Das Erbe der indischen Kultur - Kapitel 2 - Die Vision der wahren Religion: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Das Erbe der indischen Kultur - Kapitel 1 - Die Vision von Indien''' - Diese Vortragsreihe mit dem Titel Das Erbe der indischen Kultur wurde von [[Swami Krishnananda]] im Laufe von acht Sonntagabend-[[Satsang]]s im Jahr 1980 gehalten. Hier bringt Swami Krishnananda die Vision Indiens ans Licht, die die Gesamtheit der verschiedenen Manifestationen des Lebens sieht und das Eine in den vielen visualisiert, und wie dies für unser heutiges Leben von Bedeutung ist.
'''Das Erbe der indischen Kultur - Kapitel 2 - Die Vision der wahren Religion''' - Diese Vortragsreihe mit dem Titel Das Erbe der indischen Kultur wurde von [[Swami Krishnananda]] im Laufe von acht Sonntagabend-[[Satsang]]s im Jahr 1980 gehalten. Hier bringt Swami Krishnananda die Vision Indiens ans Licht, die die Gesamtheit der verschiedenen Manifestationen des Lebens sieht und das Eine in den vielen visualisiert, und wie dies für unser heutiges Leben von Bedeutung ist.


© Divine Life Society
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=== Inhalt ===
=== Die Vision der wahren Religion ===


Die in Indien gepflegte Lebensanschauung wurde Darshana oder Wahrnehmung der Wahrheit genannt, deren Stimmungen und Manifestationen je nach den verschiedenen Graden und Erfordernissen der praktischen Existenz der Menschen angenommen wurden. Nichts in der Welt ist mehr missverstanden worden als die Religion, denn wie sehr sich der menschliche Geist auch bemüht, religiöse Werte als dauerhaft zu betrachten, so ist es ihm doch irgendwie gelungen, sich dem Zugriff der praktischen Bewertungen des Lebens zu entziehen und eine isolierte und zukünftige Errungenschaft zu bleiben, die das Weltliche vom Geistlichen getrennt hat. Sogar im britischen Parlament gibt es die Lords Spiritual und Lords Temporal, das Oberhaus und das Unterhaus, wobei das Oberhaus aus geistlichen und das Unterhaus aus weltlichen oder weltlichen Führern besteht. Normalerweise ist es schwierig, eine Annäherung zwischen Vision und Leben herbeizuführen; und wenn Indien um irgendetwas gerungen hat, das der Mühe wert ist, dann ist es nichts anderes als diese Harmonie zwischen Vision und Leben. Die begriffliche Wahrnehmung und die innere  
Die in Indien gepflegte Lebensanschauung wurde [[Darshana]] oder [[Wahrnehmung]] der [[Wahrheit]] genannt, deren Stimmungen und Manifestationen je nach den verschiedenen Graden und Erfordernissen der praktischen Existenz der Menschen angenommen wurden. Nichts in der Welt ist mehr missverstanden worden als die Religion, denn wie sehr sich der menschliche Geist auch bemüht, religiöse Werte als dauerhaft zu betrachten, so ist es ihm doch irgendwie gelungen, sich dem Zugriff der praktischen Bewertungen des Lebens zu entziehen und eine isolierte und zukünftige Errungenschaft zu bleiben, die das Weltliche vom Geistlichen getrennt hat. Sogar im britischen Parlament gibt es die Lords Spiritual und Lords Temporal, das Oberhaus und das Unterhaus, wobei das Oberhaus aus geistlichen und das Unterhaus aus weltlichen oder weltlichen Führern besteht. Normalerweise ist es schwierig, eine Annäherung zwischen Vision und Leben herbeizuführen; und wenn Indien um irgendetwas gerungen hat, das der Mühe wert ist, dann ist es nichts anderes als diese Harmonie zwischen Vision und Leben. Die begriffliche Wahrnehmung und die innere  
Verwirklichung wurden als wesentliche Determinanten der täglichen Lebensabläufe erkannt.
Verwirklichung wurden als wesentliche Determinanten der täglichen Lebensabläufe erkannt.


