Schlussbetrachtung von Kunstform und Yoga im indischen Kultbild: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Gândhâra-Buddha trägt, wie alle aus klassischer Tradition erwachsenden Bildwerke einen festlichen Cha¬rakter. Die klassische Kunst ist durchaus festlich: hier ist auch der Tod noch ein Fest. Die Niobiden »sterben in Schönheit«; Würde, Großartigkeit und Schmelz umwit¬tern alle klassische Gestalt. Michelangelos Giuliano di Medici, il Pensieroso, sitzt in eine fürstliche Melancholie versunken, und ein pfeilbesäter Sebastian stellt die Über¬windung des Todes durch die Anmut dar. Wie der Be¬tende Knabe (Berlin) bringt die Klassische Kunst ihre eigene Schönheit huldigend dem Auge der Götter und Menschen dar, in ihr verklärt sich das Leben und preist seine eigene Vollendung.
Der Gândhâra-Buddha trägt, wie alle aus klassischer Tradition erwachsenden Bildwerke einen festlichen Cha¬rakter. Die klassische Kunst ist durchaus festlich: hier ist auch der Tod noch ein Fest. Die Niobiden »sterben in Schönheit«; Würde, Großartigkeit und Schmelz umwit¬tern alle klassische Gestalt. Michelangelos Giuliano di Medici, il Pensieroso, sitzt in eine fürstliche Melancholie versunken, und ein pfeilbesäter Sebastian stellt die Über¬windung des Todes durch die Anmut dar. Wie der Be¬tende Knabe (Berlin) bringt die Klassische Kunst ihre eigene Schönheit huldigend dem Auge der Götter und Menschen dar, in ihr verklärt sich das Leben und preist seine eigene Vollendung.
Diesen Sinn der klassischen Kunst hat unter den Späteren kaum einer klarer gelebt und dargestellt als Tizian in eini¬gen seiner Venusbilder, — etwa in der Berliner Venus mit dem Orgelspieler. Zärtlich beugt sich Amor zu ihrem Ohr, wie sie dem weichen Spiel des Ritters zu ihren Füßen lauscht: Vollkommenheit zittert in der musikumquolle-nen Stunde dieses lauen Nachmittags wie um jede gött¬liche Schwellung ihres opalen-milchig schimmernden Lei¬bes, den sanftester Atem in erquickender Unrast hält. Leis unterbricht der Ritter sein Orgelspiel, in dessen Wogen er versank und wendet den Kopf zu seiner Herrin, als fühle er plötzlich eine Leere um sich, als sei Sie, deren Schmelz in Tönen zu betten, für ihn einzige Lust vollkommener Stunde war, ihm jäh entrückt und entfremdet. Vernahm er einen leisesten Klageton, einen schon erstickten Laut ihrer himmlischen Kehle, die Gefühl mit Überfülle sprengte? — In ihren Augen glänzen Tränen: das Zeichen der Schön¬heit, die, um sich selbst wissend, an ihrer Grenze steht.
Vollkommene Schönheit ist ein Ende; hinter allem Voll¬kommenen steht der Tod, und das Glück der Vollendung, die sich selbst weiß, — ein höchster Augenblick verklärten Lebens — findet seine reine Auflösung einzig im süßen Weh unendlicher Schwermut, in dem trauerumflorten wunsch¬losen Wissen um die eigene Vergänglichkeit.
Die klassische Kunst ist ein ewiger Hymnus zum Tri¬umph erhöhten Lebens.
So gern uns die großen Worte, mit denen wir ihre ewigen Zeugnisse feiern müssen, auch im Angesicht indischer Göt¬ter und Heiliger über die Lippen flössen, wir bringen sie nicht mehr hervor. Denn wir wissen, daß sie zwar keines¬wegs fehl am Orte sind, daß man auch bei ihnen von Schmelz und Größe, Erhabenheit und Reizen sprechen kann, aber wir werden inne, daß damit nur vergleichs¬weise Beiläufiges, auch-Vorhandenes angerührt wird, daß aber solchen Beschwörungen sich ihr Kern nicht auf¬schließt. Sind Reiz und Hoheit mehr als ein Schimmer, der diesen Kern umfließt und unser westliches Auge, un¬seren schönheitshungrigen Sinn verlockt, von diesem Kerne abzuirren? mehr als ein Vordergründliches, das un¬seren Andrang schon mit schimmernder Schale abfängt und zersplittert? — Immer wieder gleitet unser Blick von ihrer Schönheit, die ihn verführt und unser doch zu spot¬ten scheint, die wie das Spiel der mâyâ ist, in der das Göttliche sein reines Wesen lustvoll verhüllt, hinüber zu jenen strengeren Geschwistern rein linearer Konstruktion, die schon in einer reineren, flimmerlosen Form des Scheins verschweigen, was im Schweigen der schmelzumflossenen Gestalten, vom Lockgesange schöner Formen übertönt, sich birgt. An ihnen sehen wir: was uns an ihnen fesselt und was verschwiegener Lebenskeim der schönen Bilder ist: die Notwendigkeit der Sinnbeziehungen aller Teile aufeinander, die Ruhe eines überwillkürhaften Nebenein¬ander, der letzte Ernst rein sachlicher Aussage, die Wahrheit more geometrico in wechselnden unendlichen Aspek¬ten sub specie aeternitatis gottgewählten, notwendigen Scheines dargestellt, — sind alle nicht mit jener Größe, jenem Reiz der Form, die uns zu indischer Kunst verlok-ken, unlöslich verbunden, haben ihr Lebensbereich, die Bühne, deren sie bedürfen, nicht allein im großen und im schönen Schein. Hier setzt nicht ein gehobenes Lebensge¬fühl sich Denkmäler eigener Verklärung, hier hält nicht vollendetes Erdendasein sich den Spiegel seiner eigenen Schönheit vor, hier feiert nicht das Vergängliche seinen Sieg über die Mächte des Todes, die es ständig zu ver¬kümmern drohen und im niederen Bann barer Bedürf¬tigkeit und mühseliger Erhaltung des Lebens gefangen halten, feiert nicht seinen Aufstieg zur Freiheit gott-gleichen Überschwanges, der sich zur Schönheit auskri¬stallisiert und sich verschwendet. In der klassischen Kunst erscheint der Mensch als göttlich, weil er so schön ist. Er tritt an die Stelle der Götter, die sein Geist über¬wältigt und ausgelöscht hat, nun bleibt nur mehr die Feier seines eigenen Selbst als des Göttlichsten, das die Erde trägt. In ihr verweilt er als in seinem höchsten Augenblick.
