Kanakavarna
Kanakavarna (goldfarben) Name eines Königs zu Buddha`s Zeit
Kanakavarna - eine Buddhistische Legende
Artikel aus „Buddhistische Legenden“ von Heinrich Zimmer
Solches habe ich gehört: Einst weilte der Erhabene in Schravasti, im Park des Prinzen Dscheta, den ihm Anathapindada als Einsiedelei geschenkt hatte, samt einer großen Mönchsschar: mit zwölfeinhalb hundert Mönchen. Geehrt war der Erhabene, verehrt und hochgeschätzt, mit Ehrerbietung umgeben von Mönchen und Nonnen, Laienjüngern und -frauen, von Königen und Männern königlicher Art, von Brüdern vieler Orden, von Asketen, Brahmanen, Wandermönchen und umherziehenden Bettelbrüdern, von Göttern, Schlangenwesen, Unholden und Dämonen, von Göttervögeln und himmlischen Geistern, von Halbmenschen und großen Schlangen. Herrliche und reine Gaben erhielt der Erhabene in Fülle von Göttern und Menschen: Gewänder und Almosenspeise, Matten zum Liegen und Sitzen, Stärkungen und Heilmittel und Dinge des täglichen Bedarfs, und wie eine Lotosblume vom Wasser blieb der Erhabene unbehaftet von ihnen.
Und in alle Weltgegenden verbreitete sich laut der Schall solches erhabenen schönen Preises: »Er ist ein Erhabener, ein in der Wahrheit Gekommener, Heiliger, Wahrhaft Erleuchteter, mit Wissen und Wandel begabt, ein Heilgänger, Weltwisser, ein Unvergleichlicher, ein Bändiger der Menschen, ein Lehrer von Göt¬tern und Menschen, ein erhabener Buddha. Er belehrt diese Welt samt den Göttern, samt dem Versucher und samt Brahma, belehrt die Geschöpfe samt Asketen und Brahmanen, samt Göttern und Menschen in der erschauten Wahrheit, die er selbst erkannt und vor sein Angesicht gestellt und sich errungen hat. Er lehrt die Wahrheit, die am Anfang schön, in der Mitte schön und am Ende schön, schönen Sinnes, schöner Zeichen — die lautere, ganz volle, ganz reine, ganz weiße —, den Wandel im Wesen offenbart er.
Da sprach der Erhabene zu den Mönchen:
»Wüssten die Wesen, ihr Mönche, um die Frucht des Schenkens und um das Reifen der Frucht des Gabenverteilens, so wie ich weiß um die Frucht des Schenkens und um das Reifen der Frucht des Gabenverteilens: — ein allerletzter Mundvoll Wassers und ein letzter Bissen — sie würden ihn nicht verzehren, ohne davon zu geben, ohne davon auszuteilen, wenn sie einen fänden, der einer Gabe würdig ist. Und Ichsucht würde nicht erwacht ihr Denken umspinnen und umfangen halten. Weil nun, ihr Mönche, die Wesen nicht wissen um die Frucht des Schenkens und um das Reifen der Frucht des Gabenverteilens, so wie ich weiß um die Frucht des Schenkens und um das Reifen der Frucht des Gabenverteilens, darum wird solches verstockten Sinnes verzehrt, ohne dass sie davon geben und austeilen. Und Ichsucht umspinnt, in ihnen erwacht, ihr Denken und hält es umfangen.
Warum weiß ich das? Vor Zeiten, ihr Mönche, auf dem Wege, der hinter uns liegt, war ein König mit Namen Kanakavarna („Goldfarben“). Er war schön, lieblich anzusehen und von gefälligem Wesen und glich ganz und gar einem goldenen Lotos. Der König Kanakavarna, ihr Mönche, war reich, groß an Geld und Einkünften, reich an Seelen und Gütern, reich an Hab und Gut, reich an Geld und Korn, reich an allen Arten Gold, an Juwelen, Perlen und Beryllen, Muschelsteinen, Korallen und Silber, reich an Elefanten, Pferden, Rindern und Schafen, und seine Kammern und Schatzhäuser waren voll.