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Aber die Theologie der Hindus - die religiöse Vision Indiens, könnte man sagen - hat etwas anderes zu sagen, wenn es um die Zyklen der Zeit geht, die ihrer Ansicht nach die Lebensbedingungen sehr stark bestimmen. Man spricht von den vier Yugas - Krita Yuga, Treta Yuga, Dvapara Yuga, Kali Yuga. Das Zeitalter der Wahrheit, Satya oder Vollkommenheit wird Krita Yuga oder Satya Yuga genannt. Es ist das Jahrtausend, das goldene Zeitalter der völligen Harmonie und des höchsten Friedens. Bhishma sagte, dass es im Krita Yuga keine Regierung gab, und vielleicht wird dies auch von Sri Krishna im elften Skanda des Srimad Bhagavata erwähnt. Es gab keine Schriften, und es gab keine Lehrer der Religion. Es gab keine Verwaltung, denn jedes Individuum war sozusagen ein Kristall, der jeden anderen Kristall der Individualität widerspiegelte, so dass sich alles in allem widerspiegelte. Es gab keine hartgesottene Isolation unserer physischen Umhüllung, wie wir sie heute kennen. Die Menschen waren sozusagen wie Spiegel - reines Glas, Kristall -, die ihre Anwesenheit in allem, was in ihrer Nähe war, spüren konnten. Dieser Zustand des Lebens erforderte natürlich keine äußere Kontrolle oder Anordnungen.
Aber die Theologie der Hindus - die religiöse Vision Indiens, könnte man sagen - hat etwas anderes zu sagen, wenn es um die Zyklen der Zeit geht, die ihrer Ansicht nach die Lebensbedingungen sehr stark bestimmen. Man spricht von den vier Yugas - Krita Yuga, Treta Yuga, Dvapara Yuga, Kali Yuga. Das Zeitalter der Wahrheit, Satya oder Vollkommenheit wird Krita Yuga oder Satya Yuga genannt. Es ist das Jahrtausend, das goldene Zeitalter der völligen Harmonie und des höchsten Friedens. Bhishma sagte, dass es im Krita Yuga keine Regierung gab, und vielleicht wird dies auch von Sri Krishna im elften Skanda des Srimad Bhagavata erwähnt. Es gab keine Schriften, und es gab keine Lehrer der Religion. Es gab keine Verwaltung, denn jedes Individuum war sozusagen ein Kristall, der jeden anderen Kristall der Individualität widerspiegelte, so dass sich alles in allem widerspiegelte. Es gab keine hartgesottene Isolation unserer physischen Umhüllung, wie wir sie heute kennen. Die Menschen waren sozusagen wie Spiegel - reines Glas, Kristall -, die ihre Anwesenheit in allem, was in ihrer Nähe war, spüren konnten. Dieser Zustand des Lebens erforderte natürlich keine äußere Kontrolle oder Anordnungen.
Ein Bedürfnis nach äußerer Kontrolle entsteht, wenn das, was kontrolliert werden soll, nicht weiß, wie es sich gegenüber anderen zu verhalten hat. Wenn ein bestimmtes Individuum oder eine Gruppe von Individuen das Ziel, auf das sich die gesamte Menschheit zubewegt, aus den Augen verliert, entsteht das Bedürfnis, die Bewegung dieses abweichenden Teils der Menschheit zu regulieren, und dann entsteht das Bedürfnis nach einem Regierungssystem.
Die Epen und Puranas erzählen uns, dass dies der Beginn des Treta Yuga war. 
In einigen Puranas, wie z. B. dem Vayu Purana, werden uns so fantastische Dinge über die Bedingungen im Krita Yuga oder Satya Yuga erzählt, dass wir uns fragen, ob solche Dinge überhaupt möglich sein können. Es war nicht nötig, das Land zu bearbeiten, da die Ernte von selbst zu wachsen schien. Die Menschen starben nicht vorzeitig. Es gab keine Gerichtshöfe, weil es keinen Streit und keine Meinungsverschiedenheiten unter den Menschen gab; es gab keine Gerichtshöfe, keine Anwälte des Rechts, keine gesetzlichen Erlasse, kein System von Ethik oder Moral. All dies war in einem Reich der Werte, in dem alles bis ins Mark perfekt war, fehl am Platz. Die Sonne schien, wie sie scheinen sollte, und der Regen fiel, wie er fallen sollte. Solche entrückenden Visionen werden uns in einigen Abschnitten der Puranas gegeben.
Die Dinge verschlechterten sich, und dann brauchten die Menschen einen Herrscher. Der Beginn des Verwaltungssystems ist eine Geschichte, die von verschiedenen Menschen auf unterschiedliche Weise erzählt wird. Die großen Metaphysiker des Westens, wie z. B. Hegel, sind der Meinung, dass das Bedürfnis nach Harmonie in der politischen Verwaltung durch die Widerspiegelung des Absoluten im Besonderen entsteht. Das ist eine hochphilosophische Lesart des Wirkens politischer Regierungen im Leben des Menschen, und es liegt auch viel Wahrheit in dieser Meinung. Das Bedürfnis nach Harmonie ist das Bedürfnis nach einer Regierung, weil jedes Individuum einen chaotischen Zustand der Existenz ablehnt, ein Leben, das jeder Beziehung zu anderen beraubt ist. Wenn jemand etwas im Leben liebt, dann sind es Harmonie und Ordnung. Der Philosoph ist der Meinung, dass das Bedürfnis nach Ordnung im Leben die Widerspiegelung Gottes im Menschen ist. 
