Verhaftungslosigkeit

Aus Yogawiki

Verhaftungslosigkeit: der Schlüssel zur Entspannung. Die meisten Menschen sehen Anziehung oder „Etwas-Mögen“ als positiven Aspekt des Lebens. Yoga weist darauf hin, dass diese Einstellungen, wenn sie mit den Gegenständen der materiellen Welt in Verbindung gebracht werden, Anspannungen hervorrufen, die die Tiefenentspannung erschweren. Denn dieses „Etwas-Mögen“ führt zu Wünschen, was wiederum Frustration auslösen kann, eben wenn die Wünsche nicht erfüllt werden.

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Anziehung bringt auch eine ständige Angst vor Verlust mit sich. Denn eigentlich ist nichts in der physischen Welt von Dauer, und Verlust ist somit unvermeidlich. Abneigung oder „Etwas-Nicht-Mögen“ verursacht ebenfalls Schmerz: Es ruft eine negative Einstellung hervor, die häufig eine eigentlich neutrale Situation als abstoßend erscheinen lässt. Indem wir lernen, unter allen Umständen zufrieden zu sein, besitzen wir den Schlüssel zur Entspannung. Daher ist es sinnvoll, überschwängliche emotionale Reaktionen gegenüber Menschen oder Situationen allmählich abzubauen. Ein guter erster Schritt dahin ist, die eigene Wortwahl im Alltag zu beobachten. „Ich mag das“, „Das ist wunderschön“, „Das ist toll“, „Ich hasse das“, „Ich mag das nicht“ und „Das ist furchtbar“ sind typische Ausdrücke von Anziehung und Abneigung, die auch Sie möglicherweise häufiger verwenden. Wenn man anfängt, derartige Ausdrücke weniger oft zu benutzen, dann wird man weniger „verhaftet“ an das, was um einen herum passiert. Diese Verhaftungslosigkeit sollte nicht mit einer generell eher passiven Einstellung verwechselt werden und bedeutet auf keinen Fall, dass man weniger Liebe und Mitgefühl entwickeln sollte. Es bedeutet lediglich, dass man hochkommende Emotionen mit etwas mehr Distanz beobachtet und dann lernt, sie abzulegen.

Verhaftungslosigkeit ist ein Geisteszustand. Damit ist nicht gemeint, dass man sich vor Gesellschaft, Pflichten oder Verantwortung drückt. Es bedeutet, dass man sich dem Einfluss des Mögens und Nichtmögens entzieht, wodurch ein Gefühl tiefer innerer Zufriedenheit entsteht. Daraus entwickelt sich auch die Fähigkeit, vollständig zu entspannen.

Werk ohne Welthang

Ausschnitt aus dem Buch "Der Gesang des Heiligen. Eine philosophische Episode des Mahabharatam". Eine Übersetzung der Bhagavadgita von Paul Deussen. Leipzig. F.a. Brockhaus. 1911. S. 14-21.

