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Version vom 3. November 2014, 14:37 Uhr
Hänge nicht an spirituellen Erfahrungen
Niederschrift eines Podcasts (2014) von Sukadev <mp3player>http://sukadev.podspot.de/files/27_identifiziere_dich_nicht_mit_spirituellen_erfahrungen.mp3</mp3player>
Nun zum Thema: „Identifiziere dich nicht mit deinen spirituellen Erfahrungen“. Auch spirituelle Erfahrungen sind nur das, Erfahrungen. Spirituelle Erfahrungen sind wunderschön, sind oft mit unglaublichen Glücksgefühlen verbunden. Keine andere Erfahrung kommt ihnen in Intensität und Wonne gleich. Spirituelle Erfahrungen können dir Einsichten vermitteln, die dir im Alltag weiterhelfen. Und wenn spirituelle Erfahrungen dir zur Erkenntnis deines wahren Selbst und zur Verwirklichung des Göttlichen verhelfen, erlangst du eine Gelassenheit, die durch nichts zu erschüttern ist. Die höchste spirituelle Erfahrung ist die Erleuchtung, die Einheit, die vollkommene Verschmelzung, die Selbst- und Gottverwirklichung. Auf dem Weg zu dieser höchsten Erfahrung kannst du aber eine Menge anderer Erfahrungen machen. Vielleicht lernst du, Auras zu sehen. Das wurde schon kurz erwähnt. Vielleicht spürst du deine Chakras. Das ist dann nicht nur eine Theorie, sondern du spürst tatsächlich dein Herzchakra, du spürst deine feinstoffliche Wirbelsäule, du spürst das dritte Auge usw. Vielleicht hörst du Anahata-Klänge. Anahata-Klänge sind feinstoffliche Klänge. Du hörst z.B. einen hohen Klang, du hörst den Klang einer Flöte oder einer Laute oder einer Tambura oder Glocken oder Klingeln usw. Das sind alles Zeichen von spirituellen Erfahrungen, insbesondere wenn sie mit Wonne verbunden sind. Vielleicht bekommst du Kontakt mit Naturwesen, wie Baumgeistern, Feen, Elfen usw. Vielleicht spürst du die Gegenwart von Engeln. Vielleicht überwindest du dein Körpergefühl und gehst auf Astralreise, spürst eine Ausdehnung. Vielleicht erwacht deine Kundalini. Du hast eine große Hochenergie, eine Bewusstseinsausdehnung, eine Heilfähigkeit usw. Vielleicht hast du eine Vision eines spirituellen Meisters, sogar deines Meisters. Vielleicht die Vision eines Engels. Vielleicht die Vision Gottes. Vielleicht die Erfahrung der Nähe Gottes. Vielleicht spürst du Herzensöffnung, kosmische Liebe, Verbundenheit. Vielleicht bekommst du auch mal ein Berufungserlebnis, du weißt genau, was zu tun ist. Das sind großartige Erfahrungen und ich würde sie um nichts in der Welt missen wollen. Nur, wenn du dich damit identifizierst, können spirituelle Erfahrungen zu einer Quelle von Gereiztheit werden. Aus der Identifikation kommt Vergleich mit anderen: „Ich bin besser oder schlechter als andere.“ Aus der Identifikation kommt Hängen an Erfahrungen. Manchmal kommt nämlich nach einer Phase spiritueller Flitterwochen mit intensiven Erfahrungen eine Phase von weniger Energie und die Notwendigkeit, wieder in der normalen Welt mit normalem Bewusstsein zu leben und zu wirken. Gar nicht mal wenige Menschen fallen nach einer Phase großartiger spiritueller Erweckung und Erlebnissen in eine Phase der Niedergeschlagenheit und Enttäuschung. Sie sind enttäuscht von Gott, von dem spirituellen Lehrer, von den spirituellen Praktiken, von dem spirituellen Weg, enttäuscht von sich selbst. Aus spiritueller Erfahrung kann manchmal Gier nach mehr Erfahrungen kommen. Es kann eine Abneigung kommen gegen die ach so mondäne und banale Welt. Es kann eine Angst kommen, die spirituellen Erfahrungen zu verlieren. Gar nicht mal selten meiden Menschen mit spirituellen Erfahrungen Situationen und sogar andere Menschen, welche einem die spirituellen Erfahrungen wegnehmen können. Spirituelles Leben wird zur Weltflucht. Sei dir bewusst, spirituelle Erfahrungen lassen dich die Wonne deiner Seele erahnen. Sie können dir Erkenntnisse schenken. Sie können dir tiefes Vertrauen in die göttliche Gegenwart geben. Spirituelle Erfahrungen sind ein ganz großer Segen auf dem Weg, wenn du sie hast. Es kann auch ein Segen sein, wenn du solche Erfahrungen lange nicht machst. So gerätst du nicht in ihre Fallen. Aber wenn du diese großartigen spirituellen Erfahrungen hast, bleibe dort nicht stecken, sei nicht gierig nach mehr Erfahrung, denn du bist nicht eine konkrete Erfahrung, auch nicht eine besonders schöne Erfahrung. Mache dir bewusst: „Ich bin derjenige, der erfährt. Ich bin nicht die Erfahrung.