Identität

Aus Yogawiki
Version vom 4. Januar 2014, 18:32 Uhr von Sanskrit (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „==Die Identitätslehre== Es gibt an den Dingen ein Wechselndes (die Formen, Eigenschaften und Zustände derselben), welches dem Gesetze der Kausalität unterli…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Die Identitätslehre

Es gibt an den Dingen ein Wechselndes (die Formen, Eigenschaften und Zustände derselben), welches dem Gesetze der Kausalität unterliegt, und ein Beharrendes (die Substanz), welches ihm nicht unterliegt. Nur indem Çankara diese Schei¬dung unterläfst und den ganzen Komplex des vorherigen und des naehherigen Seins unter den Begriff der Ursache und Wirkung rückt, wird es ihm möglich, aus dem Beharren des innern Wesens der Dinge den Beweis zu führen, dafs Ursache und Wirkung, bei aller Verschiedenheit der äufsern Form, im Grunde identisch sind.

Wir sahen bereits zu Anfang des vorigen Kapitels (S. 275), wie unser Autor aus der Identität von Ursache und Wirkung die Identität von Brahman und Welt folgert. Doch erscheint diese philosophische Ableitung des Hauptsatzes des ganzen Vedüntasystemes als eine blofse Zugabe; vorher schon (2,1,14) wird derselbe in theologischer Begründung vorgeführt und erläutert; p. 443,12: „die Wirkung ist die vom Âkka an-„fangende, weithin ausgebreitete Welt; die Ursache ist das „höchste Brahman. Mit dieser Ursache ist die Wirkung im „Sinne der höchsten Realität (pararndrtleatah) identisch und „hat kein über sie hinausreichendes Sein. Warum? — Wegen „der Schriftworte von dem blots auf Worten Beruhen der „Umwandlung usw."

Die Stelle, auf welche sich diese Hinweisung bezieht, ist der sechste Prapâthaka der Chilndogya-Upanishad, einer der allerwichtigsten Abschnitte des Veda, den wir hier, teils in Übersetzung, teils auszugsweise mitteilen wollen, um sodann die auf ihn bezüglichen Reflexionen des Çankara zu analysieren.

Tat twam asi — Das bist du. Nach Chândogya-Upanishad VI.

1. „("vetaketu war der Sohn des [Udda'laka] Aruni. Zu „ihm sprach sein Vater: «Çvetaketu! ziehe aus das Brahman „zu studieren, denn einer aus unserer Familie, o Teurer, pflegt „nicht ungelehrt und ein [blofses] Anhängsel der Brahmanen-„schaft zu bleiben. » — Da ging er, zwölf Jahre alt, in die „Lehre, und mit vierundzwanzig Jahren hatte er alle Veden „durchstudiert und kehrte zurück hochfahrenden Sinnes, sich „weise dünkend und stolz. Da sprach zu ihm sein Vater: „«Çvetaketu! dieweil du, o Teurer, also hochfahrenden Sinnes, „dich weise dünkend und stolz bist, hast du denn auch der „Unterweisung nachgefragt, durch welche [auch] das Unge-„hörte ein [schon] Gehörtes, das Unverstandene ein Verstan-„denes, das Unerkannte ein Erkanntes wird?» — «Wie ist „denn, o Ehrwürdiger, diese Unterweisung?» — «Gleichwie, „o Teurer, durch einen Tonklumpen alles, was aus Ton be-„steht, erkannt ist, auf Worten beruhend ist die Umwand-„lung, ein blofser Name, Ton nur ist es in Wahrheit; —„gleichwie, o Teurer, durch einen kupfernen Knopf alles, was „aus Kupfer besteht., erkannt ist, auf Worten beruhend ist „die Umwandlung, ein blofser Name, Kupfer nur ist es in „Wahrheit; — gleichwie, o Teurer, durch eine Nagelschere „alles, was aus Eisen besteht, erkannt ist, auf Worten be-„ruhend ist die Umwandlung, ein blofser Name, Eisen nur „ist es in 'Wahrheit, — also, o Teurer, ist diese Unterwei-„sung.» — «Gewifs haben meine ehrwürdigen Lehrer dieses „selbst nicht gewufst; denn wenn sie es gewufst hätten, warum „hätten sie mir es nicht gesagt; du aber, o Ehrwürdiger, „wollest mir solches nunmehr auslegen!» — «So sei es, „o Teurer! s"