Für die indische Kunst ist der Mensch Gott, und sie ist geschaffen, damit er es erfahre und ihrer nicht mehr be¬dürfe. Sie ist nur schön, weil das Göttliche, solange es sich selbst mit formerfülltem menschlichen Auge anschaut, als das Vollkommene auch schön erscheinen muß. Aber Schönheit ist nicht sein Wesen, und durch den mâyâ-Schleier seiner Schönheit in der Bilderscheinung ragt im¬mer jener unauflösliche Kern, der jenseits von Schön und nicht-Schön, jenseits von Name und Form Wesen des Göttlichen ist, — Wesen des Menschen. Tat Tvam Asi! — »das bist — du!«
Die klassische Kunst und das indische Kultbild sind polar verschieden: diese feiert den schönsten Schleier der mâyâ, jenes breitet ihn in wechselnden, oft schönen Formen aus, weil nur in seiner mâyâ das Göttliche Erscheinung wird. Was für diese Ziel und Vollendung, ist für jenes Durch¬gang und Beginn. Auf Grund dieser Polarität der Ziele erscheint in beiden das Material aller künstlerischen Werkfreude: die Formenwelt der mâyâ durchaus ver¬schieden. Dank dieser Polarität ragt im indischen Kult¬bild formumspült jener stumme Kern, von dem die klas¬sische beredte Kunst nichts ahnt, den sie nicht birgt, »vor dem ...« — um eine Wendung der alten Weisen aus den Upanischads über das brahman zu gebrauchen, dessen mâyâ sich ja im Kultbilde entfaltet, — »vor dem die Worte umkehren, ohne ihn erreicht zu haben, mitsamt dem Denken ...«~4° — Buddhistisch gesprochen: Weil im Buddhabilde das Nirvâna oder die Leere (schilnyam) in sinnlicher oder übersinnlicher Erscheinungsform (als nir-mâna- oder sambhogakâya) räumlich gebannt wird, gilt von seinem Kern, der unsagbarer Grund seiner Erschei¬nung ist, was ein Vers der altbuddhistischen Gedicht-samlung Suttanipâta~4' über den vollendeten Heiligen spricht, zu dessen Stande ja das Kultbild, ihn verkör¬pernd, Wegweiser sein will: »Für den, der (wie die Sonne) zur Rüste gegangen ist, gibt es nichts mehr, womit man ihn vergleichen könnte; womit man ihn aussagen möchte, das ist an ihm nicht zu finden. Wo alle Vorstellungen zu¬nichte geworden sind, da sind auch alle Pfade der Rede zunichte geworden.« — Nicht anders charakterisiert schließlich das Kulârnava — Tantra den vollkommenen Adepten seiner Lehre, der im Bewußtsein seiner selbst zum Göttlichen geworden ist, dessen mâyâhaftes Abbild pratimâs und yantras aller Formen sind: »Denn wie für die gemeine Welt der Pfad, den Sonne und Mond, Stern¬bilder und Planeten am Himmel beschreiben, nicht wahr¬nehmbar ist, so auch der Wandel der Yogins. Wie im Luftraume der Vögel Pfad und im Wasser der Weg der Fische nicht zu sehen ist, so auch der Wandel der Yogins« (Kulârnava-Tantra ix. 68/69).
Denn was wir am Kultbilde (pratimâ) bewundern, ist ja bei aller Bedeutsamkeit, die ihm auf seiner Stufe eignet, eben nur für diese Stufe bedeutsam. Es hat seine Daseins¬berechtigung daran, daß es über sich hinausweist: es ist Wesen nur für den in Unwissenheit (avid)â) Gebunde¬nen, für den noch-nicht-Erwachten (a-prabuddha): »Im Feuer ist Gott (deva) für den opferkundigen, vedenge-lehrten Brahmanen (vipra), im eigenen Herzen für den Andachtsvollen (manischin), im Kultbilde (pratimâ) für den noch-nicht-Erwachten (a-prabuddha), in Allem (sar-vatra) für den, der um das (höchste) Selbst weiß« für den viditâtman: der um den âtman als brahman weiß: um sein eigenes Wesen als das Wesen aller Wesen (Kulârna-va-Tantra ix, 44).
Damit scheint die Grenze erreicht und bezeichnet, wo un¬ser Erfassen und Reden, solange wir kein Andächtiger sind, der das Bild durch prânapratischthâ mit dem heilig¬sten Leben seines Herzens, der Gottheit im Herzen, bele¬ben kann, sein natürliches Ende findet; genau da, wo der Schleier der mâyâ, der uns zur Betrachtung des Bildes verlockt, sich lüftet, und wo sein Wesen beginnt. — Mag sich der westliche Betrachter, in der mâyâ seiner Kunst erwachsen und befangen, an der baren Schönheit und Größe indischer Bilder weiden, oder sich von ihnen wen¬den und als ikonographisch-ethnologisches Material aus¬sondernd verwerfen, was von Schönerem nicht zu trennen ist, wenn er daran vermißt, worin sein Auge und seine Er¬griffenheit zu schwelgen wünscht; — er wird Rechenschaft geben müssen, wie weit all seine Beredsamkeit mehr ent¬hüllen kann, als seine bloße liebende Ferne zum Kern der Gebilde, um die er kreist.


