Lösung
Lösung der kosmologischen Probleme
Artikel aus dem Buch „Das System des Vedanta“ von Paul Deussen, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906, S. 294-304.
Die von uns Kap. XVI [I, S. 270 fg. zusammengestellten kosmologischen Probleme finden sich, gefolgt von ihrer jedesmaligen Lösung, im Grundwerke teils vor, teils nach der Darlegung der Identitätslehre. Unsere Umstellung und Verteilung der Probleme und ihrer Lösungen an zwei verschiedene, durch die Identitätslehre getrennte Kapitel hat ihre Berechtigung darin, dass die Aufwertung jener Probleme nur auf empirischem Standpunkte und somit vor der Identitätslehre, die völlige Lösung nur nach derselben möglich ist. Wenn unsere Autoren es anders halten, so liegt dies daran, dafs die von ihnen selbst auf das bestimmteste aufgestellte Untersoheidung des empirischen und des metaphysischen Standpunktes (Vyava Hariki und Paramarthiki Avasta, S. 113 fg.) in ihrem Werke mangelhaft durchgeführt wird. Soweit dieser Mangel durch eine blofse Umstellung gehoben werden kann, glaubten wir ihn heben zu dürfen und dabei in keinem Falle weiter zu gehen, als etwa ein Übersetzer, wenn er die von dem Autor selbst nachträglich gegebenen Verbesserungen im Werke desselben durchführt; wenn aber, wie wir sehen werden, die Lösung der kosmologischen Probleme vielfach zunächst von empirischem Standpunkte, und erst wo dieses nicht mehr gehen will durch Berufung auf die metaphysische Lehre von der Identität gesucht wird, so hielten wir uns nicht zu einer Remedur befugt: vielmehr mufste das Hin- und Herschwanken zwischen empirischem und metaphysischem Standpunkte, wie wir es es in dem Folgenden bemerken werden, unangetastet bleiben, als historisches Denkmal einer Stufe, auf welcher der Philosoph sich erst zur vollen Klarheit durchkämpft, ohne die Spuren der überwundenen Halbheit in seinem eigenen Werke völlig zu tilgen. Möglich wäre es auch, und manche Anzeichen sprechen dafür (vgl. S. 30. 150 und Anm.17. 45. 21. 22), dafs an der uns vorliegenden Form des Kommentars zu den Brahmasùtra's verschiedene Hände gearbeitet haben; aber diese Anzeichen sind zu unbestimmt, und das ganze Gepräge der Darstellung ist zu wenig individuell, um jene Möglichkeit zu irgend welohen Hypothesen zu verdichten.
Wir geben die Lösungen in derselben Reihenfolge wie die Probleme, welche von Punkt zu Punkt in Kap. XVIII nachzusehen sind.
Das Kausalitätsproblem, nach 2,1,6.7.9
a) Die Wesensverschiedenheit des Brahman und der Welt. — Auf den Einwurf, dafs Brahman nicht die Ur¬sache der Welt sein könne, weil beide wesensverschieden sind, wird zunächst empirisch, durch Hinweisung auf Beispiele ge¬antwortet, in denen die Wirkung von der Ursache verschieden ist: so entstehen aus dem geistigen Menschen die nichtgeistigen Haare und Näge], aus dem nichtgeistigen Mist der geistige Mistkäfer (vriç•rika = ,gomayakita). Aber wie hier Ursache und Wirkung bei aller Verschiedenheit der Form doch das Ge¬meinsame haben, dafs beide aus der Erde entsprungen sind, so haben Brahman und die Welt als gemeinsames Merkmal das Sein (sattâ). — Was soll das überhaupt für eine 'Wesens¬verschiedenheit (vilakshanetvam) sein, auf Grund deren der Gegner die Weltschöpfung durch Brahman bestreitet? Soll sie 1) darin liegen, dafs die Natur nicht ganz und gar mit dem Wesen Brahman's übereinstimmt? Nun, ohne ein gewisses Uber-sich-hinausreichen (atigaya) der Ursache findet überhaupt kein Verhältnis von Ursaohe und Wirkung statt. Oder soll 2) die Differenz beider eine totale sein? Das läfst sich doch nicht behaupten, denn der Augenschein lehrt, dafs das Sein (salt4J, welches die Wesenheit Brahman's