Volk
Kapitel 4: Völker und Stämme Indiens zur Zeit der Veden
Aus dem Buch "Altindisches Leben: Die Cultur der vedischen Arier", nach den Samhita dargestellt von Heinrich Zimmer, Berlin 1879
Haben die drei ersten Kapitel es versucht, nach den vereinzelten Nachrichten, die sich in den vedischen Liedern und Opfersprüchen vorfinden, die Lage des Landes, auf dem dieselben entstanden sind, nach Gebirgen und Flüssen näher zu bestimmen, ein Bild seiner klimatischen Verhältnisse und Naturerzeugnisse zu liefern, so will das folgende in kurzen Zügen eine Beschreibung der Völkerverhältnisse des Landes in jener Periode geben.
Dasyu und Arier
Zwei sich in jeder Beziehung feindlich gegenüber stehende Völker treten uns in der Samhita des Rigveda entgegen. Das eine, von dem eben die Hymnen herstammen, fasst seine vielen einzelnen Stämme in den Gesamtnamen Arya, Arier, zusammen. Sie nennen sich so als die gemeinsamen Verehrer bestimmter Götter. Arya bedeutet wohl, zu den Freunden, den Eigenen gehörig, popularis, »Mann des eigenen Stammes« Roth im Wtb.: die Benennung vergleicht sich also unserm »deutsch«, das auch ursprünglich (got. friudisks) nur bedeutete »zum Volke gehörig«.
Nicht nur neben ihnen, sondern ihnen geradezu gegenüber steht die andere Nation, die darum von spätern Schriftstellern öfters einfach anarya (Yaska Nir. 6, 32) genannt, von den vedischen Ariern aber selbst gewöhnlich mit dem Namen Dasyu belegt wird.
Erstere, die Arier, sind die eindringenden Eroberer, die die ursprünglichen Bewohner, die Dasyu, immer weiter nach Osten und Süd-Osten zu treiben suchen. So weit jedoch die vedischen Lieder auch hinaufreichen, nirgends finden wir in ihnen bestimmte Angaben über diese Einwanderung und den Weg derselben. Die Ansiedlung in dem obern Thal der Sindhu muss also lange vor der Periode der vedischen Lieder sich vollzogen haben. Eine dunkle Andeutung an die alten Sitze ist vielleicht in dem Namen der Rasa erhalten ; vgl. Seite 15 ff.
Eine Erinnerung der indischen Arier an ihre Transhimalaya-Herkunft hat Weber auch aus der im Çatap. Br. 1, 8, 1, 1 erzählten Fluthsage zu erweisen gesucht in den Ind. Stud. 1, 161 ff. Wenn auch Lassen Alterth. 12, 638 Weber beistimmt, so ist mir doch höchst unwahrscheinlich, dass wir in der Fluthsage altarisches Sagengut sollten vor uns haben; eine Entlehnung von semitischen Völkern (Aramäern, Phönizern) dünkt mir wahrscheinlicher. Ist doch nicht minder auffallender Einfluss oben schon aus der Rk-Samhita nachgewiesen worden. Auch für den Fall, dass man die Ursprünglichkeit der Fluthsage bei den Ariern aufgibt und annimmt, in der Erzählung des Çatap. Br. habe sich die dunkle Erinnerung über die Einwandrung aus Nordosten jenseit des Himalaya an eine von semitischen Völkern überkommene Sage geknüpft, bleibt Webers Hypothese höchst zweifelhaft. Sie hängt an der Lesung atidudrava der Madhyamdina-Çakha; auch diese wird nur von einem »einzigen« Manuscript geboten, die beiden andern lesen adhidudrava (vgl. Monatsbericht der Berl. Akad. der Wissensch. 1859 p. 63); abhidudrava hat die Kanva-Schule nach einer Angabe Muirs (Ind. Streifen 1, 11) ; vgl. auch Muir ST. 22, 323, Note 96.