Der gute König Kanakavarna
Der König Kanakavarna, ihr Mönche, hatte eine Königsstadt mit Namen Kanakavati, die war gen Osten und Westen zwölf Yodschanas (ein Yodschana = 10 km) lang und gen Süden und Norden sieben Yodschanas breit. Sie war glücklich und blühend, reich und mildtätig, volkreich und lieblich. König Kanakavarna hatte achtzigtausend Städte, hundertundachtzig Millionen mal tausend Geschlechter, die waren glücklich und blühend, reich, mildtätig und volkreich, siebenundfünfzigmal zehn Millionen Dörfer, die waren glücklich und blühend, reich und mildtätig, lieblich und volkreich, sechzigtausend Flecken, die waren glücklich und blühend, reich, mildtätig und volkreich. König Kanakavarna hatte achtmal zehntausend Kronbeamte und sein Harem betrug zwanzigtausend Frauen.
Der König Kanakavarna, ihr Mönche, war gerecht und übte seine Königsherrschaft in Gerechtigkeit. Da kam einmal dem Könige Kanakavarna, als er allein war und sich in die Stille zur Betrachtung zurückgezogen hatte, in seinem Denken der Gedanke: „Ich will alle Kaufleute von Lasten und Wegzöllen befreien, und alle Einwohner Dschambudvipas von Abgaben, Lasten und Wegzöllen befreien.“ — Da sprach König Kanakavarna zu seinen Sterndeutern, Ministern, Kronbeamten, Türwachen und Räten: „Von nun ab, ihr Vorsteher der Dörfer, befreie ich alle Kaufleute von Lasten und Wegzöllen, befreie die Einwohner Dschambudvipas von Abgaben, Lasten und Wegzöllen.“ —
Wie er auf mannigfache Art viele Jahre lang die Kö¬nigsherrschaft übte, da gerieten einmal die Sterne in eine unselige Stellung zueinander: „Zwölf Jahre lang wird der Himmel nicht regnen.“ Da kamen Brahmanen: Zeichenkundige und Wahrsager, bewandert in den Lehrsprüchen über Erde und Himmelsraum, die solches im Wandel der Sternbilder und Planeten beobachtet hatten, zum König Kanakavarna. Sie traten vor König Kanakavarna hin und sprachen: „Es wisse die göttliche Majestät: die Sterne sind in eine unselige Stellung zueinander geraten: zwölf Jahre lang wird der Himmel nicht regnen.“
Als König Kanakavarna diese Verkündigung gehört hatte, vergoss er Tränen. „Weh' über mein Volk in Dschambudvipa! Weh' über mein Dschambudvipa, das glückliche und blühende, reiche und mildtätige, liebliche und volkreiche! Nicht lange und es wird leer sein und der Menschen bar!“ — Als König Kanakavarna einen Augenblick getrauert hatte, kam ihm der Gedanke: „Die da reich sind, groß an Geld und groß an Einkünften, werden imstande sein, über die Zeit hinwegzu¬kommen, aber die arm sind, karg an Geld sind und kärglich Speise und Trank verzehren, wie sollen die über diese Zeit hinwegkommen?“ — Ihm kam der Gedanke: „Ich will alle Nahrung von Dschambudvipa sammeln und alle Wesen in Dschambudvipa zählen. Wenn ich sie gezählt habe, will ich messen lassen, und wenn ich gemessen habe, will ich für alle Dörfer und Städte, Marktorte und Flecken und die Königsstadt ein Vorratshaus errichten lassen und allen Menschen in Dschambudvipa gleichmäßig Speise austeilen lassen.“
