Handeln ohne Verhaftung
Meditation im Alltag, Handeln mit Entsagung – 2. Vortrag von Swami Chidananda über das 18. Kapitel der Bhagavad Gita. Übersetzung ins Deutsche.
Ehrerbietung dem großartigen Krishna, der die ganze Welt gesegnet hat mit der großen Bhagavad Gita, in der die Quintessenz der Weisheitslehren der Upanishaden enthalten ist.
Erfahrung der höchsten Wahrheit
In dieser großartigen Bhagavad Gita mit ihren 18 Kapiteln und 700 Versen geht es um die Verkörperung der praktischen Methoden, um die Erfahrung der höchsten Wahrheit zu erfahren. Die notwendigen Praktiken – der Lebensstil und die Art und Weise, wie du dein Leben führen kannst –, die in der Bhagavad Gita beschrieben werden, werden dazu beitragen, dass aus dem Leben ein Prozess der Verwirklichung der höchsten Wahrheit wird. Daher ist die Bhagavad Gita eine Yoga Shastra, eine Yoga Schrift.
Der Lebensweg, den die Bhagavad Gita beschreibt, ist sehr machtvoll und sehr effektiv, um uns dieser großartigen Wirklichkeit näher zu bringen. Bhagavad Gita ist Brahma Vidya, sie ist Upanishade, sie ist Yoga Shastra. Brahma Vidya heißt Wissen von Brahman. Yoga Shastra – eine Yoga Schrift. Und sie ist direkt von Gott offenbart worden. So kann man sagen, Krishna ist der Purna Avatar, die vollständige Niederkunft von Para Brahman, von der höchsten Wirklichkeit. Krishna ist die vollste Manifestation des Göttlichen, die persönlich Lehren gegeben hat. Krishna spricht über die Natur der höchsten Wirklichkeit, und er beschreibt auch Methoden, wie man diese transzendente Wirklichkeit erfahren kann. Er gibt die Kunst und die Wissenschaft, wie man sein Leben so leben kann, dass man das Höchste erfährt, die höchste Wirklichkeit verwirklicht.
Spiritualisierung des Lebens
Spiritualisiere dein Leben und verwandle all deine Aktivitäten in einen Prozess, dich mit Gott zu verbinden, dann wirst du die höchste Wirklichkeit erfahren. Dann ist Leben nicht nur eine Aktivität, die dich bindet, und Aktivitäten stehen bei der Gottverwirklichung nicht mehr im Weg, sondern indem du den Lehren der Bhagavad Gita folgst, macht du aus jeder Aktivität etwas, das dich näher zu Gott bringt. So wird jede Aktivität eine, die die Macht hat, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen auf dem Weg zur Gottverwirklichung. Wenn das Leben spiritualisiert ist, dann wird jede Handlung in Yoga transformiert. Denn was ist Yoga in Wahrheit? Yoga ist alles, was dich mit Gott verbindet. Yoga ist alles, was dir hilft, dich nach Gott zu orientieren. Für einen Schüler ist der liebevolle und ernsthafte Dienst an seinem Guru kein weltlicher Dienst. Für ihn wird der Dienst am Guru absoluter Yoga, denn er sieht in seinem Guru keinen Menschen, sondern er sieht Gott manifest in und durch den Guru. So wird für den Schüler Guru-Seva zu Bhagavad Aradhana – Verehrung Gottes.
