Ramana Maharshi: Unterschied zwischen den Versionen

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Ramana Maharshi
==Shri Ramana Maharshis Junge Jahre==
aus „der Weg zum Selbst“ von Heinrich Zimmer
===Ramanas Geburtsort - Tiruchuzhi===
Shri Ramana Maharshi, der Heilige von Tiruvannamalai, entstammt einer alten Brahmanenfamilie. Er ist aus Tiruchuzhi im Distrikt Ramnad gebürtig, einem Landflecken von etwa fünfhundert Häusern, überragt von einem alten Shivatempel, dessen Herrn die beiden größten unter den klassischen Sängern seliger Gottesversenkung Südindiens, Sundaramurti-Svamin und Manikka-Vashagar in begeisterten Hymnen gefeiert haben, Die Seelenluft mittelalterlicher Frömmigkeit des Tamil-Landes, die in ihren Liedern Sprache fand und zu Ende des 11. Jahrhunderts im »Tirumurai«, dem »Heiligen Buch« (auch »Veda in Tamil« genannt), ihre literarische Überlieferung erlangte, ist an diesem weltfernen Flecken noch lebendig: Tiruchuzhi ist etwa 40 km von Madura entfernt, dem berühmten Wallfahrtsort Südindiens, Ziel zahlloser Pilger und jährlich erneuter Touristenströme, und liegt 27 km abseits der nächsten Bahnstation Virudunagar.
===Maharshis Vater – Sundaram Ayyar===
Shri Ramanas Vater, Sundaram Ayyar, fing klein an: mit zwölf Jahren lernte er als Dorfschreiber bei zwei Rupee Monatsgehalt (etwa 5 Schweizer Franken) Buchhaltung und Rechnungsführung. Dann etablierte er sich als Rechtskonsulent, verfasste Eingaben und Gesuche für Klienten und brachte es schließlich zum unstudierten Rechtsanwalt vor örtlichen Behörden. Er muss eine be¬merkenswerte Persönlichkeit gewesen sein: hilfreich und tätig, schließlich wohlhabend und voll Gewicht im engen Umkreis seines Lebens. Er wusste sich mit jedermann gut zu stellen; sein gastliches Haus war allen offen, sein Rat ward viel gesucht, Neue Beamte stiegen bei ihm ab, bis sie eine andere Unterkunft gefunden hatten, und bedienten sich seiner gern bei ihren Angelegenheiten, Auch die zweifelhaften Elemente der Gegend mochten ihn, sie schätzten Charakter und Güte an ihm und ließen ihn ungeschoren, wenn er nachts allein über Land fuhr.
Er war keine ausgesprochen religiöse Natur, aber die heilige Überlieferung trug ihn wie seinesgleichen: mit alltäglich-häus¬lichem Kult vor den kleinen Götteridolen, mit gelegentlichen Wall¬fahrten zu Tempeln der Umgegend und mit Erbauungsstunden, in denen er und die Seinen dem Vortrag heiliger Schriften und ihrer Auslegung lauschten. Das allumfassende Lebensritual des Hinduismus, verkörpert im Guru, dem geistlichen Lehrer und erblichen Hauspriester der Familie, der zum Vollzug aller Sakramente und vieler Riten unentbehrlich ist, war der fraglose Seelenraum seines Aufstiegs zu irdischem Wohlstand.
Wie der rechte Vater in zahllosen Märchen und Geschichten hatte er drei Söhne: Nagasvamin, Venkata-Raman und Nagasundaram, In seiner Familie besprach man den eigentümlichen Zug, dass jeweils ein Glied jeder Generation dem Weltleben entsagt habe und in den geistlichen Stand des Asketen und Yogin getreten sei. Ein Bruder seines Vaters hatte das gelbe Gewand brahmanischer Mönche angelegt und war mit Wanderstab und Bettelnapf ein pilgernder Asket geworden. Sundaram Ayyars eigener älterer Bruder war eines Tages aus dem Dorf verschwunden und ver¬schollen geblieben: augenscheinlich hatte auch er sich auf die Pilgerfahrt zum Ewigen begeben, war in die Schar der Namen¬losen untergetaucht und in den Strom der Wandernden gemündet, die, ohne Besitz und Ich, Erlösung vom Kreislauf der Geburten, Vollendung bei Lebzeiten und Ruhe im Meer des Göttlichen finden wollen.
Dazu erzählte man sich die Geschichte von einem wandernden Bettelasketen, der vor Zeiten ins Haus gekommen sei, aber keine gastliche Aufnahme gefunden habe, ja nicht einmal ein Essen be¬kam er, wie es in Indien seit unvordenklichen Zeiten jeder Heilige, jeder Brahmane (ja jeder Bettler) erwarten darf, der in die Tür tritt und das Haus durch sein Verweilen heiligt. Er lässt die Haus¬bewohner an der Segenskraft seines Wesens teilhaben, indem er
entgegennimmt, was sie ihm bereitwillig abgeben mögen. Wer ihn aber abweist, schneidet sich von seinem Segen ab und erntet Fluch. So verließ der abgewiesene Bettelasket das ungastliche Haus mit der Verheißung, die seinen Bewohnern eine Verwünschung dünken mochte; dass in jeder Generation eines seiner Glieder ein Asket werden solle wie er, haus- und besitzlos, um Essen bettelnd.
Indes versprach Nagasvamin, der älteste Sohn, ein Ebenbild des Vaters zu werden und, von leichteren Anfängen begünstigt, es höher hinaus zu bringen: nach Absolvierung der nötigen Prüfungen zu einem gutbezahlten Posten in der Verwaltung. Von der Zukunft des Kleinsten, Nagasundaram, konnte füglich noch nicht die Rede sein, er hing noch ganz an der Mutter, als die Verheißung des bettelnden Heiligen sich jählings am Mittleren erfüllte, und Ven¬kata-Raman 1896 in seinem siebzehnten Lebensjahre zu seiner Be¬rufung erwachte.
===Ramana Maharshi wurde als Ven¬kata Raman geboren===
Venkata-Raman ist am 30. Dezember 1879 eine Stunde nach Mitternacht geboren (nach indischer Rechnung: Pramathi, 16. Mar¬gali), — in einer heiligen Nacht. Jubel des Volkes erfüllte den Ort: eben beendete Shiva Mahadöh, der Große Gott, den feierlichen Umgang seines Bildes bei nächtlichem Fackelschein durch die geschmückten Straßen von Tiruchuzhi und kehrte, nachdem er sich den Augen aller leibhaft gezeigt hatte, wieder ins Dämmer¬dunkel seines Heiligtums zurück, — da schlug das Kind in stiller Kammer zum ersten Mal die Augen auf. Ein großer Tag im Jahres¬lauf war wieder vorüber; seine Heiligkeit beruhte darauf, dass der Gott immer wieder an ihm im Gange der Zeiten großen Heiligen leibhaft erschienen war: Gautama, dem vorzeitlichen vedischen Seher und Stammvater vieler Brahmanengeschlechter, dem »tiger¬füßigen« Heiligen Vyaghrapada epischer Legende, und Patanjali, dem großen Yogalehrer im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrech¬nung. So stand der Tag für alle im Zeichen, ihn, den Gott, zu schauen: »Rudra«, den Furchtbaren, als »a-Rudra«, den Unfurcht¬baren, Gnädigen. Den »Gnädigen zu schauen« (a-Rudra-darshana), war die Losung des Tages mit Wallfahrten zu heiligen Bade
teichen voll entsühnenden Wassers, mit Tempelbesuch zu seinem Bilde im Lampendämmer der Cella und mit feierlichem Umgang, indem seine Erscheinung vorüberwandelnd Volk, Häuser und Straßen segnete.
