Kathaka Upanishad

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Die Kathaka Upanishad des schwarzen Yajurveda - Erläuterungen nach Paul Deussen

Artikel aus „Upanishaden. Die Geheimlehre des Veda“ in der Übersetzung von Paul Deussen, herausgegeben von Peter Michel, Marix Verlag, 2. Auflage, 2007, Wiesbaden, S. 335 - XXX.

Einleitung

Die Kathas bilden eine Schule des schwarzen Yajurveda und besitzen ein umfangreiches, zur Zeit noch nicht publiziertes, Brahmanawerk, das Kathakam, in fünf Granthas, deren aus Mantras und Brahmanas gemischter Inhalt im allgemeinen dem der Taittiriya-Samhita (oben S. 212) parallel läuft und nach Webers Mitteilungen darüber (Berl. Handschr. I, 38. Ind. Stud. III, 451f. Literaturgesch., 2. Aufl., S. 98f.) der Hauptsache nach folgender ist:

I. 1-4 Mantras zum Neu- und Vollmondsopfer und Agnishtoma.

5 Mantras für den Yajamana. 6-15 Mantras und Brahmanas gemischt; 6-9:

Agnihotram, Agnyadhanam, Punaradheyam, Agnyupasthanam; - 10-13: Kamyaishtayah, : Sautramani, Kamyah Pasavah; - 14-15: Vajapeya und Rajasuya.

16-18 Mantras zum Agnicayanam.

II. 19-22 Brahmanas zu 16-18.

23-30 Brahmanas zu 2-4 und 1.

III. 31-32 Brahmanas zu 1 (Fortsetzung) und 5.
33-37 Vorwiegend Brahmana's: Sattras, Prayascittis, Caturmasyani u. a.
IV. Die dem Hotar zu singenden Verse aus I-III nochmals zusammengestellt.
V. Mantras zum Asvamedha.

Außer diesem Hauptwerke sind noch acht kürzere Abschnitte vor-handen, welche sich auf fünf besondere Arten der Feuerschichtung (als Savitra, Naciketa, Cdturhotra, Vailvasrija und Âruna Agni) und eini-ges andere beziehen. Diese acht Abschnitte, welche nach dem überein-stimmenden Zeugnis des Kandanukrama der Âtreyi Sakha (Ind. Stud. III, 376) und des Sayana (zu Taitt. Ar. p. 2) ursprünglich den Kathas angehören, finden sich bei diesen nicht mehr, haben aber Aufnahme gefunden in Taitt. Br. 3,10-12. Taitt. Ar. 1-2 (vgl. oben S. 213) und ge¬ben sich, wie Weber (Literaturgesch., 2. Aufl., S. 102) bemerkt, schon durch die äußere Form als anderswoher entlehnt zu erkennen. Der zweite dieser acht Kathaka-Abschnitte, Taitt. Br. 3,11, behandelt die Schichtung eines .»Ndciketa« genannten Feuers, eine Zeremonie, welche dem, der sie vollbringt und dabei die Bedeutung dieses Feuers kennt (yo ' nim naciketam cinute, ya'u ca evam veda), die Erlangung der »unendlichen, uferlosen, unvergänglichen Welt«, welche jenseits der Sonne liegt, sichert. In Zusammenhang mit diesem Ritus wird Taitt. Br. 3,11,8 die Legende von dem Knaben Naciketas erzählt, welcher, von seinem Vater bei Gelegenheit eines Opfers verwünscht, in das Haus des Todes (mrityorgrihan) hinüberwandern (nicht sterben) muß und von dem Todesgott die Gewährung dreier Wünsche erhält, als welche er 1) Rückkehr zu seinem Vater, 2) Nichtversiegung (na ks-hiti, Wortspiel mit naciketa) der guten Werke (Nichtlässigwerden in denselben das ganze Leben durch), und 3) Nichtbesiegung (na jiti, Wortspiel mit naciketa) durch den Wiedertod erwählt. (Eine unbestimmte Befürchtung, nach dem leiblichen Sterben, im Jenseits nochmals den Tod erleiden zu müssen, findet sich oftmals in den Brah-manas ausgesprochen.) Als Mittel zur Erreichung des zweiten und auch des dritten Wunsches lehrt der Tod dem Jünglinge Naciketas die Schichtung des Naciketa genannten Feuers.

