Gelassenheit
Gelassenheit ist die Fähigkeit, inmitten der Höhen und Tiefen des Lebens und der Ereignisse Ruhe zu bewahren. Das deutsche Wort Gelassenheit stammt vom mittehlhochdeutschen Wort Gelazenheit ab, dieses von gelazen. Es hat etwas zu tun mit lassen, loslassen. Es bedeutet ursprünglich auch gottergeben, maßvoll, ruhig.
Ein Symbol ist das Auge des Zyklons: Inmitten eines Wirbelsturms ist es ruhig. So kann ein gelassener Mensch inmitten aller Hektik innerlich ruhig bleiben.
Grade der Gelassenheit
Es gibt zwei Grade der Gelassenheit:
- Gelassenheit ersten Grades: Gelassenheit gegenüber den Ereignissen der äußeren Welt: Ruhe des Geistes inmitten von Veränderungen
- Gelassenheit zweiten Grades: Gelasssenheit gegenüber den Ereignissen der inneren Welt. Akzeptanz gegenüber der eigenen Emotionalität, den eigenen Höhen und Tiefen. Die Fähigkeit, seine Gefühle, Emotionen etc. anzunehmen und sie bis zu einem gewissen Grad steuern zu können.
Gelassenheit ersten Grades wäre z.B. ein Vater, der seine Kinder dazu bringt, sich jederzeit zu benehmen. Gelassenheit zweiten Grades wäre ein Vater, der inmitten von chaotisch spielenden Kindern seine Ruhe bewahren kann – und wenn nötig, seine Kinder auch zur Ruhe bringen kann, aber keine Probleme damit hat, wenn die Kinder mal laut werden. Die Kinder sind dabei die Emotionen etc.
Gelassenheit ersten Grades wäre ein Fußballtrainer, der seine Fußballspieler dazu bringt, jederzeit vortreffliches Benehmen zu haben. Gelassenheit zweiten Grades wäre ein Fußballtrainer, der seine Fußballspieler in ihrer Individualität anerkennt, weiß dass der ein oder andere auch mal cholerisch ist und der andere ein Kämpfer ist und der nächste höhen und tiefen hat. Und der dennoch alle zu einer Mannschaft, einem Team zusammenfasst.
Gelassenheit ersten Grades ist ein König, der seine Minister danach aussucht, dass sie stets harmonisch miteinander umgehen. Gelassenheit zweiten Grades ist ein König, der seine Minister danach aussucht, dass sie engagiert ihre Aufgabe erfüllen, dabei ihr eigenes Temperament haben, auch mal miteinander streiten. Der dabei alle Minister gut miteinander koordiniert, und so das Wohl des Staates voranträgt.
Gelassenheit in Religion und Philosophie
Stoische Gelassenheit
Begründet von Zenon von Kition um 300 v.Chr. Bekannteste Vertreter Cicero, Seneca und Mark Aurel. Grundlage: Mein Glück sollte nicht abhängig sein von etwas, was nicht in meiner Macht ist. Praktischer Satz: Es spielt keine Rolle, es ist unerheblich. Aber in Verbindung mit Pflichterfüllung und Engagement: Tue, das was zu tun ist. Aber mache dein eigenes Glück nicht abhängig von anderen.
Gelassenheit im mittelalterlichen Christentum, speziell Meister Eckhart
Im mittelalterlichen Christentum kam der Gelassenheit eine besondere Bedeutung zu. Insbesondere der große Mystiker und spirituelle Lehrer Meister Eckhart sprach in seinen Predigten und Traktaten immer wieder von Gelassenheit. Vielleicht hat Meister Eckhart sogar das Wort Gelassenheit in die deutsche Sprache eingeführt. Mindestens hat er diesem Wort zu einer gewissen Popularität verholfen. Meister Eckhart war Dominkaner-Mönch, lebte von 1260-1328. Gelassenheit war für Meister Eckhart ganz entscheidend, um Gottes Gegenwart zu erfahren, Loslassen der Ichbezogenheit. Indem der Mensch sich von den vergänglichen Dingen des Lebens löst, kann er sich mehr Gott zuwenden.
