Vaisheshika
Vaisheshika (Sanskrit: वैशेषिक vaiśeṣika adj., m. u. n.) besonders, spezifisch, eigentümlich; vorzüglich, hervorragend; ein Angehöriger des Vaiśeṣika genannten philosophischen Systems; eines der sechs klassischen Systeme der indischen Philosophie (Shaddarshana)
Das Vaiśeṣika, als dessen Begründer Kanada gilt, ist eine naturphilosophische Lehre zur Erfassung der natürlichen (materiellen) Phänomene, ähnlich den Naturwissenschaften der westlichen Traditionen. Es hat sich in den ersten vorchristlichen Jahrhunderten bis etwa 700 n. Chr. herausgebildet.
Die Schriften (vgl. das Vaisheshikasutra des Kanada) befassen sich mit materiellen Phänomenen und betrachten auch die Seele und Energieströme aus diesem Blickwinkel. Im Vordergund stehen logisch-naturwissenschaftliche und materialistische Lehren. Das Universum wird als Zusammenspiel von Atomen (Anu), Kräften, Naturgesetzen und Energien (Shakti) gesehen. Das Vaiśeṣika enthält grundlegende Kategorien des Erkennens, um zu einer geordneten Wahrnehmung des Kosmos zu gelangen. Ziel des Lebens: Vergnügen und Achtsamkeit gegenüber den Rechten und Bedürfnissen der Um- und Mitwelt.
Einführung
Stille Bewunderung für Kanada Rishi, den Begründer des Vaisheshika-Philosophiesystems. Rishi Kanada ist auch unter den Namen Aulukya und Kasyapa bekannt.
Das Vaiseshika System borgt seinen Namen von Vishesha oder Genauigkeit, die eine charakteristische Differenzierung der Dinge ist. Die Aphorismen von Kanada enthalten die Essenz der Vaiseshika-Philosophie. Das grundlegende Thema, welches darin behandelt wird, ist Visesha, eine der sechs Padarthas oder Kategorien, die vom Begründer aufgezählt werden.
Das Nyaya und das Vaiseshika
Das Vaiseshika und das Nyaya stimmen in ihren essenziellen Prinzipien überein, wie die Natur und den Qualitäten des Selbst und der atomaren Theorie des Universums. Das Vaiseshika ist ein Anhang des Nyaya. Das Vaiseshika hat, als sein Hauptziel, die Analyse von Erfahrung. Es beginnt damit, die Anfragen in Kategorien (Padarthas) einzuordnen, z.B. Aufzählen bestimmter Haupteigenschaften oder Attribute, die über existierende Dinge gesagt werden können. Es formuliert grundlegende Ideen, die auf bekannte Dinge zutreffen, ob durch Sinne oder Schlussfolgerung oder durch Autorität.
=Die Sinnsprüche von Kanada
Es gibt zehn Kapitel in Kanadas Buch. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der gesamten Gruppe von Padarthas oder Aussagen. Im zweiten Kapitel hat Kanada Substanz ermittelt. Im dritten Kapitel hat er eine Beschreibung über die Seele und den inneren Sinn gegeben. Im vierten Kapitel diskutiert er den Körper und seine Bausteine. Im fünften Kapitel erklärt er Karma oder Handlung. Im sechsten Kapitel betrachtet er Dharma oder Tugend gemäß den Schriften. Im siebten Kapitel beschreibt er Eigenschaften und Samavaya (Co-Anhaftung oder Kombination). Im achten Kapitel ermittelt er die Manifestation von Wissen, seine Quelle und so weiter. Im neunten Kapitel beschreibt er das spezielle oder konkrete Verständnis. Und, im zehnten Kapitel, hat er die Unterschiede der Eigenschaften der Seele beschrieben. Es gibt eine Aufzählung von Padarthas (Substanzen) am Anfang. Dann eine Definition. Dann eine Untersuchung oder Demonstration.