Weiterhin glaubt Muir ST. 22, 324 in den Nachrichten späterer Schriften über die nördlichen Kuru (Uttarakuravah) eine Reminiscenz an den früheren Zusammenhang mit den Ländern im Norden des Himalaya erblicken zu dürfen. Die Angaben über dieselben hat zusammengestellt Lassen Zeitschr. f. d. K. d. M. 2, 62 ff. ; Muir 1. c. Erscheint auch das Land in der epischen Sage als ein »idealisiertes Bild des ungestört schönen und glücklichen Lebens«, so wird man doch Lassen schon aus den I. c. S. 65 von ihm dargelegten Gründen zustimmen müssen, dass die ursprüngliche Vorstellung auf ein wirkliches Land gegründet war. Hierfür spricht auch folgende Erwägung: den engen Zusammenhang zwischen den Kamboja, einem Volke im Nordwesten des Indus, und dem persischen Kambujiya hat man schon sattsam hervorgehoben, ganz derselbe besteht zwischen den (Uttara)-Kuru und dem persischen Kuru. Die Madra ferner, ein Volk, das in der epischen Zeit im eigentlichen Hindostan ansässig war wie die Kuru (s. Lassen Z. f. d. K. d. M. 2, 312) erscheinen Ait. Br. 8 , 14 neben den Uttarakuravah als Uttaramadrah.
Ind. Stud. 4, 371 ff. hat Weber aus dem Varihça-Br. 2 Lehrerlisten gegeben, und unter denselben kommt ein Kamboja Aupamanyava — ein Sänger Upamanyu Rv. 1, 102, 9 — vor, dessen Lehrer Madragàra Çaungayani ist. Da in dem Namen des letzteren wohl ebenfalls das Volk der Madra zu suchen ist, so treten sie in engste Beziehung zu den Kamboja: in dasselbe Verhältniss wie oben die Kuru. Wenn nun alles dies die Wohnsitze der Uttarakuru, d. h. die früheren Sitze der Kuru den Kamboja benachbart erscheinen lässt, welches Land konnte den, aus uns unbekannten Gründen, immer weiter nach Südosten vorrückenden Völkern am ehesten die wirkliche Vorstellung abgeben für jenes idealisierte Bild des ungestört schönen und glücklichen Lebens als — das herrliche Alpenthal Kaçmira ? Dem in die Ebenen des Penjab und nach Madhyadeça hinabgestiegenen Volke konnte dasselbe Behr wohl parena Himavantam Ait. Br. 8, 14 erscheinen; sind doch ansehnliche Berggipfel ihm vorgelagert. Schon oben Seite 32 ff. habe ich wahrscheinlich zu machen gesucht, dass Kaçmira in alt-vedischer Zeit von arischen Stämmen bewohnt war.
Noch weitergehende Combinationen knüpfen sich an. Im Ait. Br. und Çatap. Br. sowie späterhin vielfach finden wir vereint und verbündet genannt das Volk der Kuru-Pancalah (s. Lassen Alterth. 12, 743 ff.). Nach Çatap. Br. 13, 5, 4, 7 wurden die Pancâla in alter Zeit (pura) Krivi genannt. Glänzend wird diese Angabe durch den Rigveda bestätigt : »Mit welchen Hülfen ihr (o Marut) die Sindhu fördert, mit welchen ihr sie vorwärts treibt, mit welchen ihr dem Krivi --- d. h. nach vedischer Sprache dem Volk der Krivi — Hülfe leistet: mit diesen werdet uns zum Heil, o heilsame, mit den holden, ihr, die ihr den nicht ergebenen verfolget. Welches Heilmittel ihr in der Sindhu, welches in der Asikni, welches in den Meeren ihr besitzt, o Marut mit schönem Opfersitz« 11v. 8, 20, 24. 25; cf. 8, 22, 12. Es werden hier die Krivi vereint mit Sindhu, Asikni genannt und an dem Oberlauf dieser Flüsse waren daher aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Wohnsitze, also ganz denen der Uttarakuru benachbart, mit denen sie Jahrhunderte später — als Pancala — verbündet auftreten. Den Namen der Kuru deutet Lassen durch Annahme einer Zwischenform karu; fasst man sie nun als die »Hauer, Metzler« oder auch als die »Thätigen«, sicher aus derselben Wurzel und mit einem nahe verwandten Suffixe gebildet ist der Name der Krivi, aus karvi durch krvi (cf. jagrvi).
