Varanasi

Aus Yogawiki

Varanasi (Sanskrit: वाराणसी Vārāṇasī f.) heilige Stadt in Indien am Ganges, auch Benares oder Kashi genannt.

Varanasi

Varanasi - Heilige Stadt am Ganges

Ankunft

Es ist früh am Morgen auf der huckeligen Landstraße nach Varanasi. Der überfüllte Bus, in dem selbst die Nacht über laute Bollywood-Musik gespielt wurde, nähert sich einer der heiligsten Städte Indiens. Varanasi, von den kolonialistischen Engländern zu Benares eingedampft, am Ufer des Ganges, der heiligen Mutter, ist Ziel unzählbarer indischer Pilgerreisen. Doch auch der westliche Rucksacktourist ist magisch angezogen von diesem Ort im Norden Indiens. Und wie zum Beweis geht in naher Ferne eine große leuchtendrote Sonnenkugel am Horizont auf, während der Vollmond langsam in der Dämmerung verschwindet. Ein schönes Zeichen.

Pilgerort

Varanasi ist wie ein Venedig am Ganges. Dieser erste Gedanke kommt meinem müden Auge über den Dächern der Stadt, in einem Billig-Hotel mit fabelhaftem Blick über Varanasi. In den Morgenstunden wirkt die Stadt besonders verzaubert. Pilger ziehen geisterhaft auf Booten, barkengleich, durch das Wasser, der Frühnebel lüftet sich erst langsam und es herrscht eine Stille, eine solch andachtsvolle Stille, während an den Ghats die gläubigen Hindus ihre Morgenwaschrituale am Ganges vollziehen, die Männer im Lendenschurz, die Frauen in einem bunten Kaleidoskop von Saris. Der Ganges wäscht sie von allen irdischen Sünden rein. Er ist rein wie das Moksha, das Nirwana der Hindus, auch wenn die Menge der Coli-Bakterien im Wasser erlaubte Badewerte um ein Tausendfaches überschreitet. Glauben ist alles.

Ghats

Aber das Beeindruckendste dieser Stadt, die größte Unglaublichkeit sind die Verbrennungsghats, auch für westliche Reisende einsehbar. Für ein kleines Bakschisch lässt sich von der Terrasse eines Gebäudes die Verbrennungszeremonie überwachen. Nie sah man Körper friedlicher brennen und eine himmlische Ruhe überkommt mich, während es drei Stunden dauert, bevor ein toter Körper sich in seine Elemente auflöst. Asche zu Asche. Staub zu Staub. Wenn das Gehirn knackt, wird dem Glauben nach die Seele freigelassen und steigt empor. Fotografieren an den Verbrennungsstätten ist strengstens untersagt. Der aufsteigende Rauch brennt zwar in den Augen, aber es stinkt nicht, wie es vielleicht zu erwarten wäre. Ich sah nie zuvor Tote, hier sehe ich sie brennen. Eine Seelenruhe herrscht über der Szenerie, ab und zu wird ein Oberkörper gewendet, ein Fuß fällt ab, ein Iltis versucht schnell, ihn sich zu schnappen. Kühe baden am Ufer in dem aschigen Wasser und immer wieder kommen neue Leichenprozessionen an. Am Abend zuvor machte ich meine erste Bekanntschaft mit den Prozessionen, während ich in einem Internet-Café saß und die obligatorischen Traveller-Mails nach Hause schrieb.

Kulturschock

Liebe Familie,

es geht mir sehr gut und gerade werden hier Leichen lautstark am Fenster vorbei getragen. Eingewickelt in oranges Tuch sind die kleinen Körper, mit Blumengirlanden geschmückt, und von Musik begleitet werden die Toten auf einer Bambusbare durch die Stadt getragen. In diesem Internet-Café begegnete ich auch einer weiteren Absonderlichkeit des indischen Denkens, die besonders für Deutsche schwer verständlich ist. Der Cafébesitzer fragte mich, woher ich denn käme, eine Frage, die den westlichen Reisenden eigentlich ständig gestellt wird. Which country? Your country? Germany. Germany very good. Hitler very good. Hitler sei ein toller Typ gewesen. An Buchständen an der Straße kann man sich fast sicher sein, neben den obligatorischen Paulo Coelho Büchern und den Geheimnissen erfolgreicher Menschen immer auch "Mein Kampf" von Adolf Hitler zu finden. Irgendwann gebe ich es auf, mit den Buchverkäufern darüber zu diskutieren. Sie bewundern Hitler, weil er es aus kleinen Verhältnissen so weit nach oben geschafft hat und solch eine Machtfülle erreichte. Den zweiten Weltkrieg und den Holocaust blenden die befragten Inder einfach aus. Manchmal denke ich auch, sie haben die Sache mit dem Hakenkreuz nicht so richtig verstanden, denn in Indien ist die Swastika ein Symbol Gottes, das glücksbringend an Tempeln, Häusern und auf Kleidung zu finden ist. Es ist nur spiegelverkehrt zum Zeichen des deutschen Grauens. Ein bisschen erschreckte ich mich schon, als eine junge deutsche Frau später bei einem Yoga-Festival in Berlin ein Kleid trug, das über und über mit diesen indischen Hakenkreuzen bedruckt war. Aber ich habe genau dieses Kleid auch in den Straßenständen von Varanasi gesehen. Manche Zeichen müssen vielleicht positiv umgedeutet werden, aber mit der Swastika wird der Deutsche wohl noch einige Jahrzehnte seine moralischen Probleme haben.