Dieses System ist hauptsächlich mit der Bestimmung der Padarthas beschäftigt und doch eröffnet Kanada das Thema mit einer Nachforschung über Dharma, weil Dharma die Wurzel des Wissens und die Essenz der Padarthas ist. Das erste Sutra lautet: Yatobhyudayanihsreyasa-siddhih sa dharmah—Dharma ist das, was das höchste Gut oder Moksha verherrlicht und erhöht (Ende des Schmerzes).
Die sieben Padarthas oder Kategorien
Padartha bedeutet wörtlich die Bedeutung eines Wortes. Aber hier kennzeichnet es eine Substanz, die in der Philosophie diskutiert wird. Ein Padartha ist ein Objekt, über das nachgedacht (Artha) und benannt (Pada) werden kann. Alle Dinge, die existieren, können wahrgenommen und benannt werden. Alle Objekte der Erfahrung sind Padarthas. Zusammengesetzte Substanzen sind abhängig und vergänglich. Einfache Substanzen sind ewig und unabhängig.
Die Padarthas des Vaiseshika sind folgende: (1.) Substanz (Dravya), (2.) Qualitäten oder Eigenschaften (Guna), (3.) Handlung (Karma), (4.) Allgemeingültigkeit von Eigenschaften (Samanya), (5.) Besonderheiten (Visesha), (6.) Co-Anhaftung oder immerwährende, innige Beziehung (Samavaya), und (7.) Nicht-Existenz oder Verneinung der Existenz (Abhava). Die ersten drei Kategorien von Substanz, Qualität und Handlung haben eine reale, objektive Existenz. Die nächsten drei, nämlich Allgemeingültigkeit, Besonderheit und Anhaftung sind logische Kategorien. Sie sind Produkte intellektueller Unterscheidung. Kanada zählte nur sechs Kategorien auf, die siebte wurde von späteren Schreibern hinzugefügt.
Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, Zeit, Raum, Seele und Geist sind die neun Dravyas oder Substanzen. Die ersten vier davon und das Letzte werden für atomar gehalten. Die ersten vier sind zugleich ewig und nicht ewig, nicht ewig in ihren verschiedenen Bausteinen und ewig in ihren letztlichen Atomen, zu denen sie zurückverfolgt werden müssen.
Der Geist ist eine ewige Substanz. Er durchdringt nicht alles wie die Seele. Er ist atomar. Er kann nur einen Gedanken nach dem anderen haben.
Es gibt siebzehn Qualitäten, die in den neun Substanzen innewohnen, nämlich: Farbe (Rupa) , Geschmack (Rasa), Geruch (Gandha), Berührung (Sparsa), Zahlen (Sankhya), Maße (Parimanani), Abgetrenntheit oder Individualität (Prithaktvam), Verbindung und nicht- Verbindung (Samyoga-vibhagam), Priorität und Nachwelt (Paratva-aparatva), Intellekt oder Verstehen (Buddhayah), Freude und Schmerz (Sukha-duhkha), Verlangen und Abneigung (Ichha-dvesha), und Willenskraft (Prayatnah). Von sieben anderen sagt man, dass sie impliziert werden, nämlich: Gravitation, Fließvermögen, Klebrigkeit, Fähigkeit, Verdienst, Fehler und Klang—das macht vierundzwanzig im Gesamten. Sechzehn dieser Qualitäten gehören zu materiellen Substanzen. Die anderen acht, nämlich Verständnis, Wille, Begehren, Abneigung, Freude, Schmerz, Verdienst und Fehler sind die Eigenschaften der Seele.
Die dritte Kategorie, Karma oder Handlung, besteht aus fünf Arten von Handlungen, nämlich: Erhöhung oder nach oben werfen, Kontraktion, Ausdehnung und Bewegung.
Die vierte Kategorie, Samanya oder Allgemeingültigkeit von Eigenschaften, ist zweifach, nämlich (1.) höhere und niedere Allgemeingültigkeit und (2.) die von Geschlecht und Spezies.