2-3. „Seiend nur, o Teurer, war dieses am Anfang, eines „nur und ohne zweites. Zwar sagen einige, nichtseiend sei „dieses am Anfang gewesen, eines nur und ohne zweites; aus „diesem Nichtseienden sei das Seiende geboren. Aber wie „könnte es wohl, o Teurer, also sein? Wie könnte aus dem „Nichtseienden das Seiende geboren werden?" — Hieran schliefst sich die oben (S. 248 fg.) mitgeteilte Stelle, in welcher Aruni seinem Sohne auseinandersetzt, wie das eine Seiende aus sich die drei Urelemente, Glut, Wasser und Nahrung hervorgehen liefs und in dieselben mit dem lebenden Selbste (jïva ôtnian, d. i.. der individuellen Seele) einging.

4-7. Weiter folgt die Lehre von der Dreifachmachung der Elemente. Wie die drei Urelemente aus dem einen Seienden, so bestehen alle Dinge in der Welt wiederum aus den drei Urelementen: das Rote an den Dingen ist Glut (tejas, das Urfeuer), das Weifse Wasser, das Schwarze Nahrung. Dieses wird an den Naturerscheinungen des Feuers (agni), der Sonne, des Mondes und des Blitzes exemplifiziert, wobei es jedesmal heifst: „Verschwunden ist das Feuer-sein des Feuers (das „Sonne-sein der Sonne usw.), auf Worten beruhend ist die „Umwandlung, ein blofser Name, drei Gestalten nur sind es „in Wahrheit." Dieses wissend sprachen die Weisen der Vor¬zeit: „Nunmehr kann keiner etwas vorbringen, was von uns „nicht gehört, nicht verstanden, nicht erkannt wäre!" Denn sie wulsten, dafs auch das, was ihnen unbekannt war, nur eine Verbindung jener drei Urelemente sein könne. Aus ihnen ist, ebenso wie alles andere, auch der menschliche Leib ge¬bildet, wobei, wie bei der Milch der Rahm, die feinsten Teile nach oben gehen und die psychischen Organe bilden, so dafs das Manas aus Nahrung, der Odem aus 'Wasser, die Rede aus Glut gebildet ist. (Das Nähere siehe Kap. KVII, 6, S. 259 fg.) Darum wird auch der Geist des Menschen durch längeres Fasten geschwächt und durch Zu-sich-nehmen von Nahrung wieder gekräftigt, sowie aus einer übrig bleibenden glimmenden Kohle durch Zuführung von Brennstoff aufs neue das Feuer entflammt wird. [Nach dem Systeme sind Manas, Prânaa und Vâc nicht entstanden, sondern ewige Begleiter der Seele. Über die Lösung dieses Widerspruches später.]

B. Über die Zustände a) des Schlafes, b) des Hungers, c) des Durstes und d) des Sterbens.

a) Wenn der Mensch schläft, so ist er eingegangen in das Seiende; weil er dabei zu sich selbst eingeht (warn apita), darum heifst es, er schläft (wapiti). „Gleichwie ein Vogel, „der an einen Faden gebunden ist, hierhin und dorthin fliegt, „und nachdem er anderswo keinen Ruhepunkt gefunden hat, „zur Bindungsstätte [bandhanam, wie in nau-bandhanarn] ein-„geht, so, o Teurer, fliegt auch das Manas hierhin und dort-„hin, und nachdem es anderswo keinen Ruhepunkt gefunden „hat, so kehrt es ein in das Leben, denn das Leben ist die „Bindungsstätte des Manas." (Vgl. Kap. XII, 4, c, S. 205 fg.)

b) Wenn der Mensch hungrig ist und sich sättigt, so ist dieses eine Wirkung (çungam), welche als solche eine Ursache (mûlam) haben mufs. Die Sättigung als Wirkung hat als Ursache die Nahrung, die Nahrung als Wirkung hat als Ur¬sache das Wasser, das Wasser als Wirkung hat als Ursache die Glut, die Glut als Wirkung hat als Ursache das Seiende; alle diese Kreaturen haben das Seiende als Ursache, das Seiende als Stützpunkt, das Seiende als Grundlage.

c) Wenn der Mensch durstig ist und sich tränkt, so hat diese Wirkung als Ursache das Wasser, das Wasser als Wir¬kung hat als Ursache die Glut, die Glut als Wirkung hat als Ursache das Seiende; alle diese Kreaturen haben das Seiende als Ursache, das Seiende als Stützpunkt, das Seiende als Grundlage.

d) „Wenn nun, o Teurer, der Mensch dahinscheidet, so „gehet die Rede ein in das Manas, das Manas in das Leben, „das Leben in die Glut, die Glut in die höchste Gottheit: „das was jenes Feine [Unerkennbare] ist, dessen Wesens ist „dieses Weltall, das ist, das Reale, das ist die Seele, das bist „du, o Çvetaketu!"