===Ven¬kata Raman/Ramana Mahrshi war ein „Sandwichkind“===
Indien hat eine eigene Ansicht über die Rolle, die dem mitt¬leren von drei Brüdern zufallen kann. Der Älteste ist das zweite Ich des Vaters, seine leibhafte Wiedergeburt, bestimmt, seine Lebenslinie fortzusetzen, wie der Vater selbst die Reihe aller heimgegangenen Ahnen im Licht des Lebens fortsetzt. Er wird dem Vater und allen Vorvätern einst mit Ahnenopfern die Dankes¬schuld seines Daseins abzahlen, wie dieser es jetzt tut, und damit den Toten die Nahrung spenden, deren sie zu ihrem Fortleben in der Väterwelt bedürfen. Die unsichtbare Verwandtschaft hat in Gestalt ihres greifbaren jüngsten Vertreters, des Vaters, Be¬schlag auf den Ältesten gelegt. Der Jüngste gehört der Mutter, er hält sich an sie, wie sie ihn umklammert hält, um dieses letzte Stück ihrer selbst zuletzt und spät an die Mächte des Lebens weg¬zuschenken, Der Mittlere aber ist keinem der Eltern so elementar verbunden, ist dem Bann der Familie, der heischenden Gewalt des Bluts minder untertan, Das bedeutet Freiheit und Preisgegebensein in einem.
Der mittlere Sohn Sundaram Ayyars gab als Kind durch keine besonderen Zeichen seine Berufung zum Heiligen, Lehrer oder Vorbild zu erkennen. Venkata-Raman besuchte drei Jahre lang die Volksschule in Tiruchuzhi, danach ein Jahr in Dindigul, dann kam er nach Madura auf die höhere Schule, Damit geriet er in den Kreis der christlichen Mission, zuerst in der Scotts Middle School, dann der American Mission High School. Inzwischen war — viel zu früh für ihn — sein Vater gestorben. Ein Onkel in Madura hatte die beiden älteren Söhne in seine Familie auf genom¬men und sorgte für ihre Ausbildung; der ältere Bruder ging ins College.
===Venkata-Raman’s Schulzeit===
Venkata-Raman war kein hervorragender Schüler; augenschein¬lich fiel ihm das Lernen leicht, aber er fand keine besondere Be¬ziehung zum Lernstoff. Oft kam er unvorbereitet in die Schule; aber wenn er andere die Tageslektion aufsagen hörte, fasste er schnell so viel davon auf, wie nötig war, um vor dem Lehrer zu bestehen. Sport und Spiele schienen ihm mehr zu sagen: im Ringen und Boxen, beim Schwimmen, Wettlauf und Turnen stand er seinen Mann. Sein gesunder Körper war wohl entwickelt, seine Kraft und Geschicklichkeit imponierten auch größeren Jungen und verschafften ihm allseitige Achtung. Diese leibliche Wohlgeraten¬heit ward nachmals die unerlässliche Grundlage für die schweren Belastungsproben seiner strengen Askese und half ihm zur Meiste¬rung alles Leiblichen in Yoga.
Mit dem Sanskrit und der heiligen Überlieferung des Hinduis¬mus bis zu den ehrwürdigen Veden und Upanishads hinauf, die sich mit seiner Kenntnis erschließt, machte er keine Bekanntschaft.
Die selbstverständliche Atmosphäre shivaitischer Frömmigkeit um¬gab ihn, ohne Besonderes in ihm zu wecken; die Bibelstunden der Missionsschulen schienen ihm so wenig zu sagen wie den meisten Hinduknaben und glitten offenbar so spurlos an ihm ab wie der übrige Lernstoff. Immerhin muss sich ihm die Vorstellung des väter¬lichen Gottes dort eingeprägt haben, die der Gestalt Shivas wie anderer Götter des Hinduismus in ihrem Verhältnis zu den Men¬schen völlig fremd ist; sie wurde zum Leitwort des Vaterlosen, als er, zu sich selbst erwacht, aufbrach und Haus und Familie verließ, um als heimatloser Pilger Gott zu suchen.
===Der Klang aus Arunachala verkündet Venkataraman ein neues Leben===
Der erste Bote aus der Welt seines künftigen Lebens kam zu ihm nach Madura Ende November 1895: in Gestalt eines älteren Verwandten aus Tiruchuzhi, der gerade von einer Wallfahrt heim¬kehrte. »Wo kommst du her?« fragte der Junge den Älteren, — »von Arunachala« war die Antwort. »Arunachala« hat in den Ohren frommer Hindus Südindiens einen hohen Klang; ein bekannter Spruch stellt den Ort den heilig¬sten Wallfahrtsplätzen Indiens gleich, ja höher als sie: »Wer Chi¬dambaram schaut, wer in Tiruvarur geboren wird, wer in Benares stirbt, und wer nur an Arunâchala denkt, wird sicher Erlösung finden.« Ein glorreich hingespreiztes Dreieck über der weiten Ebene, mit feierlich gedehnten Hängen, ragt »Arunachala«, der »Berg (achala) des Morgenrots (aruna)«, in die Leere des Himmels. »Morgenrot«, nach indischer Anschauung männlich gedacht, als Wagenlenker des Sonnengottes, schwebt dem strahlenden Tages¬gestirn auf der Deichsel seines Achtgespanns hockend vorauf, wenn es täglich sich über dem Berge erhebt. Zu Füßen des Berges liegt Tiruvannamalai mit seinem Riesentempel: ein Viereck langgestreckter Mauern, von himmelhohen Torpyramiden überragt, ein Götterpalast, aus Himmelswelten den Menschen als Gnadenort zur Erde herabgesenkt; seine pyramidalen Bauten, von himmlischen Gestalten wimmelnd, sind wie erhabene Stiegen von der Erde zu höheren und immer reineren Sphären der Überwelt.
Der Name »Arunachala«, dem Knaben geläufig, aber ohne er¬regenden Inhalt, fiel wie mit einem neuen Klang in seine Seele, — »wo ist das?« fragte er begierig und erhielt zur Antwort: »kennst du Tiruvannamalai nicht? Das ist Arunachala.« — Es blieb einst¬weilen ungreifbar, welche Wurzeln die beiden Namen in seiner Seele schlugen, und welches Bild und Ziel aus diesem Keim er¬wuchs. Ein paar Monate später fiel das »Periya-Purana« dem Knaben in die Hände, das volkstümlichste Legendenbuch der Tamil-Literatur vom Anfang des 12. Jahrhunderts. Sein Onkel hatte sich das Buch geliehen, und Venkata-Raman verschlang die Geschichten der dreiundsechzig großen Heiligen des Tamil-Landes, die ihr Leben in glühender Gottesliebe zu Shiva verbrachten, wie ein Märchen¬buch, Die Vorwelt seiner Ahnen griff nach ihm mit diesem ersten frommen Buch, das abseits der Schullektüre ihm zuhanden kam, und füllte sein Herz mit den alten Glaubenskräften, die seine Heimat, Bäume und Berge, Tempel und Teiche belebend, über die Zeiten hin genährt haben in einsamer Inbrunst häuslichen Kults und innerer Schau, in Pilgerschaft und Gesang, und in festlicher Andacht entzückter Menge. Er wusste nicht, in was er tauchte und versank, und als er, am Ende des Buches angelangt, es aus der Hand legte, umfing ihn wieder die Oede der Schule und ein gleich¬gültiger Alltag.
