Siedlung

Aus Yogawiki

Kapitel 5: Ansiedelung und Wohnung

Aus dem Buch "Altindisches Leben: Die Cultur der vedischen Arier", nach den Samhita dargestellt von Heinrich Zimmer, Berlin 1879

Die vedischen Arier waren, als sie auf ihrer Wanderung an den Indus und in das Penjab kamen, kein eigentliches Nomadenvolk mehr; Herden bildeten zwar noch immer den Hauptbesitz der Familie, aber daneben trieb man auch Ackerbau. Sie hatten daher schon das bewegliche Zelt des Hirten und Nomaden mit einem festem Obdach vertauscht. Dass die vedischen Stämme ein mehr sesshaftes Volk waren, drückt sich unverkennbar in krshti »Volk, Leute« aus; karsh heisst im Veda fast allgemein »pflügen«, krshi ist der »bebaute Acker«, krshti kann daher ursprünglich nichts anderes als die Gesamtheit der Ackerbau treibenden Leute bezeichnet haben. Wenn es aber im Rigveda in die allgemeinere Bedeutung »Leute« übergegangen ist, so zeigt dies evident, dass schon ein bedeutender Zeitraum verflossen sein musste, seit man zum ersten Male versucht hatte, den Boden zu durchfurchen. Allgemeine Ausdrücke für Ansiedelung sind noch vasati, kshiti; ersteres wird selten mehr vom menschlichen Aufenthalt gewählt, was sehr charakteristisch ist, denn es bezeichnet seiner Etymologie nach nur »das Verweilen über Nacht« und dann »den Ort des Aufenthaltes«; die Wohnungen der vedischen Arier waren aber schon mehr als dies.

Soweit die Angaben der Rishi reichen, wohnte man nicht einzeln, sondern immer in Ortschaften zusammen, die den Namen grama führen. Rv. 10, 127, 5: »Zur Ruhe geht man in den Dörfern, zur Ruh was läuft, zur Ruh was fliegt, zur Ruhe selbst der gierige Aar« ; Rv. 1, 114, 1: »Diese Preislieder bringen wir Rudra, dem starken, dem lockigen Männerbeherrscher dar, damit es wohl ergehe dem Zwei- und Vierfüssigen, Gedeihen und Unversehrtheit herrsche in diesem Dorfe.« Ins Dorf kehren die Kühe von der Weide zurück (Rv. 10, t.49, 4); Agni ist Schützer in den Dörfern (Rv. I, 44, 10). Dies haben wir wohl ganz wörtlich zu verstehen, in so fern man, um reissende Thiere wie Löwe, Wolf vom Einbruch abzuhalten (Rv. I, 174, 3; 10, 127, 6), Feuer anzündete in der Nacht.

Der Gegensatz von grama »Dorf«, um welches herum das bebaute und beweidete Land lag, ist aranya »die Wildnis«, die uncultivierten, zum Theil von Wald bewachsenen Strecken: »0 Aranyâni, Aranyani, du da, du verirrst dich; warum erfragst du nicht das Dorf? Kommt's niemals über dich wie Furcht?« fragt daher der Sänger die Genie der Wildnis und Waldeinsamkeit (Rv. 10, 146, 1) ; vgl. Av. 12, 1, 56 : Vâj. S. 3, 45 ; 20, 16. Dasselbe wie grama drückt noch öfter vrjana aus, nur dass es die Sache mehr von einer anderen Seite nennt, es ist die umfriedigte, geschlossene Niederlassung kshiti dhruva; vgl. Rv. 1, 73, 2: »Er (Agni), welcher wie Gott Savitar, der lautem Sinnes, mit Einsicht schützet alle Ortschaften (vrjanani viçva)« mit Rv. 1, 73, 4: »Dir, o Agni, dem trauten, im Hause entflammten sind die Männer ergeben in den Ortschaften (kshitishu dhruvasu).« »Hier in diesem Dorfe (vrjane), o Indra, wollen wir unter deinem Schutz mit den Opferherrn vereint reich an Helden sein« Rv. 1, 51, 15.