Krishna und Arjuna mit dem Streitwagen
38. (916.) Sei doch gleichgültig gegen Lust und Schmerz, gegen Gewinn und Verlust, gegen Sieg und Niederlage, und bereite dich so zum Kampfe, so wirst du nicht in Schuld geraten.
39. (917.) Diese Ansicht wurde dir vorgetragen vom Standpunkte der berechnenden Überlegung (Sankhyam). - Vernimm die folgende vom Standpunkte der Hingebung (Yoga) aus. Wenn du dir diese letztere Ansicht zu eigen machst, o Sohn der Pritha, so wirst du dich von der Gebundenheit durch die Werke frei machen.
40. (918.) Dann gibt es für dich keinen Misserfolg und keine Widerwärtigkeit mehr. Wer auch nur ein weniges von dieser Satzung sich aneignet, den rettet sie aus großer Not.
41. (919.) Hier gibt es, o Liebling der Kurus, nur eine Ansicht, welche Entschiedenheit in sich trägt, während vielverzweigt und endlos die Ansichten der Unentschiedenen sind.
42. (920.) Eine blumenreiche Rede gibt es, welche die Unweisen verkündigen, sie, welche an Vedareden sich letzen, o Prithasohn, und behaupten, dass es nichts anderes gebe;
43. (921.) sie, welche in Werken befangen, zum Himmel streben und jener Rede huldigen, welche als Lohn der Werke eine Neugeburt verheißt und viel Redens macht von besonderen Zeremonien zum Zwecke des Genusses und der himmlischen Herrlichkeit.
44. (922.) Wer durch sie seinen Geist verführen lässt, der klammert sich an Genuss und himmlische Herrlichkeit; aber jene Ansicht, welche Entschiedenheit in sich trägt und auf Versenkung [sich gründet], wird ihm nicht zuteil.
45. (923.) Im Drei-Gunahaften sind die Veden befangen, du aber, o Arjuna, befreie dich vom Drei-Gunahaften. Sei frei von den Gegensätzen [des empirischen Daseins], feststehend in der ewigen Realität, frei von Erwerb und Besitz, dem Atman treu.
46. (924.) Soviel Nutzen von einem Wasserbehälter ist, in welchem von allen Seiten das Wasser zusammengeflossen ist, soviel ist in allen Veden zu finden für einen Brahmanen, welcher die Erkenntnis besitzt (vgl. Sanatsujatiya, Buch V, Vers 1785).
47. (925.) Dein Beruf ist es freilich, das Werk zu tun, nicht aber nach seinen Früchten zu streben. Lass nicht die Frucht der Werke deinen Beweggrund sein, aber verfalle auch nicht in Untätigkeit.
48. (926.) Fest in der Hingebung (Yoga) vollbringe die Werke, aber lass fahren die Anhänglichkeit [an ihren Lohn], o Siegreicher; bleibe gleichmütig beim Gelingen und Misslingen, dieser Gleichmut wird Yoga (Hingebung) genannt.
49. (927.) Tief steht das Werk unter der Hingebung an die Erkenntnis, o Siegreicher; in der Erkenntnis suche deine Zuflucht, elend sie, welche vom Lohn getrieben werden.
50. (928.) Wer der Erkenntnis hingegeben ist, der lässt hinter sich beides, das gute und das böse Werk; darum gib dich der Hingebung (Yoga) hin; Hingebung macht auch tüchtig zu Werken.
51. (929.) Die Weisen, der Erkenntnis hingegeben, verzichten auf der Werke Frucht, und erlöst von der Fessel der Geburten gehen sie ein zu der leidlosen Stätte.
52. (930.) Wenn deine Erkenntnis über den Wirrwarr der Verblendung hinausschreiten wird, dann wirst du überdrüssig werden dessen, was du aus den heiligen Schriften lernen kannst und gelernt hast.
53. (931.) Und wenn deine Erkenntnis sich den heiligen Schriften entgegensetzen und unerschütterlich in der Meditation feststehen wird, dann wirst du den Yoga erlangen.

Arjuna sprach:

54. (932.) Welches ist die Beschreibung des in der Erkenntnis Feststehenden und in der Meditation Beharrenden, o Vollhaariger, was wird der reden, der in seinem Geiste fest ist, wie wird er sitzen und wie wird er wandeln?

Der Heilige sprach:

55. (933.) Wenn einer, o Sohn der Pritha, alle Begierden fahren lässt, die in sein Herz kommen, und nur an dem Selbste (Atman) und durch das Selbst seine Freude hat (Chand, Up. 7,25,2), der wird ein in der Erkenntnis Feststehender genannt.
56. (934.) Wenn einer im Leiden unerschütterlich und in Freuden frei von Begierde bleibt, befreit von Leidenschaft, von Furcht und Zorn, er wird ein im Geiste Fester, wird ein Muni genannt.
57. (935.) Wer allerwärts frei von Anhaftung ist, mag ihm dieses oder jenes Erfreuliche oder Unerfreuliche begegnen, wer dann weder Freude noch Hass empfindet, dessen Erkenntnis ist eine feststehende.
58. (936.) Und wenn ein solcher von überallher, wie die Schildkröte ihre Glieder, so seine Organe von ihren Objekten gelöst in sich hereinzieht, dessen Erkenntnis ist eine feststehende.
59. (937.) Die Sinnendinge kehren sich ab von der Seele, die sich nicht mehr an ihnen nährt, und hat sie ihren Geschmack nicht mehr, so wird auch der Geschmack an ihnen zunichte, nachdem sie das Höchste geschaut hat.
60. (938.) Denn auch bei einem sich beherrschenden weisen Manne, o Sohn der Kunti, reißen die ungestümen Sinne den Geist gewaltsam mit sich fort.
61. (939.) Sie alle überwältigend soll man dasitzen, hingegeben und mich [den Allgeist] als Höchstes habend, denn wer seine Sinne in der Gewalt hat, dessen Erkenntnis ist eine feststehende.
62. (940.) Wenn hingegen ein Mensch an die Sinnengenüsse denkt, so bildet sich bei ihm eine Anhänglichkeit an sie; aus der Anhänglichkeit entsteht Begierde, aus der Begierde entsteht Zorn,
63. (941.) aus dem Zorn entsteht Verblendung, aus der Verblendung entsteht Trübung der Erinnerung; ist erst die Erinnerung getrübt, so folgt Verlust der Erkenntnis, ist die Erkenntnis verloren, so ist er auch selbst verloren.
64. (942.) Wer aber an den Sinnendingen vorübergeht mit Sinnen, die von Liebe und Hass sich losgemacht haben und seinem Atman untertan sind, dessen Seele beruhigt sich und geht ein zum Frieden.
65. (943.) Hat er aber Ruhe von allen Schmerzen, so entsteht in ihm die Resignation, und ist erst sein Geist beruhigt, dann kommt auch alsbald seine Erkenntnis zu vollkommenem Feststehen.
66. (944.) Wer nicht Hingebung übt, hat nicht die Erkenntnis, wer nicht Hingebung übt, hat nicht Verinnerlichung; wer nicht Verinnerlichung hat, hat keinen Frieden, wer keinen Frieden hat, woher käme dem Freude!
67. (945.) Denn wenn die Sinne umherschwärmen und der Verstand mit ihnen fortgezogen wird, dann reißt er die Erkenntnis mit sich dahin, wie der Wind ein Schiff auf dem Wasser.
68. (946.) Darum, o Großarmiger, wenn einer seine Sinne allerwärts von den Sinnendingen zurückhält, dessen Erkenntnis ist eine feststehende.
69. (947.) Was Nacht ist für alle Wesen, darin ist wach der Selbstbezwinger, und worin alle Wesen wach sind, das ist Nacht für den schauenden Weisen.
70. (948.) Gleichwie die Wasser zur Ruhe kommen in dem vollen, unerschütterlichen Ozean, so kommen alle Begierden in ihm zur Ruhe, und er erlangt den Frieden, nicht aber der, welcher von Begierde getrieben wird.
71. (949.) Der Mann, welcher alle Begierden fahren lässt und ohne Verlangen dahinwandelt, ohne Ichbewusstsein und ohne Selbstsucht, der erlangt den Frieden.
72. (950.) Dieses ist das Feststehen im Brahman, o Sohn der Pritha ; wer es erlangt, wird frei vom Wahn, und in ihm beharrend, erreicht er zur Zeit des Endes das Erlöschen (Nirvanam) in Brahman.

Siehe auch

Literatur

  • Swami Sivananda: Die Kraft der Gedanken; Books. ISBN 3-922477-94-1
  • Swami Sivananda: Shrimad Bhagavad Gita, Erläuternder Text und Kommentar von Swami Sivananda; Mangalam Books. ISBN 3-922477-06-2
  • Swami Sivananda: Hatha-Yoga / Der sichere Weg zu guter Gesundheit, langem Leben und Erweckung der höheren Kräfte; Heinrich Schwab Verlag. ISBN 3-7964-0097-3
  • Swami Sivananda: Göttliche Erkenntnis; Mangalam Books. ISBN 3-922477-00-3
  • Swami Sivananda: Sadhana; Mangalam Books. ISBN 3-922477-07-0
  • Swami Sivananda: Autobiographie von Swami Sivananda; Bad Mainberg 1999. ISBN 3-931854-24-8
  • Paul Deussen: "Der Gesang des Heiligen. Eine philosophische Episode des Mahabharatam". Übersetzung der Bhagavadgita. Leipzig. F.a. Brockhaus. 1911.

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