===Venkataramanas plötzlicher Lebenswandel===
1896, als er siebzehn Jahre alt war, überkam ihn das große Erwachen. Viel später hat er seinen gläubigen Schülern auf ihr inständiges Fragen davon erzählt, und sie haben seinen Bericht mit ihren Worten aufgezeichnet:
»Es war etwa sechs Wochen, ehe ich Madura verließ, um nicht zurückzukehren, dass der große Wandel in meinem Leben eintrat. Das geschah ganz plötzlich. Eines Tages saß ich allein in einem Raum des ersten Stocks im Hause meines Oheims, Ich fühlte mich frisch und wohl wie gewöhnlich. Ich muss überhaupt bemerken, dass ich nur selten krank war. Mein Schlaf war tief. 1891, als ich in Dindigul zur Schule ging, sammelten sich eine Menge Menschen nahe bei dem Hause, in dem ich schlief, und wollten mich mit ihrem Geschrei aufwecken; sie schrien und klopften an die Tür: — um¬sonst, Sie mussten hereinbrechen und mich heftig schütteln, um mich aus meiner Starre aufzuwecken. Dieser tiefe Schlaf spricht eher für meine gute Gesundheit. Ich hatte auch Anfälle von Däm¬merzuständen im Halbschlaf bei Nacht, Arglistige Spielkameraden, die sich hüteten, mich unter Tags zu necken, wenn ich wach war, stahlen sich nachts zu mir, wenn ich schlief, weckten mich, schleppten mich rings um den Spielplatz der Schule, schlugen mich, pufften mich, trieben ihren Mutwillen mit mir und brachten mich wieder in mein Bett zurück, — und die ganze Nacht über ließ ich sie mit einer Sanftheit, Demut und Nachsicht gewähren, die mir ganz fern lagen, wenn ich wach war. Aber diese Anfälle mach¬ten mich nicht schwach oder lebensunfähiger und konnten nicht als Leiden gelten.
Eines Tages also saß ich allein und fühlte mich keineswegs schlecht, — da packte mich jäh und unzweideutig der Schrecken des Todes. Ich fühlte, ich müsse sterben. Warum ich das fühlte, lässt sich durch nichts, was ich in meinem Körper empfand, er¬klären. Ich konnte es mir auch nicht erklären, Aber ich bemühte mich auch gar nicht, herauszufinden, ob meine Todesangst be¬gründet sei. Ich fühlte einfach: ,ich muss jetzt sterben' und über¬legte sofort, was ich tun solle. Ich dachte nicht daran, einen Arzt
oder Verwandte oder gar Fremde zu fragen. Ich fühlte: diese Frage musste ich selber lösen, hier und jetzt, auf der Stelle.
Dieser Schreck der Todesangst wandte mich nach innen. Ich sagte innerlich zu mir selbst, ohne einen Laut zu sprechen: ,jetzt ist der Tod da. Was hat das zu bedeuten? Was ist das: Sterben? Mein Leib hier stirbt.' Sogleich fing ich an, meine Sterbeszene zu spielen. Ich streckte meine Glieder lang und hielt sie steif, als wäre die Todesstarre eingetreten, Ich ahmte einen Leichnam nach, um meinem weiteren Erforschen den äußeren Schein der Wirk¬lichkeit zu leihen, hielt den Atem an, schloss den Mund und hielt die Lippen fest aufeinander gepresst, dass mir kein Laut entfahren konnte. Lass nicht das Wort ,Ich' oder irgendeinen Laut dir ent¬schlüpfen! — ,Gut', sprach ich dann zu mir selber, ,dieser Leib ist tot. Starr, wie er ist, werden sie ihn zur Leichenstätte tragen; dort wird er verbrannt und wird zu Asche. Aber wenn er tot ist, — bin dann ,Ich' tot? Ist der Leib ,Ich'? — Dieser Leib ist stumm und dumpf. Aber ich fühle alle Kraft meines Wesens, sogar die Stimme, den Laut ,Ich' in mir, — ganz losgelöst vom Leibe. Also bin ich ein ,Geistiges', ein Ding, das über den Leib hinausreicht. Der stoffliche Leib stirbt, aber das Geistige, über ihn hinaus, kann der Tod nicht anrühren. Ich bin also ein todlos Geistiges.'
All das aber war nicht bloß ein Vorgang in meinem Denken, es stürzte als lebendige Wahrheit in Blitzen auf mich ein: ich ward es unmittelbar gewahr, ohne Überlegen oder Folgern. ,Ich' war ein höchstes Wirkliches, das einzige Wirkliche in diesem Zu¬stande, und alles bewusste Geschehen, das an meinem Leibe hing, war darauf versammelt. Dieses ,Ich' oder mein ‚Selbst' blieb von diesem Augenblick an mit allmächtiger Anziehungskraft im Brenn¬punkt meiner wachen Aufmerksamkeit, Die Furcht vor dem Tode war ein für allemal vergangen, Dieses Verschlungensein ins ,Selbst' hat von jener Stunde an bis heute nicht aufgehört, Andere Vor¬stellungen und Gedanken mögen kommen und gehen wie viele Töne einer Musik, aber dieses Ich dröhnt als Grundbass fort, der sie alle begleitet und sich mit ihnen verbindet. Ob mein Körper mit
Sprechen, Lesen oder sonst etwas befasst war, immer blieb ich auf dieses ,Ich 'versammelt.
Vor dieser Wandlung hatte ich keine klare Erfahrung von meinem Selbst, ich war nicht bewusst darauf gerichtet. Ich empfand kein unmittelbares merkliches Interesse daran, geschweige denn eine dauernde Verfassung, darin zu verweilen, Die Folgen meiner neuen Einstellung wurden bald an meiner veränderten Lebens¬weise sichtbar,
Zunächst verlor ich den Rest von Interesse, den ich noch an Freunden und Verwandten, an meinem Lernen und dergleichen hatte, ganz; — ich arbeitete nur mehr mechanisch. Ich nahm wohl ein Buch zur Hand und starrte auf die aufgeschlagenen Seiten, um meinen Angehörigen die Genugtuung zu geben, ich lerne; — aber mein Sinn war ganz woanders, wirklich weit weg von so ober¬flächlichen Dingen wie Lernen. Im Umgang mit Verwandten und Freunden entwickelte ich Ergebenheit, Sanftmut und Gleichgültig¬keit, Wenn mir früher im Kreis der anderen Jungen eine lästige Arbeit zugefallen war, beklagte ich mich wohl zuweilen über die ungerechte Einteilung; wenn andere Jungen mich aufzogen, gab ich ihnen Widerrede oder drohte ihnen, um mich selbst zur Geltung zu bringen. Wenn einer seinen Mutwillen mit mir treiben oder sich etwas herausnehmen wollte, brachte ich ihm geschwind bei, er sei bei mir an den Falschen geraten, Das alles hatte sich jetzt gründ¬lich verändert: allen unangenehmen Arbeiten, allen Neckereien und schlechten Späßen begegnete ich mit Sanftmut, Das frühere Wesen, das darunter litt und sich dagegen zur Geltung brachte, war verschwunden. Ich ging nicht mehr mit meinen Freunden aus zu Sport und Spiel, und blieb lieber mir selber überlassen. Ich saß viel ganz für mich allein, besonders in der Haltung, die sich zum Meditieren eignet, machte die Augen zu und verlor mich in die alles in sich saugende Sammlung auf mich selbst, auf das Geistige, den Strom oder die bannende Macht (âvesha), die mein Selbst ausmachte. Daran hielt ich fest, trotzdem mich mein älterer Bruder ständig verhöhnte und mich spöttisch einen ,Erleuchteten'
(jnanin) oder ,höchsten aller Yogin' (yogishvara) nannte und mir den Rat gab, mich in den tiefsten Dschungel zurückzuziehen, wie die heiligen Seher der Vorzeit (rishi) taten, Alle Vorliebe oder Abneigung in Essensdingen war mir vergangen; was ich bekam: lecker oder schal, gut oder unfrisch, schluckte ich, ohne auf Ge¬schmack, Geruch oder Güte zu merken.