9. „Wenn, o Teurer, die Bienen den Honig bereiten, so „sammeln sie die Säfte von mancherlei Bäumen und tragen „den Saft zur Einheit zusammen. So wie in dieser jene Säfte „keinen Unterschied behalten des bestimmten Baumes, dessen „Saft sie sind, also fürwahr, o Teurer, haben auch alle diese „Kreaturen, wenn sie [in Tiefschlaf und Tod] in das Seiende „eingehen, kein Bewufstsein davon, dais sie eingehen in das „Seiende. Selbige, ob sie hier Tiger sind oder Löwe, oder „Wolf, oder Eber, oder Wurm, oder Vogel, oder Bremse, „oder Mücke: was sie immer sein mögen, dazu werden sie „wiedergestaltet (yad-yad bhavanti, tad [oder mit Çankara „p. 433,12. 797.16 tad-tad] âbhavanti). — Das was jenes Feine „ist, dessen Wesens ist dieses 'Weltall, das ist das Reale, das „ist die Seele, das bist du, o Çvetaketu!"

10. „Diese Ströme, o Teurer, fliefsen im Osten gegen „Morgen und im Westen gegen Abend; aus dem Ozean „[kommen sie und] in den Ozean gehen sie ein; im Ozean „also werden sie geboren. Gleichwie diese daselbst [im Ozean, „bei ihrem Entstehen] nicht wissen, dais sie dieser oder jener „sind, also fürwahr, o Teurer, wissen auch alle diese Krea-„turen, wenn sie aus dem Seienden wieder hervorgehen, nicht, „dafs sie aus dem Seienden wieder hervorgehen. Selbige, ob „sie hier Tiger sind oder Löwe, oder Wolf, oder Eber, oder „Wurm, oder Vogel, oder Bremse, oder Mücke: was sie immer „sein mögen, dazu werden sie wiedergestaltet.104 — Das was „jenes Feine ist, dessen Wesens ist dieses Weltall, das ist „das Reale, das ist die Seele, das bist du, o Çvetaketu!"

11. „Wenn man, o Teurer, hier diesen grofsen Baum an „der 'Wurzel anschneidet, so trieft er, weil er lebt; wenn man „ihn in der Mitte anschneidet, so trieft er, weil er lebt; wenn „man ihn an der Spitze anschneidet, so trieft er, weil er lebt; „so stehet er, durchdrungen von dem lebendigen Selbste, „strotzend und freudevoll. Verläfst nun das Leben einen Ast, „so verdorrt dieser, verläfst es den zweiten, so verdorrt „dieser, verläfst es den dritten, so verdorrt dieser, verläfst „es den ganzen Baum, so verdorrt der ganze. Also auch, „o Teurer, sollst du merken, so sprach er: dieser [Leib] „freilich stirbt, wenn er vom Leben verlassen wird, nicht „aber stirbt das Leben. Was dieses Feine ist, dessen Wesens „ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist die Seele, das „bist du, o Çvetaketu!"

12. „« Hole mir dort von dem Nyagrodha-Baume eine „Frucht.» — «Hier ist sie, Ehrwürdiger.» — « Spalte sie.» —„« Sie ist gespalten, Ehrwürdiger.» — «Was siehest du „darin?» — «Ich sehe hier, o Ehrwürdiger, ganz kleine „Kerne.» — » Spalte einen von ihnen.» — «Er ist gespalten, „Ehrwürdiger.» — «Was siehest du darin?» — a Gar nichts, „o Ehrwürdiger.» — Da sprach er: «Das Feine, was du „nicht wahrnimmst, o Teurer, aus diesem Feinen fürwahr ist „dieser grofse Nyagrodha-Baum entstanden. Glaube, o Teurer, „was dieses Feine ist, dessen Wesens ist dieses Weltall, „das ist das Reale, das ist die Seele, das bist du, o Çveta-„ketu ! D"