Zur Gelassenheit der mittelalterlichen Mystiker gehört also eine Neuformulierung der Werte: 1. Gott ist wichtig, es gilt sich ihm zuzuwenden. 2. Die materiellen vergänglichen Dinge sind nicht so wichtig. Ähnlich formulierte es die mittelalterliche Alchemie: Solve et coagula, löse und binde: Löse dich vom Vergänglichen, binde dich an das Ewige.
Diese Grundsätze kannst du für die Entwicklung von Gelassenheit umsetzen, insbesondere wenn du spirituell oder religiös bist:
- Mache dir bewusst, was wirklich wichtig ist.
- Und mache dir bewusst was nicht wirklich wichtig ist.
Das ist sogar nicht religiös interpretierbar:
- Mache dir bewusst, was dir wirklich wichtig ist.
- Mache dir bewusst, was dir nicht wirklich wichtig ist.
Indem du hohe Werte hast, kannst du bei vielem anderen gelassen bleiben.
Indem du deine hohen Werte so formulierst, dass sie nicht so leicht in Frage gestellt werden, kannst du gegenüber anderem gelassen bleiben.
Gelassenheitsgebet
- Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
- den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
- und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden
Dieses Gebet wird manchmal christlichen Mystikern aus dem Mittelalter, insbesondere dem Heiligen Franziskus zugeschrieben. Das Gebet ergibt sich auch aus den Lehren der Stoiker. Es wurde so ausformuliert von dem Theologen Reinhold Niebuhr. Populär wurde es durch die Anonymen Alkoholiker, welche das Gelassenheitsgebet zu einem wichtigen Baustein machten, um vom Alkohol loszukommen.
Buddhismus: Upeksha bzw. Upekka: Gelassenheit durch liebevolles Verständnis
Upeksha kann übersetzt werden als Gleichmut und auch als Gelassenheit. Upeksha gehört zu Brahmvihara, zu den vier himmlischen Verweilzuständen bzw. die vier Unermesslichen. Die vier sind Maitri (Liebe, Verbundenheit), Karuna (Mitgefühl, Empathie, Einfühlungsvermögen), Mudita (Mitfreude mit anderen) und Upeksha.
Upeksha bedeutet Gelassenheit insbesondere alle Menschen als gleich zu betrachten. Upeksha bedeutet, nichts als seinen Besitz anzusehen. Upeksha bedeutet gleichmäßige Liebe zu allen und allem zu haben.
Gelassenheit kommt hier also aus Liebe und Mitgefühl heraus: Jeder Mensch liebenswert. Jeder Mensch ist wertvoll. Aus diesem Geist der Liebe und der Akzeptanz kannst du Gelassenheit üben.
Die meisten Gründe, sich aufzuregen, kommen ja aus dem Umgang mit anderen Menschen. Andere verhalten sich nicht so, wie man es gerne hätte. Menschen tun nicht das, was man meint, was sie tun sollten.
Um Gelassenheit im Umgang mit anderen zu entwickeln, ist Upeksha der vierte Schritt:
- Entwickle Maitri, Liebe, Verbundenheit, das Gefühl Freund des anderen zu sein
- Entwickle Karuna, Mitgefühl, Mitleid: Der andere empfindet vielleicht Leiden, ihm geht es nicht so gut
- Entwickle Mudita, Mitfreude: Freue dich, dass der andere das bekommt, was er braucht
- Dann folgt Upeksha: Entwickle gleichmäßige Liebe zu allen und allem
Gelassenheit im Yoga: Sama, Samadhana, Samattva
„Yoga“ heißt wörtlich „Einheit“. Die zweite Bedeutung ist „Harmonie“ und eine Drittbedeutung ist „Verbindung“.