Ein grösserer, befestigter Platz, der bei Einfällen anderer Stämme sicheren Schutz für Habe und Gut gewährte, hiess pur. Häufig werden die vielen Burgen der Urbewohner erwähnt, die Indra zu Gunsten der Arier brach und ihnen die Schätze derselben, d. h. die dorthin geflüchteten Kühe auslieferte: »Erschliesse uns grossen Reichtum, o Indra, wie eine rinderreiche Burg« Rv. 8, 6, 23. Wenn es von den Burgen der Dämonen öfters heisst, dass sie ayasi »ehern« sind, so berechtigt uns doch nichts zu der Annahme, das die wirklichen Burgen der Urbewohner oder Arier etwa eherne Befestigungen hatten; heisst ja Rv. 7, 95 1 sogar ein Fluss eine »eherne Burg« (ayasi puh). Wollte man die Kämpfe Indras seiner Grösse angemessen gestalten, so musste man die Hindernisse demgemäss vergrössern. Wird doch Niemand, wenn es von Agni heisst, »er sei eine eherne Burg von hundert Umwallungen« Rv. 7, 15, 19, oder von den Marut »schützt mit Burgen von hundert Umwallungen vor Schaden und Unbill« Rv. 1, 166, 8, im Ernste daran denken, solche Burgen auf die Erde zu versetzen. Was diese ehernen Burgen, in die Wirklichkeit zurück übersetzt, waren, lässt der Rigveda noch deutlich erkennen. An zahlreichen Stellen werden die hundert unwiderstehlichen, wohlbefestigten (drmhita) Burgen des Çambara erwähnt, die Indra zerstört; ihre wahre Gestalt enthüllt nun Rv. 6, 47, 2 deutlich: »Dieser lieblich mundende war am meisten berauschend, an dem sich Indra bei der Schlacht gegen den Feind berauschte, er, der die vielen Anstrengungen des Cambara zurückschlug, seine neunundneunzig Erdaufwürfe (dehi) niederwarf.« Pur war weiter nichts als ein Fleck Landes, der mit Erdaufwürfen ringsum geschützt war; sie wurde dabei, um den Angriff noch zu erschweren, auf Anhöhen angelegt. Sollten die Burgen sehr fest werden, so gebrauchte man Steine zur Umwallung des Platzes: »Die hundert steinernen Burgen warf Indra auseinander für den frommen Divodasa« Rv. 4, 30, 20.

Zur Zeit des Friedens, wenn keine Gefahr eines feindlichen Angriffs drohte, waren die Burgen, so fern sie überhaupt dann bestanden, verlassen; nirgends finden wir pur als bewohnt geschildert, wie wir dies von grama und vrjana gesehen haben; sie besteht eben nur zum Schutz. Hören wir doch, wie ein Sänger die Vorbereitungen zu einem grössern Kampfe schildert, in dem er offenbar mit zum angegriffenen Theil gehörte: »Macht einen Zaun — eine Verschanzung von Pfählen (vraja) —, der schütze euch die Männer; näht dichte und breite Panzer zusammen; macht eherne, unwiderstehliche Burgen (puro ayasiradhrshtah). Euer Topf soll nicht leck werden, macht ihn fest« Rv. 10, 101, B. Öfters mag diese pur innerhalb der Ansiedelung (grama) selbst gelegen haben. Ähnliche Verhältnisse bestehen noch jetzt in den ins nördliche Penjab auslaufenden Gebirgsketten des Himalaya: »In dieser Hinsicht, d. h. in Bezug auf Plünderung und Raub, ist kein Dorf vor dem zunächst gelegenen sicher, und jedes ist mit einem dichten und breiten Zaun der dornigsten Ziziphus befestigt, durch welchen ein Eingang führt, welcher ebenfalls jeden Abend mit diesen Dornen belegt wird; sicher eines der besten Vertheidigungemittel der Welt. In der Mitte befindet sich noch eine Citadelle, mit Erdmauern umgeben, welche die Kostbarkeiten aller Einwohner enthält« Hügel Kashmir 2, 45.