Da sprach König Kanakavarna zu seinen Sterndeu¬tern, Ministern, Kronbeamten, Türwachen und Räten: „Geht, ihr Vorsteher der Dörfer, sammelt die Nahrung von ganz Dschambudvipa und haltet Zählung. Wenn ihr gezählt habt, messt, und wenn ihr gemessen habt, errichtet für alle Dörfer und Städte, Marktorte und Flecken und die Königsstadt ein Vorratshaus.“ — „Das sei uns höchste Pflicht, o göttliche Majestät“, gaben die Rechnungsführer, Minister, Kronbeamten, Türwachen und Räte dem König Kanakavarna zur Antwort und sammelten die Nahrung von ganz Dschambudvipa, hielten eine Zählung, und als sie ge¬zählt hatten, maßen sie, und was sie gemessen hatten, lagerten sie für alle Dörfer und Städte, Marktorte und Flecken und die Königsstadt in einem Vorratshaus. Als sie es in einem Vorratshause gelagert hatten, begaben sie sich zum Könige Kanakavarna. Sie traten vor den König Kanakavarna hin und sprachen: „Wisse, o göttli¬che Majestät, in allen Dörfern und Städten, Marktorten und Flecken und in der Königsstadt ist die Nahrung gesammelt. Als wir sie gesammelt hatten, ward Zäh¬lung gehalten. Nach der Zählung ward gemessen und das Gemessene ist für alle Dörfer und Städte, Marktorte und Flecken und die Königsstadt in einem Vorrats¬hause gelagert worden. Die göttliche Majestät befehle, was ihr an der Zeit dünkt.“
Da redete König Kanakavarna seine Rechnungsführer, Schreiber und Leute an und sprach: „Geht hin, ihr Vorsteher der Dörfer und zählt alle Menschen in Dschambudvipa, und wenn ihr sie gezählt habt, ihr Vorsteher der Dörfer, dann teilt an alle Menschen in Dschambudvipa gleichmäßig Speise aus.“—“Das sei uns höchste Pflicht, o göttliche Majestät“, gaben die Rechnungsführer, Schreiber und Leute dem Könige Kanakavarna zur Antwort und zählten alle Menschen in Dschambudvipa. Als sie alle zusammengezählt hatten, wiesen sie, beim Könige Kanakavarna anfangend, allen Menschen von Dschambudvipa gleichmäßig Speise zu.
Die kamen damit über elf Jahre hinweg, über das zwölfte kamen sie nicht hinweg. Als ein Monat des zwölften Jahres vergangen war, starben viele Frauen und Männer, Knaben und Mädchen vor Hunger und Durst. Damals war alle Nahrung in Dschambudvipa völlig zur Neige gegangen bis auf ein einziges Maß des Königs Kanakavarna, das noch übrig war. —
Der werdende Buddha
Zu eben der Zeit war ein Werdender Buddha, der vor vierzig Weltaltern den Wandel zur Erleuchtung angetreten hatte, wieder in dieser Menschenwelt ins Leben getreten. Dieser Werdende Buddha sah in einem Gehölz, wie ein Sohn sich mit seiner Mutter verging, und wie er das sah, dachte er bei sich: „Wahrlich, diese Wesen kleben an Lüsten, sie sind ganz verklebt von Lüsten; wo er neun Monate in ihrem Leib zugebracht hat und ihre Brüste getrunken hat, da wird er noch verenden! Satt bin ich solcher Geschöpfe, die böse sind, entflammt von glühender Lust am Bösen, die verkehrten Blickes zur Wahrheit stehen und überwältigt sind von Gier nach dem Gemeinen, die ihre Mutter nicht als Mutter kennen, die keine Ehrfurcht vor heiligen Asketen und Brahmanen haben und die Älteren in der Familie nicht ehren. — Wer vermag um solcher Geschöpfe willen den Wandel zur Erleuchtung zu wandeln? Ich will mich dem Ziele weihen, das mir für mich selbst vorschwebt.“
Da begab sich der Werdende Buddha abseits zur Wurzel eines Baumes. Er trat herzu und setzte sich bei der Wurzel des Baumes. Er verschränkte seine Schenkel und richtete den Leib gerade auf und stellte Besonnen¬heit vor sein Angesicht und verharrte in der schrittweisen Betrachtung des Aufgehens und Zergehens der fünf „Felder des Erfassens. Nämlich so:
- „Dieses ist die sinnliche Form, dieses ist der Aufgang sinnlicher Form und dieses ist der Untergang sinnlicher Form.