Ein anderer Zug meiner verwandelten Lebensweise war die Rolle, die der große Tempel der Göttin Minakshi (die ,Fischäugige') und ihres Gemahls (Shiva-) Sundareshvara für mich zu spielen begann, Bis dahin suchte ich ihn nur selten auf und in Gesellschaft von Freunden, betrachtete die Figuren, zeichnete meine Stirn mit heiliger Asche und Zinnober und kehrte nach Hause zurück, ohne sonderlich etwas dabei empfunden zu haben'. Seitdem ich aber zu meinem neuen Leben erwacht war, ging ich fast jeden Abend zu dem Tempel, Ich ging allein und stand in langem Verweilen vor dem Bilde Shivas oder der Minakshi oder vor dem tanzenden Shiva (Nataraja) und vor den Bildern der dreiundsechzig Heiligen. Wellen der Rührung und tiefen Ergriffenheit fluteten über mich hin. Mein Geist hatte den Halt (alambana), den er bislang am Körper gehabt hatte, fahren gelassen, seit er die Vorstellung ab¬gestreift hatte: ,ich bin der Leib' oder ,der Leib ist mein Selbst und mein Wesen' (deha-atma-buddhi), Mein Geist verlangte daher nach einem neuen Halt; darum ging ich häufig in den Tempel, und meine Seele floss in Strömen von Tränen über. Dies war das Spiel des Höchsten Wesens (isvara) mit meiner einzelnen Seele. Ich stand vor dem Höchsten Wesen, dem Walter des Alls und aller Geschicke, dem Allwissenden, Allgegenwärtigen, und betete zu¬weilen, seine Gnade möge auf mich herniedersteigen, dass meine glühende Hingabe wüchse und so unablässig würde wie die Hin¬gabe der dreiundsechzig Heiligen. Meist betete ich aber gar nicht, sondern ließ die Tiefe in mir strömen und überströmen hinaus in die Tiefe außer mir. Tränen waren das äußere Zeichen dieses Überströmens der Seele; sie deuteten auf keinen Schmerz, keine Freude besonderer Art.
=== mit 17 Jahren erleuchtet===
Ich war nicht dem Leben gram. Ich wusste nichts vom Leben und hatte keine Ahnung, dass es voll Kummer sei, Ich hatte kein Verlangen, dem Ring der Wiedergeburten zu entgehen und Er¬lösung zu suchen, und Freisein von Leidenschaften (vairagya) und Seligkeit zu erlangen. Ich hatte nur das ,Periya-Purana' gelesen, Lektionen in der Bibel und Stücke aus dem ,[[Devaram]]' , Meine Vorstellung von Gott oder Ishvara, dem Höchsten Herrn, wie ich das unendliche, aber personenhafte Göttliche nannte, war ungefähr wie man sie in der heiligen Überlieferung der Puranas findet. Ich hatte damals noch nichts von Brahman gehört, dem überpersönlich gestaltlos Göttlichen Einen, das als einzig Wirkliches hinter und in allen Erscheinungen steht, nichts von Sansara, dem endlosen Kreislauf durch Geburten und Tode, und anderes dergleichen. Ich hatte keine Idee, dass es ein wesenhaft Wirkliches gebe hinter und über allem, und daß ich selbst und der Höchste Herr (ishvara) beide nichts anderes seien als eben es. Als ich später in Tiru¬vannamalai zuhörte, wie die ,Ribhu-Gita' und ähnliche heilige Texte vorgelesen wurden, griff ich diese Dinge auf und entdeckte, daß diese Bücher benannten und zergliederten, was ich zuvor un¬willkürlich gefühlt hatte, ohne es benennen oder zergliedern zu können. In der Sprache dieser Bücher könnte ich den Zustand, in dem ich mich nach meinem Erwachen befand, als ,gereinigtes Gemüt' (shuddham manas) oder ,Erkenntnis' (vijnana) bezeichnen: als die Intuition des Erleuchteten,«
Sich vorstellen, dass man schon tot ist, vielmehr vom Schauer dieser Gewissheit überfallen sein, — was ist dann noch schwer? Eine stille Kraft, die allem standhält, ist allein übrig, in sich leuch¬tend wie eine Kerzenflamme steil in unbewegter Luft, und sie fragt Tod und Leben: »wen oder was willst du treffen? diesen Leib? — er ist tot ... — dieses Ich? — sein Schein hat sich aufgelöst. Alle Schrecken und Bitternisse, vor denen die Kreatur sich bäumt, sind schon voraus geschmeckt und abgetan.« Die durchgestandene Einverleibung des Todes befähigt zu einem höheren Leben. Das Ich, das überall als Vehikel und als Widerstand im Wege ist, hat sich zerlöst. Die reine innere Erfahrung hat alle Erfahrung der Welt, alle Beziehung zur Welt verwandelt, Keine Worte sind dar¬über zu verlieren; aber eine Kraft ist aufgestanden, still, unver¬sieglich, allem gewachsen. Da man gestorben ist, so ist man todlos, unsterblich. Alles Mögen und Nichtmögen fällt dahin. Willigkeit zu allem, Bereitschaft, Lasten zu tragen, Gleichmut zum Schwer¬sten sind an ihre Stelle getreten, Das Fragezeichen des Daseins hat sich aufgelöst; alles Äußere ist nur ein immer anderes Wie, das nicht an einen herankommt. Die Reihe der Reize wie der Widerstände für dieses Wie wechselnder Situationen ist über¬wunden. Man ist geschlechtslos geworden, »Sterben«, — spricht einer, der durch diese Erfahrung gegangen ist, — »sterben kann ich nicht. Das habe ich schon hinter mir, wie einer das Rindsein und Jungsein.« Wie alle Lasten gewichtlos werden, wächst ein ahnendes unwillkürliches Verstehen der Umgebung: sie wird durch¬sichtig. Ein physiognomisches Durchschauen der Gestalten und Gebärden ringsum stellt sich ein, ein Sinn für die umfassende »signatura rerum« der Erscheinungen, da das trübende Ich nicht mehr verwölkend zwischen dem ursprünglichen Blick und die Welt tritt. Dem Verwandelten bleibt nichts stumm, seine Teilnahm¬losigkeit ist allem offen; gleichsam durchlässig geworden, hat er intuitiv an allem teil.
Venkata-Ramans Erleuchtung, dass er den Schauer des Todes ergriff, statt zurückzubeben, ihn vollzog und durchdrang, war eine
unwillkürliche »meditatio mortis«, wie sie der Kernpunkt vieler alter Einweihungen ist, im alten Ägypten wie in Griechenland. Die Nachtmeerfahrt auf der Barke des Osiris durch die Häuser der Unterwelt zur Wiedergeburt als neue Sonne im verwandelten Tag, wie Apulejus sie als Einweihungsmysterium in seinem Roman beschreibt, ist das bekannteste Zeugnis des Altertums; das »Me¬mento mori« als einziger Laut und Gruß der Brüder von La Trappe in der Friedhofstille ihrer Klöster, wo alle in ihren Särgen zu schlafen pflegen, ist die unheimlichste »meditatio mortis« christ¬licher Askese. Venkata-Raman gelang die »meditatio mortis« ganz unwillkürlich; aber wie er, lang hingestreckt, den Leichnam und seine Starre spielte, vollzog er unbewusst eine alte autosuggestive Meditationsübung des Hathayoga: das »shava-asana«, die »Körper¬stellung als Leichnam«, die zum alten Bestande indischer Askese gehört. Shivaitische Asketen sind angewiesen, auf Leichenver¬brennungsplätzen zu meditieren und auf Leichnamen sitzend sich mit der Vorstellung des Todes zu durchtränken, um kraft des Er¬lebens der Vergänglichkeit von Leib und Ich zum Unvergänglichen in sich selbst und allen Erscheinungen durchzudringen. Eine ähn¬liche, weniger drastische »meditatio mortis« wird im Buddhismus geübt. »Alle Liebe zur Weisheit« — nämlich die »Philosophie«, — lehrten die Griechen, »ist Besinnen des Sterbens.« Durch die un¬mittelbare Antwort seines Wesens auf den jähen Schauer des Todes hatte Venkata-Raman in einem Blitz von Erleuchtung den Weg der Weisheit und des Yoga beschritten, ja hatte ihn in einem einzigen Sprunge bis an sein Ziel durchmessen.
