Lusamgärtchen
Ein ganz besonderer Ort in meiner Heimatstadt Würzburg ist das Lusamgärtchen an der Nordseite der Neumünsterkirche. Dort soll Walther von der Vogelweide begraben sein, einer der bedeutendsten Lyriker des deutschen Mittelalters. Nicht nur für mich als Germanistikstudentin scheint Walther noch heute von Bedeutung zu sein: Er ist durch seine gefühlvollen mittelhochdeutschen Minnelieder zum Schutzpatron der Verliebten geworden, die seinem Grab einen Besuch abstatten und sich so mit ihm verbunden fühlen können.
Das Lusamgärtchen liegt zwar mitten in der Innenstadt, ist aber trotzdem so verborgen, dass sich nur eingeweihte Würzburger und wenige Reisende dorthin verirren. Durch einen steinernen Torbogen kann man von der Martinstraße hinter dem Würzburger Dom in den kleinen Innenhof schlüpfen und dem geschäftigen Treiben der Stadt entfliehen, obwohl man doch mitten drin ist. Selten trifft man zwischen den hohen Mauern jemanden an, aber auf Walthers Grab liegen immer frische Blumen, meist Rosen, die die Verliebten zurückgelassen haben, nachdem sie den Minnesänger um Beistand gebeten haben. Neben einer als Vogeltränke gedachten Mulde im Stein finden sich auch oft gefaltete Zettelchen, vielleicht Liebesbriefe, die der Schreiber nicht abzuschicken gewagt hat, oder Bitten an Walther, Wünsche und Hoffnungen.
Ich mache meist nur einen kurzen Abstecher an diesen Ort, genieße für einen Moment die Ruhe. Aber schon dieses kurze Vorbeischauen verzaubert mich und gibt mir Kraft. Wer länger bei Walther verweilen, den Vögelchen lauschen und die bunt bepflanzten Blumenbeete bestaunen möchte, nimmt auf einer der Bänke Platz. Dabei spielt es keine Rolle, ob der vor ungefähr 780 Jahren verstorbene von der Vogelweide tatsächlich dort begraben ist, – das Lusamgärtchen beherbergt ihn und seine Botschaft. Der Minnesänger wartet dort wie ein alter väterlicher Freund auf seine Besucher und hält ein bisschen Liebe für jeden von ihnen bereit.