- Dieses ist die sinnliche Empfindung, dieses ist die begriffliche Be¬nennung,
- dieses sind die Gebilde, dieses ist das Bewusstsein. So geht das Bewusstsein auf —
- so geht das Bewusstsein unter.“
Als er so der Reihe nach in der Betrachtung des Aufgehens und Zergehens der fünf Fel¬der des Erfassens verharrte, begriff er in Bälde:
- „Allem, wem Entstehen eigen ist, ist auch Vergehen eigen“ —
- und damit hatte er die Einsame Erleuchtung erreicht. Da sprach der Erhabene Erleuchtet-Einsame, nachdem er die Dinge in ihrer wahren Folge betrachtet hatte, damals die Strophe:
- „Wer den Dingen lebt, am Leben klebt,
- aus dem Kleben erwächst das Leiden hienieden. —
- Wer die Not im Kleben sieht,
- seines Weges wie das Nashorn zieht: einsam und abgeschieden.“
Da kam dem Erhabenen Erleuchtet-Einsamen der Gedanke: „Um vieler Wesen willen bin ich durch vieles, das schwer zu vollbringen ist, hindurchgegangen und habe doch keinem Wesen Heil gebracht. Wessen soll ich mich jetzt erbarmen, von wem soll ich jetzt Almosen-speise annehmen und essen?“ — Da blickte der Erhabene Erleuchtet-Einsame mit seinem göttlichen Auge, dem lauteren übermenschlichen, rings über ganz Dscham-budvipa hin. Und der Erhabene Erleuchtet-Einsame sah, dass in ganz Dschambudvipa alle Nahrung völlig zur Neige gegangen war bis auf ein einziges Maß Essen beim König Kanakavarna, das noch übrig war. Da kam ihm der Gedanke: „Ich will mich des Königs Kanakavarna erbarmen, ich will mir ein Almosenmahl aus dem Hause des Königs Kanakavarna holen und essen.“ Da schwang sich der Erhabene Erleuchtet-Einsame von seiner Stätte mit Zauberkraft in die Lüfte und flog sichtbaren Leibes wie ein Vogel mit Zauberkraft zur Königsstadt Kanakavati.
Zu derselben Zeit saß König Kanakavarna auf einer Terrasse seines Palastes inmitten fünftausend seiner Kronbeamten. Einer seiner Minister sichtete den Erha¬benen Erleuchtet-Einsamen von fern, wie er daherkam, und als er ihn gesichtet hatte, sprach er zu den übrigen Ministern: „Seht, seht, ihr Vorsteher der Dörfer! Von fern kommt ein Vogel mit roten Schwingen hierher geflogen!“ —
Ein zweiter Minister sagte: „Ihr Vorsteher der Dörfer, das ist kein Vogel mit roten Schwingen, das ist ein Unhold, der hierherkommt, uns die Lebenskraft zu rauben. Der wird uns fressen.“ —
Da wischte sich König Kanakavarna mit beiden Händen rings das Gesicht ab und sprach zu seinen Ministern: „Ihr Vorsteher der Dörfer, das ist kein Vogel mit roten Schwingen und auch kein Unhold, der die Lebenskraft raubt. Das ist ein Heiliger, der hierherkommt, uns sein Erbarmen zu bezeigen.“ —
Da ließ sich der Erhabene Erleuchtet-Einsame auf der Terrasse des Königs Kana¬kavarna nieder.
Da erhob sich König Kanakavarna von seinem Sitze und ging dem Erhabenen Erleuchtet-Einsamen entgegen, neigte ehrfürchtig sein Haupt zu seinen Füßen, wies auf einen Sitz und lud ihn ein, sich nieder zu setzten. Dann fragte König Kanakavarna den Erhabenen Erleuchtet-Einsamen: „Heiliger, in welcher Absicht kamst du hierher?“ —
„Um zu essen, großer König.“ —
Als er das gesagt hatte, brach König Kanakavarna in Tränen aus. Tränen vergießend sprach er: „Weh meiner Armut, wehe der Armut! Die Herrschaft über ganz Dschambudvipa lag in meiner Hand, und ich bin nicht imstande, auch nur einem einzigen Heiligen ein Almosenmahl zu spenden!“
Da sprach die Gottheit, die über der Stadt Kanakavati waltete, vor dem Angesicht des Königs die Strophe:
- „Was ist Leiden? — Armut. — Was ist größer Leiden? — eben Armut. —
- Armut ist so schlimm wie Tod.“
Da sprach König Kanakavarna zum Aufseher seiner Vorratskammern: „Mann, ist in meinem Hause noch ir¬gend etwas zu essen, das ich diesem Heiligen geben kann?“ —
Der antwortete: „Wisse, o göttliche Majestät, in ganz Dschambudvipa ist alle Nahrung völlig zur Neige gegangen bis auf ein einziges Maß der göttlichen Majestät, das noch übrig ist.“ —
Da dachte König Kanakavarna: „Wenn ich es aufesse, werde ich leben. Esse ich es nicht auf, werde ich sterben.“ — Dann dachte er: „Ob ich es nun esse oder nicht esse, unweigerlich muss ich sterben. Ich habe genug gelebt. Wie sollte ein solcher Heiliger reinen und edlen Wesens hier in meinem Hause mit unbenetzter Almo¬senschale von dannen gehen?“