13. „« Hier dieses Stück Salz lege ins Wasser und komme „morgen wieder zu mir.» — Er tat es. Da sprach er: «Bringe „mir das Salz, welches du gestern abend ins Wasser ge-„legt hast. » — Er suchte danach und fand es nicht, denn „es war geschmolzen. « Koste von dieser Seite! — Wie „schmeckt es?» — «Salzig.» — «Koste aus der Mitte! —„Wie schmeckt es?» - «Salzig.» — »Koste von jener Seite! —„Wie schmeckt es?» — «Salzig.» — «Lafs es stehen und „setze dich zu mir.» — Er tat es [und spracht: « Es ist „immer noch vorhanden.» — Da sprach jener: «Fürwahr, so „nimmst du auch das Seiende hier [im Leibe] nicht wahr, „aber es ist dennoch darin. Was dieses Feine ist, dessen „Wesens ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist die „Seele, das bist du, o Çvetaketu! »" —

14. „Gleichwie, o Teurer, ein Mann, den sie aus dem „Lande der Gandharer mit verbundenen Augen hergeführt „und dann in der Einöde losgelassen haben, nach Osten, oder „nach Norden, oder nach Süden verschlagen wird, weil er mit „verbundenen Augen hergeführt und mit verbundenen Augen „losgelassen worden war, aber, nachdem jemand ihm die Binde „abgenommen und zu ihm gesprochen: «dorthinaus liegen die „Gandhärer, dorthinaus gehe», von Dorf zu Dorf sich weiter „fragend, belehrt und verständig zu den Gandhàrern heim-„gelangt, — also auch ist ein Mann, der hienieden einen „Lehrer gefunden, sich bewufst: «diesem [Welttreiben] werde „ich nur so lange angehören, bis ich erlöst sein werde, darauf „werde ich heimgehen.» — Was dieses Feine ist, dessen ,,Wesens ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist die „Seele, das bist du, o Çvetaketu!"

15. „Um einen todkranken Mann sitzen seine Verwandten „herum und fragen ihn: Erkennst du mich? Erkennst du „mich?» — Solange noch nicht seine Rede eingegangen ist „in das Manas, sein Manas in das Leben, sein Leben in die „Glut, die Glut in die höchste Gottheit, so lange erkennt er „sie; aber nachdem seine Rede eingegangen ist in das Manas, „sein Manas in das Leben, sein Leben in die Glut, die Glut „in die höchste Gottheit, alsdann erkennt er sie nicht mehr. —„Was dieses Feine ist, dessen Wesens ist dieses Weltall, das „ist das Reale, das ist die Seele, das bist du, o Çvetaketu!"

16. „Einen Menschen führen sie heran mit geknebelten „Händen und rufen : « Er hat geraubt, hat einen Diebstahl „begangen! macht das Beil für ihn glühend!» — Wenn er „der Täter ist, so machet er sich selbst unwahr; Unwahres ,,aussagend hüllt er sich selbst in Unwahrheit, fafst das „glühende Beil an, verbrennt sich und wird hingerichtet; aber „wenn er nicht der Täter ist, so machet er sich selbst wahr; „Wahres aussagend hüllt er sich selbst in Wahrheit, fafst das „glühende Beil an, verbrennt sich nicht und wird losgelassen. „[D. h., wie p. 103,9. 447,6 dies Bild erläutert wird: aus der „Unwahrheit folgt Bindung, aus der Wahrheit Erlösung.] „Das, wodurch jener sich nicht verbrannte [die Wahrheit], „dessen Wesens ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist „die Seele, das bist du, o Çvetaketu!" — „Also wurde er von ihm belehrt."

