Selbsterkenntnis

Aus Yogawiki

Selbsterkenntnis heißt sich selbst zu erkennen. Es gibt die niedere und die höhere Selbsterkenntnis: In der niederen, der praktischen, Selbsterkenntnis, erkennt man sein Stärken und Schwächen. Man lernt so, realistisch mit sich selbst umzugehen und an sich zu arbeiten. Die höhere Selbsterkenntnis, Atma Jnana, ist die philosophische Selbsterkenntnis: Die Erkenntnis des Wahren selbst. Die Selbsterkenntnis in diesem Sinn ist die Antwort auf die Frage: Wer bin ich? Selbsterkenntnis in diesem Sinn hat die gleiche Bedeutung wie Selbstverwirklichung, Atma Sakshatkara.

Schritte zur Selbsterkenntnis

Artikel von Swami Sivananda

Einleitung

Oft will der Mensch den Geschmack eines Gerichtes kennen, ehe er es überhaupt probiert hat; er will schwimmen lernen, ohne ins Wasser zu müssen! Theorie ist keine Erfahrung; und, natürlich enttäuscht, wendet er sich von der Wahrheit ab, auf den Pfad von ziellosem, zwecklosem, animalischen Leben. Der Mensch ist das Abbild Gottes; und dies ist heute genauso wahr wie es zu biblischen Zeiten war, im vedischen Zeitalter. Wahrheit ändert sich nicht; das ist das Kriterium der Wahrheit. Die Suche nach dieser Wahrheit ist außerdem ewig und immer neu. Im Herzen jedes Individuums gibt es die Sehnsucht, die Wahrheit zu kennen. Aber die Wahrheit zu kennen heißt, sie zu erleben, nicht bloß, sie mit dem Intellekt zu verstehen. Letzteres ist eine Station auf dem Weg, nicht das Ziel. Der Mensch will sich kennen, sich erkennen. Er will die Welt um sich herum verstehen. Er will erforschen, was hinter allem liegt, in Raum und Geist. In ihm ist ein unstillbarer Hunger nach WISSEN. Er formt die Instrumente, mit denen er dieses Wissen erlangen kann. Er ist mit keinem langfristig zufrieden. Welchen Nutzen haben äußere Instrumente und Gerätschaften? Sie sind nichts als Unterstützung, oft schlechte Unterstützung, seiner eigenen inneren Intelligenz! Die Psychologie versucht das „Innere“ des Menschen zu analysieren. Diejenigen, die sich tief genug hinein wagen, sind von der Größe dieses inneren Feldes erschüttert. Diejenigen, die an der Oberfläche kratzen, stochern im Dunkeln. Der Mensch, der wahre Mensch, bleibt unbekannt. Die kleinen Hände eines Babys können kein Buch halten, noch kann ein ungelernter Geist es lesen. Der kleine, begrenzte, schwache, unreine Intellekt kann das unendliche, strahlende Selbst des Menschen nicht erkennen. Ein schmutziger Spiegel, dick mit dichtem Ruß bedeckt, kann dein Gesicht nicht reflektieren. Des Menschen unreines Herz, voll beladen mit den subtilen Impressionen zahlloser Leben ungöttlichen Lebens, kann nicht auf einmal die Göttlichkeit erkennen lassen, die in ihm eingeschlossen ist.

Selbstreinigung

Eines nach dem anderen. Entferne den Ruß und reinige den Spiegel, anstatt diesen zu verdammen oder zu erklären, dass es unmöglich sei, seine eigene Reflektion im Spiegel zu sehen. Reinige das Herz von allen Rückständen, von allen angesammelten Unreinheiten, mit der Bürste der Reinheit, der Liebe und des spirituellen Strebens. Lasse das Baby zum Jugendlichen heranwachsen und sich bilden, ehe das Buch des Lebens in seine Hände gegeben wird. Der Mensch sollte seiner Bestialität entwachsen, sollte selbst seiner menschlichen Natur entwachsen und göttlich werden; er muss in der Kunst und Wissenschaft des Yoga oder göttlichen Lebens geschult werden, ehe er seine wesentliche göttliche Natur verstehen und erkennen kann. Die alten Weisen, die Pioniere bei der Entdeckung der Seele des Menschen, haben erkannt, welche Ausrüstung der Sucher nach Wahrheit benötigt, und welches vorhergehende Training und welche Disziplin unabdingbar ist, wenn er die Wahrheit erkennen möchte. Diese zu ignorieren bedeutet die Freude der Selbstentdeckung zu verlieren. Jede Religion der Welt, jede Schule für religiöse Gedanken, jeder Heilige oder Prophet hat betont, dass der Mensch sein Herz reinigen muss, in Selbstlosigkeit und Selbstbeherrschung, Wahrhaftigkeit, Demut und Reinheit wachsen muss, ehe er wirklich, wahrhaftig und erfolgreich nach Wahrheit suchen kann. Aber der Mensch, stolz auf seine Entdeckungen und Erfindungen auf materieller Ebene und nicht willens, das Tier in ihm aufzugeben, versucht voller Eitelkeit den Geist mit seinen materiellen Instrumenten zu erforschen, und wenn diese ihn nicht finden, erklärt der Mensch, er würde nicht existieren!