Karma ist der Hauptgrund für menschliche Bindung
Shankara – der große Exponent, der große Autor der Bücher des Kevala Advaita Vedanta Sidhanta – sagte, dass das ganze Universum nur eine vorübergehende Erscheinung auf der Leinwand des Geistes, nur Sankalpa Vikalpa, ist, und dass die ganze Welt nicht aus sich heraus existiert. Jagat Nitya Swapnavath – die Welt ist unwirklich wie ein Traum. Aber gleichzeitig sagt er, dass Karma der Hauptgrund für menschliche Bindung ist. Und wenn Karma unausweichlich ist, dann müssen wir Wege finden, wie wir Karma in einen Prozess der Gottverwirklichung verwandeln. Dafür hat Shankara das Shloka über den berühmten Lehrvers, der in der Shiva Manasa Puja Stotra erscheint, geschrieben: „Oh Gott, was auch immer ich tue, das bringe ich dir als meine Verehrung dar.“ Der gleiche Shankara sagte: „Solange der Mensch aus der Prakriti in die drei Gunas geboren ist und diese drei Eigenschaften von Rajas, Tamas und Sattva in sich hat, kann er nicht aufhören, Karma zu erfahren und Karma-Handlungen auszuführen.“ Wenn man also zu Moksha fortschreiten will, dann muss man die Kunst und die Wissenschaft herausfinden, wie man jede Handlung in Moksha Sadhana, spirituelle Praxis zur Befreiung hin verwandelt. Und das ist genau das, was die 18 Kapitel der Bhagavad Gita uns lehren. Inmitten aller Aktivitäten gilt es diese in Befreiung umzuwandeln.
Befreiung der individuellen Seele
Das Ziel aller Schriften in dem Satya Sanatana Vaidika Dharma, also dieser großen Weisheitslehren, ist das eine zentrale Ziel, zu zeigen, wie Jivatman – die individuelle Seele – Befreiung erreicht. Alle Schriften, alle Vedas, Upanishad, Sutras, Bhagavad Gita, Mahabarata, Ramayana, alle acht Puranas und alles, was im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende geschrieben wurde, hat ein Ziel, nämlich uns zu sagen, wie ein Wesen, das im Netz der Maya dieser Welt gefangen wurde, Befreiung erreichen kann, in und durch dieses Leben. Das ist der krönende Ruhm, weshalb das menschliche Geschöpf da ist und was der Mensch erreichen soll.
Wenn wir also das 18. Kapitel der Bhagavad Gita studieren, ist es wichtig, zu verstehen, dass hier Sannyasa nicht als vierter Ashrama – als das Leben des Mönchstums – beschrieben wird. Denn in der klassischen indischen Lebensweise ist Sannyasa das vierte Lebensstadium, das man erreicht, nachdem man seine Pflichten und Aufgaben im Brahmacharya-, Garhasthya- und Vanaprasthya Ashrama erfüllt hat. Zu dieser Zeit ist das Individuum typischerweise schon recht alt. Wir haben die Episode von Yajnavalkya mit seinen zwei Frauen Katyayani und Maitri. Yajnavalkya war schon ein Brahmajnani – einer, der Brahman erkannt hatte. Er war aber auch ein Grihasthi, also jemand in Haus- und Familienleben; er war ein Haushaber. In den Upanishaden, in den Veden, ist Yajnavalkya ein ganz großartiger Weiser. Er war ein Grihasthi mit großem Besitz, mit viel Land, mit Gold, Silber und Dienstboten. Er dachte schließlich: „Ich habe mein Leben voll gelebt, alles genossen, was es zu genießen gibt. Aber jetzt sollte ich Sannyasa Ashrama annehmen. Ich werde in den Wald gehen und nur noch Herz, Geist und Seele in die höchste Wirklichkeit Brahman finden. Ich werde in Brahman aufgehen.“
Pflichten eines Sannyasins
Ein Sannyasi hat keine andere Pflicht außer Atma Chintana, Brahma Chintana, den Geist mit Atman und Brahman erfüllen. Klassischerweise gibt es für einen Swami nur drei Dinge: Bhiksha, Shaucha, Brahma Chintana. Hunger ist nicht zu vermeiden, so lange man einen Körper hat. Daher muss man Bhiksha nehmen – Bettelgaben. Wenn man isst, muss man außerdem auf die Toilette gehen, und so ist Shaucha – Reinheit – notwendig. Dann bleibt nur noch Brahma Chintana – Tag und Nacht Meditation über Brahman.
