Hitopadesha
Hitopadesha (Sanskrit: hitopadesha m.) wortwörtliche Übersetzung: "Die richtige Unterweisung"; Werk aus der Sanskrit-Litartur; bengalische Version des Pancatantra.
Heinrich Zimmer über Hitopadesha
Aus „Die indische Weltmutter von Heinrich Zimmer
Die volkstümliche Fabel- und Geschichtensammlung Hitopadesha — »Unterweisung in dem, was frommt« —, eine Variante des berühmten Panchatantra, die mit ihm in vielen Übersetzungen indische Themen in die Weltlite¬ratur getragen hat, enthält die Geschichte von einem Rajputen, der sich und sein Schwert um den ungemeinen Preis von 400 Goldstücken für den Tag einem Könige zu Dienste bietet. Man behält ihn zur Probe. Täglich bringt er die Hälfte seines Lohns den Gottheiten und Brahmanen dar, ein Viertel schenkt er den Armen, der Rest dient seinem Unterhalt mit Frau und Sohn. Er steht mit dem Schwert in der Hand vorm Tor des Königs und Verlässt seinen Platz nur, wenn dieser ihn heimschickt.
Da hört der König in der Neumondnacht eine Frauenstimme klagen und schickt den Krieger, nachzuforschen, was es sei. Wie jener sich furchtlos in die mondlose Schwärze entfernt, beschließt der König, ihm nachzugehen: so wird er unbemerkt zum Zeugen merkwürdiger Begebenheiten. Der Rajput folgt dem Klagelaute und findet vorm Tor der Stadt eine herrliche geschmückte Frau in Tränen. Es ist das Glück des Königs: lange war diese Gottheit wie seine Gemahlin im Schatten seines Arms geborgen, aber jetzt muss sie ihn verlassen, — der Ahnungslose hat durch ein Verfehlen den Zorn der Großen Göttin erregt und muss dafür binnen drei Tagen sterben. Sein Glück weint um sein Ende, das ihm den Herrn raubt. — Kann nichts ihn retten? — es gäbe ein Mittel: wenn der Rajput mit eigener Hand seinem einzigen Sohne das Haupt abschneidet als Opfer für die Göttin, dann wird der König hundert Jahre alt und sein Glück darf bei ihm bleiben.
Der Rajput begibt sich als bald nach Haus, weckt Frau und Sohn und erzählt ihnen die Begegnung. Der Sohn ist unverzüglich bereit, sein Leben hinzugeben: so ent-spricht es dem Geiste des Kriegerstandes; die Mutter begreift das Opfer als Preis für die königliche Entlohnung des Gatten. Alle drei eilen zum Tempel der Göttin, »die mit allen Glückszeichen geschmückt ist«, — der Krieger haut zeremoniell seinem Sohne den Kopf ab und bringt ihn der Göttin dar: als Preis dafür, dass sie dem Könige wieder ihre Gunst zuwende. Danach aber schneidet er sich ebenso flink und feierlich den eigenen Kopf ab, — er hat seinem Herrn den fürstlichen Sold vergolten, aber ohne den Sohn weiterzuleben deucht ihm leer und eitel. Die treue Gattin bleibt nicht hinter ihm zurück, sie nimmt sein Schwert auf und schneidet sich auch den Kopf ab. Ein Meer von Blut, das den Enthaupteten entströmt, dampft auf als Opfer vor dem Bild der Göttin. Da greift auch der König, der unbemerkt alles mit angesehen hat, zum Schwert: »Geringe Wesen meinesgleichen werden alle Tage geboren und vergehen, — seinesgleichen aber war nie zuvor und kommt nicht wieder; was soll mir meines Reiches Herrlichkeit ohne ihn?« — damit will er sich auch den Kopf abschneiden, aber die Göttin, zufrieden mit dem blutigen Schauspiel allseitiger hoher Opferbereitschaft, tritt leibhaft vor ihn hin und hemmt seinen Streich. Der König aber will nur am Leben bleiben, wenn sie die Toten, die um ihn starben, wieder ins Leben ruft. Sie verheißt es, und er entfernt sich, damit die wieder ins Leben Gekehrten ihn nicht gewahren.
Die Göttin macht die drei Enthaupteten wieder lebendig, Mutter und Sohn kehren nach Haus, der Krieger aber bezieht wieder seinen Posten unter dem Altan des Königs, als wäre nichts geschehen. Da fragt ihn, eben als wäre nichts geschehen, der König von oben: »Was war es mit jener klagenden Frau?« — aber der Held sagt bloß: »0 weiter nichts; als ich sie traf, entschwand sie ins Dunkel.« — Anderntags pries der König öffentlich seine Tat und verlieh ihm die Herrschaft über ein Land.
Diese blutige Geschichte, die sich nächtlich im Tempel der Göttin Kali abspielt, — mit Happy end, weil alle dem blutfrohen Sinn der Göttin in maßlosem Opfersinn gewachsen sind, — ist eine unter vielen.