KÂTHAKA-UPANISHAD, EINLEITUNG 337 Taittiriya-brahmanam 3,11,8: »Willig gab einstmals Vajafravasa [bei einem Opfer] seine ganze Habe dahin. Ihm war ein Sohn mit Namen Naciketas. Den, obgleich er erst ein Knabe war, überkam, als die Opferlohnkühe [zur Verteilung an die Brahmanen] hergetrieben wurden, der Glaube [an die Wirksamkeit des Allhabeopfers], und er sprach [um dasselbe vollständig zu machen]: >Mein Vater, wem wirst du mich geben?< so sprach er [in ihn dringend] zum zweitenmal und drittenmal. ihm antwortete [von Zorn, über diese Unterschätzung sei¬ner Opfergaben] ergriffen der Vater: >Dem Tode gebe ich dich.< - Zu diesem, nachdem er [vom Opfer] aufgestanden, spricht eine Stimme: >Gautama! Den Knaben!< - Da sprach er: >Gehe hin zu den Wohnstät¬ten des Todes, denn dem Tode habe ich dich gegeben. Er wird aber, wenn du zu ihm kommst, verreist sein<, fuhr er fort, >und dann sollst du drei Nächte, ohne zu essen, in seinem Hause weilen. Wenn er dich dann fragt: ,Knabe, wie viele Nächte hast du geweilt?' so sollst du ant¬worten: ,drei`. Fragt er, was du die erste Nacht gegessen? so antworte ihm: ,deine Nachkommenschaft`; was die zweite? ,deine Herden`; was die dritte? ,dein gutes Werk`.< - Als er nun zu ihm kam, war der Tod verreist; er aber weilte drei Nächte, ohne zu essen, in seinem Haus. Da traf ihn der Tod an und fragte: >Knabe, wie viele Nächte hast du geweilt?< - Er antwortete: >Drei!< - >Was hast du die erste Nacht ge¬gessen?< - >Deine Nachkommenschaft<, sprach er. - >Was die zweite?< - >Deine Herden.< - >Was die dritte?< - >Dein gutes Werk.< - Da sprach 263 der Tod: >Verehrung sei dir, ehrwürdiger [Brahmane]! Wähle ein Ge¬schenk!< - >So laß mich lebend zum Vater wiederkommen!< - >Wähle noch ein Geschenk!< - Er sprach: >So lehre mich die Nichtversiegung der Opfer und frommen Werke!< Da lehrte er ihm jenes Feuer Naci-keta; dadurch kommen seine Opfer und frommen Werke nicht zum Versiegen (na akshiyete). Dessen Opfer und fromme Werke versiegen nicht, der das Feuer Naciketa schichtet und auch dessen, welcher es also [als Mittel der Nichtversiegung] weiß. - >Wähle noch ein drittes Geschenk!< - Da sprach er: >So lehre mich die Abwehr des Wiederster¬bens!< - Da lehrte er ihm jenes Feuer Naciketa; damit, fürwahr, wehrte er das Wiedersterben ab. Der wehrt das Wiedersterben ab, der das Feuer Naciketa schichtet, und auch der, welcher es also [als Mittel des Nichtwiedersterbens] weiß.«