Gott ist die Vollkommenheit, das Absolute, die höchste Harmonie, die man sich vorstellen kann. Insofern sie eine ewige Gegenwart ist, ist sie auch in den verstreuten Einzelheiten, selbst in den weitesten abweichenden Bewegungen der physischen Individualitäten der Menschen, präsent. Selbst in den weitesten Abweichungen des menschlichen Individuums vom Zentrum der Wahrheit verlässt die Wahrheit das Individuum nicht; sie verfolgt es, wohin es auch geht. Gott ist selbst in den niederträchtigsten Individuen gegenwärtig, und das Absolute bewegt sich mit seinen Bejahungen selbst in den entferntesten Winkeln menschlicher Abweichung. Dies ist die philosophische Erklärung, die Hegel und andere für das Bedürfnis der Menschen nach politischer Sicherheit geben. Und es mag wahr sein, dass trotz dieses philosophischen Hintergrunds des Bedürfnisses der Menschen nach Verwaltungssystemen der empirische Beginn der Verwaltungskreise so gewesen sein könnte, wie Hobbes ihn beschreibt. Die Menschen setzten sich zusammen und kamen zu dem Schluss, dass es sinnlos ist, sich untereinander zu streiten, und dass sie daher eine Art Ordnung und System für ihr Dasein brauchten. Sie ernannten eine Autorität, die wir als Monarch oder eine Art Verwaltungsleiter bezeichnen können, der mit der Maschinerie zusammenarbeiten soll, die eingerichtet wurde, um die Ideale und Ideologien umzusetzen, die die Bestrebungen der Menschen und jeder Gruppe von Individuen sind.
Diese prosaische und vielleicht gröbste Form der menschlichen Not wurde nicht ignoriert. Die Artha Shastras des alten Indiens werden als ebenso wichtig angesehen wie die Moksha Shastras oder die anderen Wissenschaften, denn während Moksha die Befreiung des Geistes ist, wurde von den Weisen von einst bedacht, dass diese Befreiung allmählich erfolgt, indem die Knoten, einer nach dem anderen, vom niedrigsten zum höchsten gelöst werden. Dies war wirklich ein 
eine durchdringende Vision, die bis zum Kern der Lebensprobleme vordringt und es sich nicht leisten kann, irgendetwas zu ignorieren, das für diese Freiheit des Geistes, die das Endziel ist, von Bedeutung ist.
Doch mit der Degeneration der Zeit verschwamm die Vision allmählich und wurde leider durch die sinnlichen und egoistischen Behauptungen des Körpers verfälscht. Das Leben im Geist wurde irgendwie mit einer Vision der Zukunft identifiziert, und das praktische Leben wurde zu einer Angelegenheit der Gegenwart. Obwohl uns immer wieder gesagt wurde, dass das Ziel des Lebens eine ewige Gegenwart und nicht eine zukünftige Errungenschaft ist, vergisst man leicht die wichtige Beziehung, die zwischen praktischem Engagement und idealem Streben besteht, egal wie oft man uns diese Wahrheit sagt.
Wahrheitssucher, Yogaschüler und Religionsprediger können leicht den Fehler begehen, sich in die hohen Regionen der Ideologie zu erheben, was das Schicksal der Religion heute ist - nicht nur in Indien, sondern vielleicht überall. Entweder schreien wir im Namen Gottes, der nicht in dieser Welt ist, oder wir ignorieren Seine Existenz völlig. Mit dieser falschen Auffassung von Religion verbindet sich ein Geist falscher Entsagung, was leider zu der Kritik geführt hat, die indische Philosophie sei eine weltverneinende Ideologie. Doch das ist weit von der Wahrheit entfernt.
Eine degenerierte Lebensanschauung, die sich aus Gründen, die wir jetzt nicht untersuchen können, irgendwie vor dem menschlichen Auge abzeichnete, wurde zum Grund für diese nörgelnde Kritik. An jeder Kritik ist etwas Wahres dran, aber sie ist nicht ganz wahr. Wir können erkennen, dass die Wahrheit der Kritik in der
Tatsache liegt, dass wir immer auf 
Gottheit als etwas, das nichts mit unseren inneren Wünschen zu tun hat. Wir betrachten alle unsere Begierden als Teufel, als unheilige, satanische Triebe, und so kommen wir zu dem Schluss, dass Religion nichts anderes ist, als in Klöster zu eilen, eine Kapuze oder ein ockerfarbenes Tuch aufzusetzen und den Anblick der Welt zu fürchten. Wir haben eine Furcht vor der Wahrnehmung von Gegenständen und eine eigentümliche, abscheuliche, isolierte Haltung gegenüber den Dingen der Sinne, die zu dem geführt hat, was wir den Beruf oder die Berufung der Religiosität nennen.