===Beschlussfassung am Hausaufgabentisch===
So war er noch nicht von Hause fort und eigentlich schon am Ziel: der Welt verlorengegangen und grenzenlos gleichgültig gegen den Leib und alles, was aus der greifbaren Sphäre sich vor die Tore der Sinne drängen mochte. Die tiefsten Kräfte indischen Wesens langten nach ihm aus seinem Innersten, ihre Stimme er¬weckte ihn aus Kindheitsschlaf und Alltagstraum, und begierig folgte er ihrem Ruf in die Tiefe, die entrückt und verwandelt, wer in sie zu tauchen vermag, um in ihrer kristallenen Schärfe und
Lauterkeit an ihm wegzuschmelzen, was nicht ihresgleichen ist, und dem kristallenen Kern, der in sie taucht, das ursprünglich reine Licht wiederzugeben, in dem er sich selber erleuchtet.
Venkata-Ramans wachsende Selbstversunkenheit entging seiner Umgebung nicht; die zunehmende Vernachlässigung seiner Schul¬pflichten weckte die Mißbilligung seiner Lehrer, der ältere Bruder und der Oheim hielten mit ihrem Tadel nicht zurück. Seine völlige Gleichgültigkeit trieb einer äußeren Entscheidung zu, Sie fiel am Vormittag des 29, August 1896, als er zu Hause über einer Straf¬arbeit sitzen mußte; er hatte eine Lektion aus Bains englischer Grammatik, in der er dank innerer Teilnahmlosigkeit wieder ein¬mal gründlich versagt hatte, dreimal abzuschreiben, Er schrieb sie zweimal ab; als er über der dritten Abschrift saß, ging es nicht mehr weiter, — er packte Buch und Schreibheft zusammen und schob sie beiseite, richtete sich kerzengerade in Yogihaltung auf, schloß die Augen und versank in innere Betrachtung.
Sein Bruder, der im selben Zimmer arbeitete und all die letzte Zeit mit seiner Mißbilligung nicht zurückgehalten hatte, brach bei diesem Gebaren unmutig aus: »Warum soll einer all das haben, wenn er sich benimmt wie du?« — Venkata-Raman hörte seine Worte und gab ihm schweigend recht: was sollten ihm Schule und Familie, das Leben, das ihn umgab, mit seinen Forderungen und Aussichten, wenn er sich nur beflisse, — er öffnete die Augen und erhob sich: er wollte fort, — nach Arunâchala, und das sogleich.
==Aufbruch nach Tiruvannamalai zum Berg Arunachala==
Dem Bruder sagte er, daß er um zwölf zu einer Physikstunde in der Schule sein müsse, es ginge über Elektrizität, — »Dann vergiß nicht, die fünf Rupees Gebühren für mich im College zu bezahlen«, rief der Bruder ihm nach. Er ging ins Erdgeschoß, ließ sich von seiner Tante die fünf Rupees geben, schlang hastig einen Bissen hinunter und studierte auf einem veralteten Atlas, wo Tiruvannamalai liege, Die Bahnlinie, die bei Villupuram von der Hauptstrecke abzweigend ihn geradewegs bis ans Ziel gebracht hätte, war erst vier Jahre alt und noch nicht auf der Karte ver¬zeichnet. So merkte er sich Tindivanam als nächste Bahnstation,
überschlug, daß drei Rupees für die Fahrt ausreichen möchten, und behielt sie, Die zwei übrigen legte er zu Büchern seines Bruders und fügte einen Zettel bei, der sein Verschwinden er¬klärte. Auf dem Zettel stand:
Ich bin auf der Suche nach meinem Vater und in Erfüllung seines Gebots von hier weggegangen, Dieser begibt sich nur auf ein edles Unterfangen. Daher soll sich niemand über dieses Ereignis betrüben. Wendet kein Geld auf, diesem nachzu
forschen, Somit
Deine Collegegebühr ist noch nicht bezahlt. Beiliegend zwei Rupees.
Ein letztes Wort ohne Unterschrift. Er konnte nicht mehr mit seinem Namen unterzeichnen, setzte statt dessen ein paar Striche: da war kein Ich mehr, das sich mit seinem Namen als Person be¬zeichnen konnte, Dieser leibhafte Venkata-Raman, der fortging, war ja nicht er selber, war nicht sein Selbst, war nur ein Dieser oder Jener, ein Leib, ein Er, von dem sich bloß in dritter Person berichten ließ, dieser habe sich auf ein edles Unterfangen begeben, und man solle diesem nicht nachforschen. Am Eingang der Zeilen drängt sich noch einmal ein »Ich« mechanisch in die Feder. Aber es ist ausgeronnen, eine Zeile weiter verschwimmt es mit einem fernen Jemand, der den Schreiber so wenig angeht, wie er die be¬kümmern sollte, die versucht sein möchten, seinen verlorenen Spuren nachzugehen,
Venkata-Raman eilte zur Bahn und nahm einen Zug nach Norden. Im Abteil versank er in sich selbst und verbrachte die Fahrt gleichgültig gegen das Gespräch der Mitreisenden wie gegen die abwechslungsreiche, malerische Landschaft, die an den Fenstern vorüberzog. Ein Muslim mit silbergrauem Bart, ein »Mulavi«, der sich in frommer Ueberlieferung auskannte und eine angeregte Unterhaltung über Lehren und Leben verschiedener Heiliger führte, fand an dem stummen Brahmanenknaben Gefallen, fragte ihn nach
dem Ziel seiner Fahrt und sagte, er reise auch nach Tiruvanna¬malai, So erfuhr Venkata-Raman, daß er mit der Bahn bis ans Ziel hätte kommen können, aber seine Fahrkarte war falsch, und der Rest Geld, der ihm geblieben war, langte nicht mehr hin. Der Zug kam gegen Abend nach Trichinopoly; Venkata-Raman fuhr aus seiner Versunkenheit auf und spürte plötzlich, daß er recht hungrig sei, Er kaufte sich zwei Birnen, hatte aber kaum von der einen gegessen, als er nicht mehr mochte; sein Hunger war weg. Zu Hause hatte er herzhaft zugelangt; jetzt genügte ein Nichts, ihn satt zu machen. Zwischen Schlaf und Versunkenheit erreichte er mit der Bahn um drei Uhr morgens Villupuram und stieg aus. Er strich durch die morgenleeren Straßen und suchte die Richtung nach Tiruvannamalai, kannte sich aber nicht aus. Der frische Mor¬gen machte ihn hungrig; er landete vor einem Gasthof, fragte nach Essen, wurde aber auf Mittag vertröstet, So saß er nieder und verlor sich alsbald in die innere Stille, die ihn allmächtig in sich sog. Als er nach dem Essen dem Wirt zwei Annas als Zahlung bot, fragte der den schlanken Brahmanenknaben, der ohne Ge¬päck gekommen war, wieviel Reisegeld er bei sich führe, und als der sagte »zweiundeinhalb Annas«, wollte er nichts von ihm nehmen.
