Erlösung

Aus Yogawiki

Erlösung heißt endgültiges Lösen von etwas. Erlösung bedeutet in Religion und Spiritualität das Erreichen des Ziels des Lebens: Gottverwirklichung, Selbstverwirklichung, Befreiung, Erleuchtung.

Erlösung in der Umgangssprache heißt, von einer Aufgabe abgelöst zu werden oder auch ein lang erstrebtes Ziel zu erreichen oder die Gewissheit, dass eine drohende Gefahr nicht eintreten wird.

Der Erlöste und seine Kräfte

Dialog zwischen einem Schüler und seinem Meister Ramana Maharshi aus einer Nacherzählung von Heinrich Zimmer aus seinem Buch "Der Weg zum Selbst" 1944 erschienen im Rascher Verlag Zürich

Der Schüler: Bislang hatte ich immer große Angst vor der Erlösung (mukti); bis jetzt stellte ich sie mir immer furchtbar vor. Jetzt sehe ich: es ist ein sehr angenehmer Zustand. — Aber was ist es mit den Wunderkräf ten (siddhi)? Soll man nach ihnen streben oder sind sie der Erlösung entgegen?
Der Meister: Das höchste Wunder (siddhi), das sich vollbringen läßt, ist das Erleben des Selbst, das Aug-in-Auge mit dem Atman (âtma-sâkshâtkâra); denn wenn du darin einmal die wahre Wirklichkeit erlebt hast, kannst du nie mehr auf den Pfad der Unwissenheit abgleiten.
Der Schüler: Aber was sind die Wunderkräfte?
Der Meister: Es gibt zweierlei wunderbare Kräfte (siddhi), und die eine der beiden Arten kann wohl ein Hemmnis sein auf dem Weg, die Wahrheit zu erleben. Es heißt, daß Zaubersprüche (mantra), Elixiere voll geheimer Eigenschaften, grausam strenge Askese oder Versenkung (samâdhi) bestimmter Art besondere Kräfte zu verleihen imstande sind; aber das sind keine Hilfen zur Erkenntnis des Selbst, und wenn du sie erlangst, kannst du zugleich in völligem Nichtwissen verharren.
Der Schüler: Und die andere Art?
Der Meister: Das sind Offenbarungen der Kraft und Erkenntnis, die dir ganz natürlich sind, wenn du das Selbst erlebt hast. Es sind Vollkommenheiten (siddhi) als Ergebnisse der üblichen und natürlichen Askese (tapas) eines, der zu seinem Selbst gelangt ist. Sie kommen ganz von selbst, sind gottgeschenkt und ent¬springen gewissermaßen aus seinem eigenen Karman; aber ob sie kommen oder nicht: der Vollendete (siddha) des wahrhaft Wirklichen, im höchsten Frieden geborgen, bleibt davon unverstört. Er weiß um das Selbst, und das ist die unerschütterliche Vollendung(siddhi), Aber diese Wunderkräfte (siddhi) kommen nicht, wenn man sie erproben will, Wenn du im Stande der Wirklichkeit des Selbst stehst, wirst du erkennen, was diese Kräfte sind.
Der Schüler: Du hast gesagt: ein Erlöster (mukta) vermag im Laufe der Zeit kraft seiner natürlichen Askese (tapas) unanrühr-bar und unsichtbar zu werden, er kann jede Gestalt annehmen?