338 YAJURVEDA An diese Erzählung, wahrscheinlich schon ganz in der Form, in der sie uns vorliegt', knüpft die Kathaka-Upanishad an; und wenn sie die ersten Sätze der Erzählung wörtlich nach dem Brahmanam wiederholt, so liegt hierin wohl ein absichtlicher Hinweis auf dasselbe und eine Aufforderung an den Leser oder Hörer, den weiteren Gang der Erzäh¬lung, den die Upanishad nur in den flüchtigsten Umrissen andeutet, sich aus der als bekannt vorausgesetzten Brahmanastelle zu vergegen¬wärtigen. Diese Anknüpfung an einen Text der Kathas ist aber viel 264 leicht auch der einzige Rechtstitel, durch den die Kathaka-Upanishad ihren Namen führt. Denn daß sie in der vorliegenden Form, ähnlich wie die alten Prosa-Upanishaden Aitareya, Kaushitaki, Chandogya, Tait-tiriya, Brihadaranyaka, als eine Sammlung der Spekulationen einer alten Vedaschule über Gott und Seele, — daß sie als die ursprüngliche Upanishad derjenigen Sakha, welche das Kathakam hervorgebracht hat, angesehen werden könnte, daran ist jedenfalls nicht zu denken. Im Gegensatze zu den genannten fünf Upanishaden mit ihrem unbeholfe¬nen Brahmanastil und ihren allegorischen Ausdeutungen des Rituals, gehört die Kathaka-Upanishad einem viel fortgeschritteneren Zeitalter 1 Nach der ganzen Anlage der Erzählung muß in den drei Wünschen, und so auch in ihrer Gewährung, eine Steigerung erwartet werden, welche in dem Brahmanatexte, auch bei möglichst entgegenkommender Inter-pretation, wie wir sie oben versucht haben, doch noch vermißt wird. Aus diesem Grunde haben wir (Gesch. d. Phil. I, 177) die Vermutung aufgestellt, daß die Erzählung schon ursprünglich eine philosophische Spitze gehabt habe, welche vom Brahmanam abgebrochen und durch die nochmalige Einschiebung des Naciketafeuers ersetzt worden sei. Freilich könnte man aus der Benennung dieses Feuers nach dem Na-men des Jünglings schließen, daß das Feuer Naciketa die wichtigste Errungenschaft sein muß, die sich an den Namen des Naciketas knüpft. Es bleibt aber noch die Frage, ob überhaupt beide Benennungen ur¬sprünglich miteinander zusammenhängen (von Naciketas sollte man doch die Ableitung naciketasa erwarten), und ob es nicht der zufällige Gleichklang war, welcher zu einer Kontaminierung der dem Feuer als dem »nichtunglänzenden« (wenn man etwa nasatya vergleichen darf) gewidmeten Schichtung mit der philosophischen Legende von »dem tumben (na-ciketas) Menschen« führte, welchem der Gott, und, sehr passend, gerade der Gott des Todes die höchsten Aufschlüsse über die Geheimnisse des Daseins erteilt. (Vgl. die Anm. zu 1,19.)

KÂTHAKA-UPANISHAD, EINLEITUNG 339 an, einer Zeit, in der man anfing, das Gold der Upanishadgedanken in einzelnen metrischen Sinnsprüchen auszuprägen und diese zu ei¬nem mehr oder weniger losen Zusammenhang aneinanderzureihen. Sammlungen solcher Sinnsprüche sind namentlich Kena 1-13, Îsa, die eingelegten Verse Brih. 4,4,8-21, Mundaka, Mahanarayana 1.10.11, vetasvatara, und so auch die Kathaka-Upanishad, welche im ganzen und großen mit jenen auf einer Stufe steht and demselben Zeitalter angehört; daher so vielfach dieselben Sprüche in den verschiedenen Sammlungen wiederkehren. In allen diesen Werken erscheint der Upa-nishadgedanke nicht mehr in suchender, tastender Form wie in den früheren Upanishaden, sondern von vornherein schon in vollständiger Reife, ja, schon Überreife; das häufige Predigen über den Âtman hat eine Phraseologie erzeugt, vermöge deren gewisse stehende Floskeln immer wiederkehren (vgl. z. B. Kath. 4,3 und 5,4; 4,9 und 5,8; 5,9. 10 und 11; 5,12 und 13) und mitunter auch da verwendet werden, wo sie nicht am Platze sind, wie denn namentlich Kath. 1 das Feuer Naciketa mit Ausdrucken gepriesen wird, die nicht bei ihm, sondern nur bei der Âtmanlehre berechtigt sind. Dem Inhalt nach zerfällt die Kathaka-Upanishad in zwei wohl-geschiedene Teile, den ersten Adhyaya (Valli 1-3), welcher die ur-sprüngliche Upanishad umfaßt', und den zweiten Adhyaya (Valli 4-6), welcher ein derselben später aufgesetztes Stockwerk ist. Als Beweis für die Posteriorität von Valli 4-6 wollen wir nur anführen, daß die Schilderung des Yoga 6,6-13 verglichen mit der 3,10-13, so sehr bei¬de zusammenstimmen, doch bedeutend entwickelter erscheint, und daß die Lehre von der Nichtigkeit der vielheitlichen Welt im zweiten Adhyaya 4,10-11 mit einer Schärfe ausgesprochen wird, welcher der erste Adhyaya nichts Ähnliches an die Seite zu stellen hat; wie denn auch aus den Bildern 5,9-11 uns der Geist einer späteren, schon über schwierige Punkte der Vedantalehre reflektierenden Zeit anweht. (Vgl. auch Weber, Ind. Stud. II, 198f) 1 Daß die Upanishad ursprünglich mit 3,16-17 abschloß, bedarf keines Beweises, sondern nur eines Hinblickes auf diese Stelle und hätte von M. Müller (Upanishaden II p XXIII) nicht wieder bezweifelt werden sollen.