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Version vom 24. Dezember 2023, 15:54 Uhr

Swami Krishnananda

Das Erbe der indischen Kultur - Kapitel 2 - Die Vision der wahren Religion - Diese Vortragsreihe mit dem Titel Das Erbe der indischen Kultur wurde von Swami Krishnananda im Laufe von acht Sonntagabend-Satsangs im Jahr 1980 gehalten. Hier bringt Swami Krishnananda die Vision Indiens ans Licht, die die Gesamtheit der verschiedenen Manifestationen des Lebens sieht und das Eine in den vielen visualisiert, und wie dies für unser heutiges Leben von Bedeutung ist.

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Die Vision der wahren Religion

Die in Indien gepflegte Lebensanschauung wurde Darshana oder Wahrnehmung der Wahrheit genannt, deren Stimmungen und Manifestationen je nach den verschiedenen Graden und Erfordernissen der praktischen Existenz der Menschen angenommen wurden. Nichts in der Welt ist mehr missverstanden worden als die Religion, denn wie sehr sich der menschliche Geist auch bemüht, religiöse Werte als dauerhaft zu betrachten, so ist es ihm doch irgendwie gelungen, sich dem Zugriff der praktischen Bewertungen des Lebens zu entziehen und eine isolierte und zukünftige Errungenschaft zu bleiben, die das Weltliche vom Geistlichen getrennt hat. Sogar im britischen Parlament gibt es die Lords Spiritual und Lords Temporal, das Oberhaus und das Unterhaus, wobei das Oberhaus aus geistlichen und das Unterhaus aus weltlichen oder weltlichen Führern besteht. Normalerweise ist es schwierig, eine Annäherung zwischen Vision und Leben herbeizuführen; und wenn Indien um irgendetwas gerungen hat, das der Mühe wert ist, dann ist es nichts anderes als diese Harmonie zwischen Vision und Leben. Die begriffliche Wahrnehmung und die innere Verwirklichung wurden als wesentliche Determinanten der täglichen Lebensabläufe erkannt.