==Siehe auch==
==Siehe auch==

Version vom 27. Februar 2014, 15:45 Uhr

Aus: Heinrich Zimmer, Kunstform und Yoga im indischen Kultbild, 1987, S. 253 bis 257

Yantra - indische Kunst

Der Gândhâra-Buddha trägt, wie alle aus klassischer Tradition erwachsenden Bildwerke einen festlichen Cha¬rakter. Die klassische Kunst ist durchaus festlich: hier ist auch der Tod noch ein Fest. Die Niobiden »sterben in Schönheit«; Würde, Großartigkeit und Schmelz umwit¬tern alle klassische Gestalt. Michelangelos Giuliano di Medici, il Pensieroso, sitzt in eine fürstliche Melancholie versunken, und ein pfeilbesäter Sebastian stellt die Über¬windung des Todes durch die Anmut dar. Wie der Be¬tende Knabe (Berlin) bringt die Klassische Kunst ihre eigene Schönheit huldigend dem Auge der Götter und Menschen dar, in ihr verklärt sich das Leben und preist seine eigene Vollendung.

Diesen Sinn der klassischen Kunst hat unter den Späteren kaum einer klarer gelebt und dargestellt als Tizian in eini¬gen seiner Venusbilder, — etwa in der Berliner Venus mit dem Orgelspieler. Zärtlich beugt sich Amor zu ihrem Ohr, wie sie dem weichen Spiel des Ritters zu ihren Füßen lauscht: Vollkommenheit zittert in der musikumquolle-nen Stunde dieses lauen Nachmittags wie um jede gött¬liche Schwellung ihres opalen-milchig schimmernden Lei¬bes, den sanftester Atem in erquickender Unrast hält. Leis unterbricht der Ritter sein Orgelspiel, in dessen Wogen er versank und wendet den Kopf zu seiner Herrin, als fühle er plötzlich eine Leere um sich, als sei Sie, deren Schmelz in Tönen zu betten, für ihn einzige Lust vollkommener Stunde war, ihm jäh entrückt und entfremdet. Vernahm er einen leisesten Klageton, einen schon erstickten Laut ihrer himmlischen Kehle, die Gefühl mit Überfülle sprengte? — In ihren Augen glänzen Tränen: das Zeichen der Schön¬heit, die, um sich selbst wissend, an ihrer Grenze steht.

