Mahamaya: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 21. Juli 2014, 11:32 Uhr
Mahamaya (Sanskrit: महामाय Mahāmāyā f.) die große Täuschung, vergleiche auch maya.
Heinrich Zimmer über Mahamaya
Eine Geschichte aus „Die indische Weltmutter“ von Heinrich Zimmer
Die Zauberin „Maha-Maya“ die alle mit Lust im Schrecken des Samsara befängt, kann nicht schuldig gesprochen werden als Versucherin zum vielgestaltig allumfangenden Dasein, zum Ozean des Lebens, aus dessen Grauen sie einzelne unablässig als »Bootsherrin« rettet, indes das ganze Lebensmeer das glitzernde, wogende Spiel ihrer Shakti ist. Aus dieser Flut in sich befangenen Lebens tauchen jeweils einzelne, reif zur Erlösung, empor, nach dem Gleichnis des Buddha: wie Lotosblüten, die sich über den Wasserspiegel erheben und ihre Kelche dem ungebrochenen Himmelslichte erschließen. Den Übrigen ist es traut in der Tiefe, die aller Ungeheuer und dunklen Dumpfheit voll ist, glitzernd von Kostbarkeiten, Perlen und Korallen. Die Göttin, die »aus allen Wesen und Welten besteht« (jaganmayi), ist selbst der trächtige Salzschoß des Lebensmeers, das alle Lebensformen umfangen halt und nährt, hinspült und zerwest und in aller Unschuld zu immer anderen Gestalten aufbaut, die einander gierig verschlingen.
Wer so die Mutter begreift, fragt nicht danach, von ihr erlöst zu werden, vielmehr von sich selbst, von der Einbildung seines Ich befreit zu sein in inniger Heimgabe an ihre ewige Gewalt.
Vishnu fuhr einmal auf dem Sonnenvogel Garuda, seinem Reittier, durch die Luft dahin, und beide sahen voll Selbstgefühl in Vishnu das höchste unwiderstehliche Allwesen. Da kamen sie am Blauberge vorüber, auf dem die Große Göttin als »Herrin aller Wünsche und Freude« thront, aber beide achteten ihrer nicht, — »flieg zu, flieg zu!« sprach Vishnu zum Garuda. Da goss die Große Maya Starre über beide, dass sie nicht vom Fleck kamen. Vishnu ergrimmte über den Blauberg und rüttelte an ihm mit beiden Händen, vermochte ihn aber nicht zu erschüttern. Durch die Maya der Großen Maya rings verzaubert und reglos gemacht, musste er's leiden, dass sie ins Weltmeer stürzten, — er sank bis auf den tiefsten Grund und versuchte umsonst, sich empor zu arbeiten. Er vermochte kein Glied zu rühren und verlor das Bewusstsein. Da er die Shakti nicht ehrte, die Weltkraft, die das Vermögen aller Regung ist, der Glieder wie des Geistes, entzog sie sich ihm magisch: da ward er starr, wehrlos und leblos.
Brahma, der Schöpfer, ging ihn suchen und fand ihn schließlich am Meeresgrund: er war wie zerlöst und zum Urstoff heimgekehrt. Brahma packte ihn und wollte ihn heraustauchen, vermochte es aber nicht. Von den Maya¬kräften der Göttin gebannt, erstarrte er selber voll Verwunderung unter dem gleichen Zauber. Nicht anders erging es allen Göttern, die mit Indra sich auf die Suche nach den beiden machten und sich vergeblich mühten, sie aus der Meerestiefe heraufzubringen.