ausmacht, in den Dingen, aus denen die Natur besteht, sich gleichfalls findet. Oder soll 3) die Natur deswegen nicht aus Brahman ent¬sprungen sein können, weil ihr die Geistigkeit (caitanyam) teilweise fehlt? Dagegen spricht die dem Gegner mangelnde Argumentationsbasis (drishtânta-abhâvah); und nicht nur sie, sondern auch die Offenbarung der Schrift. Es ist aber ein blofses [unberechtigtes] Postulat (manoratha- tram), dafs Brahman deswegen , weil es ein faktisch Vorhandenes (pari-nishpannam) ist, auch den weltlichen Erkenntnismitteln ergreif-bar sein soll: denn die Wahrnehmung kann das Brahman nicht erfassen, weil es keine Gestalt, die Folgerung usw. nicht, weil es kein Merkmal (lingam) hat; und wenn nichtsdestoweniger die Reflexion auch von der Schrift empfohlen wird, so ist dies eben nur von einer auf die Schrift gerichteten, nicht von einer von ihr abgelösten Reflexion zu verstehen. — Übrigens mufs man nicht glauben, dafs die Welt deswegen, weil sie eine Wirkung Brahman's ist, vor ihrer Schöpfung ein Nichtseiendes gewesen wäre. Auch damals schon war sie, jedoch nur in Gestalt ihres ursächlichen Selbstes (kârana-âtmanâ), so wie sie auch gegenwärtig nur kraft dieses ursächlichen Selbstes ihr Bestehen hat (p. 424,9-429,13).
Die letzte Wendung weist, indem sie das Kausal-verhältnis von der Form der zeitlichen Aufeinanderfolge eman¬zipiert und zu einem simultanen macht, schon deutlich auf die Identitätslehre hin.
b) Inquinierung des Brahman durch die Welt. — Auf die Einwendung, dafs das Brahman, wenn es die Welt reabsorbiert, durch dieselbe befleckt werde, ist zu erwidern, dais nach der Erfahrung eine Ursaohe, wenn die Wirkung in sie zurückkehrt, von deren Qualitäten nicht betroffen wird: so kehren die Gefäfse in den Ton, das Goldgeschmeide in das Gold, die Wesen in die Erde zurück, ohne dieselben durch ihre Beschaffenheit zu alterieren. Überhaupt würde es kein wahres Zurückkehren sein, wenn die Wirkung, in die Ursache eingehend, ihre Qualitäten festhielte. Vielmehr (und hiermit springt unser Autor zur metaphysischen Erklärung über) besagt die Lehre von der Identität der Ursache und Wirkung, dais die Wirkung der Ursache, nicht aber, dais die Ursache der Wirkung wesensgleich ist. Die obige Einwen¬dung ist zu eng gefafst: nicht nur bei ihrem Zurückkehren, sondern auch während ihres Bestehens würde die Welt das Brahman beflecken; denn zu aller Zeit, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist die Welt mit Brahman identisch; aber weder ihr Bestehen noch ihr Zurückgehen befleckt das Brahman, und zwar deshalb, weil die Weltwirkung mitsamt ihren Qualitäten nur durch das Nichtwissen [der Seele] auf¬gebürdet ist. „Wie daher der Zauberer, durch das von ihm „hervorgebrachte Blendwerk (mâyâ), selbst nicht berührt wird, „weil dasselbe wesenlos (avastu) ist, so wird auch der Pa-„ramâtman durch das Blendwerk des Samsâra nicht berührt. „Und gleichwie der Träumende von dem Blendwerk des Trau-„mes nicht berührt wird — weil (nach Brih. 4,3,15.16, S. 205) „die Seele von Schlaf und Wachen nicht betroffen wird „[scheint ein unechter Zusatz zu sein] — also wird der eine „unwandelbare Zuschauer der drei Zustände [Wachen, Traum-,,schlaf, Tiefschlaf] durch die wechselnden drei Zustände nicht „betroffen. Denn das Erscheinen der höchsten Seele in den „drei Zuständen ist nur ein Blendwerk, vergleichbar dem „Erscheinen des Strickes als Schlange. Darum sagen die ,,Lehrer, welche der Überlieferung der Vedântalehre kundig „sind (Gaudapâda ad Mândaikya-Up. 1,16, p. 384):
„Wenn aus des anfanglosen Blendwerks Schlummer „Die Seele aufwacht, dann erwacht in ihr „Das ungebor'ne schlummerlose Eine."