“ Erfahrungen kommen, Erfahrungen gehen. Auch die großartigsten Gotteserfahrungen können kommen und gehen. Freue dich an spirituellen Erlebnissen. Danke für die Gnade, die dir zu Teil wurde. Dein Wert hängt nicht daran und auch ein scheinbar normales Leben hat seinen Sinn und Wert. Im Jnana Yoga übst du Gelassenheit auch gegenüber spirituellen Erlebnissen. So hat es ja auch Buddha gelehrt. Er hat gesagt: „Hänge nicht an Verzückungserlebnissen.“ Gerade Jesus hat im Alltag den bewussten Umgang mit allen gelehrt und bewusst auch die Nähe der Menschen gesucht, deren Gegenwart von der religiösen Tradition seiner Zeit als nicht für die spirituelle Praxis förderlich galt. Jesus hat sich umgeben mit Prostituierten, mit Aussätzigen, mit Toten, mit Zöllnern und damit mit materialistischen Kollaborateuren mit der römischen Besatzungsmacht. Wir lesen das heute in der Bibel so und wir sind uns gar nicht bewusst, wie außergewöhnlich das ist, dass ein Jesus mit diesen Menschen verkehrt hat und auch keine Hemmungen hatte, Tote zu besuchen. Gut, er hat auch welche auferweckt. Aber es scheint auch klar zu sein, Jesus hat das nicht gemieden, obgleich das zu seiner Zeit als unrein galt. Und unrein heißt meistens, es ist etwas, was die spirituelle Erfahrung reduzieren wird. Jesus betonte in seinen Predigten und Gleichnissen gerade nicht die Gier nach spirituellen Erfahrungen, sondern den uneigennützigen Dienst an den Armen, den Gefallenen und Kranken und die Hingabe an Gott gerade im Alltag. Im indischen Bhakti Yoga gibt es noch eine weitere Möglichkeit, mit der spirituellen Krise des Verlustes der Erfahrung von Gottes Gegenwart umzugehen. Ein Bhakta, welcher den Weg der Gottesverehrung geht, würde nach der Erfahrung der Nähe Gottes seiner Sehnsucht Ausdruck verleihen. Er würde zu Gott beten: „Bitte, zeige Dich mir wieder. Lass mich Dich ganz spüren. Du hast mir einen Geschmack von Dir gegeben. Bitte, lass mich ganz mit Dir verschmelzen.“ Das ist jetzt nicht der gelassene Weg, sondern es ist ein intensiver Weg, um Gott zu erfahren. Du kannst selbst überlegen, hast du schon tiefe spirituelle Erfahrungen gemacht? Wie waren sie? Wie lange haben sie angehalten? Wie lange hast du danach eine Phase des Glücks, der Euphorie gehabt? Was ist danach gekommen? Wie könntest du gelassen damit umgehen? Wie kannst du Enttäuschungen vermeiden? Oder auch, bist du vielleicht enttäuscht, dass du solche spirituellen Erfahrungen noch nicht gemacht hast? Bist du darüber traurig? Bist du vielleicht sogar ärgerlich gegenüber Gott, dir selbst, deinem Lehrer, deinem spirituellen Weg, wenn du von diesen tollen Erfahrungen hörst, wenn andere dir davon erzählen, aber du sie nicht hast? Sei dir bewusst, dass auch das, auch die Gier nach spirituellen Erfahrungen, eine Gier ist. Es ist besser, danach zu gieren als nach manchem anderen, aber es ist immer noch eine Gier. Es gibt auch Menschen, die ohne intensive spirituelle Erfahrungen zur höchsten Erleuchtung kommen, denn Erleuchtung ist zwar in sich die höchste spirituelle Erfahrung, aber auf dem Weg dorthin machen manche mehr Wonne- und Glückseligkeitserfahrungen und außergewöhnliche Erfahrungen als andere. Manche kommen Schritt für Schritt dorthin und erst im letzten erfahren sie sich selbst als das Unendliche und das Ewige.
