Wissen
Wissen kann sich immer weiter vermehren und eigentlich so bisweilen verkleinern lassen.
Swami Chidananda über höheres Wissen und einfaches Wissen
Strahlende Gottheiten! Unsterbliche atma-svarup, die Ihr hier in dieser heiligen Gegenwart versammelt seid!
Jijnasa bedeutet Wissensdurst, Sehnsucht nach Wissen. Unsere Vorfahren aus alter Zeit waren Kenner Brahmans, sie hatten direktes Wissen um Brahman (Gott). Sie waren Kenner Brahmans, Kenner des Atman, sie hatten Wissen. Moderne Wissenschaftler, Physiker, Mathematiker und Atomphysiker haben auch Wissen. Sie sind auch Kenner. Aber was ist denn der Unterschied?
Die Wissenden der alten Zeit erkannten die Einheit von allem, das existiert, dass das Leben Eins ist: isavasyamidam sarvam yat kimcha jagatyam jagat (was immer sich in diesem Universum bewegt oder nicht bewegt, dem wohnt Gott inne). Daher verletzt Du Dich selbst, wenn Du einen anderen verletzt. Indem sie die Einheit allen Lebens erkannten, begriffen sie auch die Heiligkeit und Unantastbarkeit allen Lebens. So erklärten sie: ahimsa paramo dharmah (Nicht-Verletzen ist die höchste Pflicht). Nicht-verletzen, nicht-schädigen und nicht-kränken ist oberstes Gebot, höchstes Gesetz. Daher war ihr Gebet lokah samastah sukhino bhavantu (mögen alle Wesen Glück und Harmonie erreichen), sarvesham svastir-bhavatu (Wohlergehen sei mit allen). Und sie lebten, nur um das Gebet sarvabhutahiteratah (dem Wohl aller Wesen verpflichtet) zu erfüllen – ein Leben, nur um ständig zu arbeiten für das Wohlergehen aller, für das Glück, die Zufriedenheit und zum Segen aller. Sie lebten zum Nutzen aller. Daher war ihr Leben eine Quelle von satyam, shivam, sundaram (Wahrheit, Güte, Schönheit) – alles was wahr, gut, glückverheißend und wunderbar ist – lebte in ihnen.
Im Gegensatz dazu, durch wissenschaftliche Erkenntnis und technischen Fortschritt, wurde die ganze Welt gepackt von Angst und Schrecken, versetzt in einen Zustand einer akuten Angstneurose, einem Zustand der Ungewissheit über die Zukunft, und Verunsicherung in der Gegenwart. Das bedeutet, dass die Menschheit durch dieses Wissen und seine Anwendung krank wurde. Die Menschheit ist krank und leidet unter den Kranheiten Angst, Ungewissheit und Unsicherheit.
Wieso dieser Unterschied? Die Upanischaden erklären, dass es zweierlei Arten von Wissen gibt. Wenn der Schwerpunkt auf geringes Wissen gelegt wird, führt das zu Wissen über Dinge und zu Unkenntnis über sich selbst, Unkenntnis über das Leben, die Gesetze, die im Universum gelten und die Gesetze, die das Leben regeln. Wird aber die Betonung auf höheres Wissen (para vidya) gelegt, befreit uns dieses höhere Wissen von Unwissenheit, befreit uns von allem, was endlich und begrenzt ist und uns trennt. Es macht uns göttlich, indem uns das Wissen die Vision der universellen Einheit allen Lebens gibt. Die Upanischaden sprachen also von höherem Wissen und niederem Wissen – para vidya und apara vidya. Diejenigen, die nur niederes Wissen (apara vidya) besitzen, haben sehr viel Wissen, aber ihnen fehlt Weisheit. Sie wissen über alles Bescheid, aber sie wissen nichts über sich selbst. Daher verfallen sie dem Egoismus, der Selbstsucht und dem Größenwahn. Sie verfallen kleinen Zielen, die ihnen durch ihre selbstsüchtige Einstellung diktiert werden. Sie sehen in der Menschheit nicht die Göttlichkeit. Sie kennen das Gesetz der Liebe nicht, welches maßgebend ist zum Nutzen und für die Glückseligkeit der Menschheit. Sie sehen alles auf ganz begrenzte Weise; ihr Vorstellungsvermögen ist bruchstückhaft; ihre Erfahrung ist nicht allumfassend. Da sie nichts über sich selbst wissen und die Einheit allen Lebens, hat sich ihr Wissen in ein zerstörerisches und negatives Wissen verwandelt, dessen Anwendung nicht in Wohlergehen, sondern in Angst resultiert. Dahingegegen ist das Wissen der alten Weisen, die die höchste