Glaube

Doch die Wahrheit leidet nicht unter solch kindlicher Leugnung. Es ist der Mensch selbst, der leidet. Elektrischer Strom hört nicht auf, durch ein funktionierendes Kabel zu fließen, nur weil ein unwissender Mensch ihn leugnet; der törichte Mensch jedoch bekommt den Schlag, wenn er das Kabel berührt. So wird der unwissende Mensch, der Gott leugnet, der die Seele leugnet, der die Existenz von allem leugnet, außer der groben, "soliden" Welt der Materie, rüde davon aufgeschreckt, dass es mehr als das gibt. Sei es durch eine unvorhergesehene Katastrophe oder durch ein unerwartetes Ereignis in seinem eigenen Leben oder in einem der Leben, die ihn umgeben. Hätte er darauf warten sollen, dass das passiert? Hätte er dem warnenden Finger, der in den heiligen Schriften erhoben wird, keine Aufmerksamkeit schenken sollen? Dies ist dann die erste und wichtigste Voraussetzung. Glauben an die Weisheit der ‘Männer Gottes’, die durch ihr eigenes strahlendes Beispiel, und durch ihre eigene flammende Abkehr von der Welt der Materie und durch Geringschätzung materieller Freunden und Besitztümern, still die Wahrheit lehrten: "Die Welt ist vergänglich; erhebe dich über sie und trete ein ins ewige Königreich Gottes."

Aneignung von Tugenden

Hat man den Glauben an die Männer Gottes gefunden, sollte man sich mit dem grundsätzlichen ausstatten: tugendhafte Eigenschaften. Tugend ist Gift für den bösartigen Geist! Der Geist wird sich auflehnen. Glauben ist der Stab, der ihn bezwingen wird; Hingabe ist die Peitsche, die ihn zur Ruhe bringt; das Schwert des Strebens wird ihn niederschlagen. Die Sporthalle, der Sportplatz und andere Orte dienen ihm zur Arbeit am Körper. Genauso muss er, wenn er einen starken und gesunden Geist haben möchte, von den Menschen der Weisheit und des Lernens lernen; er muss darüber nachdenken, was er gelernt hat. Er muss verstehen und angleichen. Wenn er seine Tugenden ausbaut, wenn sein Herz größer wird, muss er sich in den Bereich des Dienens begeben, und sich für selbstlosen, egolosen, unermüdlichen Dienst an der Menschheit engagieren. Auf dem Gebiet dieses Dienens wird er sich mit seiner eigenen inneren Natur konfrontiert sehen, und, wenn er aufrichtig und introspektiv ist, wird er wissen, an welchen Tugenden es ihm mangelt und welche Bösartigkeiten in ihm lauern. Ohne der Verzagtheit oder Niedergeschlagenheit nachzugeben, wird er sich daran machen, die Laster auszumerzen und die Tugenden zu kultivieren. Verwurzelt in Glauben und Hingabe, mit wachsenden Tugenden, wird auch die Vision der Wahrheit in ihm immer deutlicher wachsen. Er wird wahrnehmen, dass der Körper nur die äußere Hülle ist, so wie die Kleidung, die er trägt, dass der Geist selbst ein dünner Schleier ist, der das innere Licht verhüllt, daraus aber seinen eigenen Glanz erhält, und dass außerhalb von Körper und Geist, als Basis von allem das Selbst oder die Wahrheit in seinem Herzen wohnt. Er wird erkennen, dass damit alles eine Wichtigkeit von Wert erhalten kann; aber ohne nichts einen Wert hat.

Sinn für Moral

Aber der Reihe nach. Diese Erkenntnis ist nur möglich, wenn der Suchende Selbstkontrolle und göttliche Tugenden bewiesen hat. Der Sinn für Moral muss fest in ihm verankert sein. Dies erreichen wir am besten, indem wir der Jugend Sinn für Moral beibringen. Das ist die beste Zeit, um den Samen für ethischen Idealismus, Sinn für Moral und Gerechtigkeit zu säen. Die jungen Männer und Frauen an unseren Schulen und Universitäten müssen die Grundlagen von Moral und Ethik lernen. Diese wurden wunderschön in folgendem Sprichwort zusammengefasst: "Anderen zu helfen und zu dienen ist Tugend; anderen zu schaden ist Sünde." Dieser Gedanke muss in den Herzen aller unserer Studenten vorhanden sein. Dann und nur dann können wir hoffen, dass von unseren Universitäten gute und edle Bürger kommen, auf die wir, die Nation und die ganze Welt stolz sein wird. Unter solchen Bürgern werden der edle Patriot, der große Sozialarbeiter, der Weise und der Mensch Gottes zu finden sein. Denn ist die Grundlage moralischen Lebens einmal wirklich gelegt, wird das innere spirituelle Streben jeden Suchenden richtig auf den Pfad des Yoga führen, zum großen Ziel der Selbsterkenntnis. Lasst uns also der Reihe nach um die Dinge kümmern.