Die Art und Weise, wie sich der Geist oder der religiöse Wert auf das praktische Leben auswirkt, hängt von der Art und Weise ab, in der sich das Leben selbst vor unseren Augen offenbart. Was ist Leben? Wenn wir wissen, was das Leben tatsächlich bedeutet, können wir auch eine Vorstellung davon bekommen, wie der Geist es beleben muss. Wenn das Leben ein Streben nach dem Geist ist, dann ist natürlich jeder Lebensvollzug ein solcher. Jede Berufung soll zu diesem Ziel führen.  Anerkennung des Geistes in den Lebensformen, und daher wird jede Lebensform zu einem Vehikel oder einem Tempel, in dem diese Gottheit des Geistes verankert ist.


Die kulturellen Werte dieses Landes entsprechen den Visionen aller Mystiker in der Welt. Diese erhabene Vision war nicht das Vorrecht der Menschen im alten Indien, denn große Männer gehören weder dem Osten noch dem Westen an; sie sind eine Kategorie für sich. Sie bilden auf ihre Weise eine Bruderschaft, und sie leben sozusagen in einem Reich der Ewigkeit. Wer die kulturellen Werte der Welt kennt, wer die Weltgeschichte - insbesondere die Kulturgeschichte - eingehend studiert hat, der weiß auch um die Ähnlichkeit, die zwischen den erhabenen Denkern aller Zeiten und Gegenden besteht und bestehen muss. Ob es nun Sokrates, Platon, Plotin oder Meister Eckhart im Westen oder Acharya Shankara, Sri Ramakrishna Paramahamsa, Ramana Maharishi oder Sri Aurobindo im Osten waren, macht keinen Unterschied. Sie sahen dasselbe mit ihren Augen, die innerlich, unbewegt und weit über die Begrenzungen der Visionen unserer fleischlichen Augäpfel hinaus waren.


Die Erscheinungsformen des Lebens sind die Vehikel, durch die sich der Geist manifestieren muss. Dies war die erste Erkenntnis der indischen Kultur und die Erkenntnis jeder wirklich wertvollen, beständigen Kultur. Wo der Geist abwesend ist, gibt es nur einen Leichnam. Das bedarf keiner großen Erklärung. Wenn es irgendeinen Bereich unseres Lebens gibt, der des Geistes beraubt ist, bleibt er ein Leichnam; er wird zerfallen, sich zersetzen, in Schutt und Asche zerfallen und nur noch eine Sache der Erinnerung sein. Jedes Glied des Körpers ist in uns mit der Prana- Shakti, der Lebenskraft, aufgeladen; deshalb gibt es keine  Es gibt keinen leblosen Teil in unserem Körper, denn der Geist durchdringt und durchdringt jeden Teil des Körpers. Ebenso muss das Leben, wenn es vom Geist des menschlichen Strebens im Allgemeinen durchdrungen sein soll, eine harmonische Vollkommenheit sein. Die großen Meister von einst in Indien - das Thema, mit dem wir uns hier befassen - haben die verschiedenen Erscheinungsformen und Verzweigungen des menschlichen Lebens betrachtet und ihre Lenden umgürtet, um dafür zu sorgen, dass der Fluss des Geistes durch die Kanäle des Lebens immerwährend aufrechterhalten wird, so dass Bharatiya samskriti zu sanatana samskriti wird.