das letzte Gut für den Erleuchtet-Einsamen
Da rief König Kanakavarna seine Sterndeuter, Minister, Kronbeamte, Türwachen und Räte alle zu Hauf und sprach: „Freut euch, ihr Vorsteher der Dörfer! Dieses ist die allerletzte Reisspende König Kanakavarnas. Möchte diese gute Tat den Grund dazu legen, dass die Armut aller Menschen hier in Dschambudvipa ende!“ Darauf nahm König Kanakavarna die Almosenschale des großen Heiligen, schüttete das einzige Maß Essen in die Schale hinein, nahm die Schale in beide Hände, fiel auf seine beiden Knie nieder und gab die Schale dem Erhabenen Erleuchtet-Einsamen in die rechte Hand. — Das ist nun die Art der Erhabenen Erleuchtet-Einsamen, dass sie die Wahrheit mit Gesten lehren und nicht mit Worten. Da nahm der Erhabene Erleuchtet-Einsame die Almosenspeise von König Kanakavarna entge-gen und entfernte sich von dort mit Zauberkraft durch die Luft. König Kanakavarna aber hielt die Hände in Verehrung aneinandergelegt und sah ihm mit weitgeöffneten, reglosen Augen nach, bis er dem Bereich seiner Augen entschwunden war.
Danach sprach König Kanakavarna zu seinen Sterndeutern, Ministern, Kronbeamten, Türwachen und Räten: „Geht, ihr Vorsteher der Dörfer, ein jeder in sein Haus, auf dass ihr nicht hier auf der Terrasse vor Hunger und Durst alle den Tod erleidet.“ —
Sie sprachen: „Als Glanz und Glück die göttliche Majestät in Fülle umgaben, da spielten wir und freuten uns vereint mit der göttlichen Majestät. Wie sollten wir jetzt die göttli¬che Majestät in der letzten Stunde, im letzten Augenblick verlassen?“ —
Da begann König Kanakavarna zu weinen und ließ seine Tränen strömen. Als er seine Tränen abgewischt hatte, sprach er zu seinen Sterndeutern, Ministern, Kronbeamten, Türwachen und Räten: „Geht, ihr Vorsteher der Dörfer, ein jeder in sein Haus, auf dass ihr nicht hier auf der Terrasse vor Hunger und Durst alle den Tod erleidet.“ —
Als er so zu ihnen sprach, begannen die Sterndeuter, Minister, Kronbeamten, Türwachen und Räte zu weinen. Sie ließen ihre Tränen strömen, und nachdem sie sie abgewischt hatten, traten sie vor König Kanakavarna hin. Vor ihn tretend neigten sie ihre Häupter ehrfürchtig zu seinen Füßen nieder, legten ihre hohlen Hände bittend aneinander und spra¬chen zum König Kanakavarna: „Hab' Geduld damit, dass wir uns ein weniges gegen dich verfehlten! Dieses ist das allerletzte Mal, dass wir deine göttliche Majestät schauen.“ —
Da hatte der Erhabene Erleuchtet-Einsame sein Almosenmahl verzehrt. Und im selben Augenblick erhoben sich rings in allen vier Weltgegenden vier Wolkenschlei¬er, und kühle Winde begannen zu wehen, die alle Unreinigkeit von Dschambudvipa wegnahmen, und Wol¬ken löschten regnend den Staub. Und am Nachmittag desselben Tages fiel ein Regen von festen und weichen Speisen mannigfacher Art. Weiche Speisen: nämlich Reisbrei, Gerstengrütze, Fruchtbrei, Fisch und Fleisch. — Feste Speisen: nämlich essbare Wurzeln, essbare Stengel, essbare Blätter, essbare Blüten, essbare Früchte, essbare Körner, Staubzucker, Grießzucker, Klumpenzucker und Kuchen. Froh und glücklich, hohen Mutes und erhobenen Sinnes, freudig und erfüllt von Heiterkeit und Frohsinn sprach da König Kanakavarna zu seinen Sterndeutern, Ministern, Kronbeamten, Türwachen und Räten: „Seht, ihr Vorsteher der Dörfer: das ist jetzt der grüne Halm, der aus der Schenkung dieses Almosenmahls entkeimt ist, ihre Frucht wird anders sein.“ Da fiel vom zweiten Tage an sieben Tage lang ein Regen von Getreide, nämlich Sesam und enthülste Reis¬körner, Erbsen und Bohnen, Gerstenkörner, Weizen und Linsen und ungeschälter Reis. Sieben Tage lang regneten die Wolken einen Regen zerlassener Butter, sieben Tage lang regneten sie Öl, sieben Tage lang reg¬neten sie Baumwolle, sieben Tage lang regneten sie einen Regen von vielerlei Stoffen, sieben Tage lang regneten sie einen Regen von siebenerlei Kostbarkeiten und Juwelen: Gold, Silber, Beryll, Kristall, Blutperle, Smaragd und Koralle.