340 YA7URVEDA

Der erste Adhyaya, wenn auch wohl schwerlich frei von spä¬teren Einschiebungen, hält doch im ganzen einen wohlgeordneten Gang inne. Die erste Valli enthält die einleitende Erzählung, die zweite behandelt den Atman nach seinem ansichseienden Wesen (Metaphy 265 sik), die dritte die Verkörperung desselben in der Leiblichkeit und die Rückkehr aus ihr auf dem Wege der Moralität und zuhöchst des Yoga (Psychologie, Ethik und Mystik). Weniger geordnet, doch im allgemeinen dem ersten Teile analog gehalten, ist in seinem Gedankengange der zweite Adhyaya. Die vierte Valli behandelt vorwiegend den Âtman als das Subjekt des Er¬kennens, die fünfte bis 6,5 betrachtet unter mancherlei Abschweifun¬gen die Erscheinung des Âtman in der Welt und speziell im Menschen, und zum Schluß 6,6 f. wird wieder der Yoga als der Weg zum höchsten Ziel gelehrt, woran sich 6,14-18 nachträgliche Betrachtungen schlie-ßen. Besonders auffallend ist in diesem Adhyaya das zwölfmal hinter den Versen (4,3. 5. 6. 7. B. 9. 12. 13. 5,1. 4. B. 6,1) in Prosa angefügte, feierliche: etad vai tad. Dasselbe kann weder mit dem üblichen »Dar¬über ist dieser Versa auf eine Stufe gestellt werden (Weber), noch auch bedeuten: »Dieses ist das, wonach du gefragt hast« (M. Müller), viel¬mehr liegt der Schlüssel in 5,14, woselbst das Bewußtsein »tad etad« als unbeschreibliche höchste Lust bezeichnet wird. Eine solche kann nur in dem Bewußtsein der Einheit der Seele mit Brahman bestehen, und somit werden wir auch die Formel etad vai tad zu interpretieren haben: »wahrlich, dieses (wovon vorher gesprochen) ist jenes (Brahman)«. (Vgl. auch Brih. 5,4.) Wir haben also in etad vai tad ein Analogon und vielleicht eine Nachbildung des Chand. 6 neunmal wiederholten tat tvam asi, und es liegt nur in der Natur solcher feierlichen Versiche¬rungsformeln, wenn sie, an beiden Stellen, mitunter auch da durch¬brechen, wo sie weniger am Platz zu sein scheinen. Von großem Interesse für die Vorgeschichte des Samkhya- und Yogasystems ist, wie in weiterem Sinne die ganze Upanishad, so na-mentlich die 3,10-13 und, im wesentlichen übereinstimmend, 6,7-11 entwickelte Stufenfolge des psychischen Organismus: purushah (= atma) avyaktam (= santa' atma) mahan atma

KÂTHAKA-UPANISHAD, EINLEITUNG 341 buddhik(= jnana, &Ind = sattvam) manas arthdh und indriyani; beim Yoga wird das jedesmal niedere Vermögen in dem jedesmal hö¬heren »gehemmt«, bis alle unteren Vermögen im avyaktam (aus dem sie nach Samkhya-Anschauung entsprungen sind) zur Ruhe kommen, und der Âtman von ihnen allen isoliert - wie der Halm aus dem Schilf aus ihnen herausgezogen, 6,17 - und dadurch der Erlösung teilhaftig wird. Der hierbei unbewußt sich durchziehende Widerspruch, daß der Âtman alles in allem ist und doch wiederum als Purusha in schärfstem Gegensatz gegen das Avyaktam und alles ihm Untergeordnete steht, ist der Keim des Widerspruches zwischen dem späteren System des Vdanta und dem des Sa nkhya-Yoga.