Venkata-Raman ging wieder zur Bahn und nahm eine Karte, soweit sein Geld reichte. In Mamabalapattu mußte er wieder aus dem Zuge und beschloß, den Rest der Strecke bis Tiruvannamalai zu wandern, Am Abend erreichte er den Tempel von Arayani¬Nallur, erschöpft vom ungewohnten Marsch über Land unter der glühenden Augustsonne. Er wartete vor dem Torturm, bis die Tempeltür geöffnet wurde, trat in die große Pfeilerhalle, die nicht so dunkel wie der übrige Tempel schien, setzte sich nieder und versank in innere Betrachtung. Hier überfiel ihn ein jähes Gesicht: einen Augenblick lang schien die Halle von strahlendem Licht überrieselt, und er fuhr empor. »Das ist die Erscheinung des Gottes«, dachte er und tastete sich zur inneren Cella vor, um zu sehen, ob der Schein vom Bilde der Gottheit herstrahlte, Er fand die Cella
in tiefem Dunkel liegen, das Licht kam nicht vom Bilde; so kehrte er zu seinem Platz zurück und versank aufs neue in sich selbst. In seiner Entrücktheit ward er nichts von der Abendfeier des Gottes gewahr und schrak erst auf, als der Tempelkoch rief: »Wer ist da in der Halle? Komm heraus! Ich muß den Tempel schließen.« Venkata-Raman kam heraus und bat um etwas Essen, »Hier ist kein Essen für dich«, war die Antwort. »Laß mich wenigstens hier bleiben«, bat er; aber der Priester sagte: »Hier darf keiner bleiben,«
===Zwischenstopp in Kilur===
So schloß sich Venkata-Raman den übrigen an, die aus dem Tempel heimkehrten, und kam nach Kilur; dort, sagten sie ihm, bekäme er vielleicht zu essen, wenn die nächtliche Feier des Gottes vorüber sei. Aber während der Priester dort die »Pûjâ« des Gottes vollzog, fiel er wieder in Entrückung, Als alles zu Ende war und der Priester sich zu gehen anschickte, mußte er ihn aus seiner Versunkenheit aufrütteln. Venkata-Raman bat ihn um Essen; aber der Priester wies ihn ab. Da sagte der Mann, der die Tempel¬trommel rührte und der die ganze Zeit über seine tiefe Andacht gewahrt hatte: »Gib ihm mein Teil.« So nahm er den Teller Reis und folgte dem Manne zu dessen Haus, um Wasser zu trinken. Aber während er auf das Wasser wartete, fiel er in Schlaf; ja, er muß im Schlafe weitergewandert und vor Erschöpfung umgefallen sein. Als er nach einer Weile wieder zu sich kam, fand er sich ein Stück weiter weg am Wege liegen, den Reis am Boden ver¬schüttet und Leute um sich stehen, die ihn verwundert betrachte¬ten. Er raffte den Reis auf, aß etwas davon und schlief auf der¬selben Stelle ein.
===Venkataramana verkauft seine Ohrringe für die Weiterfahrt zum Arunachala===
Am anderen Morgen wußte er nicht recht, wo er war, und kannte sich wieder mit den Wegen nicht aus. Er beschloß, auch den Rest mit der Bahn zu fahren; dazu brauchte er aber Geld. Er nahm seine beiden goldenen Ohrringe ab, die, mit Rubinen ge¬schmückt, wohl zwanzig Rupees wert waren, und beschloß, sie zu Geld zu machen, Aber wie und bei wem? Vor einem Hause, das ihm richtig schien, bat er um Essen, — nichts Ungewöhnliches für einen Brahmanenknaben, der, wenn er seine Schülerzeit bei einem
Guru verbringt, täglich seinen Bettelgang durch den Ort macht. Zudem war dieser Montag, der 31. August, ein heiliger Tag: die Geburtsfeier des Heilandskindes Krishna (Gokulâshtamî), bei der die Frommen die festlichen Opfergaben des Hausaltars, nachdem sie der Gottheit dargebracht sind, an Bettler und Kinder zu ver¬schenken pflegen, Es war das Haus Muthukrishna Bhagavatars, und der Junge wurde an die Hausfrau gewiesen, Sie war erfreut, daß er an diesem Tage, der dem göttlichen Knaben heilig war, vor ihre Türe kam, und nötigte ihm ein reichliches kaltes Mahl auf, obwohl er schon nach dem ersten Bissen keinen Hunger mehr spürte, Dann kam ihr Mann ins Spiel. Venkata-Raman bot ihm seine Ohrringe an; der Einfachheit halber erzählte er, sein Gepäck sei ihm unterwegs abhanden gekommen, und er brauche vier Rupees, um weiterzureisen, Bhagavatar fand das Gold und die Rubine der Ohrringe echt und nahm keinen Anstand, dem feinen und gewandten Brahmanenjungen, der den Schmuck seines Standes verpfänden mußte, aus einer Augenblicksverlegenheit zu helfen. Er nahm die Ringe und gab ihm das Geld, ließ sich die Zahlung quittieren, notierte sich Venkata-Ramans Adresse und gab ihm einen Schein über die Ringe, die der Junge auf der Rückreise abzuholen versprach.
Bhagavatar und seine Frau waren fromme Hindus und glaub¬ten, was die heilige Ueberlieferung sie lehrte; so betrachteten sie jeden Ankömmling als eine willkommene Erscheinung Vishnus selbst, zumal am heiligen Tage seiner Geburt als Erlöser Krishna, Sie boten ihrem Gast nicht bloß ein Mittagsmahl, sondern packten ihm noch Süßigkeiten, die sie als Opfergabe zur Feier des Gottes bereitet hatten, als Wegzehrung ein, ohne sie zuvor dem Gotte dargebracht zu haben, Venkata-Raman eilte zur Bahn. Kaum aus dem Hause, zerriß er die Quittung über die Ringe. Er nächtigte am Bahnhof, nahm in der Frühe den ersten Zug und war eine Stunde später am Morgen des 1. September am Ziel seiner Fahrt.
==Ankunft am Arunachala==
Vor ihm der göttliche Berg »Morgenrot« — Arunâchala — im Morgenlicht, zu seinen Füßen der riesige Tempel, und darin das
Göttliche noch einmal greifbar anwesend, das ihn zuinnerst er¬füllte, seit er zu sich selbst erwacht war und den Weg zu ihm im Riesentempel von Madura gefunden hatte, Das gleiche Göttliche noch einmal in ihm als sein Selbst: ständige Gegenwart, Licht in sich selber und Quell reinen Seins, in den zu tauchen und zu ver¬sinken er nicht mehr satt wurde, wo er ging und stand, — hier kam er nun, und alle drei, die eines waren, fanden einander.
===Arunachalas zentrale Bedeutung in Maharishis Leben===
Diese Begegnung, die ohne Ende blieb, bildete den Inhalt seines Daseins und den Sinn des Beispiels, das sein lebenslanges Ver¬weilen an dieser Stätte allen Frommen gab, die sich später in wachsender Schar verehrend zu seinen Füßen sammelten, ohne daß er nach ihnen ausgeschaut hätte oder ihnen zu wehren ver¬mochte. Viele Jahre später hat er die Bedeutung seiner Einkehr zur Gottheit Arunâchala in einigen Hymnen umrissen, — am ent¬schiedensten in den »Acht Strophen« auf den Berg Morgenrot, Gott und das Selbst (Shri-Arunâchala-ashtakam) :
»Vernimm! — Es steht reglos als Berg da. Sein Wirken ist geheimnisvoll, über menschliches Begreifen hinaus. Seit Kinder¬tagen strahlte es in mein Gemüt, daß der Berg Morgenrot unver¬gleichlich an Hoheit sei; aber als ein anderer mir sagte, er sei das¬selbe wie Tiruvannamalai, begriff ich nicht, was es bedeutete. Als er mich an sich zog und mein Gemüt mit Stille füllte, und ich ihm nahe kam, sah ich: er stand unbewegt.