Arjuna war noch nicht so alt, er war ein Prinz, er war ein Krieger. Was erzählt Gott ihm jetzt über Sannyas, was erzählt Krishna ihm über Sannyas? Krishna spricht zu ihm nicht darüber, dass er Handlungen aufgeben soll, dass er seine Pflicht nicht mehr tun soll, sondern Krishna sagt ihm, wie er all das aufgeben kann, was im Weg steht, seinen Prozess der Gottverwirklichung zu behindern. Handlungen und Karma kann man nicht vermeiden. Aber nur wenn man das Geheimnis kennt, wie man auf eine Weise handelt, dass die Handlung einen nicht bindet, kann man zur Befreiung kommen.
Sannyasa heißt hier Entsagung
Das Prinzip, wie man eine Handlung und jedes Karma in Yoga verwandeln kann, und wie man aus allem einen Befreiungsprozess machen kann, das ist Sannyasa. Sannyasa heißt hier Entsagung, Aufgeben. In einer normalen, täglichen Aktivität denken wir nicht ständig über die wahre Natur des Lebens und alle Handlungen nach. Wir unterscheiden nicht so sehr, und so wird die Handlung zu einem bindenden Faktor.
Arjuna lehnt erst ab, zu handeln. Er lehnt es ab, in eine Schlacht zu gehen, die er selbst vorher gesucht hatte. Er hat alle Vorbereitungen dafür getroffen, er ist in einem Schlachtwagen auf dem Schlachtfeld, und nur zum Schluss sagt er: „Ich werde nicht kämpfen, ich werde nicht handeln.“ Jetzt hatte er die Vorstellung bekommen, dass diese Handlung sündig ist, und will nicht daran teilnehmen. Er hatte die Idee: „Ich werde das tun.“ Er hatte Kartritva Abhimana, d.h. die Vorstellung, dass er selbst etwas tut. Er hatte nicht die Einsicht, dass es eine größere Kraft gibt, die alle Wesen durchdringt und ohne die sich nicht einmal ein trockenes Blatt bewegen kann. Der Mensch ist nichts, so lange nicht Gott als innere Kraft da ist, die ihn dazu bringt, zu handeln. Mit Kartritva Abhimana geht ein Individuum in die Handlung hinein, und die Handlung wird eine Quelle der Bindung. Denn die Handlung wird angeleitet durch Sankalpa, also durch den eigenen Gedanken, eigene Wünsche seines kleinen menschlichen Egos.
Entsagung aller Sankalpas
Die Entsagung aller Sankalpas, alles individuellen Wollens, nimmt aus der Handlung die Kraft weg, die einen bindet. Daher ist Kartritva Abhimana, die Vorstellung selbst zu handeln, ein Grund für Bindung. Ein anderer Grund ist, dass alle Menschen wegen Wünschen handeln. Durch eine Handlung möchten sie etwas gewinnen, bestimmte Erfahrungen machen. Dafür ist der Wunsch die treibende Kraft hinter allen Handlungen. Pal Akanksha – der Wunsch, Früchte zu genießen. Solange es dieses Pal Akanksha gibt, wird die Handlung eine Quelle der Bindung. Kartritva Abhimana – die Idee, ich mache etwas – und Pal Akanksha – der Wunsch, etwas zu erreichen durch eine Handlung – werden die Faktoren, die etwas binden.