Was sind die Wege, auf denen sich das Leben manifestiert? Unsere Bedürfnisse sind die Wegweiser zu diesen verschiedenen Zweigen des menschlichen Lebens. Das Leben manifestiert sich in verschiedenen Zweigen aufgrund der vom Menschen empfundenen Bedürfnisse, und das Verhalten des Menschen in den verschiedenen Richtungen seiner Wünsche und Bestrebungen kann als die verschiedenen Facetten seines Lebens bezeichnet werden. Wir haben ein Bedürfnis nach Sicherheit - ein Verlangen, das sich aus unserer Stellung als physische Endlichkeit ergibt, eine Tatsache, die ein forschender Verstand nicht vergessen hat zu bemerken. Das erhabene Streben nach Kontakt mit dem Höchsten Wesen übersah nicht den Scherbenhaufen, in den die menschliche Natur verstrickt ist, und die Schwächen, denen die menschliche Natur im Allgemeinen unterworfen ist - die Bedürfnisse, die die verschiedenen Aspekte der menschlichen Persönlichkeit nicht ignorieren können. So war es die Weisheit der Meister, die es für notwendig erachteten, das menschliche Leben in die verschiedenen Tätigkeitsbereiche einzuteilen, durch die die Bedürfnisse des Menschen in dem erforderlichen Maß erfüllt werden können.

Wir haben das Bedürfnis nach Schutz und Lebensunterhalt. Dieses Bedürfnis entsteht, weil wir unter vielen Menschen sind  Individuen; wir sind eine Gesellschaft von Menschen. Dies war die erste und wichtigste Vision, die jeder prosaischen Wahrnehmung zugänglich war, und da es Individuen mit ähnlichen Bestrebungen und Schwächen gibt, die in verschiedene Richtungen verstreut sind, ergibt sich die Notwendigkeit, eine harmonische Koordination zwischen den inneren Trieben der verschiedenen Arten von Individualitäten zu erreichen. Was ist Individualität anderes als die Bejahung eines Ichs - eine Behauptung des eigenen Selbst? Die Bejahung des eigenen Ichs steht natürlich im Konflikt mit den ähnlichen Bejahungen anderer Ichs, denn es ist unmöglich, in der Welt mit einem total selbstbejahenden Geist zu leben, der sich nicht um andere ähnliche bejahende Zentren kümmert.


Studenten und Historiker der Politikwissenschaft haben die Meinung vertreten, dass die Menschen ursprünglich in einem Naturzustand lebten, sozusagen wie wilde Tiere. Es gab keine Sicherheit für den Einzelnen, so wie es keine Sicherheit für die Tiere im Wald gibt. Welche Sicherheit, welchen Schutz, welche Absicherung gibt es für ein armes Reh im Dschungel? Jederzeit kann sich ein wildes Tier auf ihn stürzen. Welches Lebewesen, welches kriechende Insekt kann sich in Sicherheit wiegen? Das war einst der bedauernswerte Zustand des Menschen, sagt die Schule der Politikwissenschaft, die von Thomas Hobbes, einem großen politischen Denker Großbritanniens, geleitet wird. An seinen Worten muss etwas Wahres dran sein, und er vertritt diese Lehre, um uns zu erklären, wie Regierungen entstanden sind. Eine Meinung dieser Art wird auch von Bhishma im Raja-dharma-Abschnitt des Santi Parva des Mahabharata verkündet - in gewisser Weise ähnlich, wenn auch nicht identisch. Die Notwendigkeit von Herrschaft, Verwaltung oder Regierung ergab sich aus dem Bedürfnis der Menschen nach gegenseitiger Sicherheit.


Aber die Theologie der Hindus - die religiöse Vision Indiens, könnte man sagen - hat etwas anderes zu sagen, wenn es um die Zyklen der Zeit geht, die ihrer Ansicht nach die Lebensbedingungen sehr stark bestimmen. Man spricht von den vier Yugas - Krita Yuga, Treta Yuga, Dvapara Yuga, Kali Yuga. Das Zeitalter der Wahrheit, Satya oder Vollkommenheit wird Krita Yuga oder Satya Yuga genannt. Es ist das Jahrtausend, das goldene Zeitalter der völligen Harmonie und des höchsten Friedens. Bhishma sagte, dass es im Krita Yuga keine Regierung gab, und vielleicht wird dies auch von Sri Krishna im elften Skanda des Srimad Bhagavata erwähnt. Es gab keine Schriften, und es gab keine Lehrer der Religion. Es gab keine Verwaltung, denn jedes Individuum war sozusagen ein Kristall, der jeden anderen Kristall der Individualität widerspiegelte, so dass sich alles in allem widerspiegelte. Es gab keine hartgesottene Isolation unserer physischen Umhüllung, wie wir sie heute kennen. Die Menschen waren sozusagen wie Spiegel - reines Glas, Kristall -, die ihre Anwesenheit in allem, was in ihrer Nähe war, spüren konnten. Dieser Zustand des Lebens erforderte natürlich keine äußere Kontrolle oder Anordnungen.