,Wer ist der Sehende?' — so forschte ich in mir, und da be¬merkte ich, wie der Sehende verschwand und was danach übrig¬blieb. Keine Regung stand in mir auf, die sprach: ,ich sah', — wie konnte der Gedanke aufstehen: ,ich habe nicht gesehen?' — Wer hat die Macht, mit Worten zu künden, was du in alten Tagen mit deiner Gnadengestalt schweigend verkündigen konntest? Nur um in Schweigen dein überweltliches Sein zu künden, stehst du als Berg und strahlst vom Himmel zur Erde.
Wenn ich dir nahe und dich betrachte als gestaltiges Wesen, stehst du als Berg auf der Erde. Wenn einer mit seinem Gemüt nach deiner wahren Gestalt forscht, die gestaltlos ist, gleicht er
einem, der über die Erde hin wandert und schaut nach dem all¬gegenwärtigen Himmelsraum aus, Ohne Regung in deinem grenzen¬losen Wesen verweilen, heißt sich selber verlieren, wie eine Puppe aus Zuckerzeug, die ins Meer der Süße fällt: sie löst sich darin auf. Erlebe ich, was ich wirklich bin, — was ist dann mein Wesen anderes als du, der du als Berg der Morgenröte ragend ruhst?
Wer auszieht, Gott zu suchen, und nicht um dich weiß als Sein und reines Innesein, gleicht einem, der mit der Lampe aus¬zieht, das Dunkel zu suchen. Nur damit du dich selbst als Sein und reines Innesein zu erkennen gebest, weilst du unter vielen Namen und Gestalten in vielen Glaubenslehren. Und wenn die Menschen doch nicht dazu gelangen, dich zu erkennen, so sind sie wie Blinde, die die Sonne nicht sehen. O großer ,Berg Morgenrot', Juwel ohne¬gleichen, wohne in mir und leuchte als mein Selbst, du Eines, neben dem nichts Zweites wirklich ist!
Du durchdringst alle Wesen und Offenbarungen, wie die Schnur die Juwelen, die an ihr aufgereiht sind. Wie ein Juwel ge¬schnitten und geschliffen wird, will das unreine Gemüt am Schleif¬rad des reinen Gemüts geläutert sein, um seiner Flecken ledig zu werden; dann nimmt es das Licht deiner Gnade an und strahlt wie ein Rubin, dessen Feuer kein Ding von außen berühren kann. O gnädiger und blendender ,Berg Morgenrot', — gibt es etwas außer dir?
Du bist du selber: das Eine Sein, immer gewahr als das Herz, in seinem eigenen Lichte leuchtend. In dir ist eine geheimnisvolle Kraft (shakti), die außer dir nichts ist, Von ihr geht die geister¬hafte Erscheinung des Gemüts aus und sendet heimliche feine dunkle Nebel aus; sie werden vom Licht deines Gewahrseins an¬gestrahlt und erhellt, das ihre spiegelnde Fläche auffängt und zurückstrahlt. Davon erscheinen sie im Innern als Vorstellungen, die in den Strudeln und Schnellen des Karman umeinander wirbeln, sich zu seelischen Wirklichkeiten entwickeln und nach außen ge¬tragen werden als eine stoffliche Wirklichkeit der äußeren Welt: von den nach außen gehenden Sinnen vergrößert, bewegen sie sich
wie Bilder eines vorüberlaufenden Films, Sichtbar oder unsichtbar, o Berg der Gnade, sind sie nichts ohne dich!
Ist keine Ich-Regung da, so ist auch keine andere Regung da. Steigen andere Regungen auf, so frage: ,wem kommen sie?' — und die Antwort ist: ,mir'. — Wenn einer dann nicht abläßt zu fragen: ,woher steht das Ich auf?' und einwärts taucht und die Stätte des Gemüts, das Herz, erreicht, der wird der höchste Herr¬scher im Schatten des einzigen Sonnenschirms königlicher Größe, 0 uferloses Meer der Gnade und des Lichts, ,Berg Morgenrot' geheißen, du tanzest regungslos im Hof meines Herzens! Dort ist nicht länger Traum noch Wachen, noch irgendein Zweierlei von Innen oder Außen, Recht und Falsch, Geburt und Tod, Lust und Leid oder Licht und Dunkel,
Die Wasser steigen aus dem Meer als Wolken auf und strömen als Regen hernieder und eilen in Strömen wieder zum Meer: nichts kann sie aufhalten, zu ihrem Ursprung heimzukehren. So steht die Seele (jîva) auf aus dir und ist nicht aufzuhalten, sich wieder mit dir zu vereinen, auch wenn sie auf dem Weg zu dir in vielen Wirbeln kreisen muß, Der Vogel hebt sich von der Erde auf und schwingt sich in den Himmel, aber findet nirgends in der Luft, wo er rasten mag: so muß er wieder zur Erde kehren. So müssen alle den Weg zurückfinden, und wenn ihre Seele heimfindet zu ihrem Ursprung, versinkt sie in dir und geht in dir auf, o ,Berg des Morgenrots', du Meer der Seligkeit!«
Der einfachen und wunderbaren Wirklichkeit dieser Verse, die er in der Lust und Stille innigster Selbstversenkung immer neu ertauchen sollte, ging er entgegen, als er am Morgen des 1. Sep¬tember von der Bahn in den großen Tempel eilte, Die weiten Baulichkeiten, dreifach von langen Mauern umschlossen und ge¬gliedert, von den Tortürmen wie Himmelsleitern überragt, standen schon offen und waren noch menschenleer, Er drang ungesäumt bis zur innersten Cella vor und verweilte andächtig vor dem Sinn¬bild des Göttlichen: Shivas Lingam aus Stein, das wie aus stein¬zeitlicher Verehrung ewiger Mächte zeitlos im Dämmer ragte.
Dann ging er fort und hat diesen Raum erst nach drei Jahren wieder betreten, Eingeweiht durch sich selbst, durch kein Buch belehrt, durch keinen Lehrer zu magischer Wiedergeburt geführt, trat er lautlos in den Stand der schweigenden Asketen (muni), der heimatlosen Bettelpilger (pârivrâjaka), die nach dem Motto leben:
»Wozu sich um ein Lager mühen, — ist doch die Erde da? Wozu Kissen, — hast du doch deinen Arm?
Wozu viele Schüsseln, — hast du doch die hohle Hand? Und wozu kostbare Seidengewänder, — gibt es doch Bast
und Baumrinde?
Liegen nicht Kleiderfetzen am Wege,
Und bieten dir Bäume nicht mildtätig Speise?