Der Meister: Ja, der Erlöste ist am höchsten zu solchen Entfaltungen fähig. Aber du kannst den in Erkenntnis Vollendeten (jiiânin) nicht nach diesen Entfaltungen beurteilen; sie sind keine Anzeichen der wahren Erkenntnis, Diese besteht wesenhaft darin, in allem scheinbar Gegensätzlichen gleichmütigen Blickes das gleiche zu erblicken (samatva-drishti),
Der Schüler: Ich bin am Ende, — Aber ein Zweifel bleibt mir, Der Meister: Welcher?
Der Schüler: Du sagtest: das »Herz« ist die eine Mitte für das »Ich-Selbst«, für das wahre Selbst, den höchsten Herrn und für alles?
Der Meister: Ja, das »Herz« ist die Mitte des Wirklichen, Aber das Ich ist vergänglich. Wie alles übrige wird es von der Herzmitte getragen. Aber es ist das Wesen des Ich, Bindeglied zwischen Geist und Stoff zu sein; es ist ein Knoten (granthi), der Knoten urgrundhaften Nichtwissens, in den wir geschlungen sind. Dieser Knoten ist hier im Herzen (hrid), Wenn er aus eigener Kraft zerhauen wird, entdeckst du; dies ist die Mitte des Selbst.
Der Schüler: Du sagtest, da sei ein Weg von dieser Mitte zum tausendblättrigen Lotos im Hirn (sahasrâra)?
Der Meister: Ja, Beim Unerlösten ist er verschlossen; aber bei wem der Ichknoten, der Herzknoten (hridaya-grantha) zerhauen ist, bei dem entspringt ein Kraftstrom, die »Ader des Göttertranks Todlos« (amrita-nâdî): sie steigt auf zum tausendblättrigen Lotos im Hirn,
Der Schüler: Ist dieser Weg die Ader Sushumnâl?
Der Meister: Nein, es ist der »Weg der Erlösung« (moksha) und heißt die »Ader des Selbst« (âtma-nâdî), die »Ader Brahmas« (brahmâ-nâdî) oder »Ader des Göttertranks Todlos« (amrita-nâdî). Von ihr heißt es in einer Upanishad': »Hundert-und-eine sind des Herzens Adern, von diesen geht eine zum Kopfe hinauf. Durch sie emporsteigend, gelangt er zum Todlosen.« — Wenn dieser Weg offen ist, bist du frei von Betörung (moha) und Nichtwissen. Du weißt um das wahrhaft Wirkliche, auch wenn du dich unterhältst, etwas denkst oder irgend was tust und dich mit Menschen oder Dingen abgibst,
Der Schüler: Wenn ich all das höre, bin ich starr. Ich begreife nicht, wie einer zu so hohen Erfahrungen gelangen kann, wenn er immer bloß solche Leitworte im Sinne hat wie »sieh den, der da sieht«, »erkenne dich selbst« oder »ich bin Brahman« usw,
Der Meister: Das ist freilich schwer, aber nicht unmöglich, wenn du wahrhaftig darum ringst, Darum heißt es ja: die Gnade muß dich anrühren, die Ausstrahlung eines in Erkenntnis Vollendeten (jiiânin) durchdringt dich stillschweigend. Er bedarf keiner Worte.

