Vinata: Unterschied zwischen den Versionen

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Aus „die indische Weltmutter“ von Heinrich Zimmer
Aus „die indische Weltmutter“ von Heinrich Zimmer


Vinata: der Name des „Adlerweibes Himmel“ meint: »Vinata« ist die »nach beiden Seiten auseinandergebogene«. Die indische Kunst hat kein Bild dieser alten Himmelsfrau bewahrt, der gültigen Kosmologie ist sie fremd, aber wie man sich diese »nach beiden Seiten auseinandergebogene« Göttin zu denken hat, lehrt ein Blick nach Westen, — nicht nach Mesopotamien, aber nach Ägypten. Hier ist das Verhält¬nis von Vater Himmel und Mutter Erde umgedreht: der Mann ist die Erde, gewaltig wölbt sich der Himmel als Frau über ihm, und nur mit scheuer Gebärde wagt seine Hand ihren Fuß zu berühren. Entschieden gab es eine vorarische Epoche Indiens, wo es archaische Vorstellun¬gen vom Weltbau mit Ägypten teilte; das meint aber: Religion und Sozialordnung, speziell Rang und Rolle der Geschlechter, deren Spiegel die Kosmologie ist, glichen einander in beiden Ländern.
Vinata: der Name des „Adlerweibes Himmel“ meint: »Vinata« ist die »nach beiden Seiten auseinandergebogene«. Die indische Kunst hat kein Bild dieser alten Himmelsfrau bewahrt, der gültigen Kosmologie ist sie fremd, aber wie man sich diese »nach beiden Seiten auseinandergebogene« Göttin zu denken hat, lehrt ein Blick nach Westen, — nicht nach Mesopotamien, aber nach Ägypten. Hier ist das Verhältnis von Vater Himmel und Mutter Erde umgedreht: der Mann ist die Erde, gewaltig wölbt sich der Himmel als Frau über ihm, und nur mit scheuer Gebärde wagt seine Hand ihren Fuß zu berühren. Entschieden gab es eine vorarische Epoche Indiens, wo es archaische Vorstellungen vom Weltbau mit Ägypten teilte; das meint aber: Religion und Sozialordnung, speziell Rang und Rolle der Geschlechter, deren Spiegel die Kosmologie ist, glichen einander in beiden Ländern.


In dieser Epoche war die Frau offenbar „oben auf“; sie war so hoch über dem Manne, wie der Himmel über der Erde und überschattete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, und wenn es ihr gefiel, sich ihm zu nähern, um sich ihm zu schenken, musste sie sich zu ihm herablassen. Dieses ägyptische Schema ist ein umgekehrtes Urbild des mythi-schen Hieros Gamos von Uranos und Gaia: die Him¬melsfrau als kosmischer Incubus. Das war die Zeit, von deren Ordnung her Isis das Scepter hält, indes Osiris, ihr kleinerer Bruder, als ihr zarter und zärtlicher Gatte, der dem rohen Typhon erliegt, die Rolle des vielgeliebten Prinzgemahls spielt. Im ganzen indischen Kulturkreis, soweit vaterrechtlich- arische Ordnung ihn nicht brahma¬nisierend durchdrang: im Dekkan und Himalaya, Hinterindien und Tibet, besteht eine entsprechende Rol¬lenverteilung der Geschlechter noch heute; Sir Galahad hat sie in dem schönen Rundblick »Mütter und Amazo¬nen« anmutig skizziert, und diesem völkerkundlichen Material ließe sich die Symbolik des tantrischen Shivaismus anreihen: Shiva als Allgott wird mit seiner Gattin, seiner weltschaffenden Kraft (Shakti und maya) in unlöslicher Umschlingung geschaut, als heiliger Incubus reitet sie auf ihm, der wie ein Toter ausgestreckt liegt.
In dieser Epoche war die Frau offenbar „oben auf“; sie war so hoch über dem Manne, wie der Himmel über der Erde und überschattete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, und wenn es ihr gefiel, sich ihm zu nähern, um sich ihm zu schenken, musste sie sich zu ihm herablassen. Dieses ägyptische Schema ist ein umgekehrtes Urbild des mythi-schen Hieros Gamos von Uranos und Gaia: die Himmelsfrau als kosmischer Incubus. Das war die Zeit, von deren Ordnung her Isis das Scepter hält, indes Osiris, ihr kleinerer Bruder, als ihr zarter und zärtlicher Gatte, der dem rohen Typhon erliegt, die Rolle des vielgeliebten Prinzgemahls spielt. Im ganzen indischen Kulturkreis, soweit vaterrechtlich-arische Ordnung ihn nicht brahmanisierend durchdrang: im Dekkan und Himalaya, Hinterindien und Tibet, besteht eine entsprechende Rollenverteilung der Geschlechter noch heute; Sir Galahad hat sie in dem schönen Rundblick »Mütter und Amazonen« anmutig skizziert, und diesem völkerkundlichen Material ließe sich die Symbolik des tantrischen Shivaismus anreihen: Shiva als Allgott wird mit seiner Gattin, seiner weltschaffenden Kraft (Shakti und maya) in unlöslicher Umschlingung geschaut, als heiliger Incubus reitet sie auf ihm, der wie ein Toter ausgestreckt liegt.