Vollkommene Schönheit ist ein Ende; hinter allem Voll¬kommenen steht der Tod, und das Glück der Vollendung, die sich selbst weiß, — ein höchster Augenblick verklärten Lebens — findet seine reine Auflösung einzig im süßen Weh unendlicher Schwermut, in dem trauerumflorten wunsch¬losen Wissen um die eigene Vergänglichkeit.

Die klassische Kunst ist ein ewiger Hymnus zum Tri¬umph erhöhten Lebens.

So gern uns die großen Worte, mit denen wir ihre ewigen Zeugnisse feiern müssen, auch im Angesicht indischer Göt¬ter und Heiliger über die Lippen flössen, wir bringen sie nicht mehr hervor. Denn wir wissen, daß sie zwar keines¬wegs fehl am Orte sind, daß man auch bei ihnen von Schmelz und Größe, Erhabenheit und Reizen sprechen kann, aber wir werden inne, daß damit nur vergleichs¬weise Beiläufiges, auch-Vorhandenes angerührt wird, daß aber solchen Beschwörungen sich ihr Kern nicht auf¬schließt. Sind Reiz und Hoheit mehr als ein Schimmer, der diesen Kern umfließt und unser westliches Auge, un¬seren schönheitshungrigen Sinn verlockt, von diesem Kerne abzuirren? mehr als ein Vordergründliches, das un¬seren Andrang schon mit schimmernder Schale abfängt und zersplittert? — Immer wieder gleitet unser Blick von ihrer Schönheit, die ihn verführt und unser doch zu spot¬ten scheint, die wie das Spiel der mâyâ ist, in der das Göttliche sein reines Wesen lustvoll verhüllt, hinüber zu jenen strengeren Geschwistern rein linearer Konstruktion, die schon in einer reineren, flimmerlosen Form des Scheins verschweigen, was im Schweigen der schmelzumflossenen Gestalten, vom Lockgesange schöner Formen übertönt, sich birgt. An ihnen sehen wir: was uns an ihnen fesselt und was verschwiegener Lebenskeim der schönen Bilder ist: die Notwendigkeit der Sinnbeziehungen aller Teile aufeinander, die Ruhe eines überwillkürhaften Nebenein¬ander, der letzte Ernst rein sachlicher Aussage, die Wahrheit more geometrico in wechselnden unendlichen Aspek¬ten sub specie aeternitatis gottgewählten, notwendigen Scheines dargestellt, — sind alle nicht mit jener Größe, jenem Reiz der Form, die uns zu indischer Kunst verlok-ken, unlöslich verbunden, haben ihr Lebensbereich, die Bühne, deren sie bedürfen, nicht allein im großen und im schönen Schein. Hier setzt nicht ein gehobenes Lebensge¬fühl sich Denkmäler eigener Verklärung, hier hält nicht vollendetes Erdendasein sich den Spiegel seiner eigenen Schönheit vor, hier feiert nicht das Vergängliche seinen Sieg über die Mächte des Todes, die es ständig zu ver¬kümmern drohen und im niederen Bann barer Bedürf¬tigkeit und mühseliger Erhaltung des Lebens gefangen halten, feiert nicht seinen Aufstieg zur Freiheit gott-gleichen Überschwanges, der sich zur Schönheit auskri¬stallisiert und sich verschwendet. In der klassischen Kunst erscheint der Mensch als göttlich, weil er so schön ist. Er tritt an die Stelle der Götter, die sein Geist über¬wältigt und ausgelöscht hat, nun bleibt nur mehr die Feier seines eigenen Selbst als des Göttlichsten, das die Erde trägt. In ihr verweilt er als in seinem höchsten Augenblick.