Brahman als die Seele im Stande der Erlösung. Nach 1,3,42-43

Der Abschnitt Brih. 4,3-4 (p. 706-919), dessen Haupt¬thema nach Çaiikara das genannte ist, entrollt über die Zu¬stände der Seele vor und nach dem Tode ein Bild, welches an Reichtum und Wärme der Darstellung wohl einzig in der indischen Literatur und vielleicht in der Literatur aller Völker dasteht. Wir übersetzen die Stelle mit einigen Kürzungen und Auslassungen, die sich selbst rechtfertigen werden, be¬merken jedoch, dais manches, besonders im ersten Teile, problematisch bleibt.

a) Einleitung (4,3,1-9)

Zu Janaka, dem Könige der Fideha's, kommt 1! kjhavalkya, um sich mit ihm zu unterreden.A6 Der König wirft die Frage auf: „Was dient dem Geiste [oder: Menschen, purusha] als „Licht?" — Die niichste Antwort lautet: „Die Sonne dient „ihm als Licht; denn beim Lichte der Sonne sitzt er und „gehet umher, treibt seine Arbeit und kehret heim." — „Aber „was dient ihm als Licht, wenn die Sonne untergegangen .,ist?" — „Der Mond." — „Und wenn Sonne und Mond „untergegangen sind?" — „Das Feuer." — „Und wenn Sonne „und Mond untergegangen sind, und das Feuer erloschen „ist?" — „Die Stimme; darum, wenn man seine eigene Hand ..nicht unterscheiden kann, und es erhebt sich [uccarati zu „lesen] irgendwoher eine Stimme, so gehet man auf dieselbe zu." — „Aber wenn Saline und Mond untergegangen sind, „das Feuer erloschen und die Stimme verstummt ist, was „dient dann dem Geiste als Licht?" — „Dann dient er sich .,selbst (Oman) als Licht." — „Was ist das für ein Selbst ?" —.,Es ist unter den Lebensorganen der aus Erkenntnis be-.,stehende, in dem Herzen innerlich leuchtende Geist. Dieser ..durchwandert, derselbe bleibend, beide Welten [diese Welt .,im' Wachen und Traume, jene im Tiefschlafe und Tode]; es „ist, als ob er sänne, es ist, als ob er schwankend sich be-.,wegte [in Wahrheit ist Brahman ohne individuelle Erkennt-.,nis und Bewegung]; denn wenn er Schlaf geworden ist, so ,,übersteigt er [im Tiefschlafe] diese Welt, die Gestalten des „Todes [der Vergänglichkeit, des Übels]. Nämlich, wenn „dieser Geist geboren wird, wenn er eingeht in den Leib, so ,,wird er mit den Übeln übergossen; wenn er auszieht, wenn „er stirbt, so lässet er die übel hinter sich. Zwei Zustände „sind dieses Geistes: der gegenwärtige und der in der andern „Welt; ein mittlerer Zustand, als dritter, ist der des Schlafes. „Wenn er in diesem mittleren Zustande weilt, so schaut er „jene beiden Zustände, den gegenwärtigen [im Traume] und „den in der andern Welt [im Tiefschlafe]. Je nachdem ihm „nun ein Zutritt wird zu dem Zustande in der andern Welt, „diesem Zutritte gemäfs tritt er hin und schaut beides, die „Uhel [dieser Welt, im Traume] und die Wonne [jener Welt, „im Tiefschlafe]."

b) Der Traumschlaf (4,3,9-14.16-18)

„Wenn er nun einschläft, dann entnimmt er aus dieser „allenthaltenden Welt das Bauholz (mâtrâmn, materiemi), fällt ,;es selbst und baut es selber auf vermöge seines eignen „Glanzes, seines eignen Lichtes; — wenn er so schläft, dann ,,dient dieser Geist sich selbst als Licht. Daselbst sind nicht „Wagen, nicht Gespanne, nicht Strafsen, sondern Wagen, Ge-„spanne und Strafsen schafft er sich; daselbst ist nicht Wonne, „Freude und Lust, sondern Wonne, Freude und Lust schafft „er sich; daselbst sind nicht Brunnen, Teiche und Flüsse. „sondern Brunnen, Teiche und Flüsse schafft er sich, — denn „er ist der Schöpfer. Darüber sind diese Verse:

„Abwerfend was des Leibes ist (çirriras) im Schlafe „Schaut schlaflos er die schlafenden Organe; „Ihr Licht entlehnend kehrt zum Ort dann wieder „Der gold'ge Geist, der ein'ge Wandervogel. „Das niedre Nest läfst er vom Leben Kuten „Und schwingt unsterblich aus dem Nest empor sich, „Unsterblich schweift er wo es ihm beliebet, „Der gold'ge Geist, der ein'ge Wandervogel. „Im Traumesatande schweift er auf und nieder „Und schafft als Gott sich vielerlei Gestalten, „Bald gleichsam wohlgemut mit Frauen scherzend, „Bald wieder gleichsam Schreckliches erschauend. „Nur seinen Spielplatz, nicht ihn selber sieht man,

