod; śiśnam nirabhidyata – das Geschlechtsorgan kam hervor; śiśnāt – vom Geschlechtsorgan; retaḥ – Samen; retasaḥ – vom Samen; āpaḥ – Wasser.

Tapa – bedeutet hier nicht Askese, wie etwa cāndrāyaṇa-vrata oder kṛcchra-vrata. Es bedeutet vielmehr: nachdenken, reflektieren, denken, wollen, durch den Willen erschaffen.

In allen Fällen manifestierten sich der Sitz des Organs, das Organ und die zuständige Gottheit in dieser Reihenfolge. Aus den Nasenlöchern kam prāṇa hervor – hier ist der Geruchsinn gemeint. Das Ausscheidungsorgan wird apāna genannt, wegen seiner Verbindung mit der nach unten gehenden Luft.

Loma – Tastsinn, verbunden mit der Haut, auf der loma (das Körperhaar) wächst.

Hṛdayān manaḥ – aus dem Herzen kam der manas. Gefühle haben ihren Sitz im Herzen.

Die Hände sprangen hervor und aus ihnen kam Indra. Dann kamen die Füße und aus ihnen Upendra (jüngerer Bruder Indras, Name von Viṣṇu). Der Anus kam hervor und aus ihm Nirṛtī (Göttin der tödlichen Reiche und Leiden) und Yama (der Totengott). In gleicher Weise entstand die Zunge, und aus ihr kam der Geschmackssinn und aus diesem Varuṇa.

HIER ENDET DAS ERSTE KAPITEL.