Wirklichkeit erfuhren, para vidya, Weisheit, spirituelle Weisheit. Und dies machte sie zu Zentren höchsten Mitgefühls, universeller Liebe und Freundlichkeit allem Lebenden gegenüber. Und ihre vorherrschenden Gedanken galten dem Wohlergehen und Nutzen aller. Der Wunsch nach Bahujanahita und bahujanasukha (Wohlergehen und Glück aller Menschen) pulsierte in ihren Adern und diese Geisteshaltung bestimmte ihr Leben. Daher sollte man diese Art von Wissen anstreben. Dieses Wissen erhellt die spirituelle Suche und das spirituelle Leben. Nicht nur, um etwas über Dinge zu erfahren, sondern das „Ding-an-sich“, und das ist das Licht der Lichter jenseits aller Dunkelheit; das erkennend wird man frei, das erkennend gibt es nichts Höheres mehr zu erkennen. Daher sollte man nach diesem Wissen suchen, und der Anfang dieser Suche ist zu erkennen, dass wir bestimmte Dinge noch nicht wissen. „Da ist noch etwas, das ich nicht weiß, etwas, dass ich noch wissen muss.“ Dieses Streben öffnet die Pforten für immer weiteres und fortschreitendes Wissen. Wenn im Grundsatz anerkannt wird, dass unser Wissen begrenzt ist, dass da ein Verlangen nach Wissen ist, nur dann werden wir nach wahrem Wissen streben. Wenn man selbstzufrieden ist und denkt: „ich weiß“, verschließt man das Tor zum wahren Wissen. Daher sollte man denken: „Ich weiß wenig. Lass mich mehr wissen. Lass mich voranschreiten von der Dunkelheit der Unkenntnis zu sich stets vergrößerndem Licht von mehr und mehr Wissen, welches letztendlich zum höchsten Wissen aller Dinge führt – zur Wissen von Brahman, zum Wissen des Einen.“
Bis man diesen Punkt erreicht hat, sollte man ein Leben des Suchens leben, ein Leben des Hinterfragens, ein Leben des inneren Erforschens – vichara. Durch svadhyaya (Selbststudium und Studium der heiligen Schriften), durch satsanga (spirituelles Zusammensein unter Leitung eines Guru), durch die Gesellschaft anderer Sucher auf dem Weg, sollte man alleine und gemeinsam streben und man sollte sowohl alleine als auch im Satsang nachforschen.
„Tadviddhi pranipatena pariprasnena sevaya (Bhagavad Gita IV/34) – Erkenne dies durch lange Verneigung, Fragen und Dienen – erkenne dieses Wissen, Oh Arjuna, indem Du denen, die mehr wissen als Du, Deine Verehrung erweist durch aufrichtige Befragung und durch Dienen,“ sagte Krishna. Pranipata, Pariprasna und Seva bedeuten Verneigung, ernsthaftes Befragen und Dienen. Daher gründet sich Jijnasa (siehe oben) auf den leidenschaftlichen Wunsch, mehr zu wissen und wird vorangetrieben durch inbrünstiges und aufrichtiges Befragen und durch selbstlosen Dienst von ganzem Herzen. Das sind die wahren Kennzeichen eines spirituellen Menschen. Das ist das Wesen der spirituellen Suche und des sprirituellen Strebens. Und das ist die Hoffnung für die Welt von morgen. Wenn man nicht durch den Stolz auf weltliches Wissen geblendet würde, wenn man sich befreien könnte aus dem Netz der Befriedigung durch rein weltliche Dinge, dann sollte man sich demütig der Quelle allen spirituellen Wissens zuwenden. Der Schatz der Weisheit in Form der Schriften, wie sie uns durch unsere alten Weisen überliefert wurden, ist der kostbarste Teil des weltweiten Erbes der Menschheit. Weist man die Schriften zurück, wird man zugrunde gehen, wird man von Dunkelheit zu Dunkelheit gehen. Man wird tiefer in die Unfreiheit und Unwissenheit gezogen und wird zu einer Gefahr für die Gesellschaft. Die Schriften enthalten ewige Wahrheiten zur Unterweisung der Menschheit und zum Wohlergehen der Welt. Die Schriften sollten voller Ehrerbietung studiert werden. Patanjali Maharishi erklärte in seinen Yoga Sutras, dass svadhyaya vom Yogi, dem Suchenden, dem jijnasu (Wissensdurstigen) und dem mumukshu (nach Befreiung Suchenden) eifrig verfolgt werden sollte.
So wurde es gesagt. Möget Ihr darüber nachdenken und möge es Euch zugute kommen! Gott segne Euch!