Sind die Ströme, die andere tränkten, versiegt?«
Er ging an einem Teich vorüber und warf das Bündel mit den Süßigkeiten, die er als Wegzehrung erhalten hatte, hinein: »Was soll ich diesem toten Klotz — dem Leibe — Süßes bieten?« — Dann sprach ihn einer an, der bei den täglich wechselnden vielen Gesichtern der Wallfahrer einen Blick dafür haben mochte, was für ein Vogel da neu zugeflogen sei: »Willst du kahl geschoren sein?« — »Ja«, sagte der Junge und tauchte alsbald wieder aus einem Barbierladen mit dem kahlen Kopf des Bettelmönchs auf. Den schönen, duftenden Wildwuchs des Haupthaares aufzuopfern, ist die Abschiedsgebärde an die vegetativen Kräfte des eigenen Leibes, der Erde und der ganzen Welt, um einzugehen in den Stand asketischer Weltüberwinder. Venkata-Ramans dichter, schwarzer Lockenschopf war zu seiner hellen Hautfarbe und dem hübschen Gesicht in Dindigul wie Madura ein Teil seines jugendlichen Charmes; er opferte ihn so unbedenklich wie bewußt im Stil ge¬heiligter Uebung, wie jener Prinz aus dem Shâkyageschlecht zwei¬einhalb Jahrtausende vor ihm auf seinem Wege zur Erleuchtung als Buddha, am Morgen seines nächtlichen Auszuges aus der Heimatwelt, nachdem er seinen einzigen Begleiter mit dem Leib¬roß als Boten seines Weltverzichts heimgesandt hatte. Die bud¬dhistische Legende und Kunst hat den entscheidenden Augenblickdieses weltgeschichtlich gewordenen Weltverzichts immer wieder gefeiert: wie der »werdende Buddha« (bodhisattva), am anderen Ufer des Flusses angelangt, in selbstgewählter Einsamkeit das Schwert zog, sich den Schopf abschnitt und samt dem prinzlichen Diadem ins strömende Wasser warf, wie er seine fürstliche Klei¬dung abstreifte, um dafür das rotgelbe Bettelgewand eines Asketen der Wildnis einzutauschen. So riß Venkata-Raman sein Kleid in Fetzen und behielt nur einen Streifen um die Lenden; er warf den Rest Geld weg, den er noch hatte: dreieinhalb Rupees. Er rührte nie wieder Geld oder Besitz an, und was er an Gaben empfing und von gebefreudiger Verehrung aufgedrängt erhielt, verteilte er augenblicklich an seine Umgebung.
==Literatur==
*Der Weg Zum Selbst von Heinrich Zimmer, Rascher Verlag Zürich, 1944, 1. Auflage
==Siehe auch==
*[[Heinrich Zimmer]]
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Version vom 10. August 2013, 17:17 Uhr

Ramana Maharshi (Sanskrit: रमण महर्षी Ramaṇa Maharṣī m.) indischer Weiser des 20. Jahrhunderts (1879 - 1950). Er verwies den Fragenden immer wieder auf sich selbst. Er empfahl , sich immer wieder zu fragen: "Wer bin ich?". Bekanntheit im Westen erlangte Ramana Maharshi durch den Schriftsteller Paul Brunton, der ihn in seinem Buch "Yogis - Verborgene Weisheit Indiens" beschreibt.

Zusammenfassung

Ramana Maharshi erblickte unter dem Namen Venkataraman am 30.12.1879 in Tiruchuli, Tamil Nadu, das Licht der Welt. Seine religiösen Neigungen bewegte ihn dazu sich bereits in jungen Jahren in Tempeln aufzuhalten. Er gewann viele sportliche Wettbewerbe, die er mit seinen Freunden ausführte. Nach dem Studium des "Periya Puranam" spürte er eine tiefe Verbindung zu den darin erwähnten 63 tamilischen Heiligen und Weisen. Im Alter von 17 Jahren hatte er eine außergewöhnliche Erfahrung aufgrund einer Panikatacke, die ihn aus heiterem Himmel bei bester Gesundheit überkam. Er legte sich auf den Boden, hielt den Atem an und verweilte in Stille um zu sterben. Dabei erkannte er die Unberührbarkeit des transzendenten Geistes durch den Tod. Trotz dieser überwältigen Erfahrung führte er sein Leben nach außen hin unverändert fort bis er sechs Wochen später plötzlich seine Familie verließ. Auf einem Zettel, den er ließ stand "Sorgt Euch nicht um mich und sucht bitte nicht nach mir". Ramana begab sich zum Tempelbezirks von Arunachala, eines heiligen Berges in Tiruvanamalai. An diesem Ort der Verkörperung Shivas (aus hinduistischer Sicht) verweilte er bis zum Verlassen seines Körpers im Jahr 1950. Venkataramana entsagte sich allen materiellen Gütern, inklusive seiner Haare, bis auf einen Lendenschurz. Unbeeindruckt von Parasiten, die sich an seinen Beinen ausbreiteten, meditierte er in Trance in einer kleinen Zelle. Später wurde er von Sadhus an einen anderen Platz gebracht, danach verweilte er in Meditation in Berghöhlen. Er bekam den Namen Bhagavan Shri Ramana Maharshi (Bhagavan, Shri=Ehrentitel; Ramana=Ableitung von Venkataramana:"der geliebte (Gott) von Venkata" [1]) von Gelehrten, die zum kleinen Kreis seiner Anhängerschaft gehörten, welche sich langsam um ihn bildete. Diese erkannte, dass ihm eine einzigartige Verwirklichung innewohnt. Dieser Name sollte ihn als den geliebten Gott und großen Seher des Venkatas, einem heiligen Berg Tirupatis, ehren. Zunächst war er für die Menschen ohne viele Worte eine große Inspiration. Seine Ausstrahlung reichte weit und seine Kraftübertragung in Stille war äußerst beeindruckend. Um ihn herum bildete sich ein Ashram. Er war ein frei zugängliches Mitglied der Gemeinde und er beteiligte sich teilweise auch an einfachen Tätigkeiten. Seine Popularität nahm zu und es kamen Pilgerscharen um ihn aufzusuchen. Er beantwortete Besucherfragen in einer zentral gelegenen kleinen Halle des Ashrams. Die aufgezeichneten Gespräche stellen neben ein paar Sanskritübersetzungen von Shankara und ein paar kurzen Texten seine einzigen Schriften dar. Maharshi war ständig im spirituellen Selbst verankert und so kreisten die Konsultationsthemen wiederkehrend um die Frage "Wer bin ich?", die sich über die Intellektuelle Hülle hinaus bewegten. Er betonte stets das wahre Bewusstsein als innerer Kern des Selbst. Seine Verehrung als Guru ließ er zwar zu, lehnte jedoch jegliche seinerseitige Bezeichnung als solcher oder auch nur als Lehrer kategorisch ab. Ununterbrochen stellte Maharshi mit seiner enormen Ausstrahlung eine Personifizierung von Atman dar. Westliche Prominente wie Arthur Osborne (Schriftsteller) oder Henri Cartier Bresson (Fotograf) kamen zu ihn in den Ashram um sich von ihm inspirieren zu lassen. Cartier Bresson wurde auch Zeuge eines Naturphänomens als Bhagavan Shri Ramana Maharshi am 14. April 1950 um 20:47 Uhr Mahasamadhi erreichte. Henri befand sich mit ein paar Freunden draußen vor Maharshis Haus, dessen gesundheitlicher Zustand äußerst schlecht war. Am Himmel erblickten sie einen außerordentlich hell aufleuchtende Sternschnuppe, die sich langsam mit einem Schweif über den Himmel bis zum Gipfel des Arunachalas fortschritt und dahinter verschwand. Allen Beteiligten war sofort gegenwärtig dass dieses Ereignis eine mächtige Bedeutung hatte. So schauten sie auf die Uhr und eilten in den Ashram und sahen dass Maharshi soeben seinen Körper zurück gelassen hatte. Maharshi betonte stets die mit dem Ego einhergehnde Illusion im Gegensatz zu der unveränderlichen immerwährenden Wirklichkeit. Die Selbstverwirklichung ist von Natur aus vorhanden, worum man sich kümmern muss ist die Klärung der Illusion.

Ramana Maharshi's Mahasamadhi (Englisch)

Siehe auch

Literatur