Dank der Größe König Kanakavarnas war alle Ar¬mut der Menschen in Dschambudvipa ganz und gar zu Ende.
Ihr Mönche, vielleicht hegt ihr Zweifel oder seid an¬derer Meinung: „Ein anderer war zu jener Zeit, in jenen Tagen der König Kanakavarna“, — so müsst ihr nicht denken. Ich war König Kanakavarna zu jener Zeit, in jenen Tagen. Das sollt ihr wissen, Mönche, weil hier nur die Namen verschieden sind.
Wüssten die Wesen, ihr Mönche, um die Frucht des Schenkens und um das Reifen der Frucht des Gabenverteilens, so wie ich weiß um die Frucht des Schenkens und um das Reifen der Frucht des Gabenverteilens: — ein allerletzter Mundvoll Wassers und ein letzter Bis¬sen —, sie würden ihn nicht verzehren, ohne davon zu geben, ohne davon auszuteilen, wenn sie einen fänden, der einer Gabe würdig ist. Und Ichsucht würde nicht erwacht ihr Denken umspinnen und umfangen halten. Weil nun, ihr Mönche, die Wesen nicht wissen um die Frucht des Schenkens und um das Reifen der Frucht des Gabenverteilens, so wie ich weiß um die Frucht des Schenkens und um das Reifen der Frucht des Gabenverteilens, darum wird solches verstockten Sinnes verzehrt, ohne dass sie davon geben und austeilen. Die Ich¬sucht umspinnt, in ihnen erwacht, ihr Denken und hält es umfangen.
- Gutes und Böses, einst getan, geht nie verloren, nie geht verloren Liebesdienst an Weisen, nie geht ein Wort in edler Menschen Ohren, dankwerte Tat dankbarem Sinne nie verloren.
- Gute und reine Tat, niedrige und gemeine reifen allzumal; und Jeder erntet die Seine.«
Solches sprach der Erhabene. Erbauten Sinnes lausch¬ten Mönche und Nonnen, Laienjünger und -frauen, Götter und Schlangenwesen, Unholde und himmlische Geister, Dämonen, Göttervögel, Halbmenschen, große Schlangen und andere Wesen, lauschte die ganze Versammlung den Worten des Erhabenen und nahm sie freudig an.
Erläuterung der Kanakavarna Legende
Der bewegte, schnell fließende Erzählungsstil der Dharmarutschi-Legende ist grundverschieden von der feierlich schreitenden, bedachtsam wiederholenden Gangart der dogmatischen Gespräche, wie sie im »Korb der Lehrreden« überliefert sind. Ihr Gang entspricht dem Prozess innerer Schau, der den werdenden Buddha in der Geschichte vom Könige Kanakavarna zum Erleuchtet-Einsamen wandelt, und diesem Gange verwandt ist der Stil, in dem die Geschichte König Kanakavarnas vorgetragen wird. In ihm gewinnt eine grundlegende geistige Gewohnheit, eine erworbene und ständig geübte Denkform des buddhistischen Mönches stilistischen Ausdruck: es gibt in den vier heiligen Wahrheiten der Buddhalehre die große Formel des Werdens und Entwerdens, deren Glieder auseinander entstehend sich entfalten und mit Umkehr der Bewegung einander aufheben und nacheinander vergehen. Ihre auf- und absteigende Leiter kennzeichnet wesentlich das kontemplativ - aktive Verhalten des buddhistischen Mönchs zu allem Gegebenen: es wird vor dem inneren Auge aufgerufen, in sich aufgebaut und in seinem Dasein vollendet, um entleert, zersetzt und völlig abgebaut zu werden. So erfüllt sich an ihm immer wieder die Wahrheit: »Alles ist unstet, alles ist leer, alles ist wesenlos« — um die zu wissen niemandem Gewinn bringt, die aber immer wieder zu tun, immer wieder zu vollziehen zur Freiheit kommen heißt.