„darum heilst es: «man soll ihn nicht jählings wecken,» denn „schwer ist einer zu heilen, zu welchem er sich nicht zurück-,,findet. Darum heilst es auch: «der [Schlaf] ist für ihn nur „eine Stätte des Wachens,» denn was er im Wachen sieht, „dasselbige siehet er auch im Schlafe. So also dient daselbst „dieser Geist sich selbst als Licht.... Nachdem er nun so im „Traume sich ergötzt und umhergetrieben hat und nachdem „er geschaut hat. Gutes und Ubles, so eilt er, je nach seinem „Eingang, je nach seinem Platze, zurück zum Zustande des „Wachens; und alles, was er in diesem schaut, davon wird er „nicht berührt; denn an diesem Geiste haftet nichts an; —.,und wiederum, nachdem er so im Wachen sich ergötzt und „umhergetrieben hat und nachdem er geschaut hat Gutes und „ Ubles, so eilt er, je nach seinem Eingange, je nach seinem „Platze zuriick zum Zustande des Traumes. Und gleichwie ..ein grofser Fisch an beiden Ufern entlang gleitet, an dem „diesseitigen und an dem jenseitigen, so gleitet der Geist an ,.den beiden Zuständen entlang, an dem des Traumes und an .,dem des Wachens [ohne von ihnen berührt zu werden]."

c) Der Tiefschlaf (4,3,19.21-83)

..Aber gleichwie dort im Luftraume ein Falke oder ein .,Adler, nachdem er umhergeflogen ist, ermüdet seine Fittiche .,zusammenfaltet und sich zur Niederkauerung begibt., also .,auch eilt der Geist zu jenem Zustande, wo er eingeschlafen „keine Begierde mehr empfindet und kein Traumbild schaut. „Das ist die Wesensform desselben, in der er über das Ver-„langen erhaben, vom Ubel frei und ohne Furcht ist. Denn „so wie einer, von einem geliebten Weibe umschlungen, kein „Bewufstsein hat von dem was aufsen oder innen ist, so auch .,hat der Geist, von dem erkenntnisartigen Selbste [dem Brah-„man] umschlungen, kein Bewufstsein von dem was aufsen „oder innen ist. Das ist die Wesensform desselben, in der „er gestillten Verlangens, selbst sein Verlangen, ohne Ver¬langen ist und vom Kummer geschieden. Dann ist der Vater „nicht Vater und die Mutter nicht Mutter, die Welten sind „nicht Welten, die Götter nicht Götter, die Veden nicht Ve-„den; dann ist der Dieb nicht Dieb, der Mörder nicht Mörder, „der Càndàla nicht Cizndàla, der Paulkasa nicht Paulkasa, der „Asket nicht Asket, der Büfser nicht Büfser; dann ist U n-„berührt.heit vom Guten und Unberührtheit vom Bösen, dann „hat er überwunden alle Qualen seines Herzens."

„Wenn er dann nicht sieht, so ist er doch sehend, obschon „er nicht sieht; denn für den Sehenden ist keine Unter-„brechung des Sehens, weil er unvergänglich ist; aber es ist „kein Zweites aufser ihm, kein anderes, von ihm verschic-„denes, das er sehen könnte. Ebenso wenn er dann nicht „riecht, schmeckt, redet, hört, denkt, fühlt, erkennt, so ist er ,,doch erkennend, obschon er nicht erkennt; denn für den „Erkennenden ist keine Unterbrechung des Erkennens, weil „er unvergänglich ist; aber es ist kein Zweites aufser ihm, „kein anderes, von ihm verschiedenes, das er erkennen könnte. „Denn nur wo gleichsam ein anderes ist, da kann eines das „andere sehen, riechen, schmecken, anreden, hören, denken, „fühlen und erkennen."