Nach so vielen Vermuthungen schliesslich noch eine über den gemeinsamen Namen der Kuru- Krivi (Kuru -Pancala) in vedischer Periode. Als Doppelvolk im Dual erscheinen im Rigveda die Vaikarna 11v. 7, 18, 11 : »Er, der als Herrscher flugs 21 Geschlechter der Vaikarna (Yaikarnayoh) niederwarf, er goss die Feinde hin wie ein Opferpriester (curo dasmah) auf dem Opferplatz die Spreu hinbreitet«. Die Vaikarna treten hier auf als Theilnehmer an dem Bunde der Anu, Druhyu u. s. w., das heisst der nordwestlichen Stämme gegen die Trtsu, einen mächtigen arischen Stamm, der schon bis zur Yamuna sass. Der Name lässt sich etymologisch ebenso wie Kuru, Krivi deuten. Hinzu kommt noch folgende Notiz, die bisher ziemlich unverständlich blieb: nach Wilson s. vikarnika soll ein District im nordwestlichen Hindustan oder im Penjab vikarnika heissen, nach andern selbst mit Kashmir identificiert werden. Hemacandra Abhidhânac. bietet für Vikarnikah das Synonymum Kaçmira! Karna heisst im Mahabharata und sonst ein Führer der Kuru, dessen Sohn wiederum Vikarna ist.
Als Resultat unserer an Hypothesen reichen Untersuchung ergab sich zwar nicht, dass in den Nachrichten über die Uttara-Kuru eine Erinnerung an frühere, ausserindische Wohnsitze der indischen Arier erhalten sei, wie Muir annimmt; sie ist jedoch, wenn richtig befunden, für die älteste indische Geschichte nicht minder wichtig. Zwei arische Völker, Kuru und Krivi, finden wir unter dem gemeinsamen Namen Vaikarna im Thale Kaçmiras, der obern Sindhu und Asikni in ältester vedischer Periode angesiedelt. Gegen Ende dieses Zeitraums treffen wir sie sodann im Bunde mit andern Völkern des Nordwestens unter dem Namen Vaikarna wie sie auf die schon an der Sarasvati und obern Yamunä angesiedelten arischen Brüder drücken. Gelang es auch Sudâs durch seinen Sieg in der Zehnkönigschlacht (daçarajna) die Dränger für den Augenblick in Schach zu halten, so dauerte dies nicht lange. Denn in der zweiten Periode arischen Lebens in Indien sind die Trtsu und ihr erlauchtes und von Indra begünstigtes Herrschergeschlecht vom Schauplatz verschwunden, in hellstem Lichte strahlen die Kuru-Pancala, nun im eigentlichen Hindostan, mitten in Madhyadeça angesiedelt.
Ost-Kabulistan und die Ufer des obern Induslaufs batten, wie schon öfter hervorgehoben, die ältesten Ansiedlungen der indischen Arier in historischer Zeit. Von diesen Sitzen aus drangen die einzelnen Stämme nach Süden das Industhal entlang, nach Osten in das Gebiet der Sapta sindhavah vor, trieben die Eingeborenen (dasam varnam) aus ihren blühenden Besitzungen (pushtani) und nahmen dieselben für sich Rv. 2, 12, 4. Die Gesänge der Rishi sind reich an Episoden aus diesen Kämpfen, reich an Preisliedern an die Götter für die gewährte Hülfe. Schwierigkeiten beim Vordringen machten besonders die vielen Flüsse; an ihnen setzten sich die Feinde kräftig zur Wehr: »Bei uns, o Marut, sei der starke Held, der göttliche Erhalter der Menschen, durch den wir über die Wasser setzen mögen zu herrlichem Wohnsitz; durch ihn mögen wir erlangen ein eigenes Heim« Rv. 7, 56, 24. »Du verhalfst (o Indra) ihrem (der Puru) Schlachtruf zum Siege in den Kämpfen; einen Strom nach dem andern brachten sie in ihre Gewalt« Rv. 1, 131, 5. »Wir kamen in eine kein fruchtbares Weideland in sich fassende Gegend; die Erde, o Götter, die doch weit ist, war uns eingeengt; o Brhaspati, zeige im Kampfe um Herden, zeige, o Indra, dem Sänger, mit dem es so steht, den Weg. Von Tag zu Tag trieb er (Indra) hinweg die gleiches Aussehen habenden schwarzen Leute aus ihrem Wohnsitz von Ort zu Ort« Rv. 6, 47, 20. 21, so schildert ein Sänger die wechselreichen Kämpfe ums Land. Episoden derselben werden uns auch in dem Hymnus Rv. 1, 33 vorgeführt:
- »Tretet herzu, lasst uns beuteverlangend Indra nahen, seine Fürsorge für uns soll er steigern. Ob er wohl der unbekämpfbare unser sehnlichstes Verlangen nach diesem Schatz, den Rindern uns erfüllt ? 1.
- Zu ihm, dem Schätze spendenden, Unwiderstehlichen fliege ich wie ein Adler zum geliebten Nest, ihn, den Indra, mit den herrlichsten Liedern verehrend, ihn der beim Feste von den Sängern anzurufen ist. 2.