Aus der Sphäre belehrender Rede, die den Hörer zum Mitdenken zwingen will, indem sie die Dinge zweimal betrachtet —
gleichsam rechts herum und noch einmal links herum —, entlehnt, um der Darstellung ei¬nes epischen Verlaufs zu dienen, entfaltet dieser Stil an einer ihm von Haus aus fremden Materie seine Eigentümlichkeit in ganz besonderem Maße. Er zeugt stren¬ger vom Geiste buddhistischen Mönchtums als der flie-ßend belebte Vortragston der Dharmarutschi-Legende, der außer seiner Erzählung noch die Vorstellung eines gespannt folgenden Publikums und eines versierten Erzählers, keines geistlichen Lehrers vermittelt. In seiner Eigenart wie seiner Vollendung belegt er die literarische Grunderfahrung, dass jeder vollkommenen Menschlichkeit — und nur ihr — eine vollendete, unnachahmliche, spielend leichte und echte Gebärde im Reich der Sprache eigen ist. Vorwärts drängendes Interesse, das gewohnt ist, vor allem zu fragen »was dann? was dann?«, erfährt hier heilsame Folterung.
Der Geist, der hier eindeutig Stil geworden ist, scheint nicht gewillt, seine Pulse zu beschleunigen, um Neugier zu entspannen. Er selbst ist über alle Span¬nungsmöglichkeit hinaus und gießt seine Ruhe in Satzformen, die kaum eine Verkürzung des Ausdrucks ken¬nen, wie sie hinweisende und bezügliche Fürwörter und andere stellvertretende Sprachsymbole ermöglichen, deren konsequente Anwendung profanem Erzählungsstil, z. B. der Tierfabel oder schneller laufenden buddhistischen Legenden ihr vibrierendes Tempo geben. Dieser mönchische Erzähler hat nicht nur Zeit, vielmehr: er kennt keine Zeit — so wenig wie der Mönch in kontemplativer Betrachtung oder der lehrende Buddha selbst. Er ist auf dem Wege zum Nirvana und spricht auf ihm rückwärts gewandt, leichte Sinnbilder formend, in die Welt und für die Kinder der Welt. Mit der Form seiner Rede zeugt er vom Geist des Nirvana, das völliger Gegensatz ist zum Reich der Formen und Namen, aus denen äußere wie innere Welten bestehen — das daher raumlos und zeitlos ist. Name und Form bilden den Schein des Ich, den aufzuheben die buddhistische Wahrheit erschauen heißt. Wer sich ihr nähert, verlernt, was Zeit heißt. Denn nur das Ich hat Eile. —
Inhaltlich stellt die Geschichte von Kanakavarna die Tugend der Freigebigkeit und Mildtätigkeit entschieden heraus. Sie ist ein Lieblingsthema der buddhistischen Erzählungen, die der Belehrung der Laien dienen. Denn von ihrer Blüte lebt der Orden, dessen Gliedern jede andere Arbeit als die Arbeit an sich selbst und dem Heil ihrer Mitgeschöpfe versagt ist. In der Reihe der menschlichen Vollkommenheiten, deren Besitz zur Erleuchtung führt, ist sie zudem die elementarste und den besitz- und weltfrohen Laien am meisten angemes¬sen. In ihrer Betätigung übt das Weltkind in primitiver, sinnfälliger Form die Selbstentäußerung, die Verneinung des Ich, die zum Inbegriff buddhistischer Heiligkeit und Erlösung gehört. Mit der Gewohnheit des Wegschenkens, mit der Überwindung des Haben- und Bewahren wollen fängt die buddhistische Selbsterziehung — die wahrhaft fruchtbare Erziehung — mitten im Schoße der Welt an.