Die fünfte Kategorie, Visesha oder Besonderheit, gehört zu den neun ewigen Substanzen der ersten Kategorie, von denen alle einen ewigen, ultimativen Unterschied haben, durch die sie sich von den Anderen unterscheiden. Aus diesem Grund wird das System Vaiseshika genannt. Die sechste Kategorie, Samavaya oder Co-Anhaftung, ist nur von einer Art. Es ist die Co- Anhaftung zwischen einer Substanz und ihren Qualitäten, zwischen Geschlecht oder Spezies und seinen Individuen, zwischen jedem Objekt und der generellen Idee, die damit in Verbindung gebracht wird und von der als realem Wesen gedacht wird.
Es gibt vier Arten von Abhava, die siebte Kategorie, nämlich vorhergehende nicht-Existenz, Stillstand von Existenz, gegenseitige Nicht-Existenz und absolute Nicht-Existenz.
Wissen um die Padarthas sichert das höchste Gut
Wissen um die Padarthas ist das Mittel, um das höchste Gut zu erlangen. Das höchste Gut resultiert aus dem produzierten Wissen—durch ein spezielles Dharma—um die Essenz der Padarthas, durch die Mittel ihrer Ähnlichkeiten und Unterschiede.
Das Prinzip von Adrishta und seine Unzulänglichkeiten
Kanada bezieht sich nicht offen auf Gott in seinen Sutras. Sein Glaube war, dass die Entstehung der Welt ein Resultat von Adrishta war, der ungesehenen Kraft von Karma oder Handlungen. Er verfolgt die ursprünglichen Aktivitäten der Atome und Seelen auf das Prinzip von Adrishta zurück.
Die Anhänger Kanadas stellen sich Gott als die effiziente Ursache der Welt vor. Die Atome sind die materielle Ursache des Universums.
Die nicht denkenden Atome haben nicht die Macht und die Intelligenz, dieses Universum auf eine ordentliche Weise zu leiten. Sicherlich sind die Aktivitäten der Atome von einem allwissenden und allmächtigen Gott reguliert. Schlussfolgerung und Schriften zwingen uns dazu, Gott anzuerkennen.Was ist diese Intelligenz, die das Adrishta funktionieren lässt? Diese Intelligenz ist Gott. Die fünf Elemente sind Auswirkungen. Sie müssen von jemandem hervorgehen, der Wissen von ihnen hat. Dieser 'jemand' ist Gott. Und es muss einen Autor der Vedas geben. Die Inhalte der Vedas sind frei von Fehlern. Der Autor ist frei von Betrug. Er muss ein allwissendes Wesen sein.
The souls are destitute of intelligence in the state of dissolution. Hence they cannot control the activities of the atoms. There is no source of motion within the atoms. Therefore, there must be a first mover of the atom. That First Mover is the Creator or God.
Atomare Theorie des Universums
Im Vaiseshika System ist die Erschaffung der Welt vermutlich durch Anhäufung von Atomen ausgelöst. Diese Atome sind zahllos und ewig. Sie werden auf ewig angehäuft, aufgelöst und wieder zusammengesetzt durch die Kraft von Adrishta. Ein Atom wird als 'etwas existierendes, keine Ursache und ewig' definiert. Es ist weniger als das Letzte, unsichtbar, unteilbar, immateriell und durch die Sinne nicht wahrnehmbar. Jedes Atom hat ein Visesha oder eine ewige, eigene Essenz. Die Kombination dieser Atome ist zunächst eine Anhäufung von Zweien (Dvyanu, dyad). Drei von ihnen fügen sich dann zu einem Partikel zusammen, genannt Trasarenu (Triade), welche wie ein Staubkörnchen in einem Sonnenstrahl gerade groß genug sind, um wahrnehmbar zu sein.