Es gibt eine wichtige Yoga-Schrift namens Bhagavad Gita. Diese wurde vor ein paar Jahrtausenden geschrieben. Im zweiten Kapitel gibt Krishna zwei Definitionen von Yoga:
- Yoga Samattwam Uchyate (Bh G II 48): Gelassenheit wird Yoga genannt
- Yoga Karmasu Kaushalam (Bh G II 50): Yoga heißt Geschick im Handeln
Yoga heißt also zum einen Gelassenheit, und zum anderen Geschick im Handeln. Yoga wird ja populärerweise mit Entspannung gleichgesetzt. Und Menschen praktizieren Yoga, um mehr Energie zu haben – um mehr bewirken zu können. Yoga drückt letztlich auch verschiedene Grade der Gelassenheit auch aus. Yoga heißt zum einen Verbindung. Angenommen, man will zwei Dinge miteinander verbinden, dann ist das Yoga. Yoga will uns auch helfen, verschiedene Aspekte in uns harmonisch zu verbinden. Es will helfen, verschiedene Aspekte des Lebens miteinander zu verbinden. Es will uns helfen, uns verbunden zu fühlen mit anderen Menschen, mit der Natur. Und damit ist Yoga auch eben Harmonie. Und schließlich, in der höchsten Bedeutung, heißt Yoga Einheit und beinhaltet die tiefe Erfahrung der Einheit hinter allem. Yoga kann man auch noch unterteilen in verschiedene Yogawege. In diesem Buch will ich auf die verschiedenen Aspekte des Yoga eingehen, und was die einzelnen Aspekte und Wege des Yoga vielleicht an Ratschlägen geben können, wie wir zu dieser Gelassenheit kommen können. Wenn wir von „Gelassenheit“ sprechen, da meinen wir natürlich keine träge Gelassenheit. Ich glaube, dessen seid bist du dir sehr bewusst. Im Yoga spricht man auch von so genannter sattviger und tamasiger Ruhe. Was heißt sattvige, und tamasige Ruhe? Träge, tamasige Ruhe, das hieße Wurstigkeit: „Ist mir eh alles egal.“ Das wäre eigentlich keine Gelassenheit, das ist eher eine Trägheit, Gleichgültigkeit. Diese Gleichgültigkeit kommt vielleicht aus Frustration. Sie kommt, weil man aufgegeben hat, vielleicht sogar sich selbst und sein Leben. Diese Gleichgültigkeit kommt vielleicht aus Trägheit, Antriebslosigkeit. Gelassenheit ist etwas anderes, sie ist sattwige Ruhe, also helle, freudevolle Ruhe. Es heißt, die Fähigkeit, einen Standpunkt einzunehmen, der hilft, eine Ruhe zu bekommen, um sich dann wieder ins Getümmel zu stürzen oder das Getümmel anzunehmen, das sowohl in einem selbst herrscht, wie auch im Äußeren herrscht. Es gibt mehrere Sanskrit Ausdrücke für Gelassenheit. Sanskrit ist die Sprache für die Worte, die im Yoga gebraucht werden. Drei Sanskrit Ausdrücke sind - Sama, die Übung der geistigen Ruhe - Samadhana, der tiefe geistige Zustand der Gelassenheit - Samattwa, Gleichmut und Gelassenheit Sama, innere Ruhe, führt letztlich zu Samadhi, das Überbewusstsein, die Erleuchtung. Patanjali, ein großer Yoga-Meister vor über 2000 Jahren, hat Yoga definiert: „Yogas Chitta Vritti Nirodhah“ – Yoga ist das zur-Ruhe-Bringen des Geistes (YS II,2). „Tadah Drashtuh Swarupe Vasthanam“ – dann ruht der Sehende in seiner wahren Natur. Im Yoga geht es also ganz entscheidend darum, Ruhe des Geistes, Gelassenheit zu entwickeln. Man kann sogar sagen: Yoga ist dazu da, Gelassenheit zu entwickeln. Gelassenheit ist wichtig für Harmonie. Gelassenheit ist wichtig für das Gefühl der Verbundenheit. Gelassenheit befähigt einen zur Erfahrung der Erleuchtung, der Selbstverwirklichung zur Gotteserfahrung. Yoga ist ein praktisches Übungssystem: So hat Yoga eine Menge von Techniken entwickelt, um zu dieser Gelassenheit zu kommen.