„Wie Wasser [rein, vgl. Kath. 4,15 und ad Brih. 366,S] „stehet er als Schauender allein und ohne zweiten, er dessen „Welt das Brahman ist. Dieses ist sein höchstes Ziel, dieses „ist sein höchstes Glück, dieses ist seine höchste Welt, dieses „ist seine höchste Wonne; durch ein kleines Teilchen nur „dieser Wonne haben ihr Leben die andern Kreaturen."

„Wenn unter den Menschen einer glücklich ist und reich, „König über die andern und mit allen menschlichen Genüssen „überhäuft, so ist das die höchste Wonne der Menschen. „Aber hundert Wonnen der Menschen sind eine Wonne der „Väter, die den Himmel erworben haben, und hundert Wonnen „der Väter, die den Himmel erworben haben, sind eine „Wonne in der Gandharva-Welt, und hundert Wonnen in der „Gandharva-Welt sind eine Wonne der Götter durch Werke, „die durch ihre Werke das Gottsein erlangen, und hundert „Wonnen der Götter durch Werke sind eine Wonne der „Götter von Geburt und eines der schriftgelehrt und ohne „Falsch und frei von Begierde ist; und hundert Wonnen der „Götter von Geburt sind eine Wonne in Prajàpati's Welt „und eines der schriftgelehrt und ohne Falsch und frei von „Begierde ist, und hundert Wonnen in Prajàpati's Welt sind „eine Wonne in der Brahman-Welt und eines der schrift-„gelehrt und ohne Falsch und frei von Begierde ist. Und „dieses ist die höchste Wonne, dieses ist die Brahman-Welt."

d) Das Sterben (4,3,35-4,4,2)

„Wie nun ein Wagen, wenn er schwer beladen ist, knar-„rend geht, also auch gehet dieses körperliche Selbst, von „dem erkenntnisartigen Selbste belastet, knarrend [röchelnd], „wenn es so weit ist, dafs einer in den letzten Zügen liegt. „Wenn er nun in Schwäche verfällt, sei es durch Alter oder „durch Krankheit, dais er in Schwäche verfällt, dann, so wie „eine Mangofrucht, eine Feige, eine Beere ihren Stiel losläfst, „also auch läfst der Geist die Glieder los und eilt wiederum, „je nach seinem Eingange, je nach seinem Platze, zurück zum „Leben.... Und gleichwie zu einem Könige, wenn er fort-„ziehen will, die Vornehmen und die Polizeileute und die „Wagenlenker und Dorfschulzen sich zusammenscharen, also „auch scharen zur Zeit des Endes zu der Seele alle Lebens-„organe sich zusammen, wenn es so weit ist, dais einer in „den letzten Zügen liegt. Wenn nämlich die Seele in Ohn-„macht verfällt und es ist, als käme sie von Sinnen, dann „eben scharen diese Lebensorgane sich zu ihr zusammen; sie „aber nimmt diese Kraftelemente in sich auf und ziehet sich „zurück auf das Herz; der Geist aber, der im Auge wohnte, „kehrt nach auswärts zurück [zur Sonne, der er entstammt, „vgl. S. 70]; alsdann erkennt einer keine Gestalt mehr. Weil „er zur Einheit geworden ist, darum siebet er nicht, so heifst „es, weil er zur Einheit geworden ist, darum riecht er nicht, „schmeckt er nicht, redet er nicht, hört er nicht, denkt er „nicht, fühlt er nicht, erkennt er nicht. Alsdann wird die „Spitze des Herzens leuchtend; aus dieser, nachdem sie leuch-„tend geworden, ziehet die Seele aus, sei es durch das Auge, „oder durch den Schädel, oder durch andere Körperteile. „Indem sie auszieht, zieht das Leben mit aus; indem das „Leben auszieht, ziehen alle Lebensorgane mit aus. Sie ist „von Erkenntnisart, und was von Erkenntnisart ist, das ziehet „ihr nach."

e) Die nichterlöste Seele nach dem Tode 14,4,2-6)

„Dann nehmen sie [die Seele] das Wissen und die Werke „bei der Hand, und ihre neuerworbene Erfahrung" [wenn wir apîirvu prajnâ lesen dürfen]. — „Wie eine Raupe, nachdem sie zur Spitze des Blattes ge-„langt ist, einen andern Anfang ergreift und sich selbst dazu „hinüberzieht, so auch die Seele, nachdem sie den Leib ab-,.geschüttelt und das Nichtwissen losgelassen hat, ergreift sie „einen andern Anfang und zieht sich selbst dazu hinüber."

„Wie ein Goldschmied von einem Bildwerke den Stoff „nimmt und daraus eine andere, neuere, schönere Gestalt .,hämmert 87, so auch diese Seele, nachdem sie den Leib ab-„geschüttelt und das Nichtwissen losgelassen hat, so schafft „sie eine andere, neuere, schönere Gestalt, sei es der Väter „oder der Gandharven oder der Götter oder des Prajäpati „oder des Brahman oder anderer Wesen."

„Wahrlich, dieses Selbst ist das Brahman, bestehend aus „Erkenntnis, aus Manas, aus Leben, aus Auge, aus Ohr, be-„stehend aus Erde, aus Wasser, aus Wind, aus Äther, be-„stehend aus Feuer und nicht aus Feuer, aus Lust und nicht „aus Lust, aus Zorn und nicht aus Zorn, aus Gerechtigkeit „und nicht aus Gerechtigkeit, bestehend aus allem. Je nach-„dem einer nun besteht aus diesem oder aus jenem, je nach-„dem er handelt, je nachdem er wandelt, danach wird er „geboren; wer Gutes tat wird als Guter geboren, wer Böses „tat wird als Böser geboren, heilig wird er durch heiliges „Werk, böse durch böses. Darum fürwahr heifst es: «Der „Mensch ist ganz und gar gebildet aus Begierde (kiima); je „nachdem seine Begierde ist, danach ist sein Wille (kratac), „je nachdem sein Wille ist, danach tut er das Werk (lcarman), je nachdem er das Werk tut, danach ergehet es ihm.» — Darüber ist dieser Vers:

„Dem hängt er nach, dein strebt er zu mit Taten, ,,Wonach sein inn'rer Mensch und sein Begehr steht. — „Nachdem den Lohn er hat empfangen „Für alles, was er hier begangen, „So kehrt aus jener Welt er wieder „Zu dieser Welt des Wirkens nieder." „So steht es mit dem Verlangenden (khmayamâna)."

f) Die Erlösung (4,4,6-23)

„Nunmehr von dem Nichtverlangenden (akltmayam&na): „Wer ohne Verlangen, frei von Verlangen, gestillten Ver¬langens, selbst sein Verlangen ist, dessen Lebensgeister „ziehen nicht aus; sondern Brahman ist er und in Brahman „löst er sich auf. Darüber ist dieser Vers: .,Wenn alle Leidenschaft verschwunden, .,Die in des Menschen Herzen nistend schleicht, „Dann hat der Sterbliche Unsterblichkeit gefunden, „Dann hat das Brahman er erreicht." „Wie eine Schlangenhaut tot und abgeworfen auf einem „Ameisenhaufen liegt, also liegt dann dieser Körper; aber das „Körperlose, das Unsterbliche, das Leben ist lauter Brahman, „ist lauter Licht." — „Darüber sind diese Verse: „Eng strecket sich der alte Pfad, den ich gefunden und gegangen, „Erlöst betritt der Weise ihn, zur Welt des Himmels zu gelangen. .,Mag man ihn weite, schwarz, braun, grün oder rot benennen, — „Es ist der eine Pfad, den die Brahmanen kennen; „Auf diesem wallt wer Brahman liebt und Gutes übt in Lichtgestalt." „In blindes Dunkel fährt wer im Nichtwissen lebte; „In blinderes wohl noch wer nach Werkwissen strebte. „Ja, freudelos ist diese Welt, von blinder Finsternis bedeckt: „In sie geht nach dem Tode ein der Mensch, den nicht das Wissen weckt." „Doch wer sich als das Selbst erfafst bat im Gedanken, „Wie mag der wünschen noch, dem Leibe nachzukranken „Wem in des Leib's abgründlicher Befleckung .,Geworden ist znm Seibste die Erweckung, „Den als allmächtig, als der Welten Schöpfer wifst; „Sein ist das Weltall, weil er selbst das Weltall ist." „Dieweil wir hier sind, mögen wir es wissen; „Wo nicht, so bleibt der Wahn, ein grofs Verderben. „Unsterblich sind die einen, wenn sie sterben, — „Zur Pein die andern werden fortgerissen." „Der Mann, der als sein eigen Selbst Gott hat geschaut von Angesicht, „Den Herrn des, das da war und wird, der fürchtet und verbirgt sich nicht!" „Zu dessen Füfsen rollend hin in Jahr' und Tagen geht die Zeit, „Den Götter ale der Lichter Licht anbeten, als Unsterblichkeit, „In dem der Wesen fünffach Heer mitsamt dem Raum gegründet stehn, „Den weifs als meine Seele ich, unsterblich den Unsterblichen." „Des Odems Odem und des Auges Auge, „Des Ohres Ohr und des Verstand's Verstand, „Wer diese kennt, der wahrlich hat das Brahman, „Das alte, uranfängliche erkannt." „Im Geiste sollen merken sie: „Nicht ist bier Vielheit irgendwie; „Von Tod zu Tode wird verstrickt „Wer eine Vielheit hier erblickt." „Einheitlich ist er anzuschauen, nnmefsbar grofs, unwandelbar. „Hoch über Raum und Sündenstaub, der Atman grofs, unwandelbar." „Dem denket nach, die Weisheit zu erringen, „Nicht Worten viel, die nur Beschwerde bringen!"

„Wahrlich, dieses grofse, ungeborne Selbst, das ist unter „den Lebensorganen jener aus Erkenntnis bestehende [selbst-„leuchtende Geist)! Hier, inwendig im Herzen ist ein Raum, „darin liegt er, der Herr des Weltalls, der Gebieter des „Weltalls, der Fürst des Weltalls; er wird nicht höher durch „gute Werke, er wird nicht geringer durch böse Werke; er „ist der Herr des Weltalls, er ist der Gebieter der Wesen, „er ist der Hüter der 'Wesen; er ist die Brücke, welche diese „Welten auseinanderhält, dafs sie nicht verfliefsen [vgl. S. 174]."

„Ihn suchen durch Vedastudium die Brahmanen zu er-„kennen, durch Opfer, durch Almosen, durch Biifsen, durch „Fasten; wer ihn erkannt hat, der wird ein Muni. Zu ihm „auch pilgern hin die Pilger, als die nach der Heimat (loko) „sich sehnen."

„Dieses wufsten die Altvordern, wenn sie nicht nach Nach-„kommen begehrten und sprachen: «Wozu brauchen wir Nach-„kommen, wir, deren Seele diese Welt ist!. Und sie standen „ab von dem Verlangen nach Kindern, von dem Verlangen „nach Besitz, von dem Verlangen nach der Welt und wan-„derten umher als Bettler. Denn Verlangen nach Kindern „ist Verlangen nach Besitz, und Verlangen nach Besitz ist „Verlangen nach der Welt; denn eines wie das andere ist eitel „Verlangen."

„Er aber, der Atman, ist nicht so und ist nicht so. Er „ist ungreif bar, denn er wird nicht gegriffen, unzerstörbar, „denn er wird nicht zerstört, unhaftbar, denn es haftet nichts „an ihm; er ist nicht gebunden, er wankt nicht, er leidet „keinen Schaden."