Wirkliches Erleben und leibliche Erfahrung
Dialog zwischen einem Schüler und seinem Meister Ramana Maharshi aus einer Nacherzählung von Heinrich Zimmer aus seinem Buch "Der Weg zum Selbst" 1944 erschienen im Rascher Verlag Zürich
- Der Schüler: Worin besteht denn der Unterschied zwischen dem Erlösten (mukta) und dem Gebundenen (baddha) ?
- Der Meister: Vom »Herzen«, der Stätte des Selbst, führt eine feine Ader zur Stätte der Shakti (shakti-sthâna), dem tausend-blättrigen Lotos im Hirn (sahasrâra). Das Weltkind lebt in seinem Hirn und gewahrt nicht sich selbst im »Herzen«, Der in Erkenntnis Vollendete (jnâna-siddha) lebt im »Herzen«. Geht er umher und befaßt sich mit Menschen und Dingen, so weiß er: was er sieht, ist nicht verschieden von der einen Höchsten Wirklichkeit, dem Brahman, das er in seinem Herzen als sein eigen Selbst, als seine Wirklichkeit erfährt.
- Der Schüler: Und das Weltkind ...?
- Der Meister: Ich sagte eben: es empfindet die Dinge als außer sich selbst. Es ist gesondert von der Welt und von seiner eigenen, tieferen Wirklichkeit, von der Wahrheit, die es trägt und die alles trägt, was es rings um sich gewahrt. Wer die höchste Wahrheit seines eigenen Daseins erlebt hat, erlebt, daß sie die eine höchste Wirklichkeit ist, die hinter ihm selbst und hinter der Welt steckt. Er ist des Einen gewiß als des Wirklichen, des Selbst in allen Selbsten und in allen Dingen, des Ewigen Unwandelbaren in allem Vergänglichen und Wandelbaren.
- Der Schüler: Du sprichst da in höchsten Tönen des Wissens, — ich aber ging vom Leibe aus: hat der Wissende (jnânin) ein anderes Gefühl von seinem Leibe als der Nichtwissende (ajnânin)?
- Der Meister: Allerdings. Wie könnte das anders sein! Das habe ich oft gesagt.
- Der Schüler: Dann ist das Wissen (jnâna), von dem die Vedântalehre handelt, vielleicht verschieden von dem, was geübt und erfahren wird. Du sagst oft: der wahre Sinn des »Ich« ist im »Herzen«.
- Der Meister: Ja, — wenn du tiefer dringst, verlierst du dich gewissermaßen in den abgründigen Tiefen; dann ergreift dich die Wirklichkeit des Atman, die allzeit hinter dir stand. Es ist ein unablässiges Blitzen des Ichbewußtseins; du kannst es gewahren, fühlen, hören, sozusagen spüren, — das nenne ich das »Sprühen des Ich« (aham-sphûrti),
- Der Schüler: Du sagtest, der Atman sei unwandelbar, in sich selbst strahlend, und zugleich sprachst du von dem unablässigen Blitzen des Ichbewußtseins (aham-sphûrti): das schließt doch aber Bewegung in sich, und Bewegung kann doch nicht das vollkommene Erlebnis bedeuten, das in sich Stille ist?