==Siehe auch==
==Siehe auch==

Version vom 2. Oktober 2013, 15:01 Uhr

vinata (Sanskrit: vināta f) Name einer Tochter von Daksha.

Heinrich Zimmer über Vinata

Aus „die indische Weltmutter“ von Heinrich Zimmer

Vinata: der Name des „Adlerweibes Himmel“ meint: »Vinata« ist die »nach beiden Seiten auseinandergebogene«. Die indische Kunst hat kein Bild dieser alten Himmelsfrau bewahrt, der gültigen Kosmologie ist sie fremd, aber wie man sich diese »nach beiden Seiten auseinandergebogene« Göttin zu denken hat, lehrt ein Blick nach Westen, — nicht nach Mesopotamien, aber nach Ägypten. Hier ist das Verhältnis von Vater Himmel und Mutter Erde umgedreht: der Mann ist die Erde, gewaltig wölbt sich der Himmel als Frau über ihm, und nur mit scheuer Gebärde wagt seine Hand ihren Fuß zu berühren. Entschieden gab es eine vorarische Epoche Indiens, wo es archaische Vorstellungen vom Weltbau mit Ägypten teilte; das meint aber: Religion und Sozialordnung, speziell Rang und Rolle der Geschlechter, deren Spiegel die Kosmologie ist, glichen einander in beiden Ländern.

In dieser Epoche war die Frau offenbar „oben auf“; sie war so hoch über dem Manne, wie der Himmel über der Erde und überschattete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, und wenn es ihr gefiel, sich ihm zu nähern, um sich ihm zu schenken, musste sie sich zu ihm herablassen. Dieses ägyptische Schema ist ein umgekehrtes Urbild des mythi-schen Hieros Gamos von Uranos und Gaia: die Himmelsfrau als kosmischer Incubus. Das war die Zeit, von deren Ordnung her Isis das Scepter hält, indes Osiris, ihr kleinerer Bruder, als ihr zarter und zärtlicher Gatte, der dem rohen Typhon erliegt, die Rolle des vielgeliebten Prinzgemahls spielt. Im ganzen indischen Kulturkreis, soweit vaterrechtlich-arische Ordnung ihn nicht brahmanisierend durchdrang: im Dekkan und Himalaya, Hinterindien und Tibet, besteht eine entsprechende Rollenverteilung der Geschlechter noch heute; Sir Galahad hat sie in dem schönen Rundblick »Mütter und Amazonen« anmutig skizziert, und diesem völkerkundlichen Material ließe sich die Symbolik des tantrischen Shivaismus anreihen: Shiva als Allgott wird mit seiner Gattin, seiner weltschaffenden Kraft (Shakti und maya) in unlöslicher Umschlingung geschaut, als heiliger Incubus reitet sie auf ihm, der wie ein Toter ausgestreckt liegt.

Siehe auch