Die Identitätslehre des Vedäntasystemes. Nach 2,1,14.

a) Aufhebung der Vielheit in Brahman

Für das hellenische Bewufstsein hat das Dasein der Welt seinen Zweck in sich selbst. Das an das Alte Testament sich lehnende Christentum sucht die Schöpfung aus der Liebe Gottes zu den zu erschaffenden Menschen, zu einem noch nicht Vorhandenen, zu begreifen. Nach indischer Anschauung be¬ruht die Ausbreitung der Welt auf einer moralischen Not¬wendigkeit. Die Taten der Seele in einem frühere Dasein müssen gesühnt werden. Die Stätte dieser Sühne zu sein, — das ist die einzige Bedeutung dieser unendlichen Welt. Ihre ganze Mannigfaltigkeit geht auf in zwei Faktoren, welche durch die Worte bhokter und bhogyam bezeichnet werden: sie ist von der einen Seite bhoktar, Geniefser, d. h. (individuelle) Seele, Subjekt des Geniefsens, beziehungsweise Leidens, und von der andern Seite bhogyam, zu Geniefsendes, Frucht (phalam) der Werke in einem frühern Dasein, Objekt des Geniefsens und des Leidens der Seele. Die Welt ist dieses Auseinandertreten des Seins in geniefsende Seele und in zu geniefsende Frucht und aufserdem nichts (vgl. ad Brih. p. 265,6).

Diese Vielheit von Geniefser und Frucht, so erörtert Çankara, ist wahr, solange wir auf dem empirischen (wörtlich: prak¬tischen, vyâvahiarika) Standpunkte verharren; sie ist nicht mehr wahr, wenn wir uns auf den metaphysischen (wörtlich: abso¬lut-realen, piaranaârthika) Standpunkt erheben (p. 443,9); für ihn ist die ganze Weltwirkung eins mit ihrer Ursache, dem Brahman. Dies besagt die eben mitgeteilte Stelle der Chân-dogya- Upanishad. Das Gleichnis von dem Tonklumpen (Chând. 6,1, 5.282) lehrt, dafs, gleichwie alle Umwandlungen des Tons zu Gefäfsen nur auf Worten [wir würden sagen: auf Vorstellungen] beruhen, in Wahrheit aber nichts anderes sind als Ton und immer nur Ton, so auch alle Umwand¬lungen der Welt nur Brahman allein sind und über dieses hinaus kein Sein haben (p. 444). In diesem Sinne führt die Schrift (Chänd. 6,4-7, S. 283) alle Erscheinungen der Welt auf die drei Urelemente, die drei Urelemente aber (Chând. 6,2-3, S. 283. 248) auf das Seiende, das Brahman zurück (p. 444,13). Und ebenso besagt die Formel am Schlusse der Abschnitte Chând. 6,8-16, dais die Welt, und (in den Wor¬ten: tat tvam asi, das bist du) dais die Seele (tvam) mit Brahman (tat) identisch ist. [Dieselbe Bedeutung hat das etad vai tat in Kâth. 4,3.5.6 usw., oben, S. 166]. Damit ist alle Vielheit für nichtreal erklärt, wie dies ausdrücklich der Vers (Brih. 4,4,19, S. 210) lehrt:

„Im Geiste sollen merken sie: „Nicht ist hier Vielheit irgendwie; „Von Tod zu Tode wird verstrickt „Wer eine Vielheit hier erblickt."

Wie daher der Raum in den Gefdfsen mit dem grofsen Raume identisch ist, wie die Wüstenspiegelung mit der Salzsteppe identisch ist, indem sie verschwindet, wenn man sie näher be-trachtet und an sich (svarûpena) nichts Wahrnehmbares ist, so auch hat die Weltausbreitung von Geniefser und zu Ge-niefsendem über das Brahman hinaus kein Dasein (p. 445,7).

b) Verhältnis der Einheit zur Vielheit

Wie hat man sich nun das Verhältnis zwischen der Einheit des Seienden und der Vielheit seiner Entfaltungen zu denken? — Verhält sich etwa das eine Brahman zu den vielen Kräften (S. 244 fg.) wie der Baum zu seinen Ästen, welcher, sofern er Baum ist, eine Einheit, sofern er in Äste auseinandergeht, eine Vielheit bildet, oder wie der eine Ozean zu der Vielheit von Schaum, Wellen usw., oder der eine Ton zu der Vielheit der Gefäfse, — so dais an die Erkennt¬nis der Einheit die Erlösung, an die der Vielheit das Welttreiben und der religiöse Kultus sich knüpft? --- Keineswegs! Vielmehr, wie in dem Gleichnisse vom Tonklumpen nur der Ton real ist, alle seine Umformungen aber nur auf Worten beruhen, d. h. unwahr sind, so ist auch an der Welt die höchste Ursache, d. h. Brahman, das einzig und allein Reale, und die verkörperte Seele ist nichts anderes als das Brahman selbst (p. 445,10-446,9).