Heinrich Zimmer über Selbsterkenntnis

Reflektion des Indologen Heinrich Zimmer aus seinem Buch "Der Weg zum Selbst" 1944 erschienen im Rascher Verlag Zürich

»Selbsterkenntnis ist ein leichtes Ding«, schrieb einmal ein Schüler, »denn das Selbst ist Sein, und nichts kann so wirklich sein wie das,« Der Schüler legte sein Wort dem Erhabenen Shri Ramana Maharshi vor und bat ihn, einen Sang zu schreiben, der mit diesen Worten anfinge, »Selbsterkenntnis ist ein leichtes Ding, — das leichteste aller Dinge.

Das Selbst ist etwas, das ganz wirklich ist, — auch für einen einfachen Menschen. Man könnte sagen: eine Frucht in der offenen Hand ist ein Trug im Vergleich zu ihm. Das Selbst, das als Sonne im Herzen strahlt, ist wirklich und alldurchdringend. Es offenbart sich, sobald falsches Vorstellen zerstiebt und kein Flecken bleibt. Denn dieses Vorstellen ist der Grund, daß wahnhafte Gestalten erscheinen: Welt und Ich, die so wirklich dünken wie das Selbst, das wahrhaft dauert, wandellos und wahr. Leuchtet das Selbst auf, so zerstiebt das Dunkel; Leid vergeht, Seligkeit bleibt allein,

Die Vorstellung »ich bin der Leib« ist der Faden, an dem Vorstellungen aller Art wie Perlen aufgereiht sind. Tauchst du aber tief hinab mit dem Fragen: wer bin ich und woher? — so schwinden die Vorstellungen, und das Wissen vom Selbst bricht strahlend auf als »ICH-ICH« in der Höhle des Herzens, Das ist Himmel, Stille, Stätte der Seligkeit. Was hilft es, um alles und jedes zu wissen und nicht um das Selbst? Was bleibt zu erkennen für einen, der das Selbst erkannt hat? Wer in sich das Selbst als wirklich erfährt, das einzige, aus sich selber leuchtende Eine in Myriaden von Selbsten, dem strahlt das Licht des Selbst von Innen, Das ist wirkliche Entfaltung der Gnade, Ende des Ich und Anfang höchster Seligkeit.

Um die Bande des Schicksals samt ihrer Verwandtschaft zu lösen und sich vom grauenvollen Kreislauf durch Geburten und Tode zu erlösen, ist dieser Pfad ungleich leichter als andere. Darum halte dich still und heiß Zunge, Gemüt und Körper schweigen. Dann wird das aus sich selber Leuchtende in dir aufgehen, Das ist das höchste Erlebnis. Alle Furcht vergeht. Das ist das uferlose Meer vollkommener Seligkeit.

,Annamalai', das unübersteigbare Gebirge, das Eine Jenseitige in uns, ist das Auge hinter dem Auge des Gemüts. Es gewahrt das Auge und alle Sinne, die ihrerseits das Firmament erhellen und alle Elemente rings, Es ist das geistige Firmament, vor dem das Firmament des Gemüts zur Erscheinung kommt, Es leuchtet innen im Herzen, das aller Regung und Gedanken bar ist, und bleibt vor dem stäten ruhenden Blick nach innen als ES. Annamalai selbstleuchtend strahlt, doch Gnade des Meisters ist vor allem not. So ergib dich gläubig dem Selbst, und Seligkeit wird dein Teil sein.«

Literatur

  • Der Weg Zum Selbst von Heinrich Zimmer, Rascher Verlag Zürich, 1944, 1. Auflage
  • Discourses

Multimedia

Beständigkeit der Selbsterkenntnis - Bhagavad Gita XIII 11

Was ist das Ziel deines Lebens. Lesung und Kommentar von Sukadev Bretz, Gründer und Leiter von Yoga Vidya.

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Aus Selbsterkenntnis kommt die Erfahrung des Höchsten. - Bhagavad Gita V 16

Dein Bewußtsein ist Gott. Lesung und Kommentar von Sukadev Bretz, Gründer und Leiter von Yoga Vidya.

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Weblinks