Ein Bedürfnis nach äußerer Kontrolle entsteht, wenn das, was kontrolliert werden soll, nicht weiß, wie es sich gegenüber anderen zu verhalten hat. Wenn ein bestimmtes Individuum oder eine Gruppe von Individuen das Ziel, auf das sich die gesamte Menschheit zubewegt, aus den Augen verliert, entsteht das Bedürfnis, die Bewegung dieses abweichenden Teils der Menschheit zu regulieren, und dann entsteht das Bedürfnis nach einem Regierungssystem. Die Epen und Puranas erzählen uns, dass dies der Beginn des Treta Yuga war.  In einigen Puranas, wie z. B. dem Vayu Purana, werden uns so fantastische Dinge über die Bedingungen im Krita Yuga oder Satya Yuga erzählt, dass wir uns fragen, ob solche Dinge überhaupt möglich sein können. Es war nicht nötig, das Land zu bearbeiten, da die Ernte von selbst zu wachsen schien. Die Menschen starben nicht vorzeitig. Es gab keine Gerichtshöfe, weil es keinen Streit und keine Meinungsverschiedenheiten unter den Menschen gab; es gab keine Gerichtshöfe, keine Anwälte des Rechts, keine gesetzlichen Erlasse, kein System von Ethik oder Moral. All dies war in einem Reich der Werte, in dem alles bis ins Mark perfekt war, fehl am Platz. Die Sonne schien, wie sie scheinen sollte, und der Regen fiel, wie er fallen sollte. Solche entrückenden Visionen werden uns in einigen Abschnitten der Puranas gegeben. Die Dinge verschlechterten sich, und dann brauchten die Menschen einen Herrscher. Der Beginn des Verwaltungssystems ist eine Geschichte, die von verschiedenen Menschen auf unterschiedliche Weise erzählt wird. Die großen Metaphysiker des Westens, wie z. B. Hegel, sind der Meinung, dass das Bedürfnis nach Harmonie in der politischen Verwaltung durch die Widerspiegelung des Absoluten im Besonderen entsteht. Das ist eine hochphilosophische Lesart des Wirkens politischer Regierungen im Leben des Menschen, und es liegt auch viel Wahrheit in dieser Meinung. Das Bedürfnis nach Harmonie ist das Bedürfnis nach einer Regierung, weil jedes Individuum einen chaotischen Zustand der Existenz ablehnt, ein Leben, das jeder Beziehung zu anderen beraubt ist. Wenn jemand etwas im Leben liebt, dann sind es Harmonie und Ordnung. Der Philosoph ist der Meinung, dass das Bedürfnis nach Ordnung im Leben die Widerspiegelung Gottes im Menschen ist.  Gott ist die Vollkommenheit, das Absolute, die höchste Harmonie, die man sich vorstellen kann. Insofern sie eine ewige Gegenwart ist, ist sie auch in den verstreuten Einzelheiten, selbst in den weitesten abweichenden Bewegungen der physischen Individualitäten der Menschen, präsent. Selbst in den weitesten Abweichungen des menschlichen Individuums vom Zentrum der Wahrheit verlässt die Wahrheit das Individuum nicht; sie verfolgt es, wohin es auch geht. Gott ist selbst in den niederträchtigsten Individuen gegenwärtig, und das Absolute bewegt sich mit seinen Bejahungen selbst in den entferntesten Winkeln menschlicher Abweichung. Dies ist die philosophische Erklärung, die Hegel und andere für das Bedürfnis der Menschen nach politischer Sicherheit geben. Und es mag wahr sein, dass trotz dieses philosophischen Hintergrunds des Bedürfnisses der Menschen nach Verwaltungssystemen der empirische Beginn der Verwaltungskreise so gewesen sein könnte, wie Hobbes ihn beschreibt. Die Menschen setzten sich zusammen und kamen zu dem Schluss, dass es sinnlos ist, sich untereinander zu streiten, und dass sie daher eine Art Ordnung und System für ihr Dasein brauchten. Sie ernannten eine Autorität, die wir als Monarch oder eine Art Verwaltungsleiter bezeichnen können, der mit der Maschinerie zusammenarbeiten soll, die eingerichtet wurde, um die Ideale und Ideologien umzusetzen, die die Bestrebungen der Menschen und jeder Gruppe von Individuen sind. Diese prosaische und vielleicht gröbste Form der menschlichen Not wurde nicht ignoriert. Die Artha Shastras des alten Indiens werden als ebenso wichtig angesehen wie die Moksha Shastras oder die anderen Wissenschaften, denn während Moksha die Befreiung des Geistes ist, wurde von den Weisen von einst bedacht, dass diese Befreiung allmählich erfolgt, indem die Knoten, einer nach dem anderen, vom niedrigsten zum höchsten gelöst werden. Dies war wirklich ein  eine durchdringende Vision, die bis zum Kern der Lebensprobleme vordringt und es sich nicht leisten kann, irgendetwas zu ignorieren, das für diese Freiheit des Geistes, die das Endziel ist, von Bedeutung ist.