Für die indische Kunst ist der Mensch Gott, und sie ist geschaffen, damit er es erfahre und ihrer nicht mehr be¬dürfe. Sie ist nur schön, weil das Göttliche, solange es sich selbst mit formerfülltem menschlichen Auge anschaut, als das Vollkommene auch schön erscheinen muß. Aber Schönheit ist nicht sein Wesen, und durch den mâyâ-Schleier seiner Schönheit in der Bilderscheinung ragt im¬mer jener unauflösliche Kern, der jenseits von Schön und nicht-Schön, jenseits von Name und Form Wesen des Göttlichen ist, — Wesen des Menschen. Tat Tvam Asi! — »das bist — du!«

Die klassische Kunst und das indische Kultbild sind polar verschieden: diese feiert den schönsten Schleier der mâyâ, jenes breitet ihn in wechselnden, oft schönen Formen aus, weil nur in seiner mâyâ das Göttliche Erscheinung wird. Was für diese Ziel und Vollendung, ist für jenes Durch¬gang und Beginn. Auf Grund dieser Polarität der Ziele erscheint in beiden das Material aller künstlerischen Werkfreude: die Formenwelt der mâyâ durchaus ver¬schieden. Dank dieser Polarität ragt im indischen Kult¬bild formumspült jener stumme Kern, von dem die klas¬sische beredte Kunst nichts ahnt, den sie nicht birgt, »vor dem ...« — um eine Wendung der alten Weisen aus den Upanischads über das brahman zu gebrauchen, dessen mâyâ sich ja im Kultbilde entfaltet, — »vor dem die Worte umkehren, ohne ihn erreicht zu haben, mitsamt dem Denken ...«~4° — Buddhistisch gesprochen: Weil im Buddhabilde das Nirvâna oder die Leere (schilnyam) in sinnlicher oder übersinnlicher Erscheinungsform (als nir-mâna- oder sambhogakâya) räumlich gebannt wird, gilt von seinem Kern, der unsagbarer Grund seiner Erschei¬nung ist, was ein Vers der altbuddhistischen Gedicht-samlung Suttanipâta~4' über den vollendeten Heiligen spricht, zu dessen Stande ja das Kultbild, ihn verkör¬pernd, Wegweiser sein will: »Für den, der (wie die Sonne) zur Rüste gegangen ist, gibt es nichts mehr, womit man ihn vergleichen könnte; womit man ihn aussagen möchte, das ist an ihm nicht zu finden. Wo alle Vorstellungen zu¬nichte geworden sind, da sind auch alle Pfade der Rede zunichte geworden.« — Nicht anders charakterisiert schließlich das Kulârnava — Tantra den vollkommenen Adepten seiner Lehre, der im Bewußtsein seiner selbst zum Göttlichen geworden ist, dessen mâyâhaftes Abbild pratimâs und yantras aller Formen sind: »Denn wie für die gemeine Welt der Pfad, den Sonne und Mond, Stern¬bilder und Planeten am Himmel beschreiben, nicht wahr¬nehmbar ist, so auch der Wandel der Yogins. Wie im Luftraume der Vögel Pfad und im Wasser der Weg der Fische nicht zu sehen ist, so auch der Wandel der Yogins« (Kulârnava-Tantra ix. 68/69).

Denn was wir am Kultbilde (pratimâ) bewundern, ist ja bei aller Bedeutsamkeit, die ihm auf seiner Stufe eignet, eben nur für diese Stufe bedeutsam. Es hat seine Daseins¬berechtigung daran, daß es über sich hinausweist: es ist Wesen nur für den in Unwissenheit (avid)â) Gebunde¬nen, für den noch-nicht-Erwachten (a-prabuddha): »Im Feuer ist Gott (deva) für den opferkundigen, vedenge-lehrten Brahmanen (vipra), im eigenen Herzen für den Andachtsvollen (manischin), im Kultbilde (pratimâ) für den noch-nicht-Erwachten (a-prabuddha), in Allem (sar-vatra) für den, der um das (höchste) Selbst weiß« für den viditâtman: der um den âtman als brahman weiß: um sein eigenes Wesen als das Wesen aller Wesen (Kulârna-va-Tantra ix, 44).

Damit scheint die Grenze erreicht und bezeichnet, wo un¬ser Erfassen und Reden, solange wir kein Andächtiger sind, der das Bild durch prânapratischthâ mit dem heilig¬sten Leben seines Herzens, der Gottheit im Herzen, bele¬ben kann, sein natürliches Ende findet; genau da, wo der Schleier der mâyâ, der uns zur Betrachtung des Bildes verlockt, sich lüftet, und wo sein Wesen beginnt. — Mag sich der westliche Betrachter, in der mâyâ seiner Kunst erwachsen und befangen, an der baren Schönheit und Größe indischer Bilder weiden, oder sich von ihnen wen¬den und als ikonographisch-ethnologisches Material aus¬sondernd verwerfen, was von Schönerem nicht zu trennen ist, wenn er daran vermißt, worin sein Auge und seine Er¬griffenheit zu schwelgen wünscht; — er wird Rechenschaft geben müssen, wie weit all seine Beredsamkeit mehr ent¬hüllen kann, als seine bloße liebende Ferne zum Kern der Gebilde, um die er kreist.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

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