Dieses Brahman-sein der Seele braucht nicht erst durch irgend eine Anstrengung verwirklicht zu werden, sondern es ist schon an sich verwirklicht, daher durch die Schriftlehre nur die natürliche Auffassung von der Individualität der Seele widerlegt zu werden braucht, so wie (in dem bekann¬ten Bilde) durch die Erkenntnis, dais es ein Strick ist, die Meinung, dais es eine Schlange sei, widerlegt wird.106 Ist aber das Sein der individuellen Seele widerlegt, so ist damit auch das ganze auf ihr beruhende Welttreiben widerlegt, dem zuliebe man einen vielheitlichen Teil an Brahman annehmen wollte. Und dieses Nichtsein des Welttreibens ist nicht nur bedingungsweise [in Tiefschlaf und Tod], sondern, wie die Worte tat (vans asi zeigen, unbedingt und ohne Einschränkung auf bestimmte Zustände anzunehmen. Auch das Gleichnis von dem Diebe (Chând. 6,16, S. 287) lehrt, indem es zeigt, wie auf das Sagen der Unwahrheit Bindung, auf das Sagen der Wahrheit Lösung folgt, dais nur die Einheit allein im vollsten Sinne real ist, die Vielheit hingegen aus der falschen Erkenntnis herausklafft. Wäre beides, die Einheit und die Vielheit, real, so könnte man nicht von dem, der auf dem Standpunkte des Welttreibens steht, sagen, dais er in der Unwahrheit befangen sei und „von Tod zu Tode verstrickt" werde; es könnte dann nicht heifsen: „aus der Erkenntnis die Erlösung" [jnânân mokshali, — eine Sentenz, die auch p. 438,2. 916,11 und Kapila 3,23, jnânân muktih, sich findet und in ihren zwei Worten gar viel zu denken gibt]; auch könnte dann nicht die Erkenntnis der Vielheit durch die Er¬kenntnis der Einheit vernichtet werden (p. 446,9-447,14).

c) Wie ist Erkenntnis der Einheit vom Standpunkte der Vielheit aus möglich?

Nur die Einheit ist, die Vielheit ist nicht. Dieser Satz hebt nicht nur die empirischen Erkenntnismittel, Wahrneh¬mung usw., sondern auch den vedischen Kanon der Gebote und Verbote auf (vgl. S. 58). Aber hebt er nicht auch den Kanon der Erlösungslehre auf? Denn auch diese setzt ja die Zweiheit. von Schüler und Lehrer voraus, beruht also auf der Unwahrheit; wie kann da die auf unwahrem Standpunkte erteilte Belehrung Tiber die Einheit wahr sein (p. 448,5)?

Hierauf ist zunächst zu erwidern, dafs alles empirische Treiben bis zur Erkenntnis ebenso gut wahr ist, wie alle Traumgesichte bis zum Erwachen. Jedes Wesen nämlich hat seine ursprüngliche Identität mit Brahman vergessen und hält nun das empirische „Ich" und „Mein" für das Selbst und seine Eigenschaften. Dies ist so lange wahr, bis die Erkennt¬nis der Einheit mit Brahman erwacht. — Ganz wohl, aber doch nicht darüber hinaus! Eine Strickschlange kann doch nicht wirklich beifsen, eine Luftspiegelung löscht nicht wirk¬lich den Durst; und ebenso ist es im Traume: das geträumte Schlangengift tötet nicht wirklich, das geträumte Wasser macht nicht wirklich nafs! — Gewifs nicht! aber wie man (im Traume) die Ursache, den Schlangenbifs, das Wasser, wahrnimmt, ebenso nimmt man auch die Wirkung, das Ster¬ben, das Nafswerden, wahr. — Aber diese Wirkung ist doch nicht real ! [Wie kann also durch die nichtreale Belehrung das reale Brahman erkannt werden?] — Die Wirkung ist nicht real, aber die Wahrnehmung derselben ist real und wird durch das Erwachen nicht aufgehoben. Denn wenn jemand erwacht, so erkennt er als Irrtum,' dafs die Schlange, das Wasser da waren, nicht aber, dafs er sie wahrgenommen hat. So ist zwar das im Traume Wahrgenommene nicht wahr, aber die Wahrnehmung desselben ist wahr (woraus, wie Çankara beiläufig bemerkt, die Meinung derlMaterialisten, dafs der Leib das Selbst sei, sich widerlegen läfst). Auch daran ist zu erinnern, dafs oft durch das unwahre Traum¬gesicht wahre Ereignisse voraus angezeigt werden; sagt doch auch die Schrift (Chând. 5,2,9), dafs geträumte Liebesabenteuer Glück vorbedeuten, und wenn man im Traume einen schwarzen Mann mit schwarzen Zähnen sieht, so bedeutet. das (nach Ait. är. 3,2,4,17) baldigen Tod. Bekannt ist ja auch, dafs die der Regeln und Ausnahmen Kundigen (die Traum¬deuter) aus dem Traume Gutes und Schlimmes vorhersagen. So wird aus dem Unwahren die Wahrheit erkannt, ähnlich wie aus den Schriftzeichen, die keine Laute sind, die wirk¬lichen Laute (p. 447,14-451,4).

