Staat und Recht

Aus Yogawiki

Aus dem Buch "Altindisches Leben: Die Cultur der vedischen Arier", nach den Samhita dargestellt von Heinrich Zimmer, Berlin 1879

Kapitel 6: Staat und Recht

Wie wir oben S. 119 ff. sahen, zerfiel das Volk der indischen Arier in eine grosse Anzahl von Stämmen. Zwischen einzelnen derselben fanden, sobald gemeinsame Interessen es erheischten behufs Abwehr drohender Angriffe oder zum Zwecke von Beutezügen in das Gebiet anderer Stämme, Verbindungen statt; solche Vereinigungen verschiedener Stämme lieferten sich die Schlachten an der Parushni und Yamuna. War man aber von einem Zuge glücklich heimgekehrt, so stand für gewöhnlich jeder Volksstamm wieder für sich als Ganzes da. Wir haben also hier ganz dieselben Verhältnisse, wie sie zu Tacitus Zeit unter den Germanen bestanden. Wie bei jenen die staatlichen Einrichtungen bei weitern nicht überall dieselben waren, so werden wir Gleiches auch von den vedischen Stämmen vermuthen dürfen: einige Angaben dahin werden wir im Verlauf kennen lernen.

Die höchste politische Einheit der vedischen Arier ist der Stamm; er ist eine Vereinigung mehrerer Gaue. Fragen wir nach einer einheimischen Bezeichnung dieses Staatsganzen, so müssen wir jana als solche ansehen. So sagt Viçvamitra Rv. 3. 53, 12: »Viçvamitras Gebet da schützt den Bharata-Stamm (janam bharatam)« ; yadvo janah und yadvali stehen sich Rv. 8, 6, 46. 43 gleich; rajan König und gopa janasya Beschützer des Stammes ist dasselbe Rv. 3, 43, 5; König Soma heisst gopati janasya »Gebieter des Stammes« Rv. 9, 35, 5. Rv. 10, 159 haben wir einen Zauberspruch, in dem eine Frau eines Königs die Nebengattinnen unschädlich zu machen sucht, damit sie beim Gatten am meisten geehrt sei, ihre Söhne die Herrschaft einst bekämen und ihre Tochter Königliche Hoheit würde; sie schliesst ihre Beschwörung mit dem Wort: »Verdrängt habe ich diese Nebenbuhlerinnen ihnen überlegen seiend damit ich über diesen Mann und diesen Stamm (jana) herrsche« d. h. über König und sein Volk. König (rajan) und Volk (jana) stehen auch Rv. 5, 58, 4 gegenüber: »Ihr schafft dem Stamm einen kräftigen König«. Panca janah war, wie wir oben sahen, ursprünglich eine Bezeichnung von fünf näher zu einander stehenden Stämmen.

Die nächste Unterabtheilung des Stammes ist der Gau; sein einheimischer Name ist vic. Wie viele solcher viç zu einem Stamme gehörten, wissen wir nicht; ihre Zahl war jedenfalls verschieden nach der Grösse des einzelnen Volkstammes, wie auch bei den alten Germanen die Anzahl der Gaue (pagus), die zu einer thiuda (civitas) vereint waren, unterschiedlich war. Nach Besiegung des Volkes (jana) der Bharata breiteten sich die Gaue (vicah) der Trtsu aus Rv. 7, 33, 6; die vereinigten Gaue wählen den König Rv. 10, 124, 8; »wie ein König die Gaue im Zaume hält« heisst es in einem Vergleich Rv. 9, 7, 5; »alle Gaue (sarva viçah) wünschen dich, nicht soll die Herrschaft von dir fallen« wird Rv. 10, 173, 1 dem neugewählten König zugerufen; des Trnaskanda Gaue (viçah) verschont, o Marut« fleht Agastya Rv. 1, 172. 3.

In der weiteren Abstufung kommt die Dorfschaft grama, vrjana, vollständig gleich dem altgermanischen vicus. Die Dorfgemeinde selbst beruht wieder auf der Vereinigung der einzelnen Familien.