Da begab sich Brihaspati, der Priester und geistliche Lehrer der Götter, der ihre Sphären von ihnen entblößt fand, in die Einsamkeit Shivas auf dem Himalaya und fragte ihn ehrfürchtig nach der Götter Verbleib. Ma¬hadeva, der Große Gott, weiß allein um das Geheimnis der Großen Göttin, deren Gatte er ist, er bedeutete den Priester der Götter (die wieder einmal die Nichtwissenden angesichts der höchsten Kraft des Alls sind) : »Gering geachtet ward die Große Göttin, die Maha-Maya, aus der die Welt gebildet ist; daher ward Vishnu und die Götter von ihrer Maya gefesselt und weilen am Grunde des Meeres. Ich will mit dir gehen und sie befreien, — ohne mich ginge es dir wie ihnen.«
Beide kamen zu den Göttern am Meeresgrunde und Shiva fragte sie: »Was weilt ihr hier? wie wurdet ihr starr und reglos und wie unbelebter Stoff des Bewusstseins bar?« — Unter seiner Frage gewann Vishnu, der auf den tiefsten Grund des Unbewusstseins gesunken war, langsam die Sprache wieder, ja er begriff, was ihm geschehen war, und warum es ihm geschah. Er bat Shiva, sie alle zur Großen Maya, der Yogatraumtrun¬kenheit zu führen, die sie auf dem Meeresgrund gebannt hatte, damit sie der Gnädigen (Shiva) huldigten und ihre Gnade gewönnen. Shiva versprach es; damit es aber möglich sei, lehrte er zuvor alle Götter den magischen »Schutz« oder »Panzer« (kavaca) der »Herrin aller Wünsche und Freuden« am eigenen Leibe zu vollziehen, um sich von ihrer Maya zu lösen und sich aufs neue mit ihrer Kraft zu durchtränken. Dieser Panzer war es, der ihn selbst vor der Verzauberung durch die Maya beschützte, dass er nicht dem Schicksal der anderen Götter verfiel, und wer ihn in gesammelter Andacht übt, vermag die Göttin zu schauen. Er hilft zum Gelingen aller Wünsche. Durch Handauflegen auf alle Glieder und Organe vom Kopf bis zu den Fersen hinunter, unter Anrufung vieler Gestalten der allgestalti¬gen Shakti, die in ihnen wirksam ist, tritt der ganze Leib unter ihre Hut, er wird ihr Stück um Stück überantwortet, — vielmehr die allerwärts waltende, in ihm rings verborgene Kraft wird Glied um Glied zu segensreicher Wirkung aufgerufen. Mit diesem Ritual täglicher Andacht verzaubert und erhebt sich der Gläubige in ein Aggregat der vielfältigen Gotteskraft der Großen Maya, er transsubstanziiert seine Kreatürlichkeit in ihr geheiligtes Gefäß.
Als Vishnu und die Götter diesen »Panzer« andächtig durch Handauflegen unter Murmeln von Anrufungen rings an ihrem Leibe verteilt hatten, erhoben sie sich dank der Macht der Großen Maya aus der Wassertiefe und wallten zum Blaugipfel. Als Vishnu dort der »Herrin aller Wünsche und Freuden« nahte, überfiel ihn die Erkenntnis ihrer Größe und er pries sie als Mutter aller Welten und Wesen, als Urstoff und Schöpferin des Alls und als das Wissen, das Erlösung verleiht. Da offenbarte sich die Göttin leibhaft und hieß Vishnu und alle Götter von der Flut ihres Schoßes trinken und sich darin baden: »Davon wirst du ohne Wahnbefangenheit in dein Ich sein und von höchster Heldenkraft erfüllt wirst du an deine Stätte im Zenit des Himmels ziehen.«
Dieses Zeremoniell des Trinkens und Badens im Schoße der Göttin bedeutet nicht die feierliche Unterwerfung unter das höhere weibliche Prinzip, auch nicht ein auferlegtes demütiges Annehmen der überwältigenden Hoheit des Mutterschoßes, denn diese Unterwerfung ist durch das Ritual des »Panzers« als gläubige Anheimgabe schon vollzogen, — wer ihn anlegt, ist bereits zu einem Gefäß der Göttin verzaubert, — die völlige Anerkennung der Großen Göttin in ihrer überwältigenden Größe ist aber schon durch die preisenden Worte aus dem Munde des großen Gott-Erhalters geschehen. Es handelt sich um nichts anderes als um die feierliche Selbstoffenbarung des verschleierten Bildes zu Sais: der Urschoß, dessen Gewand keiner aufgehoben hat, enthüllt mit indischer Gebärde sich selbst in einem erhabenen Akt der Begna¬dung zu feierlicher Kommunion. Die Götter — und, wie immer in Indien, nach ihrem Vorbild die Menschen, — werden gewürdigt, am göttlichen Quell alles Lebens der Welt zu baden und zu trinken, um in seinen Fluten Wiedergeburt und ein erhöhtes Leben zu empfangen. So schöpfen allerwärts in Indien Wallfahrer aus heiligen Brunnen das Wasser des Lebens oder kommunizieren in heiligen Teichen und Badeplatzen mit der Wunderwe¬senskraft eines Gottes, die in ihnen anwesend ist, — z. B. der Same Shivas im Teiche der Goldlotosse des Großen Tempels von Madura. Sie alle sind ein »tirtha«, eine Furt, in die man hineinwatet, um über die Wogen des Samsara ans andere Ufer, zur Seligkeit in Gott und zur Erlösung vom Ich zu gelangen.