Aber neben der feierlich betonten Lehre vom unendlichen Wert der Selbstverleugnung und Mildtätigkeit gegenüber würdigen Gefäßen großer wie kleinster Gaben und neben dem seit alters immer wieder gern und oft prächtiger entworfenen und gern erschauten Wunschbild des idealen Herrschers, des universalen Segens- und Friedensfürsten, berührt die Geschichte Kanakavarnas die Erscheinung der Erleuchtet-Einsamen. — Unter ihr begriff die buddhistische Lehre von der Erleuchtung augenscheinlich Mitglieder des Or-dens, denen vollkommene Heiligkeit zuerkannt wurde, ohne dass sie imstande gewesen wären, lehrend von ihr zu zeugen, begriff darunter Heilige, die abseits des geselligen Ordenslebens der Gruppen von Lehrer und Schülern und der Klöster für sich lebten in Berg und Wald oder einsam durch Wildnis und Stätten der Menschen wandelten. Vom erlösten Heiligen mönchischer Schultradition (Arhant) unterscheidet sie die Erleuchtung aus eigener einsamer Kraft, ohne Zuspruch eines Lehrers. Aus sich selbst wissend heißen sie Buddhas. In ihrem Wesen begrenzt, ihre Erleuchtung nicht redend ausstrahlen zu können, sondern nur in unwillkürlicher Gebärde und lehrhaften Wundertaten darzustellen, in ihre eigene Vollkommenheit verkapselt, kein sonnengleiches Licht zum Heile vieler Wesen zu sein, sind sie Erleuchtet-Einsame (Pratyeka-Buddhas).
Da der Sinn ihrer Erleuchtung in ihnen verschlossen liegt und mit ihnen ungesagt völligem Erlöschen anheimfällt, stand es offen, in ihre Schar Heilige und Asketen einzureihen, die, ohne das Gewand des Ordens zu tragen, in der Geistigkeit ihrer Askese und im Gestus ihrer Vollkommenheit buddhistischen Auffassun¬gen nahe kamen. So wurde die Idee des Erleuchtet-Einsamen in der Begriffswelt des Buddhismus ein Sammelbecken für die vielen verwandten asketischen Typen, die lange vor dem Erscheinen des Buddha wie später Grade der Weltüberwindung und Heiligkeit an sich verwirklichten, denen der Buddhismus, allgemeinem Empfinden folgend, seine Achtung nicht versagen mochte. Aber was sie in den Augen der Buddhisten vom Wahrhaft-Erleuchteten schied, war die Selbstge-nügsamkeit ihrer Erleuchtung.
Es war die große Tat, die den Erleuchteten (Buddha) zum Heilbringer machte, zum »Lehrer von Göttern und Menschen«, dass er die Alleinsamkeit seines Nirvana zersprengte, nachdem er einundzwanzig Tage lang in Seligkeit der Erleuchtung verbracht hatte, ohne irgend eines anderen Wesens zu gedenken. Auch der Erleuchtet-Einsame besitzt die Wahrheit, deren Wissen von allen Banden der Unvollkommenheit befreit. Er hält den buddhistischen Stein der Weisen in seiner Hand. Aber er vermag die Hand, die ihn umschließt, nicht zu öffnen, um mit seinen Strahlen vieler Wesen Augen zu erleuchten. Die Finger sind ihm verkrampft, weil er auf dem äonenlangen Wege zur Erleuchtung irgendwann einmal unwiderruflich an der Möglichkeit verzweifelte, andere Wesen hinter sich her in den Stand der Vollkommenheit nachzuziehen, und nur mehr um Erleuchtung für sich allein gerungen hat. Weil sein Wille nicht nach dem fernsten Ziele, der Erlösung aller, flog, bleibt das Heil auf ihn selbst beschränkt. Er hat sich selbst die Grenze gesetzt, als er an Stelle allumfassenden Erbarmens — der großen Tugend der Wahrhaft-Erleuchteten — Genügen an der eigenen einsamen Vollendung treten ließ.
Damit verschloss er sich selbst den Mund und ist in völliger Einsamkeit ein Erleuchtet-Stummer. Die Sprache, deren Band die Geister eint, verweigerte ihm, wenn er sie brauchen wollte, um sein Wissen zu lehren, den Dienst, weil er sich selbst auf seinem Wandel zur Erleuchtung von anderen Geistern abschied und einsam seines steilen Weges zog. Nur Gebärde und Tat, die sich selbst nicht aussagen, die nur andeuten und gedeutet sein wollen, mit denen Menschen sich voneinander unterscheiden und gegeneinander setzen, sind ihm als Mittel zur Belehrung verblieben.
Siehe auch
Literatur
- Buddhistische Legenden von Heinrich Zimmer, Insel Verlag Frankfurt am Main, 1985, 1. Auflage