Wir sehen also, dass der altindische Staat sich ganz entsprechend dem altéranischen, altgermanischen, altslavischen und altitalischen aufbaut. Das Staatsganze beruht auf dem Hause (altb. nmana, dmana) , der Einzelfamilie. Sie ist nur ein Theil der Gesamtfamilie, Sippe oder Dorfschaft : altind. grama, vrjana, éran. viç, altit. gens, germ. vicus, langob. fara cf. Paulus Diaconus 2, 9 — slav. rodu, obistina. Eine Vereinigung dieser Sippen, Clane zu einem grösseren Ganzen ist bei den Indern die vif, Eraniern zantu (shoithra Yaçna 31. 18), Ital. tribus, Germanen pagus (skandin. fylki, syssel, angels. scir), Slaven pléme. Die Verbindung endlich einer Anzahl solcher Gaue bildete den Stamm oder das Einzelvolk : ind. jana, éran. daqyu, lat. civitas, osk. und umbr. tota, germ. friuda, slav. narodu, jçzyku. Dieselbe Verfassung besteht bei den Afghanen noch bis jetzt, wie Wilken in den Abhandlungen der Berliner Akademie 1818 , pag. 237 ff. nach Elphinstones Bericht ausgeführt hat.

Am deutlichsten findet sich für den altindischen Staat die dargelegte Gliederung ausgesprochen Rv. 2, 26, 3: »Wer den Vater der Götter für sich zu gewinnen sucht, gläubigen Sinnes durch Opfer Brahmanaspati, der erlangt Beute und Reichthum durch die Männer: durch Stamm (janena), durch Gau (viça), durch Verwandtschaft (janmana), durch Familie (putraih).« Deutlich steht hier jan man Angehörige, Sippschaft für grama, vrjana; die Bewohner des Dorfes waren eben ursprünglich nur eine Verwandtschaft. Durch »Söhne« (putraih) ist pars pro toto die Familie bezeichnet; sie sind es ja, auf denen, wie im Verlauf noch gezeigt wird, die Fortsetzung des Hauses und des Geschlechts beruht.

Dies war aber nicht allein im Frieden die Eintheilung des Stammes, sondern auch — und hier wieder in schönster Analogie zu altgermanischen Verhältnissen — für den Krieg und in der Schlacht. Aus Tacitus Germania Kap. 7 sowie aus einheimischen Quellen wissen wir, dass bei den alten Deutschen Heereseintheilung war, dass Gau neben Gau stand und diese wieder nach Verwandtschaften, und Familienkreisen sich ordneten. In einem Hymnus an Manyu, den personificierten »Muth« Rv. 10, 84 heisst es nun Vers 3 ff.: »Wirf nieder, o Manyu, die, die uns nachstellen; zerbrechend , zermalmend, vernichtend gehe auf die Feinde los; sie hemmen nicht deine gewaltige Kraft, du Herrscher bringst sie unter deine Herrschaft, du einzig gearteter, einziger. Du allein, o Manyu , bist von vielen angefleht; von Abtheilung zu Abtheilung (viçamviçam) gehend feure sie zum Kampfe an; mit dir verbündet wollen wir lautes Geschrei erschallen lassen zum Siege«. Deutlich haben wir in viçamviçam eine Heereseintheilung. Vergleiche ferner: »An des Himmels Ende schmücken sich die Morgenröthen mit Glanz, wie ein in geschlossenen Schaaren ziehendes Heer reihen sie sich aneinander (viço na yukta yatante) Rv. 7, 79, 2. Die Marut, beständig ja ein Volk in Waffen, sind in viçah gegliedert Rv. 5, 61, 1; »als sich der Marut Scharen (Marutirviçah) anschlossen« Rv. 8, 12, 29. »Hör Indra uns, wir rufen dich an, um grosse Beute zu erlangen; wenn in dem Schlachtgewühl die Scharen (viçah) auf einander prallen, gewähr uns kräftigen Beistand am Tage der Entscheidung« Rv. 6, 26, 1. »Es entwickeln Kraft die Leute bei der Arbeit, o ungestümer, wenn sie auf einander schnauben im Kampfgewoge ; wenn die kämpfenden Heerhaufen (viço yudhmah) handgemein werden, dann entwickeln manche Indra gleiche Kraft, Mann gegen Mann« Rv. 4, 24, 4.