- Der Meister: Was meinst du mit »vollkommenem Erlebnis«? Meinst du: zu Stein werden, zu toter Masse? — Das Sichregen und Sichgebaren des Ich (ahamvritti) ist etwas anderes als das »Sprühen des Ich« (aham-sphûrti), es ist die Tätigkeit des persön¬lichen Ego; das muß sich selber verloren gehen und dem »Sprühen des Ich« das Feld räumen, das eine ewige Ausdrucksform des Selbst ist. Das »Sprühen des Ich« heißt in der Vedântalehre »Erkennen als Vorgang« (vritti-jnâna), Erleben und Erkennen (jnâna) ist immer ein Vorgang (vritti) : das ist der Unterschied zwischen Erkenntnis als Vorgang (vritti-jnâna) oder Erleben einerseits und dem Wirklichen anderseits in seinem Eigenwesen (svarûpa). Das Eigenwesen (svarûpa) ist das Wissen (jnâna) selbst, es ist Bewusstsein. Dieses »Eigenwesen« ist »Sein und Geist« (sat-chit), ist allgegenwärtig, ist immer da und im Besitz seines selbst. Wenn du es erlebst, so heißt das Erleben »Erkennen als Vorgang« (vritti jnâna), Nur in bezug auf dein eigenes Dasein kannst du von Erleben oder Erkennen (jnâna) sprechen, Wenn wir darum von »Erkennen« oder »Wissen« (jnâna) sprechen, meinen wir immer »Erkennen als Vorgang« (vritti-jnâna), denn »Wissen in seinem Eigenwesen« ist immer »Erkenntnis« (jnâna) und Bewußtsein schlechthin,
- Der Schüler: Das kann ich verstehen, — aber was ist's mit dem Leibe? Wie kann ich »Erkennen als Vorgang« im Leibe fühlen?
- Der Meister: Du kannst dich eins fühlen mit dem Einen, das allein wirklich ist: dein ganzer Leib wird reine Kraft, wird zu einem Kraftstrom, Dein Leben wird zu einer Magnetnadel, die ein gewaltiger Magnet an sich zieht, und wie du tiefer und tiefer dringst, wirst du rein eine Mitte, und dann bist du nicht einmal mehr das, denn du wirst reines Bewußtsein, da gibt es keine Gedanken und Bedenken mehr, — die sind schon an der Schwelle zerstoben, — es ist eine Ueberflutung, du bist nur mehr ein Strohhalm und wirst lebendig verschlungen, aber das ist höchste Lust, denn dabei wirst du eben das, was dich verschlingt. Das ist die Vereinigung von Jîva und Brahman: das Ich verliert sich im wahren Selbst, der Trug endet, die wahre Wirklichkeit ist erreicht.
Siehe auch
- Charakter
- Wer bin ich
- Emotion
- Persönlichkeit
- Identifikation
- Ärger
- Gereiztheit
- Rolle
- Eltern
- Partner
- Besitz
Literatur
- Der Weg Zum Selbst von Heinrich Zimmer, Rascher Verlag Zürich, 1944, 1. Auflage
- Rüdiger Dahlke: Die Lebensprinzipien: Wege zu Selbsterkenntnis, Vorbeugung und Heilung, Arkana, 2011.
- Swami Sivananda: Erfolg im Leben und Selbstverwirklichung. Praktische Anweisungen und Übungen
- Swami Sivananada: Sadhana - Ein Lehrbuch mit Techniken zur spirituellen Vollkommenheit.
- Swami Sivananada: Göttliche Erkenntnis
- Swami Sivananada: Sivanandas Botschaft vom göttlichen Leben
Weblinks
- Die Ayurveda Typen
- Swami Sivananda: Spiritualisieren der menschlichen Natur
- Yoga Reinkarnation Lehren: Wer bin ich?
- Sei Ehrlich zu dir selbst. Eine Vortragsreihe von Swami Krishnananda
- "Die individuelle Natur" aus Der Aufstieg des Geistes von Swami Krishnananda
- Entsagung ohne Yoga, schwerer Weg - BhG V.6
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