Doch mit der Degeneration der Zeit verschwamm die Vision allmählich und wurde leider durch die sinnlichen und egoistischen Behauptungen des Körpers verfälscht. Das Leben im Geist wurde irgendwie mit einer Vision der Zukunft identifiziert, und das praktische Leben wurde zu einer Angelegenheit der Gegenwart. Obwohl uns immer wieder gesagt wurde, dass das Ziel des Lebens eine ewige Gegenwart und nicht eine zukünftige Errungenschaft ist, vergisst man leicht die wichtige Beziehung, die zwischen praktischem Engagement und idealem Streben besteht, egal wie oft man uns diese Wahrheit sagt. Wahrheitssucher, Yogaschüler und Religionsprediger können leicht den Fehler begehen, sich in die hohen Regionen der Ideologie zu erheben, was das Schicksal der Religion heute ist - nicht nur in Indien, sondern vielleicht überall. Entweder schreien wir im Namen Gottes, der nicht in dieser Welt ist, oder wir ignorieren Seine Existenz völlig. Mit dieser falschen Auffassung von Religion verbindet sich ein Geist falscher Entsagung, was leider zu der Kritik geführt hat, die indische Philosophie sei eine weltverneinende Ideologie. Doch das ist weit von der Wahrheit entfernt. Eine degenerierte Lebensanschauung, die sich aus Gründen, die wir jetzt nicht untersuchen können, irgendwie vor dem menschlichen Auge abzeichnete, wurde zum Grund für diese nörgelnde Kritik. An jeder Kritik ist etwas Wahres dran, aber sie ist nicht ganz wahr. Wir können erkennen, dass die Wahrheit der Kritik in der Tatsache liegt, dass wir immer auf  Gottheit als etwas, das nichts mit unseren inneren Wünschen zu tun hat. Wir betrachten alle unsere Begierden als Teufel, als unheilige, satanische Triebe, und so kommen wir zu dem Schluss, dass Religion nichts anderes ist, als in Klöster zu eilen, eine Kapuze oder ein ockerfarbenes Tuch aufzusetzen und den Anblick der Welt zu fürchten. Wir haben eine Furcht vor der Wahrnehmung von Gegenständen und eine eigentümliche, abscheuliche, isolierte Haltung gegenüber den Dingen der Sinne, die zu dem geführt hat, was wir den Beruf oder die Berufung der Religiosität nennen.


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Siehe auch

Literatur

Seminare

Vedanta

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