Als weitere Unterabtheilung des Heeres ist, entsprechend der Organisation des altindischen Staates, grama, vrjana anzu¬sehen, die Kriegerschaar einer Ortschaft. Nirgends jedoch zeigen die vediachen Lieder diese ursprüngliche Bedeutung deutlich, vielmehr nur die allgemeinere »Kriegerschaar« überhaupt. So nennt Viçvämitra R. 3, 33, 11 die mit Streit- und Trosswagen am Ufer der Vipäç angekommenen Bharata poetisch gavyan¬grarmah »eine kampflustige Schaar«, Rv. 3, 53, 12 nennt er sie bharatam janam »Bharatastamm«. Vergleiche ferner: »Nicht mögen fremde, bösgesinnte Schaaren (vrjanah), unheilvolle uns überfallen« Rv. 7, 32, 27. »Mögen wir unter unsern Führern vorzügliche Beute erliegen mit unserer Kriegerschaar (asmakena vrjanena)« Rv. 10, 42, 10. Vielleicht lässt sich für zwei andere Ausdrücke der specielle Sinn »Kriegerschaar einer Ortschaft« nachweisen: Rv. 1. 126, 5 heisst es, dass die Pajra Ruhm er¬strebten wie die mit Wagen versehenen, verwandten Sehaaren, die eine Viç bilden (subandhavo ye viçya iva vra anasuantab); vra bezeichnet demnach eine Abtheilung der Viç, deren Glieder unter einander nahe verwandt (subandhu) waren, was auf die Kriegerschaar des Dorfes passt. Rv. 10, 179, 2 = Av. 7, 12, 2 sagt ein Sänger : »Dich Indra umeitzen mit Darbringungen die Freunde wie Familienoberhäupter (kulapa) den thätigen Führer der Dorfschaar (vrajapati)«.

Es ordnete sich demnach die Kriegsmacht eines Stammes zuerst nach Viç, dann nach Vräja oder Yra, welche letzteren wieder aus den kampffähigen Gliedern des Kula zusammengesetzt waren. Diese Dreitheilung des Heeres ist uns an einer Stelle des Rig¬veda sicher angegeben ; die Marut , Indra's Heer und ein Yolk in Waffen, sind geordnet çardhalnçardha,il, vratumvratam, ga+nun¬ganann d. h. nach einzelnen Sehaaren, Haufen, Rotten Rv. 5. 53, 11: vgl. Rv. 3, 26, 6.

Die Regierung der in der angegebenen Weise gegliederten arischen Staaten war durchaus eine monarchische. Gemäss ihres Ursprungs aus der Familie lässt sich dies auch kaum anders erwarten.

An der Spitze des Staates steht ais Lenker des Ganzen der König ()({jan). Die Herrscherwürde im Stamme ist in vielen Fällen eine erbliche : Vadhryaçva, Divodesa Atithigva, Pijavana, Sudâs finden wir der Reihe nach als Urgrossvater, Grossvater. Vater und Sohn über die Trtau gebieten ; eine noch längere Genealogie lässt sich bei den Piiru herstellen. Nicht so bei allen Stämmen. Wir haben sichere Zeugnisse, dass auch Wahl¬monarchien bestanden , in denen die Könige von den Gauen gewählt wurden: »Wie die Gaue sich den König küren« heisst es Rv. 10, 124, B. Ob eine bestimmte Herrscherfamilie da war, aus deren Mitgliedern eines zum Throne ausersehen wurde, oder ob die Wahl unter den edlen Geschlechtern vorgenommen wurde, wissen wir nicht. Auf eine Wahlmonarchie ersterer Art könnte der Spruch Av. 1, 9 bezogen werden:



(Aus dem Buch "Altindisches Leben: Die Cultur der vedischen Arier", nach den Samhita dargestellt von Heinrich Zimmer, Berlin 1879)

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