Stadt Shivas

Varanasi ist ein schöner Ort zum Sterben. Anstelle von Tod in Venedig, Tod in Varanasi. Das wünschen sich die Hindus, damit werden sie aus dem ewigen Kreis der Wiedergeburten erlöst, ihr Karma ist abgetragen. Die Stadt ist voller Tod und Toter, aber das macht sie auch so unglaublich lebendig. Varanasi berührt einen ganz tief in seinem Herzen, an einer nicht näher benennbaren Schnittstelle zwischen Sein und Nichtsein. Auch wenn man vieles nicht verstehen mag, einiges fühlt man. Und das ist schon mehr als genug.

Varanasi ist die Stadt Shivas, einer der drei Hauptgötter der Hindus. Er ist der große Gott der Zerstörung, aber auch der Erneuerung. Om namah shivaya. Die ganze Stadt ist voller Shiva Lingams, Shiva-Statuen in abstrahierter Penis- und Vaginaform, an jeder Ecke wird diesem göttlichen Prinzip gehuldigt. Zwischen den Flüssen Varuna und Assi liegt Varanasi, daher der Name und der Ort wirkt ebenso wie zwischen zwei Welten gelegen. Die Grenzen lösen sich hier auf. 60.000 Menschen sollen schätzungsweise täglich im Ganges ihr religiös reinigendes Bad nehmen, westlichen Besuchern mit weniger starkem Glauben und Mägen ist dies nicht zu empfehlen. Lerne ich doch eine Gruppe junger deutscher Männer kennen, die ein hüfttiefes Bad wagen und später mit 40 Fieber und verschiedenen Formen von Flüssigkeitsverlust kämpfen.

Rishikesh

Ein Gangesbad empfiehlt sich dem geneigten Westler, eine 24 Stunden lange Fahrt mit der Indian Railway entfernt, in einem ähnlich heiligen Ort. Rishikesh, dem Ort der Seher. Dort, wo der Ganges jung und sauber ist und mit frischer Kraft die Ausläufer des Himalajas verlässt. Nach Rishikesh verschlug es schon die Beatles in den sechziger Jahren auf ihrer spirituellen Sinnsuche. Sie wurden von ihrem Guru Maharishi Mahesh Yogi enttäuscht und reisten resigniert ab. Das hält die junge westliche Jugend aber heutzutage weiterhin nicht davon ab, nach Rishikesh zu reisen. Auch wenn es wegen der Heiligkeit des Ortes nirgendwo Fleisch oder Alkohol zu bekommen gibt, ist es eine doch andere Droge, von der die Menschen angezogen werden - Spiritualität. Rishikesh gilt als erklärte Welthauptstadt von Yoga und Meditation. Diese Disziplinen werden dort nicht nur in den zahlreichen Ashrams gelehrt, sondern sogar die Hotels bieten täglich Kurse an. Das Städtchen wirkt wie ein beschauliches Heidelberg im Himalaja, das studentische Publikum ist ähnlich, nur dessen Mode ist im Hippie-Stil der sechziger Jahre hängen geblieben. Man kann sich nicht dagegen wehren. Schwören sich gestandene westliche Frauen aus Status-Berufen in den ersten Tagen noch, nie diese Hippie-Klamotten zu kaufen, diese Zeit habe man doch endgültig hinter sich, beginnen eben diese Frauen dann bald mit Fußkettchen zu liebäugeln und Taschen mit kitschigen Hindu-Gottheiten zu erwerben. Egal, mich sieht ja sowieso keiner und hier rennen alle so rum. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich nur esoterisch verwirrte Westlerinnen auf den Weg nach Rishikesh machen. Ganz im Gegenteil. Indische Familien stellen das Gros der Pilger in den Ashrams. Um vier Uhr morgens erklingt der Weckruf zur Morgenmeditation und Mantrasingen, Yoga-Kurse folgen. Abends gibt es Zeremonien in Varanasi und in Rishikesh, am heiligen Fluss nach Sonnenuntergang, und es hat immer mit Licht und Feuer zu tun. In Varanasi, am Hauptghat, dem Dasaswarmedh Ghat, benannt nach dem Gott Brahma, der zehn Pferde dort opferte, versammeln sich hunderte Menschen am Ufer des Ganges. Gebete und Gesänge tönen über Lautsprecher und es herrscht eine Atmosphäre, die ich nur als unwirklich bezeichnen kann und ich habe mit Tränen zu kämpfen. Selbst auf den Fotos, die ich an diesem Abend mache, sind die Menschen verwischt in ihrer Bewegung, geistern durch die erleuchtete Dunkelheit. Vier Männer stehen mit brennenden Kerzenständern über ihren Köpfen am Ufer und bewegen sich damit in alle vier Himmelsrichtungen. Ich weiß nicht, was diese Zeremonie bedeutet, aber Feuer hat die am stärksten reinigende Wirkung, glauben die Hindus. Auch in Rishikesh wird abends dem Feuer gehuldigt. Es wird weitergereicht durch die Masse der Pilger, die in einer Bewegung ihrer beiden Hände die Kraft des Feuers aufnehmen und über ihr Gesicht und den Kopf verteilen. Man kann kleine Blumen mit Kerzen kaufen, Puja, Opfergaben, die dann angezündet dem Ganges anvertraut werden und weit hinaus in die Nacht leuchten. Verbunden mit einem Wunsch setze ich meine Puja-Blüte vorsichtig in das schrecklich dreckige Ganges-Wasser in Varanasi, weit schwimmt sie nicht hinaus, aber ich habe es immerhin versucht. Ich habe den Weltjugendtag in Köln erlebt und die Begeisterung der Jugendlichen für den Papst und die katholische Kirche, aber ansonsten habe ich in meinem Kölner Leben nie das Gefühl, dass der christliche Glauben besonders intensiv von den Menschen hier gelebt werden würde. In Indien kommt mir das anders vor. Da ist Religion an jeder Ecke, vibriert in jedem Luftmolekül. Die Statuen der Götter sind freundlich, fröhlich und farbenfroh, eigentlich könnte man auch kitschig sagen. Da ist kein Jesus, der leidend ans Kreuz genagelt ist und für unsere Sünden starb. Für ihre Sünden bleiben die Hindus selber verantwortlich. Es werden auch manchmal Postkarten mit Abbildern von Jesus Christus verkauft, aber auch er schaut fröhlich und freundlich aus dem bonbonfarbenen Heiligenschein. Überhaupt, Jesus hat in Indien gelebt. Davon versuchen Bücher in den esoterischen Buchläden von Rishikesh zu überzeugen. In Indien lernte er als Jugendlicher und junger Erwachsener yogische Tugenden und Techniken, kein Wunder dass er übers Wasser gehen konnte. So konnte er die Schmerzen am Kreuz ertragen und überleben, seinen Jüngern wieder erscheinen und sich dann zurück nach Indien absetzen, wo er auch starb. Es gebe sogar einen steinernen Sarg mit seinem Namen. Alles ist verbunden. Christentum und Hinduismus, Jesus Christus und der Tod in Varanasi. Judith, eine junge Fernsehjournalistin aus Berlin, erklärt mir den Hinduismus hingegen als Mickey- Mouse-Religion, wie sie sagt. Tausende Götter, eine bunte Wundertüte und jeder kann sich etwas aussuchen. Es gibt keine zehn Gebote, an die man sich halten kann, jeder ist sich selbst der Nächste und wenn es dir in diesem Leben schlecht geht und du keinen Platz im eigentlich offiziell abgeschafften Kastensystem findest - Pech gehabt und selbst dran schuld, weil du in deinem vorherigen Leben eine Menge Scheiße gebaut hast. Ganz schlechtes Karma. Lebe also in diesem Leben besser, dann hast du im nächsten vielleicht mehr Glück oder fahr nach Varanasi und stirb da, dann gehst du automatisch in die Glückseligkeit ein. Wer sind wir zu urteilen, wir verstehen ja kaum…

Kulturschock Indien

Indien fordert eine Menge vom westlichen Reisenden und fördert jede Menge zwiespältiger Gefühle zu Tage. Es verwirrt und überrascht, kann aber auch tief beglücken. Auf der einen Seite erfüllt Indien alle Klischees - Kühe auf der Straße, grenzenlose Armut, bettelnde Kinder und Krüppel, bunte Saris.

Ein Leben, eine Gesellschaft, die roh und nah am Leben ist, am Schmutz der Schöpfung, an den Urgewalten des menschlichen Seins. Kein Sozialsystem, das die Menschen auffangen könnte. Gib den Bettlern an den Ghats in Varanasi ein paar Rupien, damit kannst du dein eigenes Karma aufbessern. Wie billig ist das Leben doch für Erste-Welt-Reisende wie uns auf diesem Subkontinent, wo man sich des Öfteren fragt, schreiben die Menschen hier auch das Jahr 2005? Oder könnte es auch 1975, 1905 oder 1502 sein? Ein Gefühl für die Zeit, das verliert man in Varanasi und Rishikesh und das hat nichts mit dem Hasch zu tun, das Dealer einem in den engen Gassen der Altstadt von Varanasi andrehen wollen. High wird man hier von ganz alleine. Ich treffe beim Frühstück im Hotel eine junge Italienerin, die die ganze Nacht am Manikarnika Ghat, dem Verbrennungsghat verbracht hat und das Adjektiv, das sie für ihre Erfahrung gebraucht, ist „charming“. Meint sie wirklich charmant, bezaubernd? Das verwirrt mich. Ich reise nach drei intensiven Tagen ab. Andere Traveller bleiben drei Wochen - man bleibt eben irgendwie hängen in Varanasi… sagen sie. Hängenbleiben kann man auch in Rishikesh, mit dem gewaltigen Unterschied, dass die Luft, das Wasser und das Bewusstsein viel klarer werden. Statt überfüllter Straßen voller Schmutz und Smog, kann man in der taufrischen Luft der Himalaja-Ausläufer wandern gehen, im Ganges ein erfrischendes und vollkommen ungefährliches und sogar gesundheitsförderndes Morgenbad nehmen und sich so lange in allen möglichen und unmöglichen Yoga-Stellungen verrenken, bis man glaubt, am Ziel zu sein. Rishikesh ist ein solches Reiseziel. Überwältigt einen Varanasi mit religiösen Eindrücken und Emotionen wie aus einer anderen Welt, kann der gestresste Geist hier zu einer anderen Ruhe finden und meditieren.

Warum Indien

Die Frage ist: Warum zieht es so viele junge Menschen gerade nach Indien, um sich selbst zu finden? Kann man sich nicht nur dort finden, wo man sich auch verloren hat? Warum gerade Indien? Zwei der großen Weltreligionen sind in Indien geboren worden: der Hinduismus und der Buddhismus. Wenn man Jesus Christus' angebliches Leben in Indien mit dazu zählt, hat der Einfluss Indiens auch im Christentum ein Wörtchen mitzureden. Warum haben Yoga und Meditation, diese uralten Entspannungs- und Übungssysteme, solch eine Faszination auf viele junge Westler? In einem Café unterhalte ich mich mit Paul aus London, der seit einigen Wochen im Parmath Niketan Ashram lebt und meditiert, spaßeshalber nennt er den Niketan Ashram Niketown. Aber seine Meditation, die verfolgt er mit allem Ernst. Er erzählt mir von einem Erlebnis, das er vor kurzem während der Meditationsstunde hatte. Es wäre schwer zu beschreiben, aber es war ein Gefühl, eine klare Wahrnehmung, dass innen und außen eins wären, er nicht mehr er ist und die Umwelt nicht mehr nur da draußen. Der Kommentar seiner indischen Meditationslehrerin zu seinem Erlebnis war: Paul, that's meditation. Ich will von Paul wissen, wie lange er schon meditiert, ich will auch so ein Gefühl - sieben Jahre, sagt er. Oh, da habe ich noch einen weiten Weg vor mir. Man kann schnell zynisch werden angesichts so vieler junger Leute aus dem Westen auf der Suche nach Erleuchtung. All die Studenten, jungen Marketingmenschen, ehemaligen Bankangestellten, Kreativberufler, Lebenskünstler, Suchenden, wen glauben sie in Rishikesh zu finden, welche Erleuchtung nehmen sie in ihren Rucksäcken wieder zurück nach Hause? Eine beeindruckende Hängebrücke verbindet das Ashram-Areal mit dem anderen Ufer des Ganges und immer dort, auf der Mitte der Brücke, habe ich die glücklichsten Momente meiner Zeit in Rishikesh - der Ganges unter mir, der Himmel über mir, vom Himalaja umgeben und ein Wind, der jeden Zweifel aus mir herausbläst.

In Indien lässt sich Einiges finden…

Literatur

Siehe auch

Weblinks