Etched in Stone - Yoga Asanas in Steinreliefs im 16. Jahrhundert
Aus Yogawiki
Etched in Stone ist ein wissenschaftlicher Artikel von Seth Powell (2018, Journal of Yoga Studies), der sich mit den einzigartigen Steinreliefs in den Tempeln von Hampi im Vijayanagara-Reich (14.–16. Jh.) beschäftigt. Diese Darstellungen zeigen Yogis und Shaiva-Asketen in komplexen Körperhaltungen (Asanas), die weit über die in den damaligen Haṭhayoga-Texten beschriebenen Positionen hinausgehen.
Historischer Kontext
- Das Vijayanagara-Reich (1336–1565) war ein bedeutendes südindisches Königreich, dessen Hauptstadt Hampi ein religiöses, politisches und künstlerisches Zentrum war.
- Tempelreliefs verbanden religiöse, volkstümliche und tantrische Traditionen (Śaiva, Vaiṣṇava, Nātha, Kāpālika).
- Künstler hielten Praktiken der Zeit in Stein fest – nicht nur mythische Szenen, sondern auch konkrete Beobachtungen.
Darstellungen von Yogis in Stein
- Reliefs zeigen zahlreiche nicht-sitzende Āsanas, darunter:
- Arm-Balancen (z. B. einarmige Stützhaltungen)
- Umkehrhaltungen mit Yogadanda (Stützhilfe)
- Varianten von Kukkutasana
- Einbein- und Gleichgewichtshaltungen
- Typische Attribute: verfilztes Haar, Knochenketten, Asketenstab, Mala für Japa, Schädelgefäße.
- Figuren werden oft mit śaiva-tantrischen Praktiken und Natha-Traditionen verbunden.
Liste dargestellter Āsanas (mit modernen Entsprechungen)
Die genaue Identifikation bleibt unsicher, da die Reliefs keine Namen enthalten. Folgende Haltungen sind jedoch erkennbar und lassen sich heutigen Āsanas zuordnen:
- Kukkutasana (Hahnstellung): Yogi im Lotussitz, Arme durch die Oberschenkel gesteckt, auf den Händen balancierend.
- Mayurasana (Pfauenstellung): Körper waagerecht auf den Armen abgestützt, Ellenbogen am Bauch.
- Eka Hasta Vṛścikāsana (einarmiger Skorpion): Umkehrhaltung mit Yogadaṇḍa als Stütze, Beine über den Kopf geführt.
- Ekapāda-balance (Einbeinstand), evtl. verwandt mit heutigen Formen wie Vṛkṣāsana oder Uttita Hasta Padāṅguṣṭhāsana.
- Umkehrhaltung mit Yogadaṇḍa: Kopfstand-ähnliche Position, wobei das Hilfsmittel als Stütze dient.
- Japa in Āsana: Yogi in stabiler Haltung mit Mala, Kombination von Körperhaltung und Mantrayoga.
Bedeutung für die Yogageschichte
- Frühere Haṭhayoga-Texte (11.–14. Jh.) kannten nur wenige, überwiegend sitzende Āsanas (z. B. im Gorakshashataka).
- Erst ab der Haṭhapradīpikā (15. Jh.) und verstärkt im 16.–17. Jh. erweiterte sich das Repertoire.
- Die Hampi-Reliefs (ca. 1500–1540) dokumentieren komplexe Haltungen deutlich früher, als die Textüberlieferung es nahelegt.
- Sie liefern somit visuelle Belege für eine lebendige Yogapraxis, die über asketische Buße hinausging.
Nātha- und Siddha-Bezüge
- Bildmotive weisen auf Matsyendranath und Goraksha hin.
- Enge Bezüge zu südindischen Hagiographien wie dem Navanāthacaritramu (15. Jh., Telugu).
- Verbindung von Asana, Mudra, Mantrayoga und asketisch-tantrischen Praktiken (z. B. Friedhofskulte).
Schlussfolgerungen
- Die Reliefs von Hampi sind ein Schlüsselkorpus der visuellen Yogageschichte.
- Sie dokumentieren ein breites Spektrum an Āsanas, bevor diese in Texten erscheinen.
- Sie zeigen die Übergangsphase vom mittelalterlichen Asketismus hin zu einer systematischeren körperorientierten Yogapraxis.
- Sie belegen die enge Verzahnung von Religion, Kunst, Politik und Yoga in der Vijayanagara-Kultur.
Literatur
- Seth Powell: Etched in Stone: Sixteenth-century Visual and Material Evidence of Śaiva Ascetics and Yogis in Complex Non-seated Āsanas at Vijayanagara. In: Journal of Yoga Studies 1 (2018), S. 45–106.