Diese Erörterungen dürfen wir wohl dahin verstehen, dafs in der Nichtrealität der Erscheinungswelt die Seele real bleibt. Die Belehrung wendet sich an die Seele, und somit wird sie durch Aufhebung der Erscheinungswelt nicht mit aufgehoben.

d) Wert der Einheitslehre

Die Erkenntnis der Einheit ist final, denn sie läfst nicht, wie die Kultusvorschriften, etwas über sich hinaus zu wün¬schen übrig, weil sie alles in sich begreift; sie ist erreich¬bar, wie die Schrift, durch Beispiele und Aufmunterung dazu, beweist, sie ist nicht zwecklos, denn ihre Frucht ist Auf¬hebung des Nichtwissens, und sie ist untrüglich, weil keine Erkenntnis da ist, die sie aufheben könnte. Denn das Brah¬man ist nicht, wie alles andere, eine blofse Umwandlung; es ist das Höchste, frei von aller Veränderung und von allen Qualitäten; nur durch die Erkenntnis des Brahman, nicht durch die seiner Umwandlungen, kann die Erlösung erreicht werden (p. 451,4-454,1).

e) Kritik des Anthropomorphismes

Der Vedanta behauptet einerseits die Einheit und Zweit-losigkeit des Brahman, welche kein Sein über dasselbe hinaus zuläfst , und anderseits nennt er Brahman „den Herrn" und stellt ihm die Welt als das Beherrschte gegenüber. Aber die Bezeichnungen des Brahman als Herrscher, Allwissender, Allmächtiger beziehen sich nur auf die vom Nichtwissen auf-gestellte Ausbreitung der Namen und Gestalten und sind nicht im höchsten Sinne festzuhalten. Man mufs nämlich zwei Standpunkte unterscheiden: den Standpunkt des Welttreibens (vyavahâra-avasthâ) und den Standpunkt der höchsten Realität (paramârtha-avasthâ). Auf letzterem Standpunkte lehrt die Schrift durch Worte wie: „wo aber „einem alles zum eigenen Selbste geworden ist, wie sollte er „da irgend wen sehen" usw. (S. 188) , das Nichtsein des ganzen Welttreibens; auf ersterem Standpunkte aber läfst sie das Verhältnis von Herrscher und Beherrschtem usw. zu; so wenn sie sagt (S. 210) : er ist der Herr des Weltalls, er „ist der Gebieter der Wesen, „er ist der Hüter der Wesen". Und eben diese beiden Standpunkte läfst der Verfasser der Sûtra's zu, indem er einerseits die Identität lehrt, anderseits aber die Anschauungen des Brahman als eines Ozeans [im Gegensatze zu Wellen, Schaum und Wasserblasen, 2,1,13; das Unzulängliche dieses Bildes wird wiederholt hervorgehoben, p. 445,13. 446,4. 456,8, vgl. 515,11] und ähnliche Aufassungen erlaubt, welche das Dasein der Welt voraussetzen und zu den Verehrungen des attributhaften Brahman (S. 109 fg.) zu rech¬nen sind (p. 454,1-456,10). So beschränken unsere Autoren die anthropomorphischen, im Realismus wurzelnden Auffassungen Gottes als einer Per¬sönlichkeit auf die exoterische Theologie.