- Er der Herr der Heerscharen hängt um den Köcher, er treibt des Feindes Rinder weg, wessen er will; da du viel herrliches Gut in deiner Gewalt hast, sei nicht karg gegen uns, gepriesener ! 3.
- Den Schätze besitzenden Dasyu schlugst du mit der Keule, allein ausziehend mit den starken; vor deinem Bogen stoben sie nach allen Seiten auseinander, die gottlosen, alten wandten sich zur Flucht. 4.
- Kopfüber stürzten sie vor dir weg, o Indra, die Gottlosen, die zu kämpfen wagten mit den Frommen; als du, Herr der Falben, ungestümer Wagenlenker, vom Himmel her wegbliesest aus den beiden Welten die Ruchlosen. 5.
- Bekämpfen wollten sie des untadligen Heer; es verbündeten sich die neun (?) Stämme; Entmannten gleich die Männer bekämpfend flohen sie zerstreut vor Indra raschen Laufs, es sich merkend. 6.
- Du hast sie Indra, weinten sie oder lachten sie, an des Luftraums Ende zum Kampfe gezwungen; verbrannt hast du den Dasyu hoch am Himmel, des kelternden, preisenden Loblied hast du dir wohlgefallen lassen. 7.
- Mit einer Decke die Erde überziehend, mit Gold- und Perlenschmuck geziert entgingen sie, wie sie auch eilten, dem Indra nicht ; ringsum hatte er Späher aufgestellt durch Surya. 8.
- Als du, o Indra, mit deiner Grösse beide Welten ringsum umspanntest, da bliesest du die nichts Vermuthenden durch die Frommen nieder, den Dasyu, Indra, durch die Verehrer. 9.
- Sie die nicht des Himmels noch der Erde Ende erreichten, die dem Schätzespender an wunderbarer Kraft nicht gleichkamen — zum Genossen machte Indra den Donnerkeil, zog mit dem Lichtstrahl die Kühe aus dem Dunkel heraus. 10.
- Ungehindert strömten nun seine Wasser, er erstarkte in der Mitte der grossen Ströme : festen Sinnes schlug ihn Indra mit wuchtigem Hiebe für alle Tage. 11.
- Zerschmettert hat er, Indra, des Ilibiça Festen, zerspalten den gehörnten Çushna; mit grösster Schnelle, aller Kraft schlugst du Indra mit dem Donnerkeil den zum Kampf sich widersetzenden Gegner. 12.
- Der gerade aufs Ziel losgehende Donnerkeil überwand die Feinde, mit dem scharfen Stier zermalmte er die Burgen: er traf den Vrtra mit dem Donnerkeil, triumphierend steigerte er sein Vorhaben (d. h. er leistete noch mehr als er anfangs beabsichtigte). 13.
- Du schützest Kutsa, o Indra, an dem du Gefallen fandest, du fördertest Daçadyu, den Helden im Kampfe : von den Hufen aufgeworfen stieg der Staub zum Himmel, zur Männerbewältigung erhob sich der Çvitrasohn. 14.
- Zur Seite standest du dem sich mühenden Helden unter den Tugriern, dem Sohne der Çvitra, dem Stiere beim Kampf ums Land; lange hielten sie dort Stand, der Feinde Habe unterwarfst du ihm«. 15.
Freilich mischen sich dem Sänger die Kämpfe Indras gegen Vrtra und andere Dämonen des Luftraums mit denen um das eroberte Land. Doch dies darf uns nicht Wunder nehmen; waren doch seine Feinde auch Indras Feinde, da sie dessen Gottheit nicht anerkennen wollten. Die Vermischung treffen wir sehr oft: »Er von Geburt ein Kämpfer, auf seine Kraft vertrauend, schritt dahin der Dämonen Burgen brechend: mit kundiger Hand, o Träger des Donnerkeils, schleudere die Waffe auf den Dasyu, der Arier Kraft und Macht mehre, Indra« Rv. 1, 103, 3. »Als des çushna Zermalmer schwang ich die Todeswaffe, nicht gab ich Preis den arischen Namen dem Dasyu«
(Aus dem Buch "Altindisches Leben: Die Cultur der vedischen Arier", nach den Samhita dargestellt von Heinrich Zimmer, Berlin 1879)
Siehe auch
- Heinrich Zimmer
- Kapitel 1: Land
- Kapitel 2: Klima
- Kapitel 3: Produkt