Es gibt vier Klassen von Paramanus, nämlich Paramanus von Erde, Wasser, Feuer und Luft. Die individuellen Atome vereinen sich mit anderen und lösen sich nach einer Weile wieder auf.
Die Weltentstehung des Vaiseshika ist dualistisch im Sinne der Annahme ewiger Atome, die Seite an Seite mit ewigen Seelen existieren. Es hat sich nicht eindeutig zur exakten Beziehung zwischen Seele und Materie entschieden.
Körper und Seele
Der Körper ist subtil in Pralaya und grobstofflich in der Schöpfung. Zeit, Ort und Umstände der Geburt, Familie und die Lebensspanne werden alle vom Adrishta bestimmt. Die individuellen Seelen sind ewig, vielfältig, ewig unterschiedlich zueinander und unterschiedlich gegenüber Körper, Sinnen und Geist; und doch in der Lage zu Verständnis, Willensäußerung, Begehren, Abneigung, Freude, Schmerz, Verdienst und Fehler. Sie sind unendlich, allgegenwärtig und im gesamten Weltraum verstreut. Die Seele eines Menschen ist genauso in New York wie in Bombay, obgleich sie nur verstehen und fühlen kann, wo der Körper ist. Die Seele und der Geist sind nicht Objekte der Wahrnehmung. Die Seele ist im Zustand von Moksha oder Befreiung absolut frei von allen Verbindungen mit Eigenschaften. Sie gewinnt ihre Unabhängigkeit zurück.
Geburt, Tod und Erlösung
Verbindung der Seele mit Körper, Sinnen und Leben, geschaffen durch Dharma und Adharma wird Geburt genannt, und Disjunktion von Körper und Geist, von ihnen produziert, wird Tod genannt. Moksha besteht aus der nicht-Existenz der Verbindung mit dem Körper, wenn da, zur gleichen Zeit, kein potentieller Körper existiert und infolgedessen keine Wiedergeburt stattfinden kann.
Unfreiheit und Befreiung
Freude und Schmerz resultieren aus dem Kontakt von Seele, Sinnen und Objekt. Aus Freude entsteht Verlangen. Aus Vergnügen, abgeleitet von der Freude an Girlanden, Sandelholzpaste, Frauen und anderen Objekten, wird Raga oder Verlangen geschaffen, nacheinander für die Freuden ähnlicher Art oder um der Erlangung dieser willen. Aus Schmerz, verursacht durch Schlangen, Skorpione, Dornen und ähnlichem, entsteht Abneigung hinsichtlich solchem Schmerzes oder hinsichtlich seiner Quelle.
Eine sehr starke Prägung wird produziert durch beständige oder gewohnheitsmäßige Erfahrung von Objekten, durch den Einfluss, durch den ein trauriger Liebhaber, der seine Herrin nicht gewinnt, seine Geliebt in jedem Objekt sieht. Er, der von einer Schlange gebissen wurde, sieht überall Schlangen, aufgrund des starken Eindrucks diesbezüglich.
Fehler, die zu Unfreiheit führen
Verlangen (Raga), Abneigung (Dvesha) und Betörung (Moha) werden Fehler genannt (Doshas), da sie Anreize zu Aktivitäten sind, die dazu dienen, den Handelnden an die Welt zu fesseln. Gautama sagt ebenfalls: “Fehler haben als Charakteristik, dass sie Anreize für Aktivitäten und weltliche Tätigkeiten sind” (Nyaya Sutras, I-1-xviii).
Das Wissen, das zu Befreiung führt
Intuitives Wissen um das Selbst zerstört falsches Wissen. Infolgedessen verschwinden Anziehung, Abneigung, Dummheit oder Moha und andere Fehler. Dann verschwindet auch Aktivität. Dann findet Geburt aufgrund von Handlungen nicht mehr statt. Infolgedessen verschwindet ebenfalls auch Schmerz, verbunden mit Geburt.