So badeten Vishnu und die Götter im Schoße der Großen Göttin und tranken daraus; davon beseligt brachen sie, von der Göttin entlassen, zum höchsten Himmel auf. Da erblickten sie die »Herrin aller Wünsche und Freuden« hoch im Raume schweben und rings um sie tausende von Blaubergen ragen, die, von ihr berührt, an ihren Hangen auf- und niederwärts rings mit Schoßen übersät waren. Der heilige Wallfahrts- und Badeplatz — das tirtha der yoni — hat sich myriadenfach vervielfältigt. Übrigens eine rabelaisische Vision. Panurge, der Lehrer Pantagruels, phantasiert einmal von einer wunderbar befestigten, ganz uneinnehmbaren Stadt: die Steine ihrer Mauern sollen Stück um Stück aus lauter yonis bestehen; sie ist imstande, den männlichsten Ansturm ganzer Heere zu ermatten. Diese grotesk ausschweifende Phantasie stammt aus uraltem mythischen Vorstellungsgut Mittel- und Südfrankreichs; von der christlichen Kirche wahrend des Mittelalters unterdrückt, hebt es mit Rabelais' einzig-artigem Werk in der freiesten Stunde des Cinquecento unter komischer Larve für einen Augenblick zum letzten Male den Kopf, ehe die mediceische Renaissance der Valois mit Klassizismus und Humanismus auf dem Wege zum Ideal des höfischen Menschen im Zeitalter Louis XIV. dergleichen stilisierend völlig ausschloss, wie es zugleich der calvinischen Askese im Hugenottentum und dem Geist der Gegenreformation gründlich zuwider war. Dergleichen animalische Exuberanz der Lebensfreude wird gern dem »esprit gaulois« zugeschrieben, im Grunde aber ist es die vorkeltische. — also wie in Indien vorarische — Schicht Altfrankreichs mit mutterrechtli¬chem Gefüge, die sich in Rabelais' einsamem Zeugnis zu Worte meldet, wie vormals mittelalterlich im Untergrunde der Geschichte von »Aucassin und Nicolette«, in der das Männerkindbett (Couvade) als Brauch mutter¬rechtlicher Sphäre für Südfrankreich bezeugt ist, wie es in Südindien nachweisbar ist. Die Götter erstiegen die tausende von Blaubergen in einem Nu und wiederholten an ihren heiligen Badeplätzen, trinkend und badend, beglückt die Kommunion mit' dem Schoße der Göttin.
Davon erfüllte sie unvergleichliches Entzücken. Aller Leiden bar, seliger Verwunderung voll, priesen sie den Schoß der »Herrin aller Wünsche und Freuden«, dankten Shiva und zogen ihres Weges. Die Kommunion mit der Lebensessenz der Göttin wascht alles Leiden ab, Shiva, der den »Panzer« der Göttin und dessen Ritual gelehrt hat, verkündet zum Schluss: ein Mensch, der im Schoß der Göttin gebadet und nur einmal davon getrunken hat, wird nicht wieder auf Erden geboren, aber erlangt das höchste Nirvana. Durch diese Kommunion geschieht eine alchymische Verwandlung an ihm, seine Transsubstantiation ins Göttliche. Der Schoß der Göttin enthalt die alchymische Essenz des Lapis Philosophorum, birgt er doch überdies nach Shivas Wort als das mütterliche Blut, das die Frucht in ihm ernährt, den roten Arsen (manah-shila), das Mineral, das im Himalaya flüssig aus dem Felsen sintert und die alchymische Kraft der Verwandlung besitzen soll, Kupfer und anderes geringes Metall in Gold zu verwandeln, wie anderseits das Quecksilber als der Same Shivas die gleiche Kraft besitzt und göttliche Unsterblichkeit verleiht.
Es gibt Einweihungen auf allen Ebenen, fähig den Menschen zu verwandeln. Überall besteht dabei die Überlieferung und Tendenz, den geistig-sublimen Praktiken denselben höheren Rang gegenüber den sinnlich-magischen zu verleihen, den allgemein im Entwicklungs¬gange der Kulturen das geistige Element sich gegenüber dem stofflich-weiblichen errungen hat. Diese Entwicklung hat sich unter der Vorherrschaft des männlichen Prinzips vollzogen. Dagegen steigt mit dem Kult der Großen Göttin im späteren Hinduismus das archaische Gut sinnlich erdgebundener Weihen noch einmal überwältigend in den Zenit. Die alte Weltmutter, einerseits wohl »Erlösendes Wissen«, »Retterin« und erleuchtende Kraft im Yogin, gibt auf der anderen Seite nichts preis von ihrer Gewalt über die greifbare Welt, die in jeder
Gestalt und Gebärde die Selbstoffenbarung ihrer verzaubernden weltschaffend, weltbetörenden Kraft ist. Wie die Götter, indem sie ihren weltgebärenden Schoß verehren, beseligt und vollkommen werden, ist der Kult der reinen Lebensmächte im tantrischen Hinduismus die Heiligung des Kreatürlichen als allerwärts greifbaren Offenbarung der unvergänglichen mütterlichen Kraft in der vergänglich blühenden Schöpfung.