Wunsch und Identifikation führen dazu, dass Handlung zur Verhaftung führt und das führt dazu, dass du Gott nicht erfährst. Aber es ist letztlich Gotteskraft, die alles im Universum bewegen lässt. Sonne, Mond, Sterne, Galaxien, Ozeane – alle sind in einer dynamischen Bewegung wegen dem großartigen Willen Gottes. Der Wille Gottes durchdringt alles, und er herrscht überall vor, und wir sind nichts. Wenn man das verwirklicht, kann man vollständig den Willen Gottes erkennen, und man kann sich Gott ganz unterwerfen. Du kannst sagen: „Hier bin ich, ich werfe mich vor dir nieder, ich bringe mich vor dir dar, mache mit mir, was du willst. Wie du es sagst, so werde ich dich durch mich handeln lassen.“
Verhaftungslosigkeit inmitten aller Handlungen
Am Ende der großartigen Offenbarung des 11. Kapitels der Bhagavad Gita – im Vishvarupa Dharshana Yoga, der Vision der kosmischen Gestalt – wendete sich Krishna an Arjuna und sagte: „Siehst du jetzt? Bist du jetzt bereit, deine Pflicht zu tun? Hast du gesehen, dass du nichts tust? Alles ist gemacht. Ich habe alles gemacht. Erkenne, dass es für dich nichts zu tun gibt und dass du nur ein einfaches Instrument in meinen Händen bist. Indem du ein Instrument wirst, um das zu tun, was im äußeren Universum zu tun ist, mache ich aus dir mein Instrument.“ Mit diesen Worten enthüllte Krishna dem Arjuna das Geheimnis der Verhaftungslosigkeit inmitten aller Handlungen. Akarma innerhalb des Karmas – das Nichthandeln im Handeln, das Nichterzeugen von Karma inmitten von karmischen Lektionen. Und so führt einen dieses Akarma letztlich zur Befreiung. Daher hat dieses Kapitel den passenden Namen Moksha Sannyasa Yoga.
Dem Leben mutig entgegen sehen
Tyaga wird oft als Entsagung verwendet. Entsage allem, was zwischen dir und der Gottverwirklichung steht. In vielen Kapiteln der Bhagavad Gita beschreibt Krishna wieder und wieder, was die Natur der Entsagung ist und er sagt: „Was du letztlich tun musst, ist den Früchten der Handlung zu entsagen.“ Sei in dieser Schlacht des Lebens, in diesem Leben nicht ängstlich. Du brauchst Stärke. So ist die erste Entsagung auch: gibt ab, gib alle Schwachheit auf, habe Selbstvertrauen, wisse, ich bin Kind Gottes, ich mag allein sein, ohne Freunde und Verwandte, aber ich bin niemals allein, denn Gott ist immer mit mir. Er ist mein ewiger Gefährte. Mit ihm kann ich alles überwinden. Wenn dieses Vertrauen da ist, dann hast du Stärke von innen. Von daher gib zuerst alle Formen von Schwachheit und Feigheit auf. Sieh dem Leben mutig entgegen.
Die drei Räuber in dir
Krishna sagt: „Was auch immer göttlich ist, akzeptiere es. All dem, was dich herunterzieht, entsage.“ Und er spricht auch über verschiedene Feinde des Menschen. Später sagt er das in seinem unvergleichlichen Stil Shankaracharya in seinem Werk Vairagya Dindima: „In dir sind drei Räuber, die bereit sind, die großen Edelsteine der Weisheit wegzunehmen. Das ist Gier, insbesondere unreine Wünsche. Das Zweite ist Ärger, und das Dritte ist Verhaftung. Mitgefühl und Freundlichkeit sind die Quelle von Dharma.“
Soweit der zweite Vortrag von Swami Chidananda über Meditation im Alltag: „Handlung ohne Verhaftung“, Kommentar zum 18. Kapitel der Bhagavad Gita.
Siehe auch
- Einzigartigkeit Textauszug von Swami Chidananda
- Swami Chidananda
- Swami Sivananda
- Divine Life Society
- Guru
- Ashram
- Heilige
Weitere Artikel von Swami Chidananda im Yoga Vidya Wiki
- Atman
- Dattatreya
- Dipavali
- Diwali
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- Guru Purnima
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Literatur von Swami Chidananda
- Light Fountain (Quelle des Lichts)
- Ponder these Truths (Nachsinnen über Wahrheit)
- A Call to Liberation (Aufruf zur Befreiung)
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