„Folglich ist es falsch, dass die Ursache durch die Qualitäten der in sie eingehenden Wirkung wie Materialität usw. befleckt werde" (S. 431,1-433,4).
c) Unmöglichkeit einer neuen Differenzierung. — Auf diesen Einwand ist zu erwidern: gleichwie die Seele im Tiefschlafe und in der Meditation (vorübergehend) zu ihrer ursprünglichen Einheit zurückkehrt, beim Erwachen aus diesen Zuständen aber, sofern sie noch nicht vom Nichtwissen be¬freit ist, ihre individuelle Existenz zurückerhält, so ist es auch bei ihrem Eingehen in das Brahman. „Denn so wie, „zur Zeit des Bestehens der Welt, zufolge der falschen Er-„kenntnis das Treiben der Geteiltheit in dem ungeteilten „Pararnâtrnan wie ein Traum ungehemmt vor sich geht, so „mufs man annehmen, dais auch nach der Rückkehr in Brah-„man die Differenzierungskraft, durch die falsche Erkenntnis „bedingt, fortbesteht" (p. 433,4-434,2).
d) Gefahr einer Rückkehr der Erlösten. — Aus dem Gesagten folgt, dais die Erlösten nicht wiederum geboren werden können, weil bei ihnen durch die volle Erkenntnis jene das individuelle Dasein bedingende falsche Erkenntnis aufgehoben ist (p. 434,1-2), indem bei ihnen, wie es an einem andern Orte (p. 342,7) heilst, die Samenkraft (S. 246) durch das Wissen verbrannt ist.
Siehe auch
Literatur
- Vedanta für Anfänger von Swami Sivananda
- Vedanta - Der Ozean der Weisheit von Swami Vivekananda
- Paul Deussen: Das System des Vedanta, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906.
- Soami Divyanand: Vedamrit - Die Botschaft der Veden. ISBN 3-926696-03-6 (Übersetzung der Veden auf Deutsch, Bd. 1); ISBN 3-926696-13-3 (Bd. 2); ISBN 3-926696-26-5 (Bd. 3)
- Wilfried Huchzermeyer: Die heiligen Schriften Indiens - Geschichte der Sanskrit-Literatur.(edition-sawitri.de) ISBN 3-931172-22-8
- Moritz Winternitz: Geschichte der Indischen Literatur, Leipzig, 1905 - 1922, Vol. I - III. Reprint in englischer Übersetzung: Maurice Winternitz: History of Indian Literatur, Motilal Barnarsidass, Delhi, 1985.
- Aurobindo: Das Geheimnis des Veda, 2. Auflage 1997, Hinder + Deelmann, ISBN 3-873481-65-0
- Lokamanya Bâl Gangâdhar Tilak: Orion ou Recherches sur l'Antiquité des Védas, Milan, Éditions Archè, 1989
Weblinks
- Meditation Anleitungen, darunter einige abstrakte Techniken aus dem Vedanta
- Artikel von Swami Sivananda: Vedanta
- Divine Life Society - Sivananda Ashram
Seminare
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