An drei Stellen des Rigveda haben die pur das Beiwort çarada: »Es haben diese deine Heldenkraft die Puru kennen gelernt, als du, o Indra, die Burgen, die çaradih, niederwarfst« Rv. 1, 131, 4. »Du züchtigtest, o Indra, die übermüthige Rede führenden Stämme, als du die sieben Burgen çaradih, ihre Wehr, brachst; du setztest die wogenden Wasser in Fluss, unterwarfst dem jugendlichen Purukutsa den Feind« Rv. 1, 174, 2. »Mögen wir aufs Neue durch deine Huld siegen, o Indra; es preisen hier mit Opfern die Pûru (deine frühere Hülfe), dass du die sieben Burgen çaradih, die Wehr, brachst, die Dasyustämme schlugst dem Purukutsa helfend« Rv. 6, 20, 10. Roth gibt an diesen drei Stellen çarada mit »alt«; dies ginge nur an, wenn das Wort sonst häufig diese Bedeutung hätte, es hier also Epitheton ornans wäre, was jedoch nicht der Fall ist. Grassmann übersetzt der Etymologie nach »herbstlich« und bezieht es auf »die Wolkenburgen der Dämonen«. Von Dämonen kann ich nichts bemerken in diesen Stellen, es handelt sich in allen dreien um irdische Verhältnisse, um einen Kampf der Puru unter ihrem Herrscher Purukutsa gegen die Urbewohner, die sich in die purah çaradih zum Schutz (çarman) zurückgezogen hatten; çarada kann daher nur ein unterscheidendes Beiwort sein. Die Bedeutung desselben hat, wie ich glaube, Ludwig gefunden, wenn ich seine Übersetzung richtig fasse; er übersetzt an dritter Stelle »die sieben Burgen die Zuflucht des Winters«. çarada ist Av. 5, 22, 13 Beiwort des Fiebers (Takman), weil die Regenzeit und die darauf folgende schwüle Herbstzeit (çarad) die Hauptursache der Fieber in jenen Gegenden bilden. In derselben Zeit nun pflegen noch jetzt alljährlich die Flüsse des Penjab sich mit Wassermassen zu füllen, die häufig die Ufer überfluthen und grosse Verheerungen anrichten. Vor 3000 Jahren und mehr wird es nicht anders gewesen sein. Vor dem verheerenden Element flüchtete man Hab und Gut aus den Ansiedelungen in die auf Anhöhen befindlichen Burgen, die nach der Zeit, in der dies geschah, das Beiwort çarada bekommen.

Berücksichtigen wir nun, dass nach Rv. 7, 96, 2 die Pûru zu beiden Seiten die Rasenufer der Sindhu bewohnen (adhikshiyanti), so liegt der Schluss sehr nahe, dass dies eben der Schauplatz ist, auf dem die in den angeführten Versen geschilderten Kämpfe sich abspielen: Die Puru unter ihrem jugendlichen Herrscher Purukutsa kamen zu der noch von Urbewohnern besiedelten Sindhu; die letzteren zogen sich mit Hab und Gut in die pur zurück, die ihnen sonst schon öfters zur Zeit des çarad gegen die austretenden Wogenmassen der Sindhu Schutz (çarman) gewährt hatten. Purukutsa jedoch, von Indra unterstützt, warf die Burgen nieder (ava-tar) und siedelte sich mit seinem Volk hier an.

Noch eine andere Stelle des Rigveda spricht von diesem Kampfe, die ich anführen will, weil sie uns die Art und Weise kennen lehrt, wie die Burgen erobert wurden : »Aus Furcht vor dir entflohen die schwarzen Leute, sie zerstoben (asamana) Hab und Gut zurücklassend, als du Agni Vaiçvanara, für den Puru flammend, ihre Burgen zerbrechend aufleuchtetest« Rv. 7, 5, 3. Feuer war also das Mittel der Zerstörung, wie wir aus dieser und mancher anderen Stelle, in der man des Agni Dienste gedenkt, kennen lernen. Sehr begreiflich, sahen wir doch aus Rv. 10, 101, 8, dass öfters ein Zaun von Pfählen (vraja) die Verschanzung bildete.

Da es bei verschiedenen Gelehrten eine fest eingebürgerte Lieblingsidee ist, die vedischen Arier und noch mehr die von ihnen unterworfenen oder vertriebenen Urbewohner (Dasyu) als ein Volk zu denken, das zahlreiche Städte bewohnte, so lohnt es sich der Mühe, vergleichsweise auf die Ergebnisse kurz hinzuweisen, zu denen die Forschung auf dem Gebiet der Alterthumskunde anderer indogerm. Völker für eine gleiche Periode gelangt ist.

Tacitus nennt Germania cap. 16 es eine allbekannte Thatsache, dass die Germanen seiner Zeit keine Städte bewohnen (nullas Germanorum populis urbes habitari satis notum est); dies wird von allen alten Quellen bestätigt, sodass schon daher des Ptolemaeus Bericht über nahezu 90 Städte (Póleis) Germaniens, deren Lage er genau angibt, hinfällig wird. Zudem können wir vollständig nachweisen, wie er zu dem Irrthum kam : links des Rheines gelegene Städte hat er ins Innere Deutschlands versetzt, Castelle der Römer, Kaufplätze, deren Namen ihm bekannt geworden, für Städte ausgegeben. Bis zum Beginn des achten Jahrhunderts waren dieselben im inneren Deutschland unbekannt.


(Aus dem Buch "Altindisches Leben: Die Cultur der vedischen Arier", nach den Samhita dargestellt von Heinrich Zimmer, Berlin 1879)

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