„[«'er solches weifs,] den überwältigt beides nicht, ob er „darum [weil er im Leibe war] das Böse getan hat oder ob „er das Gute getan hat; sondern er überwältigt beides; ihn „brennet nicht was er getan und nicht getan hat. Das sagt „auch der Vers:

,,Das ist des Brahmanfreundes ew'ge Majestät, „Dafs er nicht wächst durch Werke und nicht minder wird; Man folge ihrer Spur, wer sie gefunden hat, .,Der wird durch böse Werke weiter nicht befleckt."

„Darum, wer solches weifs, der ist beruhigt, bezähmt, ent-„sagend, geduldig und gesammelt; nur in seinem Selbste sieht „er das Selbst, alles sieht er an als das Selbst; nicht über-„windet ihn das Böse, er überwindet alles Böse, nicht ver-„brennet ihn das Böse, er verbrennet ailes Böse; frei von „Bösem, frei von Leidenschaft und frei von Zweifel wird er „ein Brâhrana, er, dessen Welt das Brahman ist!" —

„A]so sprach l'âjiiasalkya. Da sprach der König: «U Hei-„liger, ich gebe dir mein Volk in Knechtschaft und mich „selbst dazu.»" Man könnte denken, so bemerkt Çafikara zu diesem Ab-schnitte, dafs in demselben von der individuellen Seele ge¬handelt werde, weil gegen Anfang und gegen Ende (unter a und f) die Rede sei von „dem unter den Lebensorganen aus Erkenntnis bestehenden" (p. 330,9) ; es ist aber vielmehr überall an die höchste Seele zu denken, indem sie in der Stelle vom Tiefschlafe und vorn Sterben von der individuellen Seele unter-schieden wird, beim Tiefschlafe, wo es heifst, der Geist sei ,.von dem erkenntnisartigen Selbste umschlungen" (p. 331,2), beim Sterben, wo von einer Belastung des körperlichen Selb-stes, d. h. der individuellen Seele, durch das erkenntnisartige Selbst die Rede ist (p. 331,7): der „erkenntnisartige" (prüjiia) nämlich ist [im geraden Gegensatze gegen die Terminologie des Vedäntasära, vgl. Anm. 82, S. 194] der höchste Gott, wel¬cher so heilst, weil er von der allwissenden Erkenntnis ewig ungetrennt ist (p. 331,6). Was aber die erwähnte Stelle zu Anfang und zu Ende betrifft, so heilst es dort (unter a): „es ist als ob er sänne, es ist als ob er schwankend sich bewegte", und hier (unter f): „wahrlich, dieses grofse, ungeborne Selbst, das ist unter den Lebensorganen jener aus Erkenntnis be¬stehende", zum deutlichen Beweise, dais hier die individuelle Seele nur erwähnt wird, um eben ihre Identität mit der höchsten zu lehren (p. 332,1-6). Auch die Zustände des Wachens und Schi'afens werden ja nur erwähnt, um die Freiheit der Seele von ihnen zu zeigen; denn es heifst (unter b und c), dais der Geist von den Bildern im Wachen und Traume, und wiederum, dass er von Gutem und Bösem nicht berührt werde (p. 332,12), wie denn auch der König wiederholt in den [von uns ausgelassenen] Ausruf ausbricht: „rede weiter zur Er¬lösung" (p. 332,11). Endlich bezeugen auch die Stellen (unter f) „der Herr des Weltalls" usw. und „er wird nicht höher durch gute Werke" usw., dais wir nicht an die indi¬viduelle, sondern an die höchste Seele zu denken haben (p. 333).

Literatur

  • Der Weg Zum Selbst von Heinrich Zimmer, Rascher Verlag